Protokoll der Sitzung vom 07.05.2015

Was Sie in Ihren öffentlichen Äußerungen tun, läuft auf Denk verbote hinaus, die für dieses Land Baden-Württemberg ver heerend wären.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Was wir an den Gymnasien bei uns in Baden-Württemberg feststellen, ist natürlich doch auch eine Veränderung im Hin blick auf die Herausforderungen, vor denen diese Gymnasi en stehen, meine sehr geehrten Damen und Herren. Noch An fang bis Mitte der Siebzigerjahre lagen die Quoten beim Über gang auf das Gymnasium bei 20 bis 25 %; zwischenzeitlich – das galt aber schon, als die Grundschulempfehlung noch ver bindlich war – stieg diese Quote auf 41 %, und derzeit beträgt sie 43 %; dabei ist die Übergangsquote in diesem Schuljahr sogar erstmalig leicht gesunken.

Angesichts dieser Zahlen können Sie doch nicht ernsthaft be haupten, dass wir nicht auch und gerade am Gymnasium – ge rade auch, weil Sie eine G-8-Reform durchgeführt haben, die so, wie Sie sie vorgenommen haben, überhaupt nicht funktio niert hat – erheblichen Bedarf haben, zu fragen: Welche Ver besserungen braucht auch das Gymnasium, um den Schüle rinnen und Schülern an dieser Schulart gerecht werden zu kön nen?

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Glocke des Präsidenten)

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Kollegin Kurtz?

Jetzt nicht. Ich möchte meine Gedanken noch weiter ausfüh ren. Später gern.

Sie wissen, wenn Sie die Tests zum Vergleich mit anderen Ländern anschauen, dass das Gymnasium in Baden-Württem berg durchaus auch gewisse Fragen als zulässig erscheinen lässt. Wenn Sie sich einmal anschauen, wie es im internatio nalen Vergleich mit der Förderung von Spitzenbegabungen aussieht, werden Sie ganz schnell feststellen, dass wir dabei

trotz der sehr guten Arbeit an den Gymnasien – noch Ver besserungsbedarf haben.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Ja!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn wir, wie vor drei Wochen geschehen, von Herrn Professor Trautwein von der Universität Tübingen ein Gutachten vorgelegt bekommen – das im Übrigen nicht vom Kultusministerium, nicht von der Landesregierung in Auftrag gegeben wurde –, aus dem sich ergibt, dass das G-8-Gymnasium im Bereich der Leistungen relativ gut funktioniert, allerdings mit Problemen im Bereich der Fremdsprachen – wobei Professor Trautwein in seiner Analyse herausarbeitet, dass dies im Wesentlichen an den Kor rekturen im Fremdsprachenbereich, die Sie vorgenommen ha ben, liegt;

(Zurufe von der SPD: Aha! – Abg. Dr. Stefan Fulst- Blei SPD: Vermurkste G-8-Reform!)

das heißt, Leistungsabsenkung durch CDU-Maßnahmen aus dem Jahr 2004 –,

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Da setzen Sie noch eins drauf!)

dann müssen wir uns doch sehr genau anschauen, an welchen Punkten wir Verbesserungsbedarf haben.

In der Analyse von Professor Trautwein kommt deutlich zum Ausdruck, dass Schülerinnen und Schüler am G 8 über ein größeres Belastungsempfinden klagen und dass auch gesund heitliche Auswirkungen negativer Art festzustellen sind. Wir würden unserer Verantwortung doch nicht gerecht werden, wenn wir nicht fragen würden: Wie können wir die Schüle rinnen und Schüler unterstützen, um den Leistungsanforde rungen besser gerecht zu werden und gleichzeitig diese Leis tungsanforderungen auch bewältigen zu können?

