Protokoll der Sitzung vom 17.07.2013

Meine Damen und Herren! Ich eröff ne die 74. Sitzung des 15. Landtags von Baden-Württemberg.

Urlaub für heute habe ich Herrn Abg. Schneider erteilt.

Krankgemeldet sind Herr Kollege Glück und Herr Kollege Rombach.

Aus dienstlichen Gründen entschuldigt haben sich bis 15:30 Uhr Herr Minister Bonde und ab 14:00 Uhr Herr Minister Gall.

Meine Damen und Herren, auf Ihren Tischen finden Sie einen Vorschlag der Fraktion der FDP/DVP für Umbesetzungen im Präsidium und in verschiedenen Ausschüssen (Anlage). – Ich stelle fest, dass Sie den vorgeschlagenen Umbesetzungen zu stimmen.

Eine Zusammenstellung der E i n g ä n g e liegt Ihnen ebenfalls vor. Sie nehmen davon Kenntnis und stimmen den Überweisungsvorschlägen zu. – Es ist so beschlossen.

Im Eingang befinden sich:

1. Mitteilung der Landesregierung vom 27. Juni 2013 – Finanzplan des

Landes Baden-Württemberg gem. § 18 Absatz 10 Landeshaushalts ordnung für die Jahre 2013 bis 2020 (Stand: Juni 2013) – Drucksa che 15/3692

Überweisung an den Ausschuss für Finanzen und Wirtschaft

2. Mitteilung des Rechnungshofs vom 11. Juli 2013 – Beratende Äuße

rung „Die Musikhochschulen in Baden-Württemberg“ – Drucksache 15/3777

Überweisung an den Ausschuss für Wissenschaft, Forschung und Kunst und federführend an den Ausschuss für Finanzen und Wirt schaft

Wir treten in die Tagesordnung ein.

Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:

Aktuelle Debatte – Baden-württembergische Interessen schützen – die richtige Balance zwischen Sicherheit und Freiheitsrechten finden – beantragt von der Fraktion der SPD

Die Gesamtredezeit für die Aktuelle Debatte beträgt 40 Mi nuten. Darauf wird die Redezeit der Regierung nicht ange rechnet. Für die einleitenden Erklärungen der Fraktionen so

wie für die Redner in der zweiten Runde gilt jeweils eine Re dezeit von fünf Minuten. Ich bitte die Regierung, sich eben falls an den vorgegebenen Redezeitrahmen zu halten.

Ich bitte, gemäß § 60 Absatz 4 der Geschäftsordnung die De batte in freier Rede zu führen.

Für die SPD-Fraktion spricht der Kollege Sakellariou.

(Abg. Walter Heiler SPD: Da fängt der Tag gut an! – Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Die haben alle Angst, sie werden abgehört!)

Guten Morgen, Herr Präsi dent, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolle ginnen und Kollegen!

(Zurufe: Guten Morgen!)

Schön, Sie alle nach dem Sommerfest der SPD wieder voll zählig anzutreffen.

(Vereinzelt Heiterkeit)

Bei der Aktuellen Debatte, die wir gleich zu Beginn führen, geht es um „die richtige Balance zwischen Sicherheit und Freiheitsrechten“. Der Anlass sind das Spähprogramm des US-Geheimdienstes NSA und die Veröffentlichungen des Herrn Snowden, der derzeit auf dem Flughafen in Moskau festsitzt. Wir wollen in dieser Aktuellen Debatte beleuchten, ob die Balance zwischen den beiden angesprochenen Staats zielen, die miteinander konkurrieren, noch gewahrt ist.

Das eine Staatsziel lautet, die Sicherheit der Bevölkerung und deren körperliche Unversehrtheit zu garantieren. Das beinhal tet den Schutz vor Kriminalität, den Schutz vor Anschlägen,

(Zuruf: Nein!)

den Schutz davor, Opfer von Verbrechen und Kriminalität zu werden, sowie die Vermeidung und Verhinderung von Terror anschlägen. Hierbei handelt es sich nicht nur um ein Problem der USA seit dem 11. September 2001 oder den vor Kurzem erfolgten Anschlägen in Boston. Vielmehr haben auch wir, die Bundesrepublik Deutschland, wegen der in den vergangenen Jahren erfolgten NSU-Terrorakte ein Problem an dieser Stel le. Ich möchte mir erlauben, zu erwähnen, dass es, was die Frage der Aufklärung der NSU-Verbrechen angeht, immer wieder einmal Vorwürfe gab, wonach der Staat nicht genug Informationen und nicht gut genug koordinierte Informatio nen über dieses Terrornetzwerk in Deutschland hatte.

Das andere Staatsziel ist der Schutz der Privatsphäre und ist das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, das

das Bundesverfassungsgericht im Jahr 1983 im Urteil zur Volkszählung als Ausdruck des allgemeinen Persönlichkeits rechts mit Verfassungsrang mit der höchstmöglichen Ausprä gung der Menschenwürde, verschriftlicht in Artikel 8 der Charta der Grundrechte der EU, festgestellt hat.

