Protokoll der Sitzung vom 05.11.2014

Kolleginnen und Kollegen! Nur noch zwei, drei Sätze. Herr Kollege Dr. Kern, es freut mich, wie Sie sich über das Lob von uns freuen.

(Abg. Dr. Timm Kern FDP/DVP: Es ist berechtigt!)

Ich meine, man kann es der FDP/DVP in diesen Zeiten ja auch nachsehen. Aber wissen Sie, ich bin einfach dankbar, dass Sie mittlerweile aus Ihrem Modus „Alles doof, alles schlimm, al les schlecht“ herausgekommen sind.

(Abg. Dr. Timm Kern FDP/DVP: War nie!)

Aber Sie werden zugestehen: In der Tat brauchen wir über das Thema Schulfrieden, wenn sich die CDU nicht bewegt, nicht zu debattieren.

(Zuruf des Abg. Georg Wacker CDU)

Das hat sich heute an dieser Stelle leider auch gezeigt.

Kollege Wacker, ich gestehe Ihnen durchaus zu, dass Sie im Bereich der Realschulen ein Konzept vorgelegt haben. Ich ha be mich übrigens politisch-taktisch gefragt, warum Sie dieses Konzept nicht hier stärker zur Diskussion gestellt haben. Sie haben es stattdessen in einer nicht öffentlichen Sitzung des Ausschusses vorgestellt. Ich habe mich über die Schulter mit Kollegin Boser darüber unterhalten, warum Sie das machen. Gibt es da auch Unsicherheiten? Ich hätte das politisch ganz anders aufgebaut. Das war für uns, ehrlich gesagt, an dieser Stelle auch irritierend. Das war auch ein Schlüssel.

Wir, die SPD, haben Ihnen gegenüber vor einem Jahr den Vor schlag eines Schulfriedens unterbreitet. Ich habe für mich als Fachpolitiker immer gerade auch das Thema Realschulen als eine Möglichkeit dafür gesehen, weil wir da in der Tat nicht weit auseinander sind.

Ich finde es bemerkenswert, dass sich die CDU mittlerweile von der Dreigliedrigkeit komplett verabschiedet hat. Ich fin de es bemerkenswert, dass die CDU mit einer Orientierungs phase in den Stufen 5 und 6 mittlerweile auch den Weg eines längeren gemeinsamen Lernens geht.

(Zuruf des Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU)

Deshalb: Sie haben sich da schon deutlich auf unsere bil dungspolitischen Positionen zubewegt.

Aber: Was ich ausdrücklich bei Ihnen noch einmal einfordern möchte – Sie fangen durchaus an, sich Gedanken über die Zu kunft der Gemeinschaftsschule zu machen –: Hören Sie auf, diese konsequenterweise bei jeder günstigen Gelegenheit schlechtzureden. Geben Sie ein klares Bekenntnis für die Ge meinschaftsschule ab,

(Zuruf des Abg. Georg Wacker CDU)

dass Sie diese Schulart unterstützen werden,

(Zuruf des Abg. Georg Wacker CDU)

und hören Sie damit auf, permanent Stöcke in den Lauf des Rades hineinzulegen.

(Zuruf des Abg. Georg Wacker CDU)

Die Lehrkräfte machen eine bemerkenswerte Arbeit. Sie brau chen die Unterstützung von uns allen, weil sie ein zentrales Ziel abarbeiten. Sie sind auf einem guten Weg, nämlich auf dem zu mehr Bildungsgerechtigkeit unabhängig vom Geld beutel bei uns in Baden-Württemberg.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen)

Für die FDP/DVP-Frak tion erteile ich das Wort Herrn Abg. Dr. Kern.

Herr Präsident, liebe Kol leginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Kultusminister, dass Sie mit keinem einzigen Wort, nicht mit einer Silbe auf meine drei konkreten Fragen eingegangen sind, okay, ge schenkt.

(Abg. Dr. Stefan Fulst-Blei SPD: Das unterstreicht die Bedeutung der FDP!)

Aber Sie übersehen völlig und Sie merken gar nicht, dass Sie damit auch über den Wunsch der Bevölkerung nach einem Schulfrieden einfach einmal so hinweggehen. Sie nehmen die Menschen in Baden-Württemberg mit Ihrer Reaktion heute nicht ernst. Sie nehmen die Lehrerinnen und Lehrer in den Schulen nicht ernst. Vielleicht sollten wir einmal beide zu den entsprechenden Schulen gehen. Dann zeige ich Ihnen, wie die Stimmung in den Häusern ist. Sie haben heute jedenfalls be wiesen, dass Sie nicht wissen, wie die Situation in BadenWürttemberg im Bildungsbereich ist.

