Protokoll der Sitzung vom 05.11.2014

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Es gibt verschiedene Zuständigkeiten. Im Kultusministerium wird viel hinsichtlich der Lehrerfortbildung getan, und im Be reich des Innenministeriums gibt es entsprechende Program me. Aber ich glaube, wir sollten das wie in anderen Bundes ländern entsprechend vernetzen. Das Land Hessen hat ein Kompetenzzentrum gebildet, in dem alle Sicherheitsbemü hungen und Präventionsstrategien gebündelt werden. Das Land Nordrhein-Westfalen hat ein entsprechendes Programm ausgestaltet, damit im Sozialraum vor Ort Ansprechpartner auch für Aussteiger vorhanden sind. Das haben wir in BadenWürttemberg für den rechtsradikalen Bereich schon etabliert. Die CDU-Fraktion ist der Meinung, dass wir das auch für den islamistischen Extremismus brauchen.

Wir brauchen feste Ansprechpartner, eine bessere Schulung der entsprechenden Lehrkräfte, eine bessere Kooperation und Unterrichtung mit den Moscheevereinen. Wir müssen eine ge samtgesellschaftliche Strategie entwickeln, und wir alle im Landtag sollten auch daran arbeiten, dass die Landesregierung vom Landtag aufgefordert wird, es als eine zentrale Aufgabe zu betrachten, die Kompetenzen zu bündeln und besser zu ko ordinieren.

Ausdrücklich möchte ich sagen, dass es viele gute Program me gibt, die nebeneinander herlaufen, aber die Gesamtstrate gie wird nicht erkennbar. Deswegen möchten wir, die CDULandtagsfraktion, Sie auffordern, die Kompetenzen zu bün deln, stärker zu koordinieren und auch ein entsprechendes Rückkehrerprogramm zu entwickeln. Das ist etwas, was uns noch fehlt. Was machen wir denn mit denjenigen, die in den Dschihad gezogen sind und jetzt wieder nach Baden-Würt temberg oder Deutschland zurückkommen? Wir brauchen Strukturen, um diese Menschen auffangen zu können.

Wir, die CDU-Fraktion, bieten ausdrücklich an, an einer sol chen Gesamtstrategie mitarbeiten zu wollen. Ich glaube, wenn man schon einen Schwerpunkt auf die Integrationsarbeit und die Bekämpfung des Extremismus legt und in diesem Bereich ein eigenes Ministerium geschaffen hat, was die Präventions bemühungen eigentlich sehr gut koordinieren könnte – was bisher nicht geschehen ist –, sollte man sich wirklich einen Ruck geben, um da eine klare Zuständigkeit zu schaffen. Da zu fordern wir Sie auf und bieten gleichzeitig unsere Bereit schaft zur Mitarbeit an.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP)

Für die Fraktion GRÜ NE erteile ich das Wort Herrn Abg. Poreski.

Herr Präsident, meine ver ehrten Kolleginnen und Kollegen! Bei allem Konsens: Der Ti tel der von der Fraktion der CDU beantragten Aktuellen De batte ist befremdlich. „Integrationsfeindliche Radikalisierung junger Menschen vermeiden“ suggeriert, dass Integration misslingt, weil sich junge Menschen radikalisieren. Dabei ist es umgekehrt. Die Radikalisierung ist das Ergebnis einer miss lungenen Integration und Sozialisation.

(Beifall bei den Grünen)

Bundesinnenminister Thomas de Maizière hat deswegen völ lig recht. Er sagte gegenüber dem Magazin „Stern“ über die

Salafisten deutscher Herkunft – ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten –:

Es sind unsere Söhne und Töchter. Ein Großteil wurde hier geboren. Sie sind in unsere Schulen gegangen, in un sere Moscheen, in unsere Sportvereine. Wir tragen für de ren Radikalisierung Verantwortung.

Deshalb ist es gut, dass Grün-Rot in den kommenden beiden Jahren 700 000 € für Prävention im engeren Sinn zur Verfü gung stellt. Deshalb ist es auch grundsätzlich gut, wenn es Aussteigerprogramme für Salafisten gibt. Das rot-grün regier te Nordrhein-Westfalen war hier Vorreiter. Dort gab es das bundesweit erste Aussteigerprogramm.

