Protokoll der Sitzung vom 16.10.2014

Von welchen Grundsätzen lassen wir uns dabei leiten? Ein Schulfrieden, der diesen Namen auch verdient, sollte nach un seren Vorstellungen auf dem wesentlichen Gedanken der kla ren Zuständigkeiten beruhen. Auf der einen Seite stellt das Land in auskömmlichem Maß Ressourcen zur Verfügung, und auf der anderen Seite wird vor Ort in eigener Verantwortung über die Ausgestaltung des Bildungsangebots entschieden.

Soll der Schulfrieden längerfristig tragen, bedarf es nach li beraler Auffassung eines Rahmens, der sich durch Klarheit, Transparenz und faire Bedingungen auszeichnet und sich zu gleich auf das Wesentliche beschränkt, um möglichst viel Ge staltungsfreiheit vor Ort zu belassen. Wenige klare Regeln las sen den Raum für einen Wettbewerb um die besten Bildungs konzepte und Bildungsangebote, den ein dirigistisches, klein teiliges und für politische Einflussnahme anfälliges Regelwerk zu ersticken droht.

Als Diskussionsgrundlage für einen Schulfrieden schlägt die FDP/DVP-Fraktion deshalb ein Schulkonzept vor, das sich dem Gedanken der Subsidiarität ebenso verpflichtet fühlt wie der Überzeugung, dass eine ordnungspolitische Orientierung mit klaren Regeln für einen fairen Bildungswettbewerb die Qualität unseres baden-württembergischen Bildungssystems am besten zu sichern vermag.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Die erste Frage, der sich die FDP/DVP gestellt hat und der sich alle politischen Kräfte gemeinsam stellen sollten, lautet: Wie gelingt es uns kurzfristig, den versetzungsgefährdeten Schülerinnen und Schülern in den fünften und sechsten Klas sen von Realschule und Gymnasium zu helfen? Nach der un vorbereiteten und überstürzt durchgeführten Abschaffung der Verbindlichkeit der Grundschulempfehlung stellt sich hier teil weise eine geradezu dramatische Situation dar. Nach Schät zungen des Philologenverbands waren im vergangenen Schul jahr über 5 %, das heißt rund 1 900 Kinder in den fünften Klassen an den Gymnasien deutlich überfordert. In den sechs ten Klassen waren es laut Philologenverband sogar fast 8 % bzw. 3 000 Kinder. Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Zahlen dürfen keinen verantwortungsbewussten Politiker kalt lassen.

(Beifall bei der FDP/DVP und der CDU – Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Sehr richtig!)

Deshalb schlägt die FDP/DVP ein zweistufiges pragmatisches Vorgehen vor, bei dem ganz nüchtern Zahlen und Fakten be trachtet werden und nur der Erfolg zählt. Erstens: Die Grund schulen bekommen eine bessere Personalausstattung zur Be ratung der Eltern. Zweitens müssen die aufnehmenden Schu len zeitnah das Recht erhalten, über den Inhalt der Grund schulempfehlung informiert zu werden. Und drittens wollen wir ein differenziertes Stützkursangebot für versetzungsge fährdete Schülerinnen und Schüler einrichten.

Sollten diese Maßnahmen innerhalb von drei Jahren nicht zu einer deutlichen Absenkung der Sitzenbleiberquote führen, würde sich die FDP/DVP in einer zweiten Stufe nicht davor scheuen, im Interesse der Schülerinnen und Schüler wieder die Verbindlichkeit der Grundschulempfehlung einzuführen.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Sehr richtig!)

Das wäre dann aber keine schlichte Rückkehr zur Regelung der Vergangenheit, sondern sollte mit einem Letztentschei dungsrecht der aufnehmenden Schule verbunden werden. Das heißt, diese hat dann das Recht, sich gegebenenfalls über die Grundschulempfehlung hinwegzusetzen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, einer weiteren Frage soll ten wir uns stellen: Wie gelingt es uns, angesichts des demo grafischen Wandels den Schülerinnen und Schülern ein leis tungsstarkes, ein breites Schulangebot in unserem Land zu er halten?