(Beifall bei der FDP/DVP sowie der Abg. Karl-Wil helm Röhm und Klaus Burger CDU)

Mit Ihrer heutigen Rede haben Sie leider eine große Chance vertan. Sie hätten als erster Kultusminister in die Geschichte Baden-Württembergs eingehen können, der den Mut bewie sen hat, in der Bildungspolitik mit anderen politischen Frak tionen zu einer überparteilichen Übereinkunft zu kommen. Dazu fehlte Ihnen aber ganz offensichtlich heute der Mut, und es fehlte Ihnen vermutlich auch die Kraft, um sich gegen die Ideologen in Ihrer Koalition durchzusetzen.

Die Gründe hierfür liegen für mich auf der Hand: Einen Schul frieden kann es nämlich nur dann geben, wenn man den Ver antwortlichen vor Ort wesentlich mehr Entscheidungsfreiheit hinsichtlich der Bildung überträgt. Hierzu sind aber offen sichtlich weder die CDU noch Grüne oder Rote in diesem Land bereit. Ohne Positionswechsel bei der grün-roten Koa lition kann es in Baden-Württemberg einen Schulfrieden auch deshalb nicht geben, weil es mit Ihrem starren Zweisäulen modell vor Ort keinen Schulfrieden geben kann. Wer ein un flexibles, ein starres Strukturmodell von oben vorgibt, wie Grün-Rot dies mit dem Zweisäulenmodell tut, der erstickt ei nen Schulfrieden vor Ort.

Für einen Schulfrieden vor Ort ist es vielmehr unverzichtbar, dass die Verantwortlichen vor Ort auch über die entsprechen de Freiheit verfügen, über die Struktur der Schulen vor Ort selbst zu entscheiden. Wer hier im Landtag von Baden-Würt temberg einen Schulfrieden will, der muss auch bereit sein, parteipolitischen Einfluss auf die Bildungspolitik zurückzu nehmen, und muss im gleichen Zug den Verantwortlichen vor Ort mehr Entscheidungsfreiheit zubilligen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Die heutige Aktuelle Debatte hat leider gezeigt, dass weder die grün-rote Koalition noch der Kultusminister – bislang je denfalls – zu diesem Verzicht auf eine parteipolitische Ein flussnahme auf die Bildungspolitik vor Ort bereit sind. Die Menschen in Baden-Württemberg sollten aber wissen: Wir Li beralen halten unser Gesprächsangebot an die anderen Partei en dennoch aufrecht. Aber nach jetzigem Diskussionsstand

scheint es leider so, dass zumindest mit diesem Kultusminis ter in Baden-Württemberg keine Aussicht besteht, dass wir zu einem Schulfrieden kommen.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Da mit ist die Aktuelle Debatte beendet.

Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf:

Aktuelle Debatte – Integrationsfeindliche Radikalisierung junger Menschen vermeiden – Präventionsstrategie gegen Islamismus, Extremismus und Radikalismus ausbauen – beantragt von der Fraktion der CDU

Das Präsidium hat für die Aktuelle Debatte eine Gesamtrede zeit von 40 Minuten festgelegt. Darauf wird die Redezeit der Regierung nicht angerechnet. Für die einleitenden Erklärun gen der Fraktionen und für die Rednerinnen und Redner in der zweiten Runde gilt jeweils eine Redezeit von fünf Minuten. Ich darf die Mitglieder der Landesregierung bitten, sich eben falls an den vorgegebenen Redezeitrahmen zu halten.

Schließlich darf ich auf § 60 Absatz 4 der Geschäftsordnung verweisen, wonach im Rahmen der Aktuellen Debatte die Aussprache in freier Rede zu führen ist.

Für die CDU-Fraktion erteile ich das Wort Herrn Abg. Dr. La sotta.

Herr Präsident, werte Kol leginnen, sehr geehrte Kollegen! Integrationsfeindliche Radi kalisierung junger Menschen verhindern, Präventionsstrate gien entwickeln – das ist ein wichtiges Thema, das uns be schäftigt. Wir haben dieses Thema deshalb auf die Tagesord nung gebracht, weil die Gefahr bestand, dass Präventionspro gramme auslaufen. Ein Beispiel ist das Projekt „Team meX“, das seit sechs Jahren von der Landeszentrale für politische Bildung und dem Landesamt für Verfassungsschutz gestaltet wurde. Ich bin ausdrücklich dankbar, Herr Schmiedel und Frau Sitzmann, dass Sie gestern in den Regierungsfraktionen beschlossen haben, diese Präventionsprogramme weiterzu führen. Wir meinen, dass wir eine Gesamtstrategie gegen die Entwicklungen, die wir momentan in unserem Land erleben, brauchen.

