Deswegen darf man die Debatte nicht auf einen Satz verkür zen, weil Sie, wenn Sie sagen: „Der Islam gehört zu Deutsch land und zu Baden-Württemberg“, unterschiedliche Betrach tungsweisen anlegen können. Sie können die historische Be trachtungsweise anlegen.
Moment. Man kann ja auch differenziert diskutieren, Herr Sckerl. – Wenn Sie eine historische Betrachtungsweise anle gen, ist es sicherlich nicht der Fall, sondern unsere Verfas sungsordnung ist eben geprägt durch den griechischen Geist, durch das römische Recht,
was durch das Christentum weiter gefiltert wurde, durch die jüdische Tradition, durch den christlichen Glauben, durch die Aufklärung und die Menschlichkeit. Das ist die Grundlage un serer Verfassungsordnung, unseres Grundgesetzes, unserer Landesverfassung, in denen sich unsere Freiheitsrechte her
ausgebildet haben. Jeder Muslim, der innerhalb unserer Ge sellschaft lebt und diese freiheitlichen Verfassungsrechte an erkennt, ist Teil unserer Gesellschaft.
Aber wenn Sie formulieren: „Der Islam gehört zu Deutsch land, der Islam gehört zu Baden-Württemberg“, müssen Sie die Zitate von Altbundespräsident Wulff und von der Bundes kanzlerin umfassend zitieren und nicht nur auf einen Satz re duzieren.
Zuallererst brauchen wir aber eine klare Haltung. Ein Verständnis von Deutschland, das Zugehörigkeit nicht auf einen Pass, eine Familiengeschichte oder einen Glauben verengt, sondern breiter angelegt ist. Das Christentum gehört zweifelsfrei zu Deutschland. Das Judentum gehört zweifelsfrei zu Deutschland. Das ist unsere christlich-jü dische Geschichte. Aber der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland.
Deswegen muss man darüber diskutieren. Es gibt auch nicht nur d e n Islam. Das wissen Sie genauso, dass es unter schiedliche Rechtsschulen – Auslegungen – gibt. Wenn wir diese Debatte führen, müssen wir erklären, dass alle willkom men sind, die sich innerhalb unserer Verfassungsordnung be wegen, dass es aber auch Spielarten des Islam gibt, die eben nicht innerhalb dieser Verfassungsordnung sind, und das ist sicherlich nicht Teil unserer Tradition, unserer Geschichte und auch nicht unserer freiheitlichen demokratischen Grundord nung.
Die Verfassung unseres Landes beantwortet die Frage eigent lich mit klaren Worten. In der Präambel heißt es:
Im Bewusstsein der Verantwortung vor Gott und den Men schen, von dem Willen beseelt, die Freiheit und Würde des Menschen zu sichern, dem Frieden zu dienen, das Ge meinschaftsleben nach den Grundsätzen der sozialen Ge rechtigkeit zu ordnen, den wirtschaftlichen Fortschritt al ler zu fördern...
Muslime, Buddhisten, Aleviten, alle Menschen. Wir sichern die Religionsfreiheit, diese Religion auszuüben. Das ist das Leitmotiv unserer freiheitlichen demokratischen Grundord nung, die unsere Gesellschaftsordnung prägt. Diese Errungen schaft wurde im Übrigen hart erkämpft. Eine der zentralen Fragestellungen ist doch: „Inwieweit wird es gelingen, auch einen europäisch geprägten Islam, der aufklärerische Gedan
ken hat, in Deutschland und in Europa weiterzuentwickeln?“, wenn wir mit Islamwissenschaftlern in Tübingen sprechen.
Im Übrigen haben wir das eingerichtet, Frau Aras; wir haben den islamischen Religionsunterricht – damals unter Annette Schavan – eingeführt.
Wir, die Christdemokraten, haben gesagt: Wir wollen, dass ei ne vernünftige Auslegung des Islam an unseren Schulen un terrichtet wird –
(Abg. Muhterem Aras GRÜNE: Sehr gut! Gehört der Islam zu Baden-Württemberg, ja oder nein? – Gegen ruf des Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Nein!)
Ich versuche Ihnen gerade zu erklären, dass Sie es nicht auf eine Frage reduzieren können, weil es nicht d e n Islam gibt. Deswegen müssen wir alle diejenigen anerkennen, die muslimischen Glaubens sind und sich in dieser Gesellschaft engagieren.
Wir müssen aber auch deutlich machen, dass es kritische Punkte gibt, wenn jemand die Scharia über unsere Gesell schaftsordnung stellt. Das ist ein kleiner Teil. Ich will das nicht verallgemeinern; auf den Straßen laufen gerade andere herum, die Ängste vor dem Islam schüren. Es gibt im Übri gen auch keine Gefahr einer Islamisierung Deutschlands. Bei 0,4 % Muslime in Dresden und 5 % Muslime in Baden-Würt temberg gibt es nicht die Gefahr einer Islamisierung. Trotz dem gibt es Tendenzen und Entwicklungen, die die Menschen mit Sorge betrachten:
wenn es Parallelwelten gibt, wenn es radikale Gruppierungen gibt, die den Glauben missbrauchen, um ihre eigenen Ideen zu verbreiten, wenn es eine ultraorthodoxe Auslegung des Is lam gibt, bei der die Rechte der Frauen nicht anerkannt wer den,
oder wenn eine Scharia-Polizei durch die Straßen marschiert, junge Leute anspricht und sagt: Wenn ihr euch nicht an die strengen islamischen Gesetze haltet, seid ihr nicht Teil von uns.
