Dabei ist es unser Ziel, dass grundsätzlich alle allgemeinen Schularten künftig noch mehr von der großen Erfahrung und der hohen Kompetenz der Sonderschulen profitieren. Neben den eigenen Bildungsangeboten – ich sage es bewusst ganz deutlich – sollen sonderpädagogische Bildungs- und Bera tungszentren deshalb künftig auch verstärkt die allgemeinen Schulen bei der Umsetzung der Inklusion beraten und unter stützen.
Wir wollen nicht in eine Diskussion geraten, in der die Son derschulen Angst um ihre Existenz haben müssen. Denn, mei ne sehr geehrten Damen und Herren, die Sonderschulen in Ba den-Württemberg leisten hervorragende Arbeit.
Sie sind bei den Eltern hoch anerkannt. Deswegen müssen wir alle daran interessiert sein, nicht in eine Schwarz-Weiß-Dis kussion zu verfallen, sondern das Thema, den richtigen Bil dungsort für ein Kind im Hinblick auf seine individuellen Be dürfnisse zu definieren, immer in den Mittelpunkt jeder Be trachtung zu stellen.
Der Wunsch der Eltern ist dabei Ausgangspunkt aller weite ren Überlegungen und Planungen. Nicht immer lässt sich je
der Wunsch nach inklusiver Beschulung an einer ganz be stimmten Schule erfüllen. Deswegen übernehmen hier die Bil dungswegekonferenzen eine sehr wichtige Steuerungsfunkti on. Dort werden nämlich die Wünsche unter den lokalen Rah menbedingungen und im Hinblick auf die Bildungsansprüche der Kinder überprüft und definiert. Im Mittelpunkt steht da bei immer, die bestmögliche Lösung für das jeweilige Kind zu finden. Die Staatlichen Schulämter leiten diesen Prozess, an dem neben den entsprechenden Schulen und Schulträgern auch alle sonstigen Kosten- und Leistungsträger zu beteiligen sind.
Diese inklusiven Bildungsangebote sollen dabei auch und ge rade aus Gründen der Qualität grundsätzlich gruppenbezogen angelegt sein. Auch hier wird deutlich: Wir möchten bei die sem großen Unterfangen niemanden überfordern und haben deshalb bei unserem Konzept großen Wert auf ein möglichst pragmatisches Vorgehen gelegt, das sich vor allem an der Qua lität orientiert. Deswegen wollen wir bei der im Moment noch vorhandenen knappen Personalausstattung im Bereich der Sonderpädagoginnen und Sonderpädagogen die Gewähr da für schaffen, dass dort, wo Inklusion umgesetzt wird, dies auch in hervorragender Qualität geschieht.
Ganz wichtig ist mir bei dieser Diskussion, noch einmal zu betonen, dass Inklusion – genau so steht es auch in der UNBehindertenrechtskonvention, genau so ist auch der Geist die ser Konvention zu verstehen – eine Aufgabe aller Schularten und grundsätzlich jeder Schule im Land ist. Von dieser ge samtgesellschaftlichen Aufgabe kann es keine Ausnahmen ge ben. Dabei ist klar, dass nicht an jeder Schule im Land von heute auf morgen inklusiver Unterricht möglich sein wird. Aber jede Schule ist aufgefordert, sich auf den Weg zu ma chen. Dies kann nur gelingen, meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn wir die Lehrkräfte an den Schulen sowohl in der Lehrerausbildung als auch in der Fort- und Weiterbil dung sehr gut und möglichst passgenau auf diese neuen Her ausforderungen vorbereiten.
Die Möglichkeit des zieldifferenten Unterrichts ist dabei ein weiterer zentraler Bestandteil des Gesetzentwurfs. Inklusion meint, dass Kinder mit und ohne Behinderung gemeinsam zur Schule gehen, gemeinsam lernen und gemeinsam ihren Schul tag gestalten, auch dann, wenn sie nicht immer den gleichen Schulabschluss anstreben. Ich bin überzeugt davon, dass wir es schaffen, das Miteinander von Kindern mit und ohne Be hinderung in der Schule auf lange Sicht zur Normalität wer den zu lassen.
Die Inklusion ist dabei ganz sicher, wenn wir unsere schuli sche Tradition betrachten, sowohl für unser Schulsystem als auch für alle Beteiligten ein ganz enormer Entwicklungs schritt. Natürlich ist dieser Schritt, ist dieser Prozess, den wir in den nächsten Jahren und Jahrzehnten gehen, auch mit In vestitionen verbunden. Die zahlreichen positiven Rückmel dungen aus der Anhörung zeigen uns: Wir machen hier einen wichtigen und guten Schritt, der in unserer Gesellschaft auf breite Akzeptanz stößt.
Wir sind uns dieser Verantwortung bewusst und stellen auch die notwendigen Mittel und Ressourcen bereit. Für den Aus bau inklusiver Bildungsangebote stehen im kommenden
Schuljahr 200 neu zu schaffende Deputate zur Verfügung. Im Endausbau werden es über 1 350 Deputate sein, die wir in den nächsten Jahren sukzessive an unseren Schulen zusätzlich auf bauen. Für die Privatschulen, mit denen wir in ständigen Ge sprächen sind, sind ebenfalls Mittel hierfür vorgesehen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, an dieser Stelle möchte ich noch einmal deutlich darauf hinweisen: Die Fra ge, ob Inklusion gelingen kann oder nicht, wird von der sehr guten Zusammenarbeit zwischen den Lehrerinnen und Leh rern an unseren Schulen abhängen. Wenn die Lehrerinnen und Lehrer an den allgemeinen Schulen die notwendige Unterstüt zung durch Sonderpädagoginnen und Sonderpädagogen er halten, wenn diese Lehrkräfte sich gemeinsam im Team für ihre jeweiligen Klassen verantwortlich fühlen, dann – das zei gen zahlreiche erfolgreiche Beispiele aus der schulischen Pra xis – wird der Prozess Inklusion im Interesse der Kinder ge lingen, ohne bei den Lehrerinnen und Lehrern an unseren Schulen zur Überforderung zu führen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, eine weitere Geset zesänderung, bei der es um die finanziellen Lasten geht, wird ebenfalls heute eingebracht. Denn für die möglichen zusätz lichen Kosten der kommunalen Schulträger haben wir in er neutem intensiven Ringen und in enger Abstimmung mit den kommunalen Landesverbänden, so meine ich, eine gute Lö sung gefunden. Die vorgesehenen Regelungen im Entwurf zum Finanzausgleichsgesetz fanden dabei in der Anhörung ebenfalls durchgängig Zuspruch.
Die Ausgleichszahlungen erfolgen künftig in den Bereichen der laufenden und investiven Kosten der Schulträger, der Ju gendhilfe, der Eingliederungshilfe sowie der Schülerbeförde rung. So zahlt das Land für das kommende Schuljahr einen Betrag in Höhe von 18 Millionen €. 2016/2017 rechnen wir in einem nächsten Schritt mit 24 Millionen € und in den dar auffolgenden beiden Schuljahren mit jeