Protokoll der Sitzung vom 16.10.2014

Meine Damen und Herren! Ich eröff ne die 109. Sitzung des 15. Landtags von Baden-Württem berg.

Urlaub für heute habe ich dem Kollegen Karl Rombach er teilt.

Krankgemeldet sind die Kollegen Andreas Glück, Bernd Hitz ler, Gerhard Kleinböck, Siegfried Lehmann und Helmut Wal ter Rüeck.

Aus dienstlichen Gründen entschuldigt haben sich Herr Mi nisterpräsident Kretschmann, Frau Staatsrätin Erler und ab 15:00 Uhr Herr Minister Friedrich.

Wir treten in die Tagesordnung ein.

Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:

Aktuelle Debatte – Unsere Flüchtlingspolitik nach dem Flüchtlingsgipfel – beantragt von der Fraktion der SPD

Das Präsidium hat die Aktuelle Debatte mit der üblichen Ge samtredezeit von 40 Minuten ausgestattet. Darauf wird die Redezeit der Regierung nicht angerechnet. Die Debatte spielt sich in der üblichen Abfolge ab. Ich darf die Mitglieder der Landesregierung bitten, sich an den vorgegebenen Redezeitrah men zu halten.

Mit Blick auf § 60 Absatz 4 der Geschäftsordnung möchte ich darauf hinweisen, dass die Aktuelle Debatte in freier Rede zu führen ist.

Für die SPD-Fraktion erteile ich dem Kollegen Schmiedel das Wort.

Herr Präsident, liebe Kollegin nen und Kollegen! Am Montag hat der Flüchtlingsgipfel statt gefunden. Dort wurde erfreulicherweise noch einmal unter strichen, dass alle Akteure, die mit Flüchtlingen zu tun haben, die zu uns nach Baden-Württemberg kommen, zusammenste hen und sich jeder an seiner Stelle einbringt, um dieser gro ßen Herausforderung gerecht zu werden.

Deshalb möchte ich zunächst einmal unsere Integrationsmi nisterin Bilkay Öney und den Ministerpräsidenten, die diese Veranstaltung verantwortet hatten, beglückwünschen, diesen Flüchtlingsgipfel einberufen zu haben. Sie zeigen damit: Ba den-Württemberg ergeht sich bei diesem Thema nicht in klein lichem Gezänk, sondern stellt sich der Herausforderung, hu manitär mit den Flüchtlingen umzugehen und alles dafür zu tun, dass sie bei uns gut untergebracht und, wenn sie für län

gere Zeit oder auf Dauer hierbleiben, auch gut integriert wer den.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Meine Damen und Herren, Flucht und Vertreibung sind kei ne Erscheinung der heutigen Zeit. Ich erinnere daran, dass zu Beginn des 19. Jahrhunderts viele Menschen aus Baden-Würt temberg ausgewandert sind, weil es hier nicht genügend zu essen gab. Badische Revolutionäre – Friedrich Hecker und andere – mussten in die USA flüchten, um dort Asyl zu fin den. Während der Schreckensherrschaft des Dritten Reiches fanden viele Menschen – wenn auch leider immer noch zu we nige – in anderen Ländern Zuflucht und konnten dadurch über leben. Deshalb bekennen wir uns zu der humanitären Ver pflichtung, allen, die bedroht sind und bei uns Zuflucht su chen, Zuflucht zu gewähren und menschlich mit ihnen umzu gehen.

(Beifall bei der SPD sowie Abgeordneten der CDU und der Grünen)

Wenn in der Debatte nun stärker die Forderung in den Vorder grund rückt, dass diejenigen, denen kein politisches Asyl ge währt werden kann, zurückgeführt werden, sage ich Folgen des: Natürlich werden Recht und Gesetz befolgt – keine Fra ge. Aber wir müssen auch Geschichten erzählen, die einen an deren Blick auf diese Situation werfen.

Es vergeht kein Parlamentarischer Abend der Landschafts gärtner, an dem nicht ein Landschaftsgärtner aus Fellbach zu mir kommt und sich bedankt, dass der Petitionsausschuss vor Jahren entschieden hat, einen Kosovo-Albaner und seine Fa milie hierbleiben zu lassen, weil das sein wertvollster Mitar beiter sei. Er sagt, er täte sich wirklich schwer, wenn er die sen Mitarbeiter nicht hätte.

