Frau Präsidentin, liebe Kol leginnen und Kollegen! Ja, wir diskutieren heute einen Fall, den es so in Baden-Württemberg noch nicht gegeben hat und der uns alle erschüttert und schockiert. Es ist völlig klar, dass der Hungertod des Häftlings in der JVA Bruchsal der Aufklä rung bedarf und dass Konsequenzen daraus gezogen werden müssen, meine Damen und Herren. Der Justizminister hat be reits zahlreiche Konsequenzen gezogen. Er hat auch für die Zukunft Verbesserungen, was die Prüfung von Einzelhaft an geht, auf den Weg gebracht.
Herr Kollege Hauk, Sie haben auch gesagt: Einen Fall wie diesen in der JVA Bruchsal hat es noch nie gegeben. Deshalb ist es konsequent, dass jetzt zügig eine Umorganisation der seit vielen Jahren geübten Praxis in Bezug auf die Einzelhaft
Sie haben sich aber in vielerlei Hinsicht in Widersprüche ver strickt, und Sie haben auch unterschlagen, dass die Praxis der Einzelhaftprüfung, wie sie stattgefunden hat, seit vielen, vie len Jahren so stattgefunden hat, auch in der Zeit, als Sie noch an der Regierung waren.
Ich gebe Ihnen recht, Herr Hauk, dass wir vor der Arbeit der Beamtinnen und Beamten im Strafvollzug allergrößten Res pekt haben sollten und müssen. Ich war selbst fünf Jahre lang Anstaltsbeirätin in der Justizvollzugsanstalt Freiburg und weiß, welch oftmals schwierige und anstrengende Arbeit das ist. Deshalb gilt unser besonderer Dank all jenen engagierten Be schäftigten, die in den Justizvollzugsanstalten ihre Arbeit leis ten, sodass den Bedarfen und Bedürfnissen korrekt und ange messen entsprochen werden kann.
Selbstverständlich gilt auf der anderen Seite, dass bei nicht korrektem oder bei unangemessenem Verhalten Sanktionen notwendig sind, so wie sie in dem von Ihnen beschriebenen Fall auch verhängt wurden.
Sie haben den Vorwurf in den Raum gestellt, dass den Straf vollzugsbediensteten die alleinige Verantwortung zugescho ben worden wäre. Das ist nicht der Fall. Wir wissen, dass sie eine sehr wichtige Arbeit machen. Wir wissen auch, dass ge rade der Umgang mit psychisch auffälligen Inhaftierten eine große Herausforderung ist, der wir begegnen müssen. In Zu kunft soll es eine bessere Unterstützung geben. Dazu wird ei ne Kommission eingerichtet, um besser mit dieser besonde ren Aufgabe und Herausforderung umgehen zu können.
Herr Kollege Hauk, Sie haben den Haushalt angesprochen. Selbstverständlich sind im Haushalt auch Mittel für Sachver ständige vorgesehen, damit die Kommission ihre Arbeit auf nehmen kann.
Dass wir heute bei allen Konsequenzen, die bereits gezogen worden sind, einen Entlassungsantrag von Ihnen auf dem Tisch vorfinden, ist unseres Erachtens nicht angemessen. Ih re Begründung ist widersprüchlich. Sie haben sich inhaltlich nicht mit den bereits gezogenen Konsequenzen auseinander gesetzt. Sie haben sich nicht damit auseinandergesetzt, dass die Vorschriften über die Zustimmung zur Einzelhaft in Zu kunft sehr viel restriktiver sind. Sie haben sich nicht damit auseinandergesetzt – das war für unsere Fraktion ein sehr wichtiger Punkt –, dass es in Zukunft Mindeststandards für die Berichte zur Einzelhaft und eine Pflicht zur Wiedervorla ge gibt. Bei Fällen von Einzelhaft muss am Ende eine Zustim mung stehen, es gibt eine Berichtspflicht bei Beendigung, Standards für Anordnungen usw. Mit all diesen Konsequen zen haben Sie sich leider nicht auseinandergesetzt. Das hät ten wir von Ihnen zumindest erwartet, gerade weil es um ei ne Frage geht, die sehr ernst zu nehmen ist.
Ernsthafte Diskussionen haben in mehreren Sitzungen des Ständigen Ausschusses stattgefunden, u. a. sechs Stunden lang am vergangenen Montag. Mein Fazit ist, meine Damen und Herren: Es nutzt der Glaubwürdigkeit der CDU nichts, wenn Sie alle Jahre wieder Entlassungsanträge für SPD-Minister stellen.
Vielmehr geht es darum, dass auch Sie sich mit den Konse quenzen auseinandersetzen und mit uns gemeinsam daran ar beiten, die jetzt eingeleiteten Schritte gut umzusetzen, sodass sich dieser einmalige Fall in Baden-Württemberg auf keinen Fall wiederholen kann.
