Protokoll der Sitzung vom 28.09.2011

Auch bei Beckmann im Fernsehen hat er gesagt: „Ich denke, wir müssen irgendwann auch einmal aufhören können, wenn das letzte Wort gesprochen ist.“ Und das letzte Wort spricht das Volk.

So steht es auch in unserer Koalitionsvereinbarung. „Ziel der Volksabstimmung“ – so heißt es darin – „ist es, zu einem ab schließenden und befriedenden Urteil über Stuttgart 21 zu ge langen.“ „Abschließend“ heißt, dass sie das letzte Urteil ist, nicht das vorletzte. Das letzte Urteil wird bei der Volksabstim mung gesprochen, und das muss man auch so sagen. Denn nur dann sind die Bürgerinnen und Bürger motiviert hinzugehen, wenn sie sagen: Ich gebe meine Stimme ab, und die zählt. Die wird hinterher nicht interpretiert, sondern die Stimme, die da abgegeben wird, zählt im Rahmen der Regelungen der Ver fassung.

(Beifall bei der SPD und der CDU sowie Abgeord neten der FDP/DVP)

Deshalb ist es auch kontraproduktiv – das möchte ich hier wirklich sagen; die Bündnisse formieren sich –, wenn von ei nem Sprecher des Bündnisses, das für den Ausstieg wirbt, be reits bei der Vorstellung des Bündnisses gesagt wird: „Wer will, dass Ruhe im Karton ist, muss hingehen und sein Kreuz beim Ja machen.“

Ich finde, es ist wirklich kein angemessener Umgang mit ei ner Volksabstimmung, wenn man signalisiert: „Wenn ihr so abstimmt, wie wir wollen, dann gibt es Ruhe; wenn ihr nicht so abstimmt, dann geht es weiter mit dem Rabatz.“ Das ist kein angemessener Umgang.

(Lebhafter Beifall bei der SPD, der CDU und der FDP/DVP – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Bravo! Bravo!)

Wir müssen jetzt an einer Stelle, an der wir – darauf können wir wirklich stolz sein – als grün-rote Koalition – –

(Abg. Karl Zimmermann CDU: Ach was!)

Wir sind darauf stolz; Entschuldigung. Es gibt Koalitionen, in denen heftigste Meinungsverschiedenheiten vorhanden sind und die versuchen, diese zu vertuschen: durch Formelkom promisse, durch Aufschieben, durch Aussitzen oder Ähnli ches.

(Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Durch Volks abstimmungen! – Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Ihr nicht?)

Es gibt viele solcher Koalitionen. Wir haben unseren Dissens benannt und klar beschrieben. Wir respektieren die jeweilige Auffassung, und wir lösen den Dissens durch eine Abstim mung durch das Volk. Diese ist bei diesem Vorgang angemes sen. Denn es gibt kaum ein anderes Thema in Baden-Würt temberg, das bis in die Familien hinein so kontrovers disku tiert wird. Dabei ist die Abstimmung durch das Volk die rich tige Lösung, das richtige Ergebnis.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen)

Wenn wir diese Volksabstimmung nun einleiten, dann wollen wir auch weitergehen; wir hoffen, dass wir nach dieser Ab stimmung zu einem realistischeren Quorum kommen und es mehr Volksabstimmungen in Baden-Württemberg geben wird. Dies sollte jetzt nicht dadurch belastet werden, dass man ei ne Volksabstimmung von vornherein als ein Verhinderungs instrument ansieht, als ein Instrument, das nur zur Verhinde rung taugt.

Es geht nicht an, dass man, wenn bei einer Volksabstimmung nicht das Ergebnis herauskommt, das man will, einfach wei termacht. Vielmehr gebietet es der Respekt vor der Entschei dung des Volkes, dass sich alle hinterher daran halten und jetzt dafür werben: gute Argumente,

(Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU: Sagen Sie das Frau Dahlbender!)

Respekt vor einer anderen Auffassung. Wir warten die Ent scheidung ab, und danach wird die Entscheidung umgesetzt.

Das Quorum ist hoch. Das wissen wir. Aber man muss sehen, dass etwa in Italien ein Quorum von 50 % gilt. Die Menschen

dort regen sich über Berlusconi auf, und dort wurde dieses Quorum erreicht. Das heißt, bei einem Thema, bei dem die Menschen mitgehen, ist so etwas möglich. Deshalb sage ich: Bei diesem Thema ist noch überhaupt nichts gegessen. Eini ge haben gesagt, wir Sozialdemokraten seien ruhig. Nein, wir sind überhaupt nicht ruhig!

