Nikolaos Sakellariou

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Herr Präsident, liebe Kol leginnen und Kollegen! Diese Debatte führt leider in die Irre. Zu glauben, das Land Baden-Württemberg könne die Flücht lingsströme aus sich allein heraus in den Griff bekommen, ist doch irre. Das ist genauso irre wie die Behauptung, das Land Baden-Württemberg könne den Klimawandel allein beseiti gen. Es tut mir leid. Wecken Sie nicht solche Hoffnungen, und greifen Sie nicht an der falschen Stelle Themen auf, um bei den Leuten Erwartungen aufkommen zu lassen, die wir gar nicht erfüllen können.
Dies wäre der Fall, wenn wir hier Erwartungen wecken, die wir, das Land Baden-Württemberg, nicht erfüllen können. Dann würden wir genau das machen, was Sie uns hier in den Mund legen wollen.
Nein, jetzt nicht. Ich muss nämlich noch Rosa Grünstein für ihre letzte Ansprache ein paar Minuten Redezeit übrig lassen. Dieses Mal müssen Sie sich ohne Zwischenfrage begnügen.
Meine Damen und Herren, es ist auch klar: Die Schließung nationaler Grenzen wird es mit uns nicht geben. Nationale Grenzen zu schließen wäre das Ende Europas. Dies kann al so keine Lösung sein.
Herr Rülke, wenn Sie jetzt hier drei Wochen vor der Land tagswahl sagen: „Handeln Sie endlich!“, dann sage ich Ihnen: Vor 40 Jahren ist Erhard Eppler in den Landtag eingezogen, und vor 41 Jahren hat er dieses Buch veröffentlicht,
das ich mir damals besorgt habe.
Lesen Sie das Buch einmal durch. Von dieser Stelle aus ist be reits vor 40 Jahren dazu aufgefordert worden, zu handeln – was wir bereits hätten machen können. Lesen Sie sich noch einmal durch, was Erhard Eppler vor 41 Jahren formuliert hat. Sie hätten handeln können – 40 Jahre lang. Es war vorherseh bar, dass das auf uns zukommen wird. Auch in diesem Land tag von Baden-Württemberg
war dies bekannt. Deswegen werden wir die Fluchtursachen, die Erhard Eppler bereits vor 41 Jahren angesprochen hat, be kämpfen und heute mehr als 1,2 Milliarden € und zusätzlich 700 Millionen € finanzieren, um so zu helfen.
Andere Punkte sind angesprochen worden, so z. B., dass in Jordanien etwas passiert.
Ein ganz wichtiger Punkt ist die Registrierung. Sie haben voll kommen recht: Wir brauchen die Registrierung, und die Ver netzung muss noch besser laufen. Sie sprechen von „Staats versagen“, obwohl Sie genau wissen, dass jede Regierung vor derselben Herausforderung steht, so viele Flüchtlinge auf ein mal aufzunehmen. Sie erwähnen dann aber nicht, was es in dieser kurzen Zeit an Verbesserungen gegeben hat, wie wir mit der Registrierung vorangekommen sind. Niemand verlässt mehr die LEA, ohne registriert zu werden. Man darf nicht von „Staatsversagen“ reden, wenn man nicht anderen Leuten Fut ter geben will, die kein Futter brauchen. „Staatsversagen“ ist die völlig falsche Formulierung.
Wir brauchen allerdings auch – da gebe ich Ihnen recht – die Ausweisung weiterer sicherer Herkunftsstaaten. Es ist richtig, dass die Erklärung von Albanien, Kosovo und Montenegro zu sicheren Herkunftsstaaten zu Rückgängen bei den Zugangs zahlen insgesamt in Deutschland und damit auch in BadenWürttemberg geführt hat.
Wir brauchen auch die Feststellung, dass Marokko, Tunesien und Algerien sichere Herkunftsstaaten sind. Wir erwarten auch, dass die Zustimmung dazu erteilt wird, weil dadurch das Asylrecht eben nicht ausgehebelt wird. Das muss man immer dazusagen. Auch jemand, der aus einem sicheren Herkunfts staat kommt, hat ein Recht, dass seine individuellen Asylgrün de geprüft werden, wenn er solche vorträgt. Wenn er sagt: „Ich komme aus Tunesien und will Asyl“, reicht das zukünftig nicht aus. Das muss auch von dieser Landesregierung als Si gnal ausgehen, meine Damen und Herren.
Das ist auch richtig. Hören Sie auf, immer wieder diese Zah len aus Bayern zu verwenden, Herr Kollege Mack. Die Per sonen, die jetzt von Ellwangen nach Stuttgart verfrachtet wor den sind und dann nicht mehr auffindbar waren, wären in der Statistik in Bayern unter „freiwillig ausgereist“ aufgetaucht.
Wollen Sie denn so etwas? Mit solchen Zahlen dürfen Sie nicht argumentieren. Bleiben Sie „sauber“.
In der zweiten Runde wird Rosa Grünstein ihre letzte Rede halten. Da bitte ich um entsprechende Aufmerksamkeit.
Frau Präsidentin, liebe Kol leginnen und Kollegen! Eindrücklich ist für mich, dass wir heute einen Abschlussbericht über Verbrechen eines NSU vor legen, begangen von jungen Leuten, die bei Demonstrationen gegen Flüchtlingsheime radikalisiert worden sind. Wenn man noch einmal in das Buch „Heimatschutz“ von Stefan Aust und Dirk Laabs hineinschaut, sieht man, dass damals stellenwei se dieselben Parolen an den Toren skandiert wurden, wie sie heute wieder geschrien werden. Dieselben Parolen, stellen weise wortgleich! Wenn wir wissen, was daraus geworden ist, und uns daran erinnern, dass im Jahr 1992, genau in dem Jahr, in dem sich diese jungen Leute radikalisiert haben, die Repu blikaner in den Landtag von Baden-Württemberg eingezogen sind, wird auch deutlich, dass sich Geschichte wiederholen kann.
Angesichts dessen kann ich nur sagen: Wer ab heute, ab die sem Tag, nicht alles unternimmt, um solche Personengruppen, um solche fehlgeleiteten jungen Leute aus diesem Sumpf he rauszuholen, ist spätestens ab heute bösgläubig. Er ist bös gläubig, weil er weiß, was für eine Gefahr und für ein gefähr liches Potenzial darin steckt und was wir, die Gesellschaft, bei diesem Thema erledigen müssen. Das ist einmal der Rahmen.
Inhaltlich: Es stimmt, es war sehr anstrengend. Aber wie an strengend es wirklich war, wird dann anschaulich, wenn man einmal einen anderen Ausschuss als Vergleich heranzieht. Der FlowTex-Untersuchungsausschuss hat in vier Jahren 48 Sit zungen abgehalten und wir in einem Jahr 39. Wir haben prak tisch in einem Jahr komprimiert leisten müssen, was beim FlowTex-Untersuchungsausschuss in vier Jahren geleistet wurde. Das ist schon gewaltig und gigantisch gewesen. Was haben wir gemacht?
Der Vergleich hinkt nicht.
Noch einmal: Worum ging es? Es ging darum, dass wir in Ba den-Württemberg zwei Straftaten hatten: den Mord an Michèle Kiesewetter und den Mordversuch an ihrem Streifenkollegen. Etwas, was bei einer Tat ohne Geständnis und ohne Tatzeu gen völlig normal ist, dass nämlich viele Fragen offenbleiben, hat hier dazu geführt, dass sowohl die Angehörigen als auch die Öffentlichkeit großes Misstrauen empfunden haben und viel Verunsicherung entstanden ist. Denn die Aufklärung die ses bestialischen Mordes hat über vier Jahre gedauert. Der Mord ist erst durch Zufall am 4. November 2011 aufgedeckt worden – viereinhalb Jahre danach. Obwohl in nahezu jeder Radiosendung über neue Spuren etwa vom Phantom berich tet wurde, ist die Öffentlichkeit ratlos zurückgeblieben, war um man die Dinge nicht hatte früher aufklären können.