Auf Bundesebene gibt es so etwas auch, allerdings finanziell äußerst schwach ausgestattet und in seinem Fortbestand ge fährdet. Dazu äußern Sie sich bezeichnenderweise nicht.

Aussteigerprogramme sind sinnvoll, wenn sie gut konzipiert sind – und nur dann. Diesen Hinweis erlaube ich mir als So zialarbeiter und Pädagoge, der in seinem ersten Berufsleben Erfahrungen mit Sozialarbeit auf der Straße gesammelt hat. Gut gemeint ist nicht zwangsläufig auch gut gemacht. Das se hen wir z. B. an den gescheiteren Extremismusbekämpfungs strategien deutscher Behörden im Zusammenhang mit dem NSU-Terrorismus. Die Untersuchungsausschüsse anderer Bundesländer haben erschreckenderweise zutage gebracht, dass Gewalt und Terrorismus hier eher noch genährt als effek tiv bekämpft wurden. Deshalb ist es sinnvoll und notwendig, dass nun auch der baden-württembergische Teil dieser Ge schichte gründlich aufgearbeitet wird.

Ebenso wichtig ist mir ein zweiter Hinweis zu den Ausstei gerkonzepten. Solche Programme sind kein Patentrezept, schon gar nicht in der Prävention. Sie taugen nicht als Ersatz handlung für eine Präventionsstrategie, die sich über die ge samte Biografie junger Menschen erstrecken muss. Wir wis sen aus der Sozialforschung einiges über junge radikalisierte Salafisten. Dies sind häufig gescheiterte Existenzen; viele sind ohne Schulabschluss und ohne Berufsausbildung. Fast alle, die zu menschenfeindlichen Gewalttätern – übrigens jeglicher Couleur – werden, waren in ihrer Biografie selbst Opfer mas siver Gewalt und mussten in gewaltgeprägten Lebensumstän den aufwachsen.

Das ändert nichts daran, dass dann, wenn es zu spät ist, der Staat auch konsequent und repressiv eingreifen muss. Aber das löscht bestenfalls ein akutes Feuer, jedoch ganz sicher nicht die Brandursache oder gar den Brandherd.

Also: Die Bekämpfung von Extremismus, die Abwehr von Gewalt und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit ist ganz sicher auch eine Aufgabe der Sicherheitsbehörden, in erster Linie aber eine Aufgabe der Bildungs- und vor allem der So zialpolitik. Deshalb habe ich mich mit meinen Fraktionskol legen darauf verständigt, dass ich in dieser Debatte spreche.

Wir wollen, dass alle Kinder und Jugendlichen demokratische Werte verinnerlichen. Denn wer den unbedingten Wert der Menschenrechte erkennt, ist gegen menschenfeindliche Ideo logie immun. Das Besondere an den demokratischen Werten ist aber: Sie können anders als extremistische Gesinnungen nicht mit Zwang durchgesetzt oder mit Gewalt erzwungen

werden. Freiheit und Demokratie müssen erlebt und gelebt werden, damit sie erlernt werden können.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Deshalb ist auch der Einsatz für Kinderrechte ein Beitrag zur Prävention. Junge Menschen – nicht zuletzt solche, die aus benachteiligten Verhältnissen kommen – müssen das berech tigte Gefühl bekommen, dass sie wertgeschätzt werden, dass ihre Meinung und ihr Einsatz zählen und dass sie in einer be drängten Lebenssituation von der staatlichen Gemeinschaft nicht im Stich gelassen werden. Dazu gehören auch der Schutz vor Diskriminierung sowie der Schutz vor gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, vor rechtsradikalen Übergriffen und vor Mobbing.

Junge Menschen müssen, um Demokratie zu lernen, sich aus probieren können, zu eigenem Engagement ermutigt werden, Fehler machen und korrigieren können, ohne dass es gleich bedrohlich für sie wird. Sie müssen auf authentische und streitbare Erwachsene treffen und sich in dieser Auseinander setzung das Rüstzeug für ein nachhaltiges demokratisches Ge meinwesen erwerben, nämlich Zivilcourage statt Duckmäu sertum oder rein destruktiv motiviertem Protest.

