Protokoll der Sitzung vom 24.04.2013

Meine Damen und Herren! Ich eröff ne die 66. Sitzung des 15. Landtags von Baden-Württemberg. Ich darf Sie bitten, Ihre Plätze einzunehmen; denn wir haben einen strammen Terminplan.

Urlaub für heute habe ich Herrn Kollegen Beck, Herrn Kol legen Dr. Bullinger, Herrn Kollegen Groh und Herrn Kolle gen Schneider erteilt.

Krankgemeldet sind Herr Kollege Dr. Fulst-Blei, Kollege Ho felich und Kollege Lehmann.

Aus dienstlichen Gründen entschuldigt haben sich bis 11:30 Uhr Frau Staatssekretärin von Wartenberg und ab 9:40 Uhr Frau Ministerin Krebs.

Meine Damen und Herren, Herr Kollege Helmut Rau hat heu te Geburtstag. Im Namen des Hauses gratuliere ich Ihnen, Herr Kollege, sehr herzlich und wünsche Ihnen alles Gute, vor allem Gesundheit.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Eine Zusammenstellung der E i n g ä n g e liegt verviel fältigt auf Ihren Tischen. – Sie nehmen davon Kenntnis und stimmen den Überweisungsvorschlägen zu. Es ist so beschlos sen.

Im Eingang befinden sich:

1. Mitteilung der Landesregierung vom 9. April 2013 – Gemeinschafts

aufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ (GAK) ; hier: 2. berichtigte Anmeldung des Landes zum Rahmenplan 2013 (mit Fortschreibung bis 2016) – Drucksache 15/3331

Überweisung an den Ausschuss für Ländlichen Raum und Verbrau cherschutz und federführend an den Ausschuss für Finanzen und Wirt schaft

2. Antrag der Landesregierung vom 9. April 2013 – Änderung der Ab

grenzung der Geschäftsbereiche der Ministerien – Drucksache 15/3355

Überweisung an den Ständigen Ausschuss

Meine Damen und Herren, unter Punkt 4 unserer Tagesord nung sind die Zweite und Dritte Beratung des Gesetzentwurfs über die Feststellung eines Nachtrags zum Staatshaushalts

plan von Baden-Württemberg für die Haushaltsjahre 2013 und 2014 vorgesehen. Sie sind gemäß § 50 unserer Geschäftsord nung mit dieser Fristverkürzung zwischen der Zweiten und Dritten Beratung des Gesetzentwurfs einverstanden. – Es er hebt sich kein Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.

Wir treten in die Tagesordnung ein.

Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:

Regierungsinformation zum Endlagersuchgesetz durch den Ministerpräsidenten

und Aussprache

Ich erteile Herrn Ministerpräsident Winfried Kretschmann das Wort.

Sehr verehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Unter dem Eindruck der fürchterlichen Katastrophe von Fukushima ist Deutschland vor gut zwei Jahren im politischen Konsens aus der zivilen Nutzung der Kernenergie ausgestiegen. Auch wenn wir nun das Kapitel der Atomkraft abschließen, werden wir mit den Folgen dieser Risikotechnologie noch lange beschäf tigt sein.

Es war deshalb nur logisch und konsequent, dass wir uns pa rallel zum Ausstieg um die Endlagerung des atomaren Mülls kümmern.

Die Entscheidung, in Gorleben Atommüll zu entsorgen, fiel 1977, also vor mehr als 35 Jahren, vordergründig aus politi schen Erwägungen. Geologische Kriterien spielten damals ei ne untergeordnete Rolle. Ein wissenschaftliches und ergeb nisoffenes Auswahlverfahren hat es nie gegeben. Dabei ist klar: Wir müssen einen Ort finden, an dem wir diesen hoch gefährlichen Müll für einen Zeitraum von einer Million Jah re sicher lagern können. Das ist ein für Menschen unvorstell barer Zeitraum; die geschriebene Geschichte der Menschheit ist gerade einmal 6 000 Jahre alt.

Ich habe deshalb vor zwei Jahren in der Ministerpräsidenten konferenz eine neue Suche angestoßen:

Eine Suche, die – so habe ich damals vorgeschlagen – im nationalen Konsens erfolgt. Denn eine solche epochale Auf gabe kann nur jenseits der Parteigrenzen und einvernehmlich zwischen Bund und allen Ländern gelöst werden.

Eine Suche, die am Ende des Prozesses zu dem Standort in Deutschland führen muss, der am sichersten ist für die Auf

(Ministerpräsident Winfried Kretschmann)

bewahrung des in unseren Atomkraftwerken angefallenen Atommülls. Ein Export des von uns verursachten Atommülls in andere Länder verbietet sich. Wir haben den strahlenden Müll verursacht, wir müssen ihn auch verwahren.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Eine Suche, die deshalb keinen potenziellen Standort von vornherein ausschließt, sondern mit einer weißen Landkarte beginnt.

Eine Suche, die also weder das Salz in Gorleben noch den Granit in Sachsen ausschließt und, ja, genauso wenig Tonfor mationen in unserem Land.

Eine Suche, die offen, transparent und vor allem streng wis senschaftsbasiert erfolgen soll.