Diese lange Zeit hat natürlich zu Fragen geführt: War da Ab sicht im Spiel? Wollte irgendjemand etwas verschleiern – wo möglich absichtlich – und es der Öffentlichkeit nicht zukom men lassen? Ich kann Ihnen sagen: Das Ergebnis aller Befra gungen, Zeugenvernehmungen in dieser hohen Schlagzahl hat jedenfalls dazu geführt, dass wir uns mit allen Theorien, die entwickelt worden sind, befasst haben – mit allen. Wir konn ten die allermeisten aus meiner Sicht abräumen.
Am Ende kann ich vielleicht so viel sagen: Wir haben mit My then aufgeräumt, und dort, wo wir hingeschaut haben, ist es am Ende der Arbeit dieses Ausschusses sehr viel heller ge
worden, als es vorher war. Da gab es viele dunkle Ecken, vie le Verschwörungen, aber am Ende war es heller, als es vorher war.
Im Einzelnen mussten wir drei zentralen Fragen nachgehen:
Erste Frage: Wer hat Michèle Kiesewetter ermordet? Das war zu Beginn des Ausschusses sehr offen. Es gab die Anklage des Oberlandesgerichts; die Generalstaatsanwaltschaft hatte ihre eigene Theorie und hat daran festgehalten. Wir sind dem nach gegangen und können jetzt einvernehmlich feststellen: Wir gehen davon aus, dass Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos für die beiden Verbrechen verantwortlich sind. Das war vorher nicht klar.
Warum wissen wir das so sicher? Wir wissen das nicht nur durch die Aussage von Frau Zschäpe, die dabei natürlich ganz eigene Motive hatte. Wir kennen das Motiv nicht, aber wir wissen aus vielen Indizien, wie im Strafverfahren üblich: Es ist wahrscheinlich, dass es so war. Daraus, dass die Waffe des Polizeibeamten A., die ihm im April 2007 weggenommen wurde, im November 2007 in die DVD eingearbeitet wurde – in der Kopie ist auch die Nummer dieser Waffe erkennbar –, die im November 2011 per Post versandt wurde, wird deut lich: Die beiden – Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos – hat ten die Waffe schon 2007, ein halbes Jahr nach der Tat. Da mit ist die Theorie, dass sie ihnen erst 2011 untergeschoben wurde, praktisch erledigt. Dieser Mythos ist ausgeräumt.
Zweite große Frage: War Michèle Kiesewetter ein Zufallsop fer, oder ist sie gezielt ausgesucht worden? Ich möchte Folgen des vorwegschicken, weil mir das sehr wichtig ist: Michèle Kiesewetter hatte weder Kontakte zu Rechtsextremisten noch eine rechtsextreme Gesinnung. Bitte so etwas nie mehr erwäh nen! Das wird diesem Opfer Michèle Kiesewetter, die wegen unser aller Sicherheit ihren Dienst verrichtet hat und während dessen umgebracht wurde, nicht gerecht. Michèle Kiesewet ter bitte solchen Verdächtigungen nicht aussetzen!
Zu der Frage „War sie ein Zufallsopfer?“ sind wir zu der Er kenntnis gekommen: Ja, sie muss ein Zufallsopfer gewesen sein. Warum? Sie ist am Mittwoch ermordet worden. Noch am Montag ist sie selbst davon ausgegangen, dass sie erst am Donnerstag Dienst hat. Das muss man sich einmal vorstellen: Am Montag ist sie noch davon ausgegangen, dass sie erst am Donnerstag Dienst hat, und musste vom Kollegen A. darauf hingewiesen werden, dass sie am Mittwoch gemeinsam Dienst haben. Das war alles sehr kurzfristig.
Zum Tagesablauf: An diesem Tag, als Michèle Kiesewetter ermordet wurde, musste sie, nachdem sie mit ihrem Kollegen schon draußen war, außerplanmäßig wieder zurück ins Poli zeipräsidium, ist dann wieder rausgefahren und unmittelbar danach ermordet worden. Das bedeutet im Umkehrschluss: Wenn jemand gezielt Michèle Kiesewetter an diesem Tag hät te töten wollen, hätte er sie von morgens bis nachmittags be schatten und ihr hinterherfahren müssen, ohne dass sie es ge merkt hätte.
Was aber ist passiert? Unmittelbar, nachdem sie auf den Park platz gefahren ist, ist sie erschossen worden. Das heißt, die
Täter waren schon da. Sie hätten an diesem Tag jeden ermor det, der dort in einem Polizeiauto gesessen hätte. Das ist un sere Erkenntnis vom Tagesablauf. Deswegen ist es sehr un wahrscheinlich, dass es jemand gezielt auf Michèle Kiesewet ter abgesehen hatte.
Die dritte Frage ist allerdings offengeblieben: Wie sind sie auf die Theresienwiese gekommen, auf der an dieser Stelle im mer einmal wieder Polizeiautos standen? Wir werden dem fol genden Landtag die Aufgabe übergeben, zu untersuchen: Gab es Verflechtungen, Netzwerke zwischen Thüringen und Ba den-Württemberg, aus denen man herauslesen kann, ob es Helferinnen und Helfer gab, die etwa diese beiden Täter an diesen Ort geführt, ihnen die Empfehlung gegeben haben?
Dieser Frage müssen wir noch nachgehen. Denn wenn es Ver knüpfungen gab, dann sind diese Personen immer noch hier, leben sie noch unter uns, und dann gibt es ein ganz massives Interesse auch der Opfer und der Angehörigen, diese Perso nen ausfindig zu machen und ihrer gerechten Strafe zuzufüh ren.
Und ja, der Komplex Florian H. hat uns sehr lange beschäf tigt. Auch hier hat es Ermittlungspannen gegeben. Aber ge nauso wie es Ermittlungspannen gegeben hat, hat die zustän dige Polizei Disziplinarverfahren eröffnet und eine interne Re vision eingeleitet, die sicherstellen kann, dass sich die ange sprochenen Dinge nicht wiederholen werden. Denn die Per sonen, die diese Fehler gemacht haben, sind zur Rechenschaft gezogen worden
im Rahmen des Beamtenrechts. Da gibt es – keine Frage – nichts zu beschönigen. Es sind Fehler gemacht worden, und diese sind in einem umfangreichen Bericht der internen Re vision aufgearbeitet worden. Wie gesagt, die nächste Stufe, dass sogar Disziplinarverfahren eingeleitet worden sind, ist die höchste Stufe, der man als Beamter, der Fehler macht – niemand ist fehlerlos –, ausgesetzt werden kann.
Zu den weiteren Ergebnissen, nachdem sich die anderen My then, die von uns aufgearbeitet wurden, als nicht zielführend oder als nicht relevant herausgestellt haben: Wir haben hier Personen vernommen, die wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern im Gefängnis sitzen und uns über den Mossad und sonstige Geheimdienste berichten wollten. Mit solchen Leu ten mussten wir uns befassen, um den Dingen näherzukom men. Wir haben also wirklich keinen Kontakt selbst mit den unangenehmsten Leuten gescheut, um diesen Fragen weiter nachzugehen.
Ich jedenfalls kann für mich sagen: Am Ende ist an den Kom plexen S./O. und Hauskauf Tino B. nichts hängengeblieben. Wir sind wirklich in die Tiefe gegangen. Tino B., den Frau Zschäpe als einen ihrer Mentoren bezeichnet hat, als denjeni gen, der sie nach ihrer Erläuterung in den NSU gebracht ha ben soll, hat in Baden-Württemberg ein Haus gekauft. Natür lich musste man dem nachgehen. Aber wir haben nichts ge funden.
Das gilt auch für die Geschichte mit der Krokus, die behaup tet hat, die rechtsextremistische Szene hätte Herrn A. ausge späht. Auch da war nichts dran; das war wirklich eine Ge
schichte, die nicht richtig war und aus der man nichts ablei ten kann.