(Lebhafter Beifall bei der SPD und der CDU – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Bravo! – Zuruf des Abg. Klaus Herrmann CDU)

Wenn es für die Volksabstimmung eine ausreichende Unter stützung gibt, wenn die Regierung dieser zustimmt, dann wer den wir natürlich für die Beteiligung bei dieser Volksabstim mung werben. Denn daran wird sich auch zeigen, ob das Be dürfnis nach mehr Mitbestimmung, wie wir behaupten, vor handen ist oder ob es bloß erfunden ist. Wir werben dafür. Je der wird dann für seine Seite werben. Ich glaube, ich habe deutlich gemacht, dass ich die besseren Argumente bei mir se he. Ich respektiere, dass andere dies für sich auch so sehen.

(Heiterkeit – Beifall bei der SPD und Abgeordneten der CDU – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Bravo!)

Aber wenn man es respektvoll miteinander angeht, liebe Kol leginnen und Kollegen, dann können wir alle nur gewinnen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD, der CDU und der FDP/DVP so wie Abgeordneten der Grünen)

Kolleginnen und Kollegen, ich er teile für die Fraktion der FDP/DVP dem Kollegen Haußmann das Wort.

Sehr geehrter Herr Prä sident, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Schmiedel, Respekt vor Ih rer Rede und Respekt vor Ihren Rechenkünsten.

(Abg. Klaus Herrmann CDU: Der Rechner kommt ins Haus der Geschichte! – Gegenruf des Abg. Tho mas Blenke CDU: Neben den Bauzaun! – Heiterkeit)

Man kann auch schnell rechnen, ohne schlecht zu rechnen. Wenn Sie jetzt noch die 3 % Skonto berücksichtigen – –

(Heiterkeit)

Wenn Sie einmal Ihrer Arbeit überdrüssig sind, kann ich Ih nen gern eine Projektleiterstelle vermitteln; kommen Sie dann einfach auf mich zu.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Hoi! Dann steigt er auch noch auf!)

Die Landesregierung soll... verpflichtet werden, Kündi gungsrechte bei den vertraglichen Vereinbarungen mit fi nanziellen Verpflichtungen des Landes Baden-Württem berg für das Bahnprojekt Stuttgart 21 auszuüben.

Über dieses Gesetz – man muss es mehrmals lesen, damit man es überhaupt versteht – stimmen wir also heute ab. Die Lan desregierung hat bereits im Koalitionsvertrag definiert, dass wir heute das Gesetz ablehnen sollen, damit eine Volksabstim

mung darüber stattfinden kann. Dann dürfen sich die Wähle rinnen und Wähler mit diesem „verbraucherfreundlichen“ Ge setzestext auseinandersetzen.

Sowohl der Gesetzestext als auch die Begründung sorgen für große Irritationen. Juristische Winkelzüge dominieren über verständliche Rhetorik.

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Das ist doch das Ziel!)

Eigentlich wird gar nicht über das Projekt abgestimmt, aber im Prinzip eben doch. Dabei ist es so, dass diejenigen, die für Stuttgart 21 sind, mit Nein stimmen, und umgekehrt – eine bemerkenswerte Methodik, die auf nicht viel Verständnis bei der Bevölkerung stoßen wird. „Honi soit qui mal y pense“ – ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Insbesondere vier Gründe möchte ich aufführen, warum die FDP/DVP-Landtagsfraktion diesem Gesetz heute nicht zu stimmen wird.

Erstens sehen wir keine vertragliche Legitimation, Kündi gungsrechte geltend zu machen. Schon die Terminologie ist fragwürdig und irreführend, weil außer den vertraglichen Ver einbarungen mit finanziellen Verpflichtungen keine anderen Vereinbarungen da sind, auf die das Land unmittelbar Einfluss nehmen kann. Planungsrechtliche und sonstige genehmi gungsrechtliche Grundlagen sind nicht Gegenstand des Ver trags mit dem Land Baden-Württemberg. Eine ordentliche Kündigung ist vertraglich ausgeschlossen. Auch mit der vor liegenden wilden Konstruktion bleibt die Hoffnung auf einen künftigen Kündigungsgrund bloße Spekulation.

