Protokoll der Sitzung vom 18.02.2016

Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die 150. und zugleich letzte Sitzung des 15. Landtags von Baden-Würt temberg.

Krankgemeldet sind Frau Ministerin Altpeter sowie die Her ren Abg. Jägel, Kopp, Dr. Lasotta, Lucha, Raab und Wahl.

Wir treten in die Tagesordnung ein.

Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:

Aktuelle Debatte – Gute Arbeit für Baden-Württemberg – den Missbrauch bei Leiharbeit und Werkverträgen be kämpfen – beantragt von der Fraktion der SPD

Meine Damen und Herren, das Präsidium hat für die Aktuel le Debatte eine Gesamtredezeit von 40 Minuten festgelegt. Darauf wird die Redezeit der Regierung nicht angerechnet. Für die einleitenden Erklärungen der Fraktionen und für die Rednerinnen und Redner in der zweiten Runde gilt jeweils ei ne Redezeit von fünf Minuten. Ich darf die Mitglieder der Landesregierung bitten, sich ebenfalls an den vorgegebenen Redezeitrahmen zu halten.

Das Wort für die SPD-Fraktion erhält Kollege Hinderer.

Herr Präsident, sehr geehrte Da men und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Schönen guten Morgen! Ich freue mich, dass die letzte Aktuelle Debat te in dieser Legislaturperiode, die meine Fraktion beantragt hat, zu einem für uns zentralen Thema stattfindet: Gute Arbeit in Baden-Württemberg, gute Arbeit für die Unternehmen, gu te Arbeit für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in un serem Land.

Als ich erfahren habe, dass ich zu dieser Debatte sprechen darf, ist mir meine allererste Rede im Landtag, die noch drü ben im anderen Haus stattfand, in den Sinn gekommen. Das war in einer Aktuellen Debatte zum Thema „Gute Arbeit in Baden-Württemberg durch Tariftreue, Mindestlöhne und Aus bildung für jeden Schulabgänger“ am 28. September 2011.

Tariftreue, Mindestlohn, Ausbildung waren damals noch un sere Vorhaben, unsere Forderungen an den Bund. Heute, vier einhalb Jahre später, im Jahr 2016, haben wir das. Wir haben das Tariftreuegesetz in Baden-Württemberg, den Mindestlohn im Bund und gute Ausbildungsplätze durch unseren Pakt für Ausbildung. Wir haben über 6 000 Ausbildungsplätze allein im Programm „Assistierte Ausbildung“ geschaffen. Das ist ein toller Erfolg, und unser Land steht blendend da.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Grünen)

All das haben wir, weil hier im Land und weil auch im Bund, was den Mindestlohn betrifft, die im Koalitionsvertrag getrof fenen Vereinbarungen umgesetzt wurden. Wir wollen mit die ser Aktuellen Debatte beschleunigen, dass im Bund der Koa litionsvertrag umgesetzt wird, dass Missbrauch von Leihar beit und Werkverträgen bekämpft wird.

Bevor Sie aber nachher in Ihren Redebeiträgen gleich sagen: „Die SPD hat etwas gegen Leiharbeit und gegen Werkverträ ge“, weise ich darauf hin: Nein, das haben wir nicht. Leihar beit ist eine gute Sache, wenn sie dazu dient, betriebliche Spit zen zu bewältigen, Krankheitsausfälle zu überwinden oder auch dort, wo ein Fachkräftemangel bereits besteht, kurzfris tig offene Stellen zu besetzen, um Produktionskapazitäten zu erhalten oder zu steigern. Dazu braucht man Leiharbeit.

(Beifall des Abg. Dieter Hillebrand CDU)

Das Gleiche gilt für Werkverträge. Auch Werkverträge sind ein ganz normales und zunächst einmal nicht zu beanstanden des Instrument, wenn es um die Vergabe von Tätigkeiten geht, die sonst im Betrieb nur selten gebraucht werden und die nicht mit betriebsinterner Sachkompetenz und Expertise erledigt werden können. Auch dann braucht man Werkverträge.

Das alles muss erhalten bleiben, damit die Unternehmen in Baden-Württemberg auch in Zukunft wirtschaftlich so gut da stehen können, wie es jetzt, am Ende der ersten Legislaturpe riode mit einer grün-roten Koalition, mit einer grün-roten Lan desregierung der Fall ist. Unser Land steht blendend da.

Aber wir haben auf beiden Feldern – sowohl bei der Leihar beit als auch bei den Werkverträgen – Fehlentwicklungen zu verzeichnen. Die Zahl der Beschäftigten im Bereich der Ar beitnehmerüberlassung hat sich in den letzten 20 Jahren etwa verfünffacht, und so haben heute 100 000 Personen in BadenWürttemberg lediglich einen Leiharbeitsvertrag und sind Leiharbeiter.