Es bleibt natürlich eine offene Wunde, etwas, das sich nie wie derholen darf, dass Polizeibeamte in Baden-Württemberg Mit glied im Ku-Klux-Klan waren. So etwas ist nicht nachvoll ziehbar; es ist absolut unpassend. Ein Polizeibeamter, der in einer freiheitlichen Gesellschaft seinen Dienst tut und oft auch wirklich unangenehme Dinge erledigen muss – Dinge, die er für uns erledigen muss –, der die Sicherheit aufrechterhalten muss, hat im Ku-Klux-Klan nichts verloren. Der Ku-KluxKlan ist eine verbrecherische Organisation, und ein Polizist steht für Recht und Anstand. Deswegen gehören Polizeibeam te nicht in den Ku-Klux-Klan. Die beiden Beamten, die dort Mitglied gewesen sind, waren eine Ausnahme. Es gibt keine weiteren Polizisten beim Ku-Klux-Klan, derer wir habhaft ge worden wären. Das muss klargestellt werden; das ist so.
Zum Abschluss möchte ich noch einmal Wert auf eine Fest stellung legen, die alle schon getroffen haben: Die Einmütig keit in dieser Frage ist ein Wert an sich. Ich verweise hier auf andere Bundesländer; in Hessen beispielsweise ist dies nicht möglich. Es ist in anderen Bundesländern nicht möglich, so einvernehmlich zu agieren. Das ist tatsächlich ein Wert an sich. Denn sowohl die Opfer als auch deren Angehörige ha ben einen Anspruch darauf, dass wir dieses Thema nicht zu parteipolitischen Zwecken missbrauchen.
Um dies jedoch zu erreichen, war das Engagement des Vor sitzenden ebenso wie das Engagement von vier Obleuten er forderlich, die nicht nur einmal, nicht nur zweimal und auch nicht nur dreimal, sondern mindestens viermal über ihren Schatten gesprungen sind. Dafür mein herzlicher Dank.
Sehr glücklich und zufrieden bin ich auch darüber, dass sich dieser Ausschuss dafür entschieden hat, dass alle Protokolle und alle Befragungen, die wir hier durchgeführt haben, öffent lich gemacht werden. Jeder Bürger – das ist ein maximales Zeichen von Transparenz – kann jetzt hergehen und unseren Bericht mit seinen 1 400 Seiten lesen; er kann die Protokolle im Internet hinzuziehen und dann selbst nachvollziehen, ob unsere Schlussfolgerungen aus diesen Befragungen auch für ihn in Ordnung sind oder ob er andere Schlüsse zieht. Dann muss er aber auch sagen, woraus er diese ableitet.
Ich bedanke mich für die Arbeit bei denjenigen, die wissen, dass sie gemeint sind.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Frau Präsidentin, liebe Kol leginnen und Kollegen! Das Petitionsrecht ist ein ursprüngli ches Parlamentsrecht. Aufgerufen ist nun der einzige Tages ordnungspunkt innerhalb der gesamten Legislaturperiode, bei dem wir uns im Plenum mit unserem ureigensten Recht be fassen. Das einmal vorweggeschickt.
Es ist lobend zu erwähnen, dass wir dieses Thema hier zum ersten Mal vormittags behandeln. Das hatte leider noch nie geklappt, dieses Mal aber schon, was sehr erfreulich ist. Es ist aber in der Geschäftsordnung geregelt, dass wir jährlich ei nen solchen Bericht abgeben.
Wenn ich mit einer Anregung anfangen soll, würde ich sagen: Wir sollten es vielleicht wirklich so machen, wie es in der Ge schäftsordnung steht, dass wir uns nicht nur einmal in der Mit te und einmal am Ende mit der Thematik befassen, wenn im Grunde dann schon ganz andere Themen eine Rolle spielen.
Ich will noch etwas vorwegschicken: Mein Dank gilt zunächst einmal allen Mitgliedern im Petitionsausschuss; denn diese sind die Kernelemente dieses Petitionsrechts. Sie sind näm lich diejenigen, die sich die Zeit nehmen, in diesen Ausschuss zu gehen, in den oft nur Neulinge geschickt werden. Ich bin seit dem ersten Tag, seit 14 Jahren, seit 130 Sitzungen dabei. Ich habe keine einzige Sitzung bereut, weil das der direktes te Draht zu den Bürgerinnen und Bürgern und zu den Men schen in Baden-Württemberg ist.
Mit einem Zitat von Regine Hildebrandt, der unvergessenen Sozialministerin, möchte ich für uns alle sprechen. Sie hat ein mal als Politikerin und Ministerin gesagt: „Ich interessiere mich nicht für Politik, nur für Menschen und ihre Schicksa le.“
Das ist das Motto, mit dem wir alle in diesem Ausschuss ge arbeitet und gekämpft haben. Denn dieser Petitionsausschuss ist etwas Besonderes. Er hat besondere Rechte; er unterliegt nicht dem Grundsatz der Diskontinuität. Das bedeutet: Egal, welche Regierung dran ist, diese Petitionen werden durch ein unabhängiges Gremium weiterbearbeitet. Der Petitionsaus schuss – das betone ich, weil wir immer viel von Bürgerbe teiligung sprechen – ist die Mutter der Bürgerbeteiligung, die es schon immer gab, wo man allein mit einem guten Argu ment und einem Stück Papier in die Herzkammer der Demo kratie durchdringen kann.
Das ist das Besondere an diesem Petitionsausschuss. Diese Unabhängigkeit führt dazu, dass man im Grunde sagen könn te – ich möchte es auch so formulieren –: Dem Petitionsaus schuss ist es gerade egal, wer unter ihm regiert.
Das ist die Haltung, die sich bei mir eingeprägt hat und die ich auch vertrete.
Ich muss auch sagen: Diese Rolle ist auch deswegen so wich tig, weil wir in diesem Haus genau die Gesetze verabschieden – deswegen auch die Zuständigkeit –, mit denen dann die Bür ger womöglich ihre Probleme haben.
Deswegen ist es auch wichtig, dass wir als Abgeordnete die Rückspiegelung bekommen: Was ist mit unseren Entschei dungen vor Ort passiert? Wie sind die Bürger konkret betrof
fen? Deswegen ist der Petitionsausschuss die richtige Adres se, um die Scherben zusammenzukehren, die wir mit der Mehrheit des Parlaments womöglich verursacht haben. Dann geht es daran, diese Scherben aufzusammeln und Lösungen zu finden.
Weil das so ist, ist es geradezu undenkbar, dass beispielswei se ein Koalitionsvertrag irgendeinen Abgeordneten binden könnte, sich nur anhand von Regierungsmehrheiten zu ent scheiden. Wer so etwas fordern würde, würde sich komplett gegen das Gesetz und gegen das Prinzip stellen.
Aber das fordert zum Glück auch niemand. Wenn es so wäre, wäre das grob verfassungswidrig.
Es gibt einen, der das begriffen hat – Frau Kollegin Böhlen hat ihn schon zitiert –: Auf die Zwischenfrage des Kollegen Zimmermann hat der Ministerpräsident eine Antwort gege ben. Ich möchte das wortwörtlich zitieren, weil es mir so gut gefallen hat. Auf eine Frage des Abg. Zimmermann erfolgt die Antwort von Ministerpräsident Kretschmann – ich zitiere –:
Herr Abg. Zimmermann, Sie werden nun vom Regierungs chef nicht erwarten, dass er sich in das Allerheiligste des Landtags begibt, nämlich den Petitionsausschuss.
Das ist nicht nur schön gesagt. Da hat jemand begriffen, was für eine Arbeit wir machen, dass sie unabhängig von der Re gierung ist und dass es ein Parlamentsrecht ist, das alle in die sem Haus angeht und bei dem wir uns gemeinsam dafür ein setzen müssen, dass dies auch so bleibt.
Zusammenhängend möchte ich eines sagen: Zwar sind, von den Ergebnissen her betrachtet, 51,24 % der Petitionen nega tiv beschieden worden. Was sagt aber diese Zahl von knapp über 50 %? Das bedeutet, bei 48 % – also nahezu der Hälfte – der Anliegen, mit denen die Menschen gekommen sind, ist irgendetwas Weitergehendes passiert, sei es eine Materialüber weisung, sei es eine andere Art der Abhilfe.
Jedenfalls ist irgendetwas passiert, was keine Nichtabhilfe war. Das ist mathematisch eine sehr große Summe.
