Guten Morgen, meine Damen und Herren! Ich eröffne die 127. Sitzung des 15. Landtags von Ba den-Württemberg.
Eine Zusammenstellung der E i n g ä n g e liegt Ihnen vor. Sie nehmen davon Kenntnis und stimmen den Überweisungs vorschlägen zu.
Prüfung der Haushalts- und Wirtschaftsführung des Südwestrund funks (SWR) 2011 durch die Rechnungshöfe der am Staatsvertrag über den SWR beteiligten Länder Baden-Württemberg und Rhein land-Pfalz
hier: Unterrichtung über die Prüfungsergebnisse nach § 35 Absatz 3 SWR-Staatsvertrag – Drucksache 15/6760
über Staatsvertragsentwürfe; hier: Entwurf des Siebzehnten Staats vertrags zur Änderung rundfunkrechtlicher Staatsverträge (Siebzehn ter Rundfunkänderungsstaatsvertrag) – Drucksache 15/6778
Meine Damen und Herren, unter Punkt 3 unserer Tagesord nung ist die Zweite und Dritte Beratung eines Gesetzentwurfs über die Feststellung eines Nachtrags zum Staatshaushalts
plan von Baden-Württemberg für die Haushaltsjahre 2015/16 vorgesehen. Sie sind gemäß § 50 Satz 2 unserer Geschäfts ordnung mit dieser Fristverkürzung zwischen Zweiter und Dritter Beratung des Gesetzentwurfs einverstanden. – Es er hebt sich kein Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Aktuelle Debatte – EU-Flüchtlingsgipfel: Die Europäische Union braucht eine humane und faire Flüchtlingspolitik! – beantragt von der Fraktion GRÜNE
Meine Damen und Herren, das Präsidium hat für die Aktuel le Debatte eine Gesamtredezeit von 40 Minuten festgelegt. Darauf wird die Redezeit der Regierung nicht angerechnet. Für die einleitenden Erklärungen der Fraktionen und für die Rednerinnen und Redner in der zweiten Runde gilt jeweils ei ne Redezeit von fünf Minuten. Ich darf die Mitglieder der Landesregierung bitten, sich ebenfalls an den vorgegebenen Redezeitrahmen zu halten.
Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren! Menschen fliehen nicht ohne Grund. Das ist heute nicht an ders, als es etwa unter der Herrschaft des Nationalsozialismus war. Weltweit sind derzeit ca. 57 Millionen Menschen auf der Flucht vor Krieg, vor Gewalt, vor Hunger, vor Armut.
Auf der Suche nach Perspektiven und in der Hoffnung auf ein lebenswürdiges Leben haben auch viele berechtigterweise Eu ropa als Ziel – ein Kontinent, der sozial stabil ist und der Pro sperität verspricht.
Flüchtlinge sind Menschen, die in der EU um Asyl ersuchen. Nun sitzen wir fassungslos bald jede Woche vor dem Fernse her und sehen diese tragischen, dramatischen Bilder aus dem Mittelmeer. Seit Jahren sind wir Zuschauer eines menschen unwürdigen und abscheulichen Dramas, bei dem leider auch die EU bisweilen verantwortungslos Regie führt. Sie hat hier – man muss es deutlich sagen, so tragisch es auch ist – ver sagt. Die EU-Flüchtlingspolitik hat in diesem Punkt versagt.
Wir Europäerinnen und Europäer – ich glaube, Baden-Würt temberg ist eines der „europäischsten“ der europäischen Kern länder, von der Lage, von der Identität und übrigens auch von der eigenen Geschichte her; Baden-Württemberger, Altwürt
temberger sind als Hungerflüchtlinge nach Amerika geflohen; es gibt die berühmten Donauschwaben, dankenswerterweise inzwischen auch die Donauraumstrategie – sind Zeuge dieser Katastrophe.
Allein in den ersten vier Monaten dieses Jahres sind bereits 30-mal mehr Flüchtlinge im Mittelmeer ertrunken als im Vor jahreszeitraum. Der Tod von 1 750 Flüchtlingen ist bestätigt, die Dunkelziffer ist vermutlich noch höher. Allein bei der bis her schlimmsten Tragödie vor der libyschen Küste letzte Wo che haben nach UN-Angaben ca. 800 Menschen ihr Leben verloren – viele Kinder, junge Menschen auf der Suche nach Glück.