Es ist aber nicht so, dass im gleichen Zeitraum – in den letz ten 20 Jahren – die Zahl der Krankheitsfälle oder der Umfang der betrieblichen Spitzen ebenfalls in diesem Maß zugelegt hat. Vielmehr wird Leiharbeit oft dauerhaft und zum Teil in hohem Maß in Betrieben eingesetzt. Damit werden auch Tei le der bisherigen Stammbelegschaft verdrängt.

In den letzten Jahren wurde die Deregulierung vermehrt ge nutzt, auch um Tarifverträge zu umgehen und eine zweite, niedrigere Tarifstruktur zu implementieren. Claus Schmiedel hat gestern schon zu Recht darauf hingewiesen: 1990 waren noch 90 % der Arbeitsverhältnisse im tarifgebundenen Be reich, heute sind es noch 60 %.

Dies ist eine Entwicklung, die es zu begrenzen gilt. Denn für die allermeisten – nicht für alle – Leiharbeitnehmer gilt, dass sie deutlich weniger verdienen als ihre Kollegen des Stamm betriebs, obwohl sie zum Teil genau die identische Arbeit ver richten. Sie haben keine betriebliche Altersvorsorge. Manch mal zahlen sie in den Kantinen den Preis für Gäste anstatt den, den die regulär Beschäftigten zahlen, und sie haben zumeist wenig Aussicht auf eine unbefristete Beschäftigung mit nor malem Kündigungsschutz.

Meine Damen und Herren, das ist sozial nicht gerecht. Das sind auch keine verlässlichen Zukunftsperspektiven für jun ge Menschen, die einen Einstieg in den Arbeitsmarkt suchen. Das bringt auch die Unternehmen unter Druck, die gern die Arbeitsverträge ihrer eigenen Beschäftigten unterschreiben möchten.

Bei Werkverträgen ist es ein bisschen komplizierter. Werkver träge sind aus der heutigen spezialisierten und arbeitsteilig or ganisierten Praxis der Betriebe und Unternehmen nicht weg zudenken. Das, was in den Unternehmen nicht vorhanden ist oder nur gelegentlich gebraucht wird, kann und muss über Werkverträge eingekauft werden.

Aber wir nehmen wahr: In vielen Branchen werden Werkver träge mittlerweile verstärkt als Alternative zur Leiharbeit ein gesetzt. Offensichtlich haben schon die ersten Regulierungen bei der Leiharbeit dazu geführt, dass Arbeiten, die bisher über Leiharbeit erledigt wurden, nun über Werkverträge organisiert werden. Auch hier ist es das Ziel, geltende Tarifverträge zu umgehen. Auch hierdurch werden regulär Beschäftigte ver drängt.

Deshalb wird es endlich Zeit, vernünftige Regeln zu setzen. Dies gilt nicht für die IT-Spezialisten, die aus freien Stücken diese Art der Beschäftigung über Werkverträge suchen und die hierbei mitunter sogar mehr verdienen, als wenn sie dort, wo sie arbeiten, angestellt wären. Das ist eine sehr kleine Gruppe. Um sie brauchen wir uns keine Sorgen zu machen.

Aber dort, wo Missbrauch geschieht, gilt es für die Politik, tä tig zu werden. Dort, wo Lohndumping passiert, müssen wir reagieren. Deshalb wollen wir, dass das Gesetz gegen den Missbrauch von Leiharbeit und Werkverträgen, das Bundes arbeitsministerin Andrea Nahles vorgelegt hat, endlich umge setzt wird. Das wollen wir mit einer Bundesratsinitiative be schleunigen. Wir sind dankbar, dass unser Wirtschaftsminis ter Nils Schmid und unsere Arbeitsministerin Katrin Altpeter im Bundesrat nun für Rückenwind für dieses Gesetzgebungs verfahren sorgen wollen. Wir bitten Sie alle, uns dabei zu un terstützen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen)

Für die CDU-Fraktion erteile ich das Wort dem Kollegen Schreiner.

Sehr geehrter Herr Präsident, lie be Kolleginnen und Kollegen! Wir kommen heute im 15. Landtag zu der letzten Sitzung zusammen, der 150. Sit zung in diesem Hohen Haus. Eigentlich wäre das ja ein Grund zu feiern –

(Abg. Dieter Hillebrand CDU: Genau! Das machen wir auch!)

eigentlich, wäre da nicht die SPD,

(Lachen bei Abgeordneten der SPD)

die eine von ihr beantragte Aktuelle Debatte wieder einmal dafür nutzt,

(Abg. Dr. Stefan Fulst-Blei SPD: Er hat nichts ver standen!)

eine Schaufensterposse zu präsentieren.