Wenn man fragt, in welchen Zusammenhängen keinerlei po sitive Entscheidungen im Petitionsausschuss gefällt worden sind, so erkennt man, dass das vor allem vier Bereiche waren: Eingriff in die Gerichtsbarkeit: null positive Entscheidungen; Bundesangelegenheiten: null positive Entscheidungen; priva te Angelegenheiten: null positive Entscheidungen; Eingaben ohne konkretes Anliegen: null positive Entscheidungen. An diesen ganz klaren Ausschlussgründen sieht man noch einmal deutlicher, wie sehr wir den Menschen mit dieser Institution helfen.
Ich kann eines sagen: Wenn ich wiedergewählt werde, werde ich mich wieder um einen Sitz im Petitionsausschuss bewer ben.
Danke schön.
Herr Präsident, liebe Kol leginnen und Kollegen! Abschiebehaft ist die Ultima Ratio, keine Frage. Aber wir brauchen sie selbstverständlich, weil es auch Fälle gibt, in denen sich jemand der Abschiebung ent zieht, weil jemand nach einer erfolglosen Abschiebung den Aufenthaltsort ändert und ihn nicht angibt. Damit signalisiert er, dass er sich einer Abschiebung entziehen will.
Vor diesem Hintergrund ist es ganz klar, dass wir die Abschie behafteinrichtungen brauchen, und zwar sowohl für die Vor bereitungshaft als auch für die Sicherungshaft, die dann aller
dings höchstens sechs Monate dauern darf. Falls jemand die Abschiebung aus der Haft heraus immer noch, sage ich ein mal, verhindert, kann die Haft um weitere zwölf Monate ver längert werden.
Ich habe mir die Einrichtung in Mannheim angeschaut. Das war eine Haftanstalt in der Haftanstalt. Genau dieser Zustand, dass man nicht mehr genau unterscheiden kann, wird jetzt ge ändert. Wir haben Rechtsklarheit. Zukünftig ist nämlich das Innenministerium und nicht mehr das Justizministerium zu ständig und sind die Dinge wirklich voneinander getrennt.
Wir haben einen Standort, nämlich Pforzheim, wo – das muss man wissen – bislang 100 jugendliche Strafgefangene waren. Die gehen alle nach Adelsheim. Nach der Verlagerung der 100 Jugendlichen, die nach Adelsheim wechseln werden, damit die Abschiebehaft in Pforzheim gemacht werden kann, sind immer noch weitere 100 Haftplätze in Adelsheim übrig.
Das bedeutet, der Standort Pforzheim war angezählt. Insofern ist die Investition in den Standort Pforzheim, damit dort die se Abschiebehaftanstalt entsteht, damit dort Arbeitsplätze und diese Institution erhalten bleiben, im Grunde ein Standortvor teil für Pforzheim, der sich auch – –
Ich möchte einmal hören, Herr Kollege Rülke, was passiert wäre – –
Ja, aber ich möchte einmal sehen – in meinem Wahlkreis liegt auch eine Gemeinde, die Standort einer Vollzugsanstalt ist, nämlich Schwäbisch Hall –, was passiert wäre, wenn der Standort Pforzheim hätte geschlossen werden müssen.
Wenn die 100 Haftplätze und die Beschäftigten weggegangen wären, dann wäre das Geschrei groß gewesen. Aber die Lage ist optimal – zwischen den Flughäfen Stuttgart, Baden-Baden und Frankfurt. Die Einrichtung wird saniert, und die Arbeits plätze werden gesichert. Insofern ist auch die Standortent scheidung eine gute.
Wir werden dem Gesetz zustimmen.
Herr Präsident, liebe Kol leginnen und Kollegen! Herr Kollege Throm, entscheidend ist, was hinten herauskommt. Und das, was herausgekommen ist, ist ein Informationsfreiheitsgesetz, das alle vier Fraktio nen in diesem Haus begrüßen. Deswegen, vom Ergebnis her gedacht, können wir wirklich zufrieden sein, dass wir in ei nem gesellschaftlichen Konsens diese neue Möglichkeit ge schaffen haben. Sie ist gerade kein Ausdruck von Misstrauen, sondern ein Ausdruck von Zutrauen, dass die Bevölkerung, dass die Bürger mit diesem neuen Instrument, das wir ihnen einvernehmlich in die Hände geben, verantwortlich umgehen.
Wir sind ja auch alle Kommunalpolitiker, die von diesem In formationsfreiheitsgesetz auch betroffen sind. Oft genug ist davon die Rede, dass „die da oben“ immer dieses oder jenes gemeinsam aushandeln oder „verkarteln“. Genau diesem Trend werden wir entgegenwirken, indem wir bestimmte Dinge ver öffentlichungspflichtig und sichtbar machen und die Möglich keit geben, sich diese Informationen zu beschaffen.
Wir hoffen also, dass mit diesem Zutrauen Entscheidungen mehr Akzeptanz finden und dadurch auch die Beteiligung an solchen Entscheidungen steigt. Denn das ist ja letztlich unser eigentliches Problem.
Erfreulich ist auch, dass wir im Zuge der Beratungen die Strei chung des Widerspruchsverfahrens wieder aus dem Gesetz entwurf herausgenommen haben. Ich möchte aber den Gedan ken, der dazu geführt hat, das Widerspruchsverfahren auszu schließen, schon noch einmal darstellen.
Die Evaluation hat ergeben, dass in gerade einmal 7 % der Verfahren einem Widerspruch stattgegeben wurde. Das heißt, in 93 % der Fälle wurde ihm nicht stattgegeben mit der Fol ge, dass quasi, wenn man eine endgültige Entscheidung her beiführen wollte, sich in 93 % der Fälle die Entscheidung um die Dauer des Widerspruchsverfahrens verzögert hätte. Das war der Gedanke. Dieser war im Grunde bürgerfreundlich. Aber nachdem von der Anwaltschaft und den Beteiligten der Wunsch so überwiegend kam, in diesem konkreten Verfahren auf die Abschaffung des Widerspruchsverfahrens zu verzich ten, haben wir das auch einvernehmlich in diesem Änderungs antrag so festgehalten.
Das ist auch ein Beispiel für ein gutes gesetzgeberisches Ver fahren. Dabei dauert etwas manchmal auch ein bisschen län ger, weil man eben viele einbinden möchte und auch einbin den muss. Wenn dann im Ergebnis ein Gesetz herauskommt, das am Anfang sehr streitig war und die FDP/DVP – – Auf den Beitrag der FDP/DVP bin ich jetzt wieder besonders ge spannt. Da wird Herr Professor Dr. Goll wohl wieder eine be
sonders erfreuliche Formulierung finden, weil er ja lange da runter gelitten hat, dass zu seiner Zeit als Minister ein solches Gesetz nicht zustande gekommen ist.
So ist es. – Mit den Worten „Dass ich das noch erleben durf te“ hat er, glaube ich, seinen Beitrag im Rahmen der Ersten Beratung begonnen. Insofern bin ich einmal gespannt, ob er dies noch steigern kann.
Wir werden diesem Gesetz selbstverständlich zustimmen.
Herr Präsident, liebe Kol leginnen und Kollegen! Wir, die politischen Parteien, haben im Grunde dasselbe Problem.
Wir kämpfen mit sinkender Wahlbeteiligung.
Wir kämpfen mit sinkender Akzeptanz von politischen Ent scheidungen. Wir kämpfen auch bei den kleinsten Problemen mit zusammengeballtem Widerstand, den man neu konstatie ren muss und der sich wirklich als Problem herausstellt.
Die Frage war: Wie kommen wir dazu, bei den Bürgern die Akzeptanz für solche Entscheidungen zu erhöhen und so auch die Beteiligung an unserem Gemeinwesen in Kommunen, in Landkreisen und auch in der Landespolitik wieder zu erwei tern?
Eine Antwort ist die Fortentwicklung dessen, was wir gestern besprochen haben. Aus staatsvertragstheoretischen Gründen geben wir dem Bürger quasi wieder etwas mehr von dem zu rück, was wir vom Gesellschaftsvertrag her von ihm bekom men haben. Ein Teil dazu ist dieses Informationsfreiheitsge setz, mit dem wir ermöglichen, in Verwaltungsakten hinein zuschauen – wie gesagt, mit der Grenze „berechtigte öffent liche und berechtigte private Interessen“. Diese Abwägung, wenn es zum Streit kommt, soll durch den Datenschutzbeauf tragten vorgenommen werden, der dann zugleich auch Infor mationsfreiheitsbeauftragter ist und genau an dieser Stelle ein schreiten kann.