Es gibt auch die Geschichte von zwei Geschwistern mit Na men Ashkali, die hätten ausreisen müssen, die aber dank der Schulbildung, die sie hier genossen haben, und dank der dau erhaften Unterstützung von Freunden aus dem Dorf, in dem sie lebten, den Bachelor gemacht haben und aktuell hier in Baden-Württemberg einen Masterstudiengang absolvieren.

Solche Geschichten zeugen von Mitmenschlichkeit und erin nern uns daran, dass wir die Verpflichtung haben, auch dann, wenn es hier kein Bleiberecht gibt, als Privatpersonen, aber auch als Staat mitzuhelfen, dass sich die Bedingungen in den Ländern, in denen Diskriminierung herrscht – etwa im west lichen Balkan –, verändern, dass die Menschenwürde gewahrt bleibt und die Menschenrechte, wie sie für uns alltäglich sind,

auch dort durchgesetzt werden. Vor allem müssen diejenigen Länder, die bei der Europäischen Union anklopfen, angehal ten werden, sich so auszurichten, wie wir es von Mitgliedern der Europäischen Union erwarten.

(Beifall bei der SPD sowie Abgeordneten der CDU und der Grünen)

Ich möchte noch ein Wort dazu sagen, dass wir ein unglaub liches Engagement von Bürgerinnen und Bürgern erleben. Wir erleben Interesse, aber auch tatkräftige Mithilfe bei der Be wältigung dieser Herausforderungen – auch dann, wenn un vorhergesehen Druck noch dadurch entsteht, dass andere Län der gerade keine Flüchtlinge aufnehmen können. Beispiels weise haben an der Feuerwehrschule in Bruchsal viele Men schen von heute auf morgen mitgeholfen, anständige Unter künfte zu schaffen, um die Unterbringung von Flüchtlingen zu bewältigen. Herzlichen Dank dafür!

Das gilt aber auch für Bürgerinnen und Bürger von Ellwan gen, Meßstetten, Karlsruhe oder Mannheim, von denen sich viele gemeinsam mit hauptamtlich Beschäftigten einbringen und sagen: „Wir packen mit an. Wir stellen uns dieser Ver pflichtung und helfen mit, damit alles gut gelingt.“

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Um noch ein Beispiel zu nennen: Gestern haben Florian Wahl und ich mit einer privaten Stiftung gesprochen, der HOFF NUNGSTRÄGER Stiftung, die vorhat, in Ludwigsburg, Schwä bisch Gmünd und Leonberg 25 Millionen € in Gebäude zu in vestieren, in denen dann Flüchtlinge und Deutsche zusam menleben sollen, um die Integration voranzutreiben und das Zusammenleben zu befördern – eine wirklich tolle Geschich te.

Gestern stand in der „Stuttgarter Zeitung“, dass der Heilbron ner Oberbürgermeister Harry Mergel im Gemeinderat ange kündigt hat, dass ein Flüchtlingswohnheim mit 100 Plätzen errichtet werden soll. Er hat gesagt, dabei werde sich zeigen, „ob die Heilbronner Charakter haben“. Ich glaube, er muss sich keine Sorgen machen. Unser Land und vor allem die Menschen zeigen in diesen Tagen und Monaten, dass sie Cha rakter haben.

(Beifall bei der SPD sowie Abgeordneten der CDU und der Grünen)

Für die CDU-Fraktion spricht Kol lege Mack.

Herr Präsident, liebe Kollegin nen und Kollegen! Wir haben im Moment in Baden-Württem berg, in Deutschland und in Europa steigende Flüchtlingszah len. Für uns Christdemokraten geht es aber nicht einfach um Statistiken, sondern es geht um Menschen, die ein schweres Schicksal zu erleiden haben. Ihnen wollen wir in christlicher Verantwortung, in Nächstenliebe helfen, so gut wir können.

Die Frage ist, wie wir helfen können, was wir leisten können und was uns überfordern würde. Diese Aufgabe stellt eine ge waltige Herausforderung dar. Lieber Herr Kollege Schmiedel, diese Aufgabe ist in Ihrer Rede eben mit den Worten, die Sie gebrauchten, nicht richtig beschrieben worden.