Das sind die beiden Staatsziele, die miteinander konkurrieren.

Seit dem 1. Juni wissen wir, dass der amerikanische Geheim dienst monatlich eine halbe Milliarde Datensätze, Telefonate, E-Mails abspeichert und kontrolliert und – was auch erstaun lich war – in keinem anderen Land der Welt so aktiv agiert wie in der Bundesrepublik Deutschland.

(Zuruf des Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP)

Das sind natürlich Daten und Fakten, die uns zu denken ge ben müssen.

(Abg. Karl Zimmermann CDU: Was weiß der Innen minister davon?)

Das sind Dinge, die uns zu denken geben müssen, denn wir wissen es seit dem 1. Juni dieses Jahres.

(Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Der „Spiegel“ be richtet heute etwas anderes!)

Jetzt stellt sich die Frage, ob ein Rechtsverstoß vorliegt. Da zu muss man zunächst natürlich sagen – das ist der erste Ein druck –: Ja, es liegt ein Rechtsverstoß vor. Aber wir müssen schauen, auf welchen Servern diese Daten liegen. Wenn die se Daten in Amerika liegen, dann muss man zunächst einmal prüfen, ob gegen amerikanisches Recht verstoßen wurde. Die Amerikaner haben ein völlig anderes Verständnis von Daten sicherheit und vom Datensammeln. Dort ist es erlaubt, quasi alles anzusammeln, und die Frage der Auswertung wird dann letztlich restriktiver gehandhabt. Wir haben erst dann ein Pro blem, wenn Daten, die in Deutschland gespeichert werden, von amerikanischen Geheimdiensten ausgespäht oder gesam melt werden.

Im Rahmen der Vorbereitung auf diese Debatte sind mir Rechtsgrundlagen aufgefallen, von denen ich gar nichts mehr wusste. Ich wusste z. B. nicht, dass es die „Feindstaatenrege lung“ noch gibt, nach der Feind ist, wer im Zweiten Weltkrieg auf der Gegenseite der Unterzeichner dieser Charta gewesen ist, und das war nun einmal Deutschland. Diese Feindstaaten regelung bewirkt, dass solche Feindstaaten Maßnahmen, die infolge des Zweiten Weltkriegs und in Bezug auf diesen Feindstaat ergriffen werden, dulden müssen.

Es ist auch so – was ich auch nicht wusste –, dass heute noch Besatzungsrecht fortwirkt. Aus dem Überleitungsvertrag von 1953 gilt Besatzungsrecht noch fort, und danach bleiben ge wisse Maßnahmen bis heute in Kraft. Deutschland hat bis heu te keine rechtliche Möglichkeit, sich dagegen durch Klagen zu wehren. Denn Klagen von Deutschland gegen internatio nale Organisationen oder ausländische Regierungen werden nicht zugelassen.

Mit Verlaub: Wenn diese Debatte etwas Gutes hat, dann viel leicht, dass wir einmal an diese Fragen herangehen und die ses fortwirkende Besatzungsrecht einmal überprüfen.

(Abg. Karl Zimmermann CDU: Wir Baden-Württem berger!)

Nein. Es ist eine deutsche Debatte, die sich natürlich auch auf Baden-Württemberger auswirkt, denn auch unsere Daten sind in dieser Form, sage ich einmal, ausgespäht worden. Auch die Baden-Württemberger haben das Recht auf infor mationelle Selbstbestimmung und darauf, dass in Deutschland die Regeln auch von befreundeten Staaten eingehalten wer den.

Denn Einigkeit besteht natürlich darin, dass bei Vorliegen ei ner konkreten Gefahr und unter bestimmten Voraussetzungen ein Eingreifen in die Privatsphäre selbstverständlich zulässig ist und zulässig sein muss. Aber nicht akzeptabel wäre es, wenn ein befreundeter Staat im Hoheitsgebiet der Bundesre publik Deutschland Straftaten begehen würde. Das wäre nicht akzeptabel. Da setzt unsere Kritik an.

Ich erinnere daran, dass, seit die ersten Veröffentlichungen da rüber erfolgt sind, inzwischen sechs Wochen ins Land gegan gen sind, wir jedoch bis heute nicht mehr wissen als damals. Wir sind keinen Deut schlauer.

(Abg. Karl Zimmermann CDU: Weil es ein guter amerikanischer Geheimdienst ist!)

„Die Welt“ hat gestern über Innenminister Friedrich geschrie ben:

(Zuruf von der CDU: Jetzt bleiben Sie doch beim Thema!)

Von seiner Reise nach Washington brachte er nur Brosa men an neuen Informationen mit.

Tut mir leid: So geht das nicht.