Wir haben gesehen, dass andere Bundesländer das schon prak tizieren. Die Zahlen, die von dort kommen, sind tatsächlich ermutigend, weil die im Vorfeld geäußerten Befürchtungen nicht eingetreten sind. Wir reden von 900 Anträgen in drei Jahren, wir reden von 600 Anträgen in zwei Jahren, wir reden von 400 Anträgen in zweieinhalb Jahren, also von einer über schaubaren Zahl von Anträgen mit einer Bearbeitungsdauer zwischen einer halben Stunde und drei Stunden pro Fall.
Natürlich. Das braucht alles seine Zeit. Aber vielleicht sind auf diese Art und Weise Probleme oder Konflikte vor Ort ein gedämmt worden, die wir gar nicht gesehen haben, weil die Dinge durch das Informationsfreiheitsgesetz abgefangen wor den sind.
Interessant ist z. B., dass der Anwaltverein gesagt hat: Dieses Informationsfreiheitsgesetz ist hervorragend. Die Rechtsan waltskammer hat gejubelt, dass sie von den Verpflichtungen durch dieses Informationsfreiheitsgesetz ausgenommen ist.
Das Netzwerk Recherche wurde zitiert. Es wurden ein paar Vorschläge und Forderungen dieser Organisation abgewogen. Die Forderung des Netzwerks Recherche, an den Hochschu len auch im Forschungsbereich Informationsfreiheit einzufüh ren, ist ein zu weitgehendes Anliegen, dem wir nicht ernsthaft nachgehen können, ohne Verfassungsgrundsätze infrage zu stellen.
Wenn, wie gefordert wird, der Rechnungshof für Informati onsfreiheit geöffnet würde, dann müssten womöglich die Mus ter, wie der Rechnungshof seine Daten ermittelt, offengelegt werden, sodass der Rechnungshof gar nicht mehr effektiv ar beiten könnte. Dass das eine zu weitgehende Forderung ist, leuchtet wohl jedem ein.
Nein, das war das Netzwerk Recherche, eine Organisation, die sich selbstverständlich zu diesen Themen äußern kann. – Aus meiner Sicht sind diese zu weitgehenden Anträge über zeugend zurückgewiesen worden.
Ich freue mich über die angekündigte breite Zustimmung und Diskussion, auch zum Widerspruchsverfahren. Ich bin ge spannt auf den Austausch der Argumente im Gesetzgebungs verfahren und freue mich, dass wir mit der Rückgabe von Freiheitsrechten an die Bürger jetzt den Anschluss gefunden haben.
Danke schön.
Herr Präsident, liebe Kol leginnen und Kollegen! Vor exakt einer Woche haben wir, al le vier Fraktionen gemeinsam, hier an dieser Stelle der schrecklichen Terroranschläge in Paris gedacht. Es war klar, dass diese Anschläge etwas mit uns machen werden, auch mit unserer Gesellschaft, auch was das Sicherheitsgefühl der Men schen in Baden-Württemberg angeht.
Ich habe heute Morgen die Zeitung aufgeschlagen. Das „Hal ler Tagblatt“ hat eine Onlineumfrage durchgeführt und die Le ser gefragt: Wie sicher fühlen Sie sich? Wie sicher fühlen Sie
sich in Baden-Württemberg? Das Ergebnis war, dass 41 % der Befragten bei dieser nicht repräsentativen Umfrage – über 280 Leute haben sich beteiligt – gesagt haben, sie wollten sich in naher Zukunft nicht innerhalb größerer Menschenmengen auf halten. 48 % haben gesagt, sie wollten sich zwar auch zukünf tig unter die Leute mischen, hätten dabei aber ein mulmiges Gefühl. Nur 11 % haben gesagt: „Ich habe keine Angst. Ich lasse mich durch diese Situation nicht verunsichern.“ Das heißt, auch eine Woche nach diesen Anschlägen ist das eine Herausforderung.
Gestern wurde ein Flugzeug abgeschossen. Heute Morgen steht in der „Stuttgarter Zeitung“ eine interessante Abhand lung zur Typologie des Krieges. Das alles sind Gedanken, die einen im Moment beschäftigen, die einen in diesen Tagen um treiben. Da tut es gut, sich einmal an die Anfänge der Staats theorie, an den Gesellschaftsvertrag zurückzuerinnern, wo sich die Menschen quasi unter das Regime des Staates, unter das Gewaltmonopol begeben haben, um im Gegenzug dafür Sicherheit zu bekommen, um die Urzustände der Unsicher heit, des Krieges aller gegen alle, zu beseitigen, und deswe gen die Macht an den Staat abgegeben haben.
Das war die Theorie vor 500 Jahren. Heute haben wir das im Grunde umgesetzt. Ich möchte einmal das Bundesverfas sungsgericht zitieren, das die Frage der Bedeutung der Sicher heit für unser Staatsgefühl, wie ich meine, wunderbar auf den Punkt gebracht hat. Ich zitiere das Bundesverfassungsgericht wörtlich:
Die Sicherheit des Staates als verfasster Friedens- und Ordnungsmacht und die von ihm zu gewährleistende Si cherheit seiner Bevölkerung sind Verfassungswerte, die mit anderen im gleichen Rang stehen und unverzichtbar sind, weil die Institution Staat von ihnen die eigentliche und letzte Rechtfertigung herleitet.
Damit ist auf den Punkt gebracht, was sich in der Staatstheo rie bis zum heutigen Tag entwickelt hat und was der Status quo unseres Selbstverständnisses ist: Die Garantie der Sicher heit an die Bürger ist der Rechtfertigungsgrund für diesen Staat.
Jetzt kommt es natürlich darauf an, die Balance zwischen den bürgerlichen Freiheiten und diesem Sicherheitsanspruch zu halten. Das ist eine zentrale Anforderung, der wir uns stellen, indem wir einmal die Staatsgewalt formal an Gesetze binden, aber auch materiell binden, bestimmte Grenzen nicht zu über schreiten, und das vor dem Hintergrund, dass der Terror, dem wir mit dieser Sicherheitsgesetzgebung begegnen wollen, ganz neue Züge hat.
Wenn man sich den Linksterrorismus und den Rechtsterroris mus anschaut, sieht man: Es waren immer konkrete Täter, konkrete Opfer. Da ging es um politischen Mord, da ging es darum, bestimmte Eliten, bestimmte Leistungsträger zu töten und zu vernichten. Auch hinter den Tätern waren immer Ge sichter. Jetzt haben wir – das ist eine neue Herausforderung – quasi komplett entindividualisierte Gruppen, Netzwerke, die nicht mehr als Personen gegen Personen, sondern im Gegen teil wahllos handeln, die sich natürlich von keinerlei Strafan drohung beeindrucken lassen. Denn jemand, dem sein eige nes Leben nichts wert ist, lässt sich doch nicht von einer Straf androhung in irgendeiner Form irritieren.
Das Bemerkenswerteste ist aber, dass diese Täter, die im Na men des Islamischen Staates massenhaft töten, Leute sind, die von hier kommen. Sieben der neun Angreifer in Paris waren europäische Staatsbürger, von denen einige hier geboren wur den. Im Grunde waren es quasi Einheimische, die in ihre ur sprünglichen Heimatländer zurückgegangen sind, weil sie ih re Heimat so hassen, dass sie sich dort zu Terroristen haben ausbilden lassen. Das sind die Rahmenbedingungen.
Das sieht man allein schon, wenn man sich die Entwicklung dieses Jahres anschaut. Bei den Anschlägen im Januar auf „Charlie Hebdo“ ging es gegen eine Karikaturen-Zeitschrift, da ging es gegen einen jüdischen Einkaufsladen. Da waren bei den Tätern noch Symbole gefragt. Was jetzt in der vergan genen Woche passiert ist, war ein wahlloses „Herummorden“ mit dem Ziel, dass sich jeder betroffen fühlen musste und je der betroffen fühlen sollte. Das Ziel dieser Menschen war es, wahllos, absolut – –
Die Opfer waren aber wahllos ausgewählt worden. Ich woll te damit sagen: Nicht ein Symbol war das Ziel, sondern es wa ren Menschen, die einer gewissen Lebensform nachgegangen sind.