Die FDP/DVP schlägt Ihnen das Rucksackprinzip für faire Wettbewerbsbedingungen unter den Schulen vor. Es soll pau schalierte Zuweisungen von Lehrerwochenstunden pro Schü ler geben, ähnlich wie dies bei der Bezuschussung der Schu len in freier Trägerschaft praktiziert wird. Der einzelne Schü ler nimmt die entsprechenden Ressourcen dann wie mit einem Rucksack an die Schule seiner Wahl mit. Für den ländlichen Raum wird zur Vermeidung von unzumutbar langen Schul wegen ebenso wie für Schüler mit Migrationshintergrund oder aus einem sozialen Brennpunkt ein höherer Pro-Kopf-Satz an Lehrerwochenstunden zugewiesen, damit jeweils ein differen ziertes Unterrichts- und Kursangebot vorgehalten werden kann.

Alle Schulen bzw. Schulträger und Bildungsregionen erhal ten die Freiheit, die jeweilige Schulform in eigener Verant wortung auszugestalten bzw. zu Verbundschulen zusammen zufassen. Die allgemeinbildenden Gymnasien erhalten alle den Lehrerwochenstundensatz für das achtjährige Gymnasi um und können selbst entscheiden, ob sie die Stunden auf acht oder auf neun Jahre verteilen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Rucksackprinzip wür de Transparenz und faire Bedingungen zwischen allen Schul arten schaffen. Das heißt für die Gemeinschaftsschulen z. B., dass sie Bestandsschutz erhalten, aber auf ihre Privilegien ver zichten und sich dem Wettbewerb mit allen anderen Schular ten stellen müssen.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Wenn ich jetzt gerade bei den Gemeinschaftsschulen bin: Sehr geehrter Herr Kultusminister, entlassen Sie auch die Gemein schaftsschulen in die Freiheit. Gewähren Sie den Gemein schaftsschulen die Möglichkeit, nach dem Vorbild der Ge samtschulen Lerngruppen auf unterschiedlichen Leistungsni veaus zu bilden oder ein Modell mit Hauptschul- und Real schulzug zu wählen. Diese Gesetzesänderung ließe sich auch kurzfristig verabschieden, wenn Sie, Herr Kultusminister, es mit einem Schulfrieden wirklich ernst meinen. Gehen Sie auf unseren Vorschlag ein, und räumen Sie den Gemeinschafts schulen mehr Gestaltungsfreiheit ein.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Weiter ist von uns auch die Frage zu klären, wie Wahlfreiheit hinsichtlich der Ganztagsschule zu bewerkstelligen ist. Um eine echte Wahlfreiheit für die Eltern zu gewährleisten, schlägt die FDP/DVP vor, dass zusätzlich zur verpflichtend rhythmi sierten auch die offene Form der Ganztagsschule ins Schul gesetz aufgenommen wird und dass alle Schulen, nicht nur die Grundschulen, ohne Zustimmungsvorbehalt der Schulver waltung offene Ganztagsschulen werden können. Jeder in Ba den-Württemberg, der ein Ganztagsangebot braucht, soll es bekommen; aber keiner, der es nicht will, soll es übergestülpt bekommen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Deshalb sollten auch die Hortangebote erhalten bleiben und die Schulbezirke abgeschafft werden.

Wie muss die einzelne Schule aufgestellt sein, um den zusätz lichen Aufgaben und Anforderungen gerecht werden zu kön nen? Der FDP/DVP schwebt hier die eigenständige Schule vor. Sie kann am besten auf die Bedürfnisse vor Ort eingehen – unabhängig von der jeweiligen politischen Großwetterlage hier in Stuttgart. Wir halten dies für eine entscheidende Vor aussetzung für einen Schulfrieden durch Zufriedenheit vor Ort. Die eigenständigen Schulen erhalten ein eigenes Budget und können über die Personalangelegenheiten eigenständig entscheiden. Ihre Eigenständigkeit wird die Schule dazu nut zen, inhaltlich und pädagogisch eigene Schwerpunkte zu set zen. Wichtig ist uns, dass der zurzeit erarbeitete Bildungsplan der einzelnen Schule ebenso viel Gestaltungsfreiheit lässt wie die aktuell gültigen Bildungspläne.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, unser Vorschlag für einen Schulfrieden liegt nun auf dem Tisch. Ich habe Ihnen darge legt, wie eine freiheitliche Bildungspolitik zum Wohle der Schülerinnen und Schüler, der Eltern sowie der Lehrerinnen und Lehrer in unserem Land aussehen könnte. Alle Fraktio nen und auch der Kultusminister haben bei unserem Schul friedensvorstoß zumindest ihre grundsätzliche Bereitschaft zu Gesprächen erklärt. Vertreter der baden-württembergischen Wirtschaft haben vermutlich vielen Bürgerinnen und Bürgern aus der Seele gesprochen, als sie unseren Vorstoß nicht nur begrüßten, sondern uns vor allem auch ins Gewissen geredet haben, das Vorhaben tatkräftig anzugehen.