Für diese anspruchsvollen Ziele gibt es keine einfachen Pa tentrezepte, auch keine einfache Gesamtstrategie, aber viele kleine Bausteine – im Kleinen wie im Großen. Die vielfälti gen politischen Anstrengungen der grün-roten Koalition sind hier sicher nicht abschließend oder gar perfekt, aber sie kön nen sich sehen lassen:

Wir haben die Mittel für die außerschulische Jugendarbeit nach vielen Jahren der Stagnation massiv erhöht. Denn Kin der und Jugendliche brauchen diese Erfahrungsräume, wo sie Verantwortung übernehmen, die Wirksamkeit und Sinnhaftig keit eigenen Engagements erfahren sowie demokratische Spielregeln einüben können. Dafür entwickeln wir gemein sam mit den Jugendverbänden und der Jugendforschung den „Zukunftsplan Jugend“.

Wir erweitern aus den gleichen Gründen die demokratischen Mitwirkungsrechte für Kinder und Jugendliche in der Gemein deordnung, und wir laden Sie ein, gemeinsam mit uns die Kin derrechte in der Verfassung zu verankern.

Wir veranstalten fraktionsübergreifend zusammen mit dem Landesjugendring den Kinder- und Jugendlandtag.

Die Landesregierung investiert in die Ganztagsbetreuung, in die Frühen Hilfen für die ganz kleinen Kinder und in offene Treffs, in Nachbarschaftszentren, um möglichen Gefährdun gen und gewaltgeprägten Lebenssituationen vorzubeugen und um soziale, nachbarschaftliche Netzwerke zu stärken.

Wir haben hier im Land die assistierte Ausbildung entwickelt und zum bundesweiten Vorbild gemacht, damit auch benach teiligte Jugendliche erfolgreich eine Ausbildung abschließen können. Denn hier besteht Nachholbedarf.

Wir haben die Schulsozialarbeit und die mobile Jugendarbeit intensiv gestärkt. Wir helfen den Schulen, sich so weiterzu entwickeln, dass sie noch besser als bisher auch benachteilig ten und ihrer Entwicklung untypischen Jugendlichen gerecht werden können. Das gilt nicht nur für die Gemeinschaftsschu len.

Wir unterstützen das Projekt „Team meX“ der Landeszentra le für politische Bildung als ein bewährtes und wirksames Pro gramm gegen Rechtsextremismus.

Wir sind mit allen gesellschaftlichen Gruppen – von den Leh rerverbänden über die Sozialforschung bis hin zu den Kon fessionen – und natürlich auch mit allen demokratischen Gruppierungen und Parteien in intensiven Gesprächen darü ber, wie wir die demokratische Zivilgesellschaft mit der Po litik des Gehörtwerdens für ein Gefühl der demokratischen Zugehörigkeit, für sozialen Zusammenhalt, für Inklusion und gegen soziale Ausgrenzung sowie gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit jeder Art stärken können. Diese De batte ist ein offener Prozess, aber sie trägt auch erkennbar Früchte.

Ich bin mit meiner Fraktion stolz darauf, wie unsere Gesell schaft mit der aktuellen Flüchtlingsproblematik umgeht.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Hier offenbaren sich quer durch alle gesellschaftlichen Schich ten eine demokratische Reife und eine Empathiefähigkeit, die bei allen ernsten Herausforderungen vor allem eines zeigen: Unser Land Baden-Württemberg ist stark und zukunftsfähig.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Für die SPD-Fraktion erteile ich das Wort Herrn Abg. Sakellariou.

Herr Präsident, liebe Kol leginnen und Kollegen! Heute wird in Stuttgart ein Prozess gegen Jugendliche aus Schramberg eröffnet, die den Islami schen Staat unterstützt haben. Gestern vor drei Jahren ist der NSU in Deutschland bekannt geworden und aufgeflogen. In sofern ist die heutige Aktuelle Debatte eine gute Debatte. Sie hat zwar einen sperrigen Titel, greift aber zum richtigen Zeit punkt ein wichtiges Thema auf. Dafür möchte ich mich aus drücklich bedanken.