Aber auch das hat Verfassungsrang.
Wir haben damals im Februar mit einem Antiterrorpaket mit 130 zusätzlichen Stellen bei der Polizei und beim Verfassungs schutz reagiert, um eben genau diesem Personenkreis entge genzutreten, der ja jetzt inzwischen auch planvoll vorgeht, der solche schrecklichen Taten organisieren muss, wo Absprachen erforderlich sind. Deshalb muss man natürlich auch hinein schauen und braucht eine Auswertung von Telekommunika tion und Internetnutzung sowie ein spezielles Kompetenzzen trum.
Es ist natürlich auch so, dass die Anschläge der vergangenen Woche auch jetzt wieder dazu führen, dass wir uns neue Maß nahmen anschauen müssen und prüfen müssen: Was ist unter Umständen noch hinzuzufügen? Was brauchen wir konkret an zusätzlichem Personal, an Menschen? Klar ist aber, dass eine Forderung, die in den Raum geworfen wurde – 1 500 zusätz liche Polizisten –, nicht erfüllbar ist, weil es keinen Arbeits markt für Polizisten gibt und wir diese Forderung deswegen auch nicht umsetzen können. Aber es soll wahrscheinlich der
Eindruck erweckt werden, dass diese Landesregierung in Sa chen Sicherheit zu wenig macht,
um die Verbesserung der Sicherheitslage im entsprechenden Umfang zu unterstützen. Ich muss Sie bei dieser Gelegenheit natürlich schon noch einmal daran erinnern, dass es diese Lan desregierung war, die konsequent seit dem Regierungsantritt jedes Jahr 170 Millionen € zusätzlich verlässlich in den Si cherheitsapparat gelenkt hat. Jedes Jahr 170 Millionen € zu sätzlich!
Diese Landesregierung war es, die in den letzten viereinhalb Jahren 5 600 neue Polizeibeamte eingestellt hat,
bei 3 200 Pensionären. Das ist eine Differenz, die sich wirk lich sehen lassen kann.
Denn es hat in den letzten 20 Jahren keine einzige Regierung gegeben, die so viele Polizeibeamte zusätzlich eingestellt hat, ohne dass es eine Terrorwarnung gab.
Da muss man schon daran erinnern, dass, wer mehr als 1 000 Polizeistellen abgebaut hat und jetzt die Wiedereinrichtung von 1 500 fordert, sich natürlich ein bisschen ins Abseits stellt.
Denn wir haben nicht nur von diesen 1 000 Stellen 500 sofort wieder zurückgegeben, sondern wir haben endlich auch zeit gemäße Strukturen geschaffen.
Die Bedeutung der Strukturen möchte ich Ihnen – –
Ich weiß, es wird noch eine Weile dauern, bis Sie das ver stehen.
Aber ich möchte Sie daran erinnern: Gerade beim Thema Brüssel – das wissen Sie, wenn Sie die Presse aufmerksam verfolgt haben – lag das Problem hinsichtlich der Sicherheits lage genau in der fehlerhaften Struktur der Sicherheitsbehör den und der Polizei. In Brüssel mit 1,2 Millionen Einwohnern gibt es sechs Polizeibehörden und 19 Bezirksverwaltungen, die für die Sicherheit zuständig sind. 19 Bezirksverwaltungen für eine Stadt! Dieses Chaos war der Grund. In New York mit elf Millionen Einwohnern gibt es lediglich eine Polizeibehör de.
Deswegen kommt es gerade auf die Strukturen an, wenn man eine vernünftige Lösung schaffen will. Deswegen war auch die Polizeistrukturreform ein Beitrag zu mehr Sicherheit in Baden-Württemberg. Die Landesregierung hat sich in dieser Beziehung nichts vorzuwerfen.
Herr Minister, Sie haben berichtet, dass wir einen Lenkungskreis zur Koordinierung der Abschiebemaßnahmen eingerichtet haben. Können Sie schon berichten, wie der Stand der Dinge ist, welche konkre ten Veränderungen sich jetzt abzeichnen?
Zum Zweiten würde mich interessieren, wer alles schon die ses Drehkreuz in Heidelberg besichtigt hat
und ob andere Bundesländer beabsichtigen, die Struktur die ses Drehkreuzes und diese Aufgaben, die wir hier in BadenWürttemberg wahrnehmen, zu übernehmen.
Herr Präsident, liebe Kol leginnen und Kollegen! Bausparen ist Baden-Württemberg. Man sollte es nicht glauben, dass die ursprüngliche Idee aus dem dritten vorchristlichen Jahrhundert, aus China stammt.
Aus der Han-Dynastie, wie der Kollege Heiler richtig an merkt. Da wurden im dritten vorchristlichen Jahrhundert ge meinnützige Spargesellschaften auf Gegenseitigkeit gegrün det, dann in Deutschland in Bielefeld – das weiß ich auch vom badischen Abg. Heiler – und letztlich in Schwäbisch Hall zur Blüte gebracht.
Das kann man so beschreiben.
Wenn man aus Schwäbisch Hall kommt, dann weiß man auch um die Probleme, die das Bausparwesen im Moment hat. Die anhaltende Niedrigzinsphase führt natürlich zu erheblichem Druck bei dem Modell Bausparen und bei den Beschäftigten, weil natürlich auch die Gewinne nach unten gehen.
Insofern beobachten wir das, was wir in Schwäbisch Hall se hen, auch bei der Landesbausparkasse. Wenn dann die Be schäftigten und die Personalräte gemeinsam ein Konzept er arbeiten und wenn diese Fusion von zwei gleichberechtigten Partnern, die nur unterschiedlich groß sind – der eine 87,5 % und der andere 12,5 % –, von den dort Beschäftigten an das Land herangetragen wird und dazu ein Staatsvertrag erforder lich ist, dann werden wir diesem selbstverständlich zustim men, weil das vernünftig ist und weil es das Bausparen stärkt und verbessert.
Der Wermutstropfen, dass Arbeitsplätze von Karlsruhe nach Stuttgart verlagert werden, ist kein Thema für diesen Land tag, sondern das betrifft die internen Abläufe, die mit dem Per sonalrat, mit den Beschäftigten und mit der Geschäftsleitung abgesprochen und beschlossen sind.
Weil wir das Bausparen in Baden-Württemberg als eine zen trale baden-württembergische, geradezu identitätsstiftende Wirtschaftsform voranbringen wollen, werden wir der Ermög lichung dieser Fusion durch diesen Staatsvertrag selbstver ständlich zustimmen.
Herr Präsident, liebe Kol leginnen und Kollegen! Am Ende dieses Jahres wird die Be völkerungszahl Baden-Württembergs um 100 000, also die Einwohnerzahl einer Großstadt, gewachsen sein. Diese Hoch rechnungen bereiten den Menschen natürlich auch Sorgen und Ängste. Das ist unstreitig.
Deswegen ist es wichtig, dass wir uns einmal die Rahmenbe dingungen anschauen, unter denen das Asylrecht auch in der nächsten Zeit wahrgenommen werden wird. Es ist nämlich so, dass das Grundrecht auf Asyl der Ewigkeitsgarantie unterliegt.
Der Grundsatz des Grundrechts auf Asyl unterliegt nach Ar tikel 79 Absatz 3 in Verbindung mit Artikel 1 des Grundge setzes der Ewigkeitsgarantie. Sie können das Grundrecht auf Asyl nicht abschaffen.
Auf Ewigkeit wird ein Mensch, der politisch verfolgt ist, in der Bundesrepublik Deutschland Asyl bekommen, und das ist auch gut so.
Deswegen muss uns klar sein, dass dann, wenn so viele kom men und dieses Grundrecht für sich in Anspruch nehmen und es prüfen lassen wollen, Antworten für die Betroffenen gefun den werden müssen.
Es ist unstreitig, dass wir eine Ordnung beim Grenzübertritt brauchen.