Was wir zu leisten haben, ist gewaltig – in Baden-Württem berg, in Deutschland und in Europa. Wir müssen uns Folgen des vorstellen – Herr Oberbürgermeister Mentrup hat dies auf dem Flüchtlingsgipfel am vergangenen Montag ebenfalls ge sagt –: In den vergangenen zwei Monaten sind 6 000 Men schen nach Baden-Württemberg gekommen. Täglich kommen Tausende von Flüchtlingen in Italien an. In Italien funktioniert das System im Moment nicht mehr. Die Flüchtlinge werden dort nicht registriert. Dort finden auch keine gesundheitlichen Untersuchungen statt. Herr Mentrup hat geschildert, was dies für Baden-Württemberg bedeutet: In den Notaufnahmestel len, etwa der LEA in Karlsruhe, gibt es Schwierigkeiten, die gesundheitlichen Untersuchungen durchzuführen. Dort ist be reits ein Flaschenhals entstanden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, hier sind also gewaltige Aufgaben zu erledigen, und diese Aufgaben müssen jetzt be herzt angepackt werden.

Dies wollen wir natürlich gemeinsam tun. Deswegen unter stützen wir unseren Bundesinnenminister de Maizière, der sagt: Italien muss jetzt die Regeln einhalten. Dies wird jedoch nur dann geschehen, wenn wir europäische Kontingente schaf fen. Deswegen müssen wir da zu einer Einigung kommen, da mit wir wieder geordnete Verhältnisse in Europa haben.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Da nützt es nichts, dass Herr Kuhn, der Stuttgarter Oberbür germeister, bei diesem Flüchtlingsgipfel die Verordnung von Dublin infrage gestellt hat. Das hilft uns im Moment über haupt nicht weiter. Wir müssen auf der Basis der bestehenden Regeln handeln.

Das Gleiche gilt für Baden-Württemberg. Wenn Sie sicher stellen wollen, dass – wie es der Ministerpräsident am vergan genen Montag gefordert hat – kein Flüchtling ohne Untersu chung an die Stadt- und Landkreise weitergeleitet wird, dann müssen Sie sofort mehrere Ärzte einstellen. Da reicht es nicht, wenn fünf oder sechs Amtsärzte eingestellt werden. Erforder lich sind 20 oder gar bis zu 40 Stellen, die neu geschaffen wer den müssen. Und Sie müssen dann auch dafür sorgen, dass es funktioniert.

Ich habe es in den Protokollen nachgelesen: Hier in diesem Plenum haben wir vor anderthalb Jahren über einen Nach tragshaushalt diskutiert. Wir haben Sie dabei auf die steigen den Flüchtlingszahlen und auf den bestehenden Bedarf hin gewiesen. Sie haben das Problem dann über globale Minder ausgaben und dergleichen mehr gelöst, haben aber kein Kon zept vorgelegt.

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Was? – Abg. Muhterem Aras GRÜNE: Das ist doch ein Quatsch!)

Am Montag hat nun die „Stuttgarter Zeitung“ geschrieben – dieser Artikel ist bemerkenswert; er trägt die Überschrift „Endlich aufgewacht“ –:

Die Landesregierung... hat die Entwicklung unterschätzt und zu spät begonnen, Vorsorge zu treffen.

Exakt so ist es.

(Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU: Das ist der Punkt!)

Deswegen haben wir eine so schwierige Situation in BadenWürttemberg, und deshalb muss jetzt gehandelt werden.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Der Ministerpräsident hat allerlei versprochen.

(Abg. Muhterem Aras GRÜNE: „Allerlei“!)

Aber er hat nie gesagt, wie er konkret vorgehen will. Das gilt auch in Bezug auf die Amtsärzte. Er will 3 000 Not-LEA-Plät ze zusätzlich schaffen. Wo diese sein sollen, hat er nicht ge sagt. Auch zum Thema Sicherheitskonzept hat er nichts ge sagt.

(Abg. Andreas Schwarz GRÜNE: Wo ist denn Ihr Konzept, Herr Kollege? Da gibt es doch gar nichts!)

Ich sage Ihnen gleich etwas zur Situation in Ellwangen. Sie werden gleich etwas dazu hören.

Zum Sicherheitskonzept wurde nichts Konkretes gesagt, eben so wenig zu den 200 Stellen für Vorbereitungsklassen oder zu einem Wohnungsbauprogramm. Es gab nichts Konkretes.