Deswegen müssen wir bei dieser Frage differenzieren. Wir wollen Offenheit und Toleranz in unserer Gesellschaft. Wir wollen Vielfalt. Muslime sind Teil unserer Gesellschaft. Aber diejenigen, die den Glauben ausnutzen, um sich gegen unse re Gesellschaftsordnung zu stellen, um ihre eigenen Ziele zu verfolgen, sind nicht Teil unserer Gesellschaftsordnung.
(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Bravo! – Zu ruf des Abg. Wolfgang Drexler SPD)
Deswegen sollten wir uns vielleicht überlegen, keine histori sche, keine Verfassungsdebatte und auch keine Debatte, die auf einen Satz verkürzt ist, zu führen, sondern sollten wir uns fragen: Wer trägt was zu unserer Verantwortungsgemeinschaft bei, um aus seinem Glauben heraus Punkte zu entwickeln, die der Gesellschaft insgesamt dienen? Dann ist es mir völlig egal, ob das ein Christ, ein Jude, ein Moslem, ein Buddhist oder ein Alevit ist.
Wir haben alle eine Verpflichtung, sind eine Verantwortungs gemeinschaft, wie sich unsere Gesellschaft weiterentwickeln wird, welche Werte uns tragen, welche Traditionen wir wei terentwickeln müssen in eine Moderne und wie wir zukünf tig unseren Verfassungsstaat, unsere Gesellschaftsordnung si chern können, damit wir ein gemeinsames friedliches Zusam menleben organisieren können.
Da geht es um Werte wie z. B. die Barmherzigkeit, die in al len großen Weltreligionen vorhanden sind: bei uns die christ liche Nächstenliebe, bei den Muslimen die Anteile, die sie ver pflichtend abzugeben haben, als eine der großen Säulen des Islam, die Barmherzigkeit. Sie können die goldene Regel der großen Weltreligionen nehmen: Was du nicht willst, dass man dir tu’, das füg auch keinem andern zu. Das sind verbinden de gemeinsame Werte; darauf sollten wir uns einigen.
Deswegen sage ich Ihnen: Der Islam ist Teil unserer Verant wortungsgemeinschaft. Der Islam ist Teil unserer Verantwor tungsgemeinschaft, wenn er und die Menschen es schaffen, Beiträge zu leisten, um diese Gesellschaftsordnung weiterzu entwickeln. Die Landesregierung hat hier einen wichtigen Auftrag, den sie in den letzten Jahren nicht in allen Fällen so erfüllt hat, wie wir das gern gesehen hätten. Der islamische Religionsunterricht hätte viel schneller weiterentwickelt wer den müssen. Sie haben die Meldungen aus den Schulen und aus den Verbänden bekommen, dass wir bei Weitem noch kei ne flächendeckende Versorgung in diesem Bereich haben. Die Landesregierung hätte die Unterstützung für die Moscheege meinden weiterentwickeln müssen und die Kooperationen stärken müssen, indem sie fragt: In welchen Bereichen müs sen wir helfen, damit z. B. junge Menschen sich nicht radika lisieren, weil sie die Religion gar nicht verstehen?
Wenn Imame nicht auf Deutsch über irgendetwas reden, was nicht unserer Gesellschaft und unserem Rechtssystem ent spricht, dann werden junge Menschen entfremdet. Wie kön nen wir also den Moscheegemeinden helfen, eine moderne Form der – –
(Abg. Muhterem Aras GRÜNE: Sie hatten noch nie Verantwortung in diesem Land! – Glocke des Präsi denten)
Es gilt, eine moderne Form der Vermittlung des Glaubens zu praktizieren, damit jun ge Menschen Vertrauen in diese Gesellschaft gewinnen und damit vor allem auch der Islam als etwas wahrgenommen wird, was nicht bedrohlich ist, sondern als etwas, was einen Beitrag für unsere Gesellschaft leisten kann.
Deswegen: Verkürzen Sie die Debatte nicht auf einen Satz, und versuchen Sie nicht, die CDU so darzustellen, als ob wir intolerant wären, als ob wir Feindbilder gegenüber Muslimen pflegen würden, als ob wir eine Partei wären, die nicht in der Mitte der Gesellschaft stehen würde. Wenn Sie so vorgehen, verkürzen Sie etwas, was dem Anliegen aller Menschen in Ba den-Württemberg und auch der Muslime nicht gerecht wird.