Wir brauchen Maßnahmen, damit der Grenzübertritt nicht un kontrolliert geschieht. Darauf müssen wir einen Blick richten. Aber dann stellt sich die Frage: Ist die Transitzone – diese Be grifflichkeit, die jetzt in der Diskussion ist – das richtige Mit tel? Denn seien Sie ehrlich: Kein Mensch weiß, was das ist. Eine Transitzone setzt ja voraus, dass wir ein Niemandsland brauchen.
Das gibt es aber gar nicht. Es gibt kein Niemandsland. Wir sind entweder in Deutschland, oder wir sind in Österreich.
Die EU-Kommission hat festgestellt: Wenn man über so et was wie ein Grenzregime nachdenkt, kann man das aller höchstens an der EU-Außengrenze machen. An der EU-Au ßengrenze kann man solche Überlegungen anstellen,
aber doch nicht an der Grenze zwischen Deutschland und Ös terreich.
Aber da sind die Grenzverläufe, um die es geht.
Jetzt haben Sie etwas in die Welt gesetzt, was, wenn man das zu Ende denkt, eigentlich nur wie eine Haftzone funktionie ren kann,
die eingezäunt ist. Von unten kommt der Druck von denjeni gen, die Flucht und Verfolgung ausgesetzt sind, und nach draußen ist ein Zaun. Denn wenn ich jemanden nicht auf deut schen Grund und Boden lassen will, damit er erst gar nicht Asyl beantragen kann, muss ich diese Grenze durch Zäune si chern. Aber einen Zaun kann ich nicht durch die Heilsarmee oder durch den ausgestreckten Finger bewachen lassen. Viel mehr müsste ich ihn dann auch konkret womöglich mit be waffnetem Personal besetzen.
Wenn man so etwas in die Diskussion einbringt, was gar nicht umsetzbar ist, und suggeriert, das sei die Lösung, entstehen solche Umfragen, wie Herr Rülke sie vorgelegt hat.
Dann entstehen solche Umfragen, anhand derer die Leute mei nen: „Aha, da hat jemand eine Lösung.“ Diese ist aber nicht umsetzbar. Das ist das Infame.
Wir brauchen Lösungen, die wir auch in Baden-Württemberg umsetzen können. Die Drehkreuzvariante, wie sie in Heidel berg umgesetzt wird – der Innenminister hat sich vor Ort auch angeschaut, wie gut das funktioniert –, ist die richtige Lösung:
die Menschen zusammenführen, gemeinsam überprüfen, dann die Verfahren einleiten und die Leute entsprechend ihrer Be gründung, warum sie hierhergekommen sind, sortieren – so sage ich einmal.
Herr Rülke, die rechtlichen Probleme sind eben da. Ich möch te einfach, weil Sie zitiert haben, Gerhart Baum zitieren.
Er ist ja nun ein liberales Urgestein. Herr Baum hat festge stellt – ich zitiere ihn –:
Asylsuchende sozusagen in Lagern festzuhalten halte ich nicht für grundrechtskonform.
Deswegen müssen wir prüfen. Wir haben noch keine Antwor ten. Wir werden alles prüfen. Aber diesen Punkt, den der frü here Bundesminister Baum in die Welt gesetzt hat, müssen wir eben prüfen.
Das Infame ist noch zusätzlich – das stört mich –: Diese Dis kussion beendet nicht die Suche nach den Fluchtursachen. Aber dieser Eindruck wird erweckt. 1979 habe ich als 17-Jäh riger ein Buch von Erhard Eppler gelesen –
„Ende oder Wende“, geschrieben 1974. Ich habe es 1979 in die Hände bekommen. Ich kann Ihnen sagen: Damals stand genau das drin, was wir heute erleben. 1974 hat Erhard Epp ler geschrieben, was heute passieren wird und was jetzt ein getreten ist. Deswegen ist es so schlimm, dass wir im selben Atemzug, in dem wir über Transitzonen fabulieren, die Mit tel für die Ernährungshilfe von 2014 bis 2015 in erheblichem Umfang heruntergeschraubt haben.
Ich lese Ihnen die Zahlen vor: minus 100 %, minus 51 %, mi nus 25 %, minus 54 %. Wir haben die Ernährungshilfe gestri chen, und die Menschen sind zu uns gekommen, und nun spre chen wir über Transitzonen, anstatt Lösungen zu präsentieren.
Herr Präsident, liebe Kol leginnen und Kollegen! Über die Bedeutung von Hoheitszei chen ist schon alles gesagt worden. Herr Kollege Hillebrand, Sie haben zu Recht auf die ungeregelte Zeit hingewiesen: 61 Jahre Anarchie und rechtsfreier Raum in Baden-Württemberg in Sachen Wappenrecht. Ich bin der Regierung dankbar, dass nach dieser Durststrecke künftig endlich Klarheit besteht, dass auch wir als Abgeordnete das Landeswappen rechtssicher auf unseren Visitenkarten führen können.
Denn das ist gut und richtig so. Es ist tatsächlich auch ein Pro blem in Zeiten wegbrechender staatlicher Autorität, sich ru hig einmal wieder mit diesem Thema zu befassen und noch einmal deutlich zu machen, wo es herkommt. Wappenrecht ist Waffenrecht, und es kommt auch aus dem Mittelhochdeut schen von dem Wort Waffe, vom Kampfgerät und von dem Schutzschild, von dem Wappen, das man vor sich hergetragen hat, auch als Schutz der Interessen der Menschen, für die wir das hier alles machen.
Deswegen gehört es auch zu einem Rechtsstaat, zu einem Staatswesen, dass man sich Hoheitszeichen gibt, auf die man stolz ist. Es ist insofern ein Gesetz, das diese Anarchie been det, gleichzeitig nichts kostet und Bürokratie abbaut. Dage gen kann man beim besten Willen nicht sein.
Herzlichen Dank.
Herr Präsident, liebe Kol leginnen und Kollegen! Baden-Württemberg ist ein Land von großer Wirtschaftskraft und hoher Innovationsfähigkeit. Das belegen die zahlreichen Weltmarktführer im Land, zu denen sowohl Global Players als auch kleine und mittlere Unterneh men gehören. Zu dieser Erfolgsbilanz leisten auch die heraus ragenden Forschungseinrichtungen und Hochschulen einen maßgeblichen Beitrag.
Das Know-how der Firmen und die Exzellenz der Bildungs institutionen wecken allerdings auch Begehrlichkeiten aufsei ten Dritter. Konkurrierende Unternehmen aus aller Welt, aber auch fremde Staaten möchten hiervon sehr gern und möglichst kostengünstig profitieren. In Baden-Württemberg hat der Wirt schaftsschutz deshalb traditionell einen besonders hohen Stel lenwert.
Deshalb frage ich jetzt die Landesregierung: Wie beurteilt die Landesregierung die Gefahr durch Wirtschaftsspionage für baden-württembergische Unternehmen?
Meine zweite Frage: Wie und in welchem Umfang hat das Landesamt für Verfassungsschutz im Bereich Wirtschafts schutz baden-württembergische Unternehmen unterstützt?
Drittens: Wie versucht die Landesregierung, Unternehmen für die Gefahr von Wirtschaftsspionage weiter zu sensibilisieren?
Herr Kollege Wolf, das war jetzt geschickt – – Oh, Herr Präsident, Entschuldigung, ich
war jetzt noch so emotional bei der Wutrede des Kollegen Wolf, dass ich mit der falschen Reihenfolge angefangen ha be.
Herr Kollege Wulf – Wolf –,
Herr Kollege Wolf, was Sie gemacht haben, war auf der einen Seite geschickt. Auf der anderen Seite war es aber auch infam, in diesem Haus den Eindruck zu erwecken, als ob bei dem The ma „Gewalt gegen Polizeibeamte“ irgendein Dissens herrsch te. Das war infam.
Im Gegenteil: Es herrscht ganz große Einigkeit.