Herr Präsident, liebe Kollegin nen und Kollegen! 92 Suizide in Gefängnissen in BadenWürttemberg, darüber hinaus eine große Anzahl versuchter Selbsttötungen – das ist die Bilanz des ehemaligen Justizmi nisters Goll während seiner Amtszeit.
(Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Wollen Sie das mit dem gleichsetzen, wenn einer verhungert, Herr Schmiedel?)
sondern ich sage es deshalb, weil es die Scheinheiligkeit Ih rer Vorwürfe entlarvt, mit denen Sie Justizminister Stickelber ger konfrontieren.
(Beifall bei der SPD und den Grünen – Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Also für Sie ist das dasselbe, wenn einer verhungert?)
(Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Ist das für Sie dasselbe, wenn einer verhungert? – Gegenruf: Ruhe!)
(Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Herr Schmie del, ist das das Gleiche, wenn einer verhungert? – Zu rufe von der CDU)
Erst einmal möchte ich aber den Vorwurf der Scheinheiligkeit belegen. Sie haben gesagt, der Justizminister komme seiner Aufklärungspflicht nicht nach, weil er den Ständigen Aus
schuss nicht sofort über den versuchten Selbstmord eines Ge fangenen in Adelsheim unterrichtet habe. Wenn das Ihr Maß stab ist, dann hätte Herr Goll 92-mal Grund zum Rücktritt ge habt.
(Beifall bei der SPD und den Grünen – Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Also Sie setzen das gleich!)
Das Zweite, was Sie heute wieder gebracht haben, ist die ab surde Maskerade von zwei Bediensteten, die disziplinarisch mit 1 000 € Strafe geahndet wurde. Damit ist es auch gut. Das jetzt dem Justizminister anzuheften – wenn bei 4 000 Justiz bediensteten zwei Justizbedienstete eine solche absurde Mas kerade machen – zeigt, dass Sie nur in den Ecken herumkeh ren, um Staub aufzuwirbeln nach dem Motto: Irgendetwas wird schon hängen bleiben, um einen Justizskandal zu kons truieren. Das ist völlig abwegig.
Jetzt kommen wir zu den Unterschieden, zu der Einmaligkeit des Hungertods des Gefangenen in Bruchsal.
(Abg. Sabine Kurtz CDU: Das stimmt allerdings! – Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Dann setzen Sie es nicht mit Selbstmord gleich!)
Die Frage, ab wann jemand gegen seinen Willen zwangser nährt wird, ab wann jemand gegen seinen Willen zwangsbe handelt wird, ist ein ganz ernstes Thema.
Wir kennen das nicht erst seit den Vorgängen in Stammheim, sondern damit beschäftigen sich viele. Der Weltärztebund bei spielsweise betrachtet Zwangsernährung generell als unethisch. Deshalb ist es auch richtig, dass die Staatsanwaltschaft jetzt untersucht, ob der freie Wille, die Anstaltsnahrung zu verwei gern, gegeben war oder ob eine Zwangsernährung angezeigt war. Das hat die Staatsanwaltschaft zu entscheiden und sonst niemand.
In diesem Zusammenhang dem Justizminister vorzuwerfen, dass er nicht aufkläre, obwohl er sich in eigenen Bewertun gen angemessen zurückhält, solange die Staatsanwaltschaft ermittelt, das ist wieder ein konstruierter Vorwurf. Er handelt richtig, wenn er sich bei eigenen Bewertungen zurücknimmt und die Bewertung der Staatsanwaltschaft übernimmt, ob strafrechtlich relevantes Verhalten vorliegt oder nicht. Das ist ausschließlich Sache der Staatsanwaltschaft und nicht des Jus tizministers.
Dann kommt der Vorwurf, er sei nicht informiert worden, er hätte sofort handeln müssen. Sie haben aus dem Schreiben des Landespolizeipräsidiums vom Montag – nach dem Samstag, an dem der Tod eintrat – zitiert. Dabei haben Sie aber unter schlagen, dass das Landespolizeipräsidium zu dem Ergebnis
Ein amtliches Schreiben vom Landespolizeipräsidium an das Justizministerium. Jetzt können Sie sagen, das Landespo lizeipräsidium habe hier falsch gelegen.
Aber das ist die amtliche Mitteilung. Dann hat sich die Ein schätzung verändert, weil es eine anonyme Anzeige gab. Die Oberstaatsanwaltschaft wurde tätig. Daraufhin wurde der Jus tizminister informiert, und er hat umgehend gehandelt, indem er den Leiter der Vollzugsanstalt von seiner Arbeit