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Deswegen gibt es mit Sicherheit doch auch am Gymnasium Handlungsbedarf. Was ist denn falsch daran, wenn man in ei ner solchen Situation – – Dieser Arbeitskreis wurde nicht et wa erst im Rahmen einer Eilaktion vor ein paar Wochen ein gesetzt. Sie haben ja gerade den Eindruck suggeriert, das wä re jetzt ganz schnell notwendig, um irgendetwas zu reparie ren. Nein. Dieser Arbeitskreis wurde bereits im Jahr 2012 kon zipiert, weil bereits damals klar war, dass sich Fragestellun gen ergeben, gerade auch mit Blick auf die immer wieder auf genommene Debatte um die Dauer der gymnasialen Lernzeit. Es ging darum, wie wir den Anforderungen am Gymnasium, auch und gerade im achtjährigen Bildungsgang, also am G8-Gymnasium, besser gerecht werden können.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, diese Arbeitsgrup pe mit Experten aus allen Bereichen – es sind Experten aus der Schulverwaltung, aber insbesondere auch aus den Schu len selbst – ist für mich ein Qualitätsmerkmal. Denn wenn Schulleiterinnen und Schulleiter, sieben gymnasiale Schullei terinnen und Schulleiter, hier mit am Tisch sitzen – die, um noch einmal auf die Frage von Herrn Kollegen Haußmann zu rückzukommen, so, wie es in solchen Verfahren üblich ist, über die Regierungspräsidien als Vertreter derjenigen Schu len benannt wurden, die hierzu Beiträge leisten wollen und

können –, dann hat das überhaupt nichts mit einem politisch gesteuerten Gremium zu tun; ganz im Gegenteil.

Der Ministerpräsident hat es schon gesagt: Diese Arbeitsgrup pe hat den Auftrag, Gedanken dazu zusammenzutragen, wie sich – auch aus den eigenen Erfahrungen der Experten an den Schulen – die gymnasiale Praxis, die pädagogische Praxis an den Gymnasien besser gestalten lässt. Was hieran falsch sein soll, das habe ich auch nach dieser Debatte und Ihren heuti gen Redebeiträgen in keiner Weise verstanden.

(Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Fragen Sie mal Ihre eigene Fraktion!)

Deswegen werden wir auch zukünftig auf externen Sachver stand zurückgreifen.

(Abg. Karl Zimmermann CDU: Den brauchen Sie auch!)

Ich darf auf Professor Trautwein verweisen, der in einer Pres sekonferenz gesagt hat, er freue sich, dass diese Landesregie rung die wissenschaftliche Beratung annimmt, und komme zu dem Schluss, das hätten frühere Landesregierungen besser auch schon getan.

(Lebhafter Beifall bei den Grünen und der SPD – Abg. Martin Rivoir SPD: Hört, hört!)

Nun einige Sätze zum Inhalt und zum Verfahren. Ich möchte meine Darstellung in zwei Blöcke gliedern: Inhaltlich befasst sich dieses Arbeitspapier – ein verwaltungsinternes Papier – zum einen mit der Frage, wie wir in den verschiedenen Pha sen des gymnasialen Bildungsgangs die Schüler besser unter stützen können. Da kommt das Thema Coaching, das Thema Lernentwicklungsberatung zur Sprache; da findet sich die Idee, dass das Schüler-Lehrer-Verhältnis in einer anderen Wei se gestaltet werden muss, auch aufgrund einer Interpretation dessen, welche Aufgaben der Lehrer hat. Als zweiten Block gibt es die Aufgabenstellung: Wie kann es in einem Zweisäu lensystem – das betrifft übrigens auch die Aufgabenstellung im Bildungsplan, nämlich die Frage der Durchlässigkeit zwi schen den Schularten – Schnittpunkte zwischen den verschie denen Schularten geben? Herr Kollege Röhm hat es angespro chen. Aus gymnasialer Sicht – eine Sichtweise, die Sie, Herr Röhm, hier ja angeblich vertreten – ist es kein Bedrohungs szenario, dass Schülerinnen und Schüler, die die Zugangsvo raussetzungen für das Gymnasium erfüllen,

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Das ist der ent scheidende Punkt! – Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU: Wie weisen Sie nach, dass sie diese erfüllen?)

auch das Abitur dort machen.

Jetzt komme ich zu den Punkten, die Sie in der öffentlichen Debatte zu skandalisieren versuchen. Die Frage, ob es vier oder ob es drei schriftliche Prüfungsfächer und stattdessen ein weiteres mündliches Prüfungsfach geben soll, kann man pro blematisieren.

(Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Was heißt das?)

Ich darf Sie aber darauf hinweisen, dass in Bayern exakt die se Struktur in der gymnasialen Abschlussprüfung vorhanden

ist. Wollen Sie, meine sehr geehrten Damen und Herren, un terstellen, dass in Bayern das Leistungsprinzip abgeschafft wurde? Dies ist die erste Frage.

(Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Also wol len Sie es umsetzen?)