Wenn man sich den Titel anschaut, sieht man: Es geht in ers ter Linie um junge Menschen, um die Verhinderung der Ra dikalisierung junger Menschen. Junge Menschen sind genau das Potenzial, auf das wir alle im Moment schauen müssen. Wir waren gestern bei den Handwerkern, und da war davon die Rede, wie wichtig die jungen Leute in Deutschland sind und welche Bedeutung sie als Zukunftsträger haben. Heute Morgen hat unser Finanzminister Nils Schmid bei der Ein bringung des Haushalts den Satz gesagt:

Wir können es uns nicht erlauben, auch nur einen jungen Menschen in diesem Land verloren zu geben.

Insofern: Das ist ein weiterer Aspekt.

Worum geht es? Es geht um Salafismus und islamistische Ge fahr. Da reden wir davon, dass in Syrien derzeit 250 Menschen aus Deutschland aktiv kämpfen: auf der falschen Seite und für eine Ideologie, bei der es einem als Vater von fünf Töchtern, sage ich einmal, regelmäßig wehtut angesichts dessen, was er von dort zu sehen und zu hören bekommt.

Wir reden bundesweit von 250 deutschen Jugendlichen und jungen Menschen, die dort unten für solch schreckliche Ideo

logien kämpfen. Wir reden in Baden-Württemberg von inzwi schen 550 Anhängern in 17 Objekten und Organisationen. Die Zahl ist von 500 auf 550 gestiegen. Es gibt also eine relevan te Größe – zumal dieser Personenkreis wächst, bei dem wir aktiv werden müssen.

Was tun wir? Das Erste ist schon angesprochen worden: Bil dung, Bildung, Bildung. In die Bildungspläne und in die Fach unterrichte gehören die Themen hinein. Die Themen „Sozia les Lernen“ und Extremismus sind in den Bildungsplänen und im Fachunterricht aller Schularten enthalten. Das ist auch gut so.

Das Zweite – das geht über den Bildungsbereich hinaus – ist die Präventionsarbeit. Das ist schon angesprochen worden. Christoph Bayer, Vorsitzender des Kuratoriums der Landes zentrale für politische Bildung, hat sehr darauf gedrängt, dass die Mittel für die Präventionsarbeit nicht auslaufen, sondern verstetigt werden. Deswegen sind die Fraktionen übereinge kommen, diese 350 000 € pro Jahr in eine verlässliche und verstetigte Finanzierung des Projekts „Team meX“ zu inves tieren, das den Schülerinnen und Schülern Handlungskompe tenzen gegen jegliche Form des Rassismus und Fanatismus geben soll. Es ist in den Schulen aktiv, aber auch außerhalb der Schulen, bei der freien Jugendarbeit, und soll gerade sol che Kompetenzen entwickeln, die z. B. vermeiden, dass bei einer Karikatur ein Sturm der Entrüstung losgeht. Eine Kari katur ist eine Karikatur. Das muss man aushalten können.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Das gehört zu der Kompetenz und Bildung, die wir so früh zeitig wie möglich zu vermitteln haben. Das gilt für gegensei tige Achtung und gegenseitigen Respekt eben auch.

„Schule ohne Rassismus“ ist ein weiteres Projekt, das jetzt verlässlich weiterfinanziert wird. Es geht immerhin um 1 400 Schulen mit über einer Million Schülerinnen und Schülern, die sich diesem Projekt verschrieben haben. Es ist wunderbar und wichtig, wenn sich die gesamte Schulgemeinschaft die sem Thema stellt. Insofern bin ich froh, dass diese Entschei dung so getroffen wurde.

Herr Dr. Lasotta, ich möchte Ihre Anregung gern aufgreifen: Wir haben beschlossen, uns dem Thema Salafismus in einer Anhörung im Innenausschuss zu widmen. Dort ist auch nach meiner Auffassung der richtige Ort, um diese Anregungen und Fragen der Bündelung der Netzwerke im Kampf gegen den Salafismus und gegen die Radikalisierung von jungen Men schen, auf die wir so dringend angewiesen sind, anzugehen. Denn wir müssen junge Menschen stark machen, damit sie eben nicht auf menschenfeindliche Rassisten und Rattenfän ger hereinfallen. Das ist eine gemeinsame Aufgabe, hinter der wir stehen.

(Beifall bei der SPD sowie Abgeordneten der CDU, der Grünen und der FDP/DVP)