Ich erspare Ihnen jetzt, vorzulesen, was der Kollege Blenke gesagt hat, als wir hier vor drei Wochen über das Thema Ro ckerkriminalität diskutiert haben. Auch bei dem Thema herrscht ganz große Einigkeit, was wir aber gar nicht infrage gestellt haben. Es ging vielmehr darum, die Situation der Polizeibe amten in diesem schwierigen Milieu herauszuarbeiten, und damals wurde uns unterstellt, dies sei eine Masche, ein Vor wand, mit dem wir irgendetwas anderes bezwecken wollten. Nein, das war schon damals falsch. Jetzt drehen Sie den Spieß um.
Es herrscht große Einigkeit. Es geht um die Polizeibeamtin nen und Polizeibeamten. Das Problem ist eben groß.
So ist es. Sie haben uns aber unterstellt, wir hätten eine in fame Strategie, wenn wir über ein Thema diskutieren, das ab solut unstreitig ist.
Wie Sie gesagt haben, ist das Problem vorhanden. Die Zah len sind hoch und im Steigen begriffen. Mir liegen jetzt nur die Zahlen aus der Polizeilichen Kriminalstatistik des Bundes vor. Dort wird von 3 880 Fällen schwerster Körperverletzung gegen Polizeibeamte bundesweit gesprochen; ein Abnehmen des Respekts und eine Zunahme von Widerstandshandlungen wird festgestellt. Das müssen wir in den Griff bekommen.
Jetzt stellt sich das folgende Problem: § 113 des Strafgesetz buchs, der 2012 geändert wurde, knüpft nur an Vollstreckungs handlungen an.
Darin liegt eine gewisse Schwäche.
Außerdem knüpft § 113 nicht an andere Rettungsdienste an. Darin liegt eine gewisse Schwäche.
Das führt dazu, dass die Straftaten von Menschen, die außer halb von Vollstreckungshandlungen gegen Polizeibeamte oder gegen Rettungskräfte vorgehen, oft durch stärkere Straftaten konsumiert werden. Das heißt, es steht im Urteil nicht drin: Dieser Mann oder diese Frau ist gegen einen Polizeibeamten gewalttätig geworden oder hat ihn tätlich angegriffen. Darin liegt eine gewisse Schwäche.
Wir haben uns nun aber darauf geeinigt – jetzt kommen wir zu den Verfahrensfragen –, dass die Innenministerkonferenz diesen § 113, der geändert wurde, evaluiert. In wenigen Wo chen, am 26. Juni, wird über die Ergebnisse berichtet. Dann wird eine Lösung herauskommen, die unter Umständen er gibt, dass wir einen neuen § 112 brauchen. Wenn wir dann aber Bundesrecht ändern, sollten wir das gemeinsam tun
und nicht nach außen den Eindruck erwecken, wir hätten hier intern einen Streit zwischen den „Guten“ bei der CDU und den „Schlechten“ bei der SPD.
Nun zur Emotionalität: Ich lasse mich nicht von jemandem in eine Ecke drängen, der 1 000 Polizeibeamtenstellen gestri chen hat
und nun Krokodilstränen heult, wenn Polizeibeamte in schwie rige Gemengelagen hineinkommen.
Lassen Sie uns also eine Lösung finden, die fundiert ist. Ich habe die Probleme angesprochen. Wir wollen das aber ge meinsam machen. Wir wollen dies im Konzert aller Innenmi nister gemeinsam beschließen. Wahrscheinlich oder womög lich kommen wir dann zu demselben Ergebnis.
Lassen Sie uns doch aber das Verfahren abwarten und dann fundiert agieren, damit nicht das, was Bismarck einmal ge sagt hat, Wirklichkeit wird. Er hat nämlich gesagt:
Gesetze sind wie Würste: Man sollte besser nicht dabei sein, wenn sie gemacht werden.
Das war der Gedanke. Lasst uns deswegen fundiert arbeiten und die Änderung dann vornehmen, wenn die Evaluation fer tig ist, zumal wir in wenigen Wochen so weit sind.
So viel Zeit muss sein angesichts der Tragweite des Ergebnis ses. Deswegen sehen Sie, dass unser Änderungsantrag im Grunde der bessere ist.
Weil er nämlich sagt: Wir wollen dasselbe, aber in Kenntnis der Evaluationsergebnisse, die Ende Juni vorliegen.
Dann sind wir auf einem guten Weg und können nach außen demonstrieren – was im Grunde auch so ist –, dass wir bei die ser Frage überhaupt keinen Streit haben. Lassen Sie uns den SPD-Antrag – Entschuldigung –, den Antrag der Fraktion GRÜNE und der Fraktion der SPD
gemeinsam und einvernehmlich beschließen. Dann wäre das richtige Signal gesetzt.
Herr Präsident, liebe Kol leginnen und Kollegen! Es ist erforderlich geworden, das The ma „Null Toleranz bei der Rockerkriminalität“ wieder einmal in den Fokus zu nehmen. Erst in den vergangenen Wochen gab es wieder gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Rockern oder rockerähnlichen Gruppen, die natürlich Angst und Schrecken verbreiten. Konkret: Gestern war ein großer Artikel im „Südkurier“. Das Thema wabert also und kommt immer wieder zur Sprache. Es sollte deshalb auch von uns be handelt werden.
Dies sollte auch deswegen geschehen, weil in bestimmten Kreisen immer wieder einmal die Rocker auch romantisiert werden und als harte Kerle mit einer rauen Schale und einem weichen Kern beschrieben werden. In Wirklichkeit handelt es sich jedoch um Leute, die zur organisierten Kriminalität ge
hören und schlimmste Straftaten begehen. Das ist auch keine allzu kleine Gruppe. Wir reden von immerhin 1 200 Rockern in Baden-Württemberg und von immerhin 800 Personen, die dem rockerähnlichen Bereich zuzuordnen sind.
Diese Gruppierungen begehen schlimmste Straftaten. Ich will einmal mit Waffengeschäften beginnen. Waffengeschäfte und damit zusammenhängend auch Tötungsdelikte sind absolut verabscheuungswürdige Straftaten. Erst vor Kurzem ist in die sem Zusammenhang wieder ein Mensch getötet worden und ein Mordversuch geschehen. Eine Person ist in der Folge noch heute schwerbehindert. Von 21 Beteiligten sind immerhin elf Rocker und Rockerangehörige zu Haftstrafen von bis zu acht Jahren verurteilt worden. Es handelt sich also um richtig bru tale Typen.
Es gibt leider Gottes auch Beziehungen von Rockern ins rechtsextremistische Milieu, deren Umfang immer deutlicher wird und uns auch in der NSU-Enquetekommission und im NSU-Untersuchungsausschuss deutlich geworden ist. Ich nen ne ein paar Beispiele: Der bayerische NPD-Funktionär Sascha Roßmüller, der zeitweilig NPD-Bundesvize war, gehört zur Führungsriege des Bandidos-Chapters in Regensburg. Der ExNPD-Kreisvorsitzende in Weimar gehört zur Unterstützungs gruppe der Hells Angels. Der Ex-NPD-Landesvorsitzende in Schleswig-Holstein gehört zu den Bandidos. Mirko Appel vom „Selbstschutz Sachsen-Anhalt“ – das ist eine militante Neonazi-Schlägertruppe – gehört zu den Hells Angels. Die Neonazi-Kameradschaft „Werwolf“ gehörte zum inzwischen verbotenen Rockerclub „Schwarze Schar MC“. Auch in Mannheim in Baden-Württemberg ist das Clubhaus des „Ban didos MC“ immer wieder Veranstaltungsort für SkinheadKonzerte. Organisiert werden die von einem NPD-Stadtrat, der jetzt dort aktiv ist. Das heißt, auch in diesem Bereich sind die Rockerkriminellen aktiv.
Auch Drogenkriminalität ist eine wirklich üble Angelegen heit. Erst im Dezember 2014 wurde in Karlsruhe ein Netz aus gehoben. Dort wurde Folgendes gefunden: 10 kg Ampheta mine, Kokain, Cannabis, 45 000 € Dealergeld und eine Geld zählmaschine. Eine Geldzählmaschine! Daran, dass dort Geld mit Maschinen gezählt wird,
sieht man einmal, in welchem Umfang dort Umsätze gemacht werden. Da geht es also um Umsätze in einem Umfang, der wirklich verachtenswert ist.
Besonders ekelhaft, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind die Delikte, die mit Menschenhandel, mit Zwangsprostitution von