Warum radikalisieren sich junge Menschen? Im Übrigen geht es nicht nur um die Menschen, die einen Migrationshinter grund haben und zu uns gekommen sind, sondern es gibt auch ganz viele Konvertiten in den salafistischen Bereich hinein.

Wir – Parteien, Politik und Gesellschaft – müssen uns wirk lich dringend überlegen, welche Strategien wir für junge Men schen entwickeln, um sie eben überhaupt nicht in diese Radi kalisierung hineinzuführen. Wir müssen uns überlegen, wie wir seitens der Gesellschaft eine Antwort darauf geben kön nen, wie ein Wirgefühl entwickelt werden kann. Es ist wich tig, die Hoffnungslosigkeit, die manche Leute haben und die sie anfällig dafür macht, bei Rattenfängern irgendein Wirge

fühl zu finden, zu durchbrechen, um für sie Perspektiven in unserer Gesellschaft zu entwickeln.

(Beifall bei der CDU sowie Abgeordneten der Grü nen und der SPD)

Deswegen, glaube ich, ist es gut, dass wir hier einen gemein samen Konsens haben. Wir haben das Thema aber deswegen auf die Tagesordnung gebracht, weil wir meinen, dass wir ge meinsam noch mehr Anstrengungen unternehmen müssen.

Betrachten Sie einmal, was in den vergangenen Monaten in Deutschland und auch in Baden-Württemberg passiert ist: Es gab die Aktion der Salafisten mit ihrer „LIES!“-Kampagne, die Verteilung des Korans, was teilweise belächelt wurde; aber dahinter stand ja eine radikale Philosophie und standen die jungen Menschen, die in den Dschihad ziehen, nach Syrien ausreisen. Uns alle haben die Nachrichten erschreckt, dass auch Frauen minderjährigen Alters als Bräute quasi dorthin gezogen sind und wir, die Gesellschaft, nicht rechtzeitig ver mocht haben, dem entgegenzuwirken.

Es ist zu fragen: Wirken unsere Präventionsprogramme? Was passiert in den Schulen? Findet eine wirkliche Diskussion da rüber statt, wie wir eine Radikalisierung erkennen?

Auf der einen Seite gibt es natürlich die Entwicklungen, dass zunehmend verschiedene radikale Gruppen aufeinandertref fen. Wenn Sie die Bilder aus Köln erlebt haben, wo Hooligans und Rechtsradikale sich plötzlich zusammengeschlossen und Straßenschlachten eröffnet haben, dann erleben Sie das als ei ne Entwicklung, die auch die Menschen in unserem Land zu tiefst verunsichert. Wenn eine Scharia-Polizei durch Köln oder durch andere Städte in Nordrhein-Westfalen marschiert und quasi junge Leute davon abhalten will, unsere freiheitliche Gesellschaft zu genießen, müssen wir alle, glaube ich, als De mokraten aufstehen.

Auf der anderen Seite gibt es die rechtsstaatlichen Mittel der Polizei, des Verfassungsschutzes und des Landeskriminalamts. Es gibt auch viele Präventionsprogramme, an denen sie betei ligt sind; auch an rechtsstaatlichen Maßnahmen, um eben sol che entsprechenden Umtriebe zu unterbinden, sind sie betei ligt. Uns ist aber wichtig: Wir brauchen eine Gesamtstrategie. Es kann nicht nur bei rechtsstaatlichen Maßnahmen bleiben. Zu Recht haben Sie, Herr Minister Gall, immer darauf hinge wiesen, dass der islamistische Extremismus die momentan am stärksten steigende Tendenz in unserer Gesellschaft aufweist und dass viel Radikalisierung stattfindet.

Wir müssen uns aber auch überlegen, wie wir die Menschen mit unseren Präventionsprogrammen erreichen. Es gibt bei spielsweise ein Landesnetzwerk gegen den Rechtsradikalis mus – richtig und wichtig, und es leistet auch gute Arbeit –, aber hinsichtlich des islamistischen Extremismus haben wir die Strukturen noch nicht entsprechend vernetzt. Deswegen kann es nicht nur dem Landtag überlassen bleiben, dass sei tens der Regierungsfraktionen – weil wir, die CDU-Fraktion, und die Öffentlichkeit gesagt haben, wir müssen diese Prä ventionsprogramme weiterführen – Haushaltsanträge gestellt werden, sondern wir brauchen auch eine Gesamtstrategie der Landesregierung, um diesen islamistischen Extremismus stär ker bekämpfen zu können.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)