Die EU-Bürgerinnen und -Bürger, auch die Bürgerinnen und Bürger hier in unserem Land, in Tübingen, in den Kirchenge meinden, auch in den Helferkreisen für Flüchtlinge, sind scho ckiert, haben Gottesdienste abgehalten und Mahnwachen. Überall ist eine tiefe Betroffenheit. Wir dürfen nicht weiter zusehen, wie das Mittelmeer zu einem Massengrab wird.
Es ist unsere humanitäre Verpflichtung, dass nicht nur die Mit telmeerländer, sondern die Europäische Union als Ganzes, als eine Werteunion, Flüchtlingen, die auf dem Fluchtweg in die EU in Not geraten, hilft anstatt wegzuschauen.
Die EU sieht sich angesichts ihres eigenen Versagens zum Handeln gezwungen. Auf dem kurzfristig anberaumten Son dergipfel am 23. April hatten die EU-Regierungschefs auf Grundlage des Zehnpunkteprogramms der EU-Kommission folgende Beschlüsse gefasst: stärkere Seenotrettung, Maßnah men zur Bekämpfung der Schleuserkriminalität und verstärk te Zusammenarbeit mit Drittstaaten.
Dies klingt gut. Aber reicht dies denn aus? Reicht das Fron tex-Mandat aus? Wir teilen die Kritik von amnesty internati onal: Mit dieser Operation wahrt die EU das Gesicht, rettet aber kein Menschenleben. Eine Ausweitung des Einsatzge biets für diese Mission bringt in der Praxis keine Fortschritte. Viele Flüchtlingsschiffe, die von der libyschen Küste aus star ten, geraten bereits in unmittelbarer Nähe der Küste in See not. Das Einsatzgebiet der aktuellen Mission erreichen sie gar nicht.
Also: Die Beschlüsse der Staats- und Regierungschefs sind angesichts dieser dramatischen Lage völlig unzureichend. Auch die vielen Fragen der innereuropäischen Solidarität sind weiterhin nicht gelöst und sind strittig. Wir brauchen eine fes te Quotenregelung zur Aufnahme von Flüchtlingen. Die müs sen speziell wir, Deutschland als das führende Land in Euro pa, einführen.
Die bisherigen freiwilligen Vereinbarungen werden nicht grei fen. Es müssen vertraglich verbindliche Bestimmungen kom men.
Meine Damen und Herren, wir müssen uns darauf verständi gen, dass wir ein neues „Mare Nostrum“, ein europäisches
Seenotrettungsprogramm für die Flüchtlinge benötigen, das wir gemeinsam finanzieren, das tatsächlich die wirklich in Not Geratenen aufnimmt.
Die letzte politische Forderung: Wir müssen ein europäisches Resettlement-Programm starten. Wir wissen heute, dass von den 340 000 Afrikanerinnen und Afrikanern 80 % aufgrund ihrer individuellen Situation einen Rechtsanspruch auf Asyl bei uns hätten. Darüber hinaus sind sie alle durch die Bank gut ausgebildet und motiviert – Menschen, die in unserem Eu ropa gebraucht werden. Wir müssen diesen Menschen einen festen Bleibeplatz bieten, und wir müssen diesen Menschen einen Zugang nach Europa bieten, der nicht lebensbedrohlich über das Mittelmeer geht, sondern ein sicherer Landweg ist. Das ist unsere politische Aufgabe.
Herr Präsident, verehr te Kolleginnen und Kollegen! In der Tat, der Titel der Aktu ellen Debatte kann auch als Frage formuliert werden: „Braucht Europa eine humane und faire Flüchtlingspolitik?“ Diese Fra ge kann man natürlich mit Ja beantworten. Der Zeitpunkt ist auch richtig gewählt, denn gerade in diesen Tagen tagen die europäischen Gipfel, gestern auch die EVP-Fraktion in Brüs sel, am Wochenende tagte der Koalitionsausschuss in Berlin. Insoweit befassen wir uns alle zum richtigen Zeitpunkt mit diesem Thema.
Wir alle haben die Bilder aus dem Mittelmeer vor Augen, bei denen sicher jeder, der eine Seele hat, der Trauer und Schmerz empfinden kann, Mitgefühl hat. Wenn wir diese Bilder des Massengrabs im Mittelmeer sehen, berührt uns das, und es geht auch bis an die Wurzel der Seele.