Ich frage Sie deshalb nun heute: Wie bewerten Sie das Schul konzept der FDP/DVP-Fraktion für einen stabilen Schulfrie den? Bei welchen Elementen unseres Vorschlags können Ih re Fraktionen mitgehen, bei welchen besteht noch Gesprächs

bedarf? Wir sind dankbar für konkrete und offene Kritik zu den einzelnen Punkten, denn nur so können wir gemeinsame Schnittmengen, aber auch Problembereiche identifizieren und in der Sache vorankommen.

Ministerpräsident Kretschmann hat neulich wieder einmal in einem Interview gesagt: „Am Ende entscheidet immer die Mehrheit, nicht die Wahrheit.“ Die FDP/DVP schlägt Ihnen heute wieder vor: Lassen Sie uns uns gemeinsam an einen Tisch setzen und die unterschiedlichen Positionen ausdisku tieren. Ich glaube, die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land erwarten zu Recht von uns, dass wir Landespolitiker im Bildungsbereich nicht mit wechselnden Mehrheiten regieren, sondern durch beständige Suche nach der Wahrheit die best möglichen Entscheidungen treffen. Denn schließlich geht es um nicht weniger als um die Zukunftschancen der Kinder in unserem Land.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP/DVP und der Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU)

Für die CDU-Fraktion spricht Kol lege Schebesta.

Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Jedenfalls aus den PISA-Daten sollten wir alle gelernt haben, dass es für Bildungserfolg ganz entscheidend auf den Unterricht in unseren Schulen und auf die Lehrerinnen und Lehrer ankommt. Für die Lehrerinnen und Lehrer ist bei den immer schwierigeren Herausforderun gen an den Schulen für ihre Arbeit im Unterricht wichtig, dass sie nicht durch bildungspolitische und schulorganisatorische Irrungen und Wirrungen noch zusätzlich Erschwerungen er fahren. Nur dann haben Eltern sowie Schülerinnen und Schü ler Vertrauen in die Arbeit in den Schulen, und nur dann se hen Schulträger ihre Investitionen auf sicherem Boden.

Darum geht es bei der öffentlichen Diskussion, die unter dem Stichwort Schulfrieden geführt wird. Das war unser Maßstab in unserer Regierungsverantwortung bis 2011, das ist unser Maßstab für die Beurteilung Ihrer grün-roten Regierungsar beit, und das wird unser Maßstab sein für Ankündigungen in einem Regierungsprogramm 2016. Konsequenzen aus meiner persönlichen Sicht habe ich im September beschrieben.

Wo sind die Irrungen und Wirrungen von Grün-Rot in dieser Regierungszeit?