Zweite Frage: der späte Beginn einer weiteren Fremdsprache. Dies ist in Bayern gängige Praxis. Ich habe bei Diskussionen über dieses Papier mit beiden Bildungs-AKs – das kann si cherlich von den Bildungs-AKs bestätigt werden – sowie auch bei Einbringung dieses Papiers in den Landesschulbeirat – ein für mich sehr wichtiges Beratungsgremium – deutlich ge macht, dass ich Veränderungen im Bereich der Struktur, das heißt, im Bereich des Übergangs zur Oberstufe, im Moment als überhaupt nicht zielführend empfinde, vor allem auch, weil Diskussionen in Bezug auf die Schülerströme auftreten, die beispielsweise in Richtung der beruflichen Gymnasien laufen.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: So ist es!)

In Anerkennung dessen habe ich in Bezug auf diesen Teil auch in der internen Debatte – eine Debatte, die ich nun einmal brauche, gerade auch mit den Beratungsgremien des Kultus ministeriums – deutlich gemacht, dass ich die vorgeschlage nen Schritte derzeit nicht für umsetzbar halte und dass ich glaube, dass diese Vorschläge so nicht richtig sind.

Ich habe aber gleichzeitig deutlich gemacht, dass wir die Vor schläge, die die pädagogische Arbeit an den Gymnasien be treffen, für sehr fruchtbar halten und dass wir uns diese Vor schläge sehr genau anschauen wollen – und dann natürlich auch prüfen müssen, ob wir deren Umsetzung entsprechend finanzieren können. Denn diese zusätzlichen Aufgaben wür den auch zusätzliche Ressourcen, in diesem Fall für das Gym nasium, kosten. Ihnen ist sicherlich klar, dass der Kultusmi nister selbstverständlich in solche Verhandlungen gehen wird, und Ihnen ist auch klar, dass wir über diese Ressourcen ver handeln werden.

Ich möchte damit eines deutlich machen: Dieses Papier ist es wert, näher betrachtet zu werden. Dieses Papier enthält die Expertise der Gymnasien in diesem Land. Dieses Papier wird daher in der Zukunft nicht in der Schublade verschwinden, was vielleicht Ihr Begehren wäre.

(Zuruf des Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP)

Denn keine Schulart, keine Schule in diesem Land BadenWürttemberg kann es sich leisten, nach Ihrer Diktion ständig so weiterzuarbeiten, wie sie es vor 20 oder 30 Jahren getan hat, und auf dem heutigen Stand stehen zu bleiben.

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Abg. Karl Zimmermann CDU: Seit Sie regieren, ist Chaos an den Schulen!)

Lassen Sie mich, liebe Kolleginnen und Kollegen, noch eini ge Worte zum Verfahren sagen. Sie wissen, dass dieses Papier zunächst im letzten Jahr innerhalb des Kultusministeriums diskutiert wurde. Es wurde intern bewertet – was bei einem internen Verwaltungspapier nicht wirklich überraschend sein kann. Dieses Papier wurde anschließend in verschiedene Gre mien zur Diskussion gegeben, u. a. auch in den Landesschul

beirat. Die Vorstände des Landeselternbeirats und des Landes schülerbeirats waren am Erarbeitungsprozess beteiligt.

Herr Röhm, vor ca. sechs Wochen, am 19. März, waren wir gemeinsam in Ulm.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Jawohl!)

Da hat sich die Direktorenvereinigung der allgemeinbilden den Gymnasien wie in jedem Regierungsbezirk turnusmäßig getroffen. Gegenstand der dortigen Debatte war auch das Pa pier „Gymnasium 2020“. Wir haben aus keinem der Regie rungsbezirke, von keiner der Direktorenvereinigungen eine negative Rückmeldung erhalten. Wir haben dort von frucht baren Diskussionen erfahren.

(Abg. Dr. Stefan Fulst-Blei SPD: Herr Röhm war da bei!)

Wir haben von einer der Direktorenvereinigungen eine schrift liche Stellungnahme erhalten, die zustimmend war.

Sie versuchen hier eine Empörung zu züchten, Herr Kollege Wolf, mit den Worten: „Gymnasium 2020 – brandgefährlich“. Ich würde mir an Ihrer Stelle die Mühe machen, dieses Papier aufzuschlagen und mit den Beteiligten dieses Erarbeitungs prozesses zu sprechen. Dann würden Sie feststellen, dass Sie mit solch inhaltsleeren Phrasen wie „Gymnasium pur statt Gymnasium light“

(Zuruf des Abg. Guido Wolf CDU)