In der Regie treffen wir übrigens auf altbekannte Gesichter – eigentlich hätte ich Claus Schmiedel als Redner erwartet –:

(Zuruf des Abg. Dr. Stefan Fulst-Blei SPD)

eine Ministerin, der ich an dieser Stelle gute Besserung wün sche, exakt dieselben Akteure, die schon im Juni 2013 an die ser Stelle zum selben Titel die fast identische Debatte geführt haben, übrigens auch damals kurz vor einer Wahl, und zwar vor der Bundestagswahl.

Dramaturgisch läuft alles sogar ziemlich ähnlich ab. Gestern verkündete das Sozialministerium über die Presse eine Bun desratsinitiative in Berlin, statt heute darüber zu diskutieren. Gestern hieß es in der Pressemitteilung, die CDU solle jetzt endlich einmal ihre Blockadehaltung aufgeben.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Grünen – Abg. Dr. Stefan Fulst-Blei SPD: Genau!)

Heute dann hören wir die große Wahlkampfarbeiterrede der SPD, wie man des Missbrauchs von Leiharbeit und Werkver trägen Herr werden will. Ich stelle gleich zu Beginn einmal die richtige Frage: Wissen Sie eigentlich, wer in Berlin mit regiert?

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Sie regieren mit! – Abg. Dr. Stefan Fulst-Blei SPD: Sie! – Weitere Zurufe von der SPD)

Wissen Sie eigentlich, wer in Berlin die Bundesarbeitsminis terin stellt? Nein, Herr Schmiedel, das ist heute wirklich ein Eigentor. Sie stellen die Arbeitsministerin in Berlin und wol len heute eigentlich darüber reden, was sie dort umsetzen soll te.

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Was sie nicht macht!)

Mindestens aber müssen wir eine Scheindebatte über ein The ma führen, für das der Bund zuständig ist und zu dem wir ja auch stehen. Vor allem – bevor es in der Debatte untergeht – möchte ich an dieser Stelle auch betonen, dass wir denen, die über Leiharbeit und Werkverträge tätig sind, unseren Respekt entgegenbringen, dass sie auch unsere Anerkennung verdie nen und dass sie ihre Arbeit genauso tun wie andere Beschäf tigte.

Leiharbeit und Werkverträge – um das ganz klar zu sagen – dürfen kein Mittel sein, um Lohndumping durchzusetzen. Da für setzt sich auch die CDU entschieden ein, und da sind wir uns auch hier im Landtag einig, wie wir es schon in vielen De batten gehört haben.

(Beifall bei der CDU)

Aber gleichzeitig müssen wir in der Diskussion auch verge genwärtigen, dass Leiharbeit und Werkverträge Instrumente sind, die Geringqualifizierten und Langzeitarbeitslosen auch Chancen bieten, im Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Dass der Schutz der in diesem Bereich tätigen Personen wichtig ist, steht außer Frage.

Wir müssen auch erkennen, welche Funktion Leiharbeit und Werkverträge haben. Es geht auch darum, der Wirtschaft ein Instrument an die Hand zu geben, damit sie die notwendige Flexibilität hat, Auftragsspitzen zu bewältigen. Wir brauchen also eine gesunde Balance zwischen dem Schutz der Arbeit nehmer und einem guten Investitionsklima. Um zu sehen, dass der Werkvertrag ein gutes und bewährtes Instrument ist, reicht schon ein Blick ins BGB. Dort ist er seit vielen Jahren veran kert.

Jedoch stellt sich für mich die Frage, warum Sie dann hier im mer wieder ein bundespolitisches Thema in dieser Form auf greifen. Sie haben in der Begründung zu Ihrem Antrag Punk te angeführt, die allesamt im Koalitionsvertrag stehen. Da stellt sich wirklich die Frage, warum die SPD-Fraktion heute hier im Landtag darüber sprechen möchte, was Sie in Berlin selbst nicht umsetzen. Ich will Ihnen sagen, warum das nicht stimmt, wenn Sie Ihre Bundesratsinitiative ankündigen und sagen, die CDU würde eine Blockadehaltung einnehmen.

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat im No vember beim Bundeskanzleramt einen Diskussionsentwurf vorgelegt, einen Diskussionsentwurf, der über das im Koali tionsvertrag Vereinbarte noch hinausging, aber dem vor allem die Sozialpartner nicht zugestimmt haben. Das Bundeskanz leramt hat dann das Bundesministerium für Arbeit und Sozi ales gebeten, einen neuen Entwurf zu erarbeiten. Das hat Ih re Ministerin in Berlin übrigens auch akzeptiert. Denn es macht keinen Sinn, einen Gesetzentwurf einzubringen, den die Sozialpartner insgesamt ablehnen.