Erster Punkt: Unterrichtungsversorgung. Sie haben einen Ab baupfad von 11 600 Lehrerstellen bis zum Jahr 2020 beschrie ben. Das Ergebnis der ersten Stufe im ersten Schuljahr ist, dass die Unterrichtsversorgung schlecht ist, dass das allgemei ne Entlastungskontingent reduziert wurde

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: So ist es!)

und dass die Altersermäßigung aufgeschoben worden ist. Da mit haben Sie die Arbeit an den Schulen erschwert. Sie wer den das nicht allein dadurch aufholen können, dass Sie den Stellenabbau im Schuljahr 2014/2015 reduzieren.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Zweiter Punkt: Sie haben von Anfang an einseitig für Gemein schaftsschulen und für diesen Weg der Schulorganisation ge worben. In der Öffentlichkeit wird wahrgenommen, dass Sie darin auch so etwas wie den einzig richtigen Weg am Ende der Entwicklung als Weg in die Zukunft sehen. Sie bevorzu gen die Gemeinschaftsschulen bei ihrer Ausstattung erheb lich, und zu Recht fragen deshalb die anderen Schularten, ins besondere Realschulen und berufliche Schulen: „Wo ist ei gentlich unser Stellenwert bei der grün-roten Bildungspoli tik?“ und sehen ihre Arbeit durch Ihre Politik erschwert.

(Beifall bei der CDU)

Der dritte Punkt: Sie sind der Überzeugung, je heterogener es in den Schulen zugehe, desto besser sei es für den Bildungs erfolg. So begründen Sie ein rigoroses Verbot der äußeren Dif ferenzierung in den Gemeinschaftsschulen. Die Praxis zeigt und die Praxis sagt, dass dies bis Klasse 10 so nicht funktio niert.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

In Wirklichkeit drücken Sie vor Ort die Augen zu, ohne wirk lich anzusprechen und zuzugeben, dass das in der Praxis so nicht funktioniert.

(Glocke des Präsidenten)

Herr Kollege Schebesta, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Boser?

Wir haben noch eine zweite Runde. Ich würde darauf dann gern in der Diskussion einge hen. Andernfalls geht mir zu viel Zeit verloren.

Sie rücken in der Koalition von dieser Vorgabe und dieser Überzeugung nicht ab, indem Sie seit über einem Jahr nicht in die Puschen kommen damit, den Realschulen einen Weg zum Hauptschulabschluss aufzuzeigen. Sie müssten, wenn Sie es differenziert zulassen würden – so, wie es die Realschulen wollen –, zugeben, dass integrativ nicht der einzige und nicht immer der beste Weg ist.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Sehr gut!)

Sie müssten dies mit der äußeren Differenzierung so einge stehen. Sie werden sich darüber nicht einig und geben den Re alschulen in diesem Punkt seit über einem Jahr keine Hilfe stellung.

Mit dieser Herangehensweise, mit den drastischen Änderun gen ohne Flexibilität und Pragmatismus, was die Situation an den Schulen betrifft, sind Sie gescheitert. Wenn ich dies an spreche, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Regierungs fraktionen, dann sage ich auch: Ich teile die Einschätzung des Ministerpräsidenten: „Das ist deshalb noch kein Krieg“ – wo rauf das Wort „Schulfrieden“ ja wohl auch ein Stück weit hin weisen soll. Vielmehr liegt es im Interesse der Schulen, dies anzusprechen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Herr Minister, Sie begrüßen die Bewegung, die Sie bei der FDP/DVP sehen. Wo ist denn die Bewegung der Landesregie rung und von Grün-Rot in diesen Punkten? Die FDP/DVP

fragt, was die anderen Fraktionen von ihrem Vorschlag hal ten. Wir sind gespannt – Sie, Herr Minister, werden ja auch sprechen, obwohl die Fraktionen gefragt sind –, was die Ant worten der Regierung sind und wo die Bewegung dort zu se hen ist.

Die CDU Baden-Württemberg hat Ihnen beim Thema Ganz tagsschulen eine Zusammenarbeit angeboten. Darauf sind Sie nicht eingegangen. Vor einem Jahr hat Finanz- und Wirt schaftsminister Dr. Schmid in seiner Eigenschaft als Landes vorsitzender der SPD im Umfeld des SPD-Landesparteitags mit dem Stichwort Schulfrieden ein Ablenkungsmanöver ge startet. Was ist danach passiert? Wenn Sie, Herr Minister, glau ben, durch Ihren aggressiven Tonfall gegenüber Kolleginnen und Kollegen im Schulausschuss bestehe eine gute Grundla ge für Gespräche zwischen Regierung und Opposition über Schulpolitik, dann haben Sie diese Meinung wohl relativ al lein.