Meine Damen und Herren, wir reden hier von Zeitläufen von mehreren Hunderttausend Jahren. Es verbietet sich somit, in herkömmlichen politischen Dimensionen von ein, zwei Le gislaturperioden zu denken.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Die politisch Verantwortlichen haben sich bei diesem Prozess parteiübergreifend sehr konstruktiv verhalten. Mein Dank gilt sowohl dem früheren Bundesumweltminister Norbert Rött gen, der den Mut hatte, den Prozess zusammen mit mir anzu stoßen, als auch dem amtierenden Bundesumweltminister Pe ter Altmaier, der dem Prozess umsichtig moderierend vor zwei Wochen – am Dienstag, dem 9. April 2013 – zu einem ersten Durchbruch verholfen hat. Aber auch die Bundesspitzen von der SPD und den Grünen sowie meine Kolleginnen und Kol legen in den Ländern haben sich sehr konstruktiv in den Pro zess eingebracht und den nationalen Konsens erst möglich ge macht.

Die Politik hat auf einem äußerst schwierigen Feld ihre Hand lungsfähigkeit unter Beweis gestellt.

(Abg. Peter Hauk CDU: 2001!)

Das ist in einer Zeit, in der das tagespolitische Geschäft, der kurzfristige Erfolg leider zu oft zum beherrschenden Prinzip der Arbeit geworden ist, nicht hoch genug einzuschätzen.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Jetzt kommt es darauf an, den nationalen Konsens Schritt für Schritt umzusetzen, und ich warne eindringlich davor, das Er reichte aufgrund von irgendwelchen kurzfristigen wahltakti schen Überlegungen wieder infrage zu stellen. Wir haben es erlebt, dass zwei Wahlen das Vorhaben immer jeweils an den Rand des Scheiterns gebracht haben. Für die in Deutschland bereits angefallenen sowie zukünftig noch anfallenden radio aktiven Abfälle muss ein Endlagerstandort gefunden werden, der den hohen Anforderungen an den langfristigen Schutz von Mensch und Umwelt gerecht wird. Eine Verlagerung der Ver antwortung auf kommende Generationen ist also nicht hin nehmbar.

Meine Damen und Herren, das Land Baden-Württemberg, ins besondere das Ministerium für Umwelt, Klima und Energie wirtschaft, hat eine führende Rolle in dem Prozess innegehabt.

Dafür möchte ich vor allem Minister Untersteller und Minis terialdirektor Meinel an dieser Stelle ganz herzlich danken.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Die erfolgreiche Arbeit der letzten Monate fußte ausschlag gebend auf einem Eckpunktepapier aus Baden-Württemberg, das die Grundlage für die jetzt erzielte Einigung darstellte: weiße Landkarte und Einbeziehung von Gorleben in den Suchprozess; Endlagersuche auf der Basis streng wissen schaftlicher Kriterien; gemeinsame Verantwortung bzw. Kon sens zwischen Bund und Ländern, also ein nationaler Kon sens; Implementierung einer neuen Behördenstruktur; größt mögliche Transparenz des Prozesses; hohe Verbindlichkeit der Entscheidungen durch ein mehrstufiges Verfahren und jeweils durch Gesetz abgesicherte Verfahrensschritte durch Bundes tag und Bundesrat.

Dieses Eckpunktepapier war Basis für die Aufnahme neuer Gespräche, und ausgehend von diesem grundlegenden Kon sens über das Vorgehen bei der Endlagersuche legte das BMU im Januar 2012 einen ersten Gesetzentwurf vor. Der dann mehrfach modifizierte Entwurf wurde von der Bundesregie rung beschlossen und wird dem Bundesrat für eine erste Be schlussfassung am 5. Juni 2013 zugeleitet. Gleichzeitig wird er im sogenannten Parallelverfahren von den Fraktionen von CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen in den Deutschen Bundestag eingebracht. Beide Initiativen werden im parlamentarischen Verfahren zusammengeführt; abschlie ßend erfolgt am 5. Juli 2013 die Befassung hierüber im Bun desrat.

Meine Damen und Herren, der nun angestoßene Prozess be ruht auf mehreren Grundpfeilern: Er findet – erstens – streng wissenschaftsbasiert statt und dient allein dem Ziel, am Ende den sichersten Standort für die Aufbewahrung unseres Atom mülls zu finden. Dieser Prozess darf – zweitens – keinen po tenziellen Standort in Deutschland ausschließen und beginnt daher, offen und transparent, mit einer weißen Landkarte. Zu dem muss diese Suche nach einem Endlager – drittens – im nationalen Konsens erfolgen.

Ganz entscheidend für die Glaubwürdigkeit des Suchverfah rens und die Ermittlung des sichersten Standorts ist die Ent wicklung von Kriterien, anhand derer die infrage kommenden Standorte geprüft und miteinander verglichen werden können. Würden beispielsweise die Kriterien während der Erkundun gen geändert, entstünde der Verdacht der Manipulation, der dann nicht mehr auszuräumen wäre. Das war einer der Feh ler, die im Zuge der Erkundung in Gorleben gemacht wurden.

Um diesen Fehler nicht zu wiederholen, haben wir ein Ver fahren vereinbart, in dem die Entwicklung der konkreten Kri terien der Entscheidung über die Erkundung vorausgeht. Die se schwierige Aufgabe, also die Entwicklung von konkreten Kriterien für die allgemeinen Sicherheitsanforderungen, von geowissenschaftlichen Ausschlusskriterien, von Mindestan forderungen an die geologische Formation sowie wirtsgestein spezifischen und -unabhängigen Auswahlkriterien wird zu nächst in die Hände einer hochrangig besetzten Bund-LänderKommission aus Politik, Wissenschaft und Gesellschaft ge legt.

Eine Grundlage der Arbeit dieser Kommission können dabei die bereits vom Arbeitskreis Auswahlverfahren Endlager

(Ministerpräsident Winfried Kretschmann)