Der Wegfall der Geschäftsgrundlage setzt eine erhebliche Ab weichung von den Vertragsgrundlagen voraus. Die Rechtsfol ge ist dann aber nicht die Kündigung, sondern die Nachver handlung. Bereits in der ersten Lesung haben wir keine ein deutige Antwort hierzu erhalten.

Zweitens ergeben sich seit Vertragsabschluss keine erkennba ren gravierenden verkehrlichen Gründe, die eine Kündigung rechtfertigten. Die Begründung basiert auf einer vollkommen einseitigen Betrachtung. Es wäre doch interessant gewesen, auch etwas über die betrieblichen Probleme beim Stuttgarter Kopfbahnhof oder das betriebstechnische Potenzial des ge planten Durchgangsbahnhofs zu hören. Immerhin hat der Stresstest Erwähnung gefunden, der die Leistungsfähigkeit von Stuttgart 21 nachgewiesen hat. Auf Seite 8 der Begrün dung zum Gesetzentwurf akzeptiert die Landesregierung die sen Stresstest.

Auch die ökologischen Aspekte waren bereits Bestandteil des Planfeststellungsverfahrens, und nicht zuletzt sind die Chan cen für die Stadtentwicklung herausragend. S 21, liebe Kol leginnen und Kollegen, ist ein durch und durch grünes Pro jekt.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP und der CDU – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: So ist es, ja wohl!)

Drittens wird mit heute nicht bekannten, aber zu erwartenden Kostensteigerungen sowie allgemeinen Bau- und Kostenrisi ken argumentiert. Der dafür erforderliche Beweis – die Be

weislast liegt bei der Landesregierung – fehlt. Die Begrün dung basiert auf reinen Mutmaßungen. Sie betreiben eine Dra matisierung der Risiken von Stuttgart 21 und verharmlosen die Risiken einer Kündigung der Finanzierungsvereinbarung durch das Land. Selbst für den Fall einer tatsächlichen Kos tensteigerung sind die Vertragspartner aufgefordert, darüber zu verhandeln und nicht einfach zu kündigen.

Die Mutmaßung allein, dass Großprojekte im Allgemeinen immer teurer werden, kann nicht zur Grundlage einer Ver tragskündigung herangezogen werden. Vielmehr ergäbe sich aus dieser Argumentation eine völlig neue Dimension der Be wertung von Großprojekten, die das Land Baden-Württem berg vor juristisch brisante und vertraglich kaum lösbare He rausforderungen stellte – was übrigens auch für die längst ver worfenen Alternativen K 21 und Kombilösung gelten würde.

Da kann ich unseren Verkehrsminister Hermann schon heute bedauern, wenn er diese Messlatte bei weiteren Infrastruktur projekten anlegt. Das ergäbe gewaltige „toxische“ Risikopuf fer, die viele Projekte wie etwa die Rheintalbahn im Keim er sticken lassen würden.

Viertens ist es nicht legitim, das Ergebnis der Landtagswahl als demokratische Entscheidung für eine vertragliche Kündi gung zu beurteilen. Was für ein Demokratieprinzip ist das? Wo kämen wir hin, wenn nach jeder Landtagswahl Verträge mit Projektpartnern neu zu bewerten wären? Es könnte sich kein Vertragspartner des Staates in einer Demokratie mehr auf Verträge berufen. Wir hätten nur noch Vertragslaufzeiten für die Dauer einer Legislaturperiode. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein politischer Kurswechsel allein reicht für eine vertragliche Kündigung bei Stuttgart 21 nicht aus.

Fazit: Wenn man nicht weiß, was richtig ist, soll man nicht tun, was falsch ist. Die tatsächliche Bewertung wird klar und deutlich beschrieben: Innerhalb der Landesregierung beste hen unterschiedliche Auffassungen zu Stuttgart 21. Die poli tische Gesamteinschätzung ist vielmehr Ausdruck des Bemü hens um Wahrung des Koalitionsfriedens. Dieses Motiv steckt nämlich hinter der Gesetzesinitiative, die missbräuchlich ist, weil das Gesetz ganz bewusst darauf angelegt ist, im Landtag zu scheitern.

(Abg. Edith Sitzmann GRÜNE: Sie können gern zu stimmen!)

Ganz bewusst riskieren wir damit erhebliche Schadensersatz ansprüche aller Vertragspartner, die schnell die vertraglichen Kostenbeteiligungen des Landes von 823 Millionen bzw. 931 Millionen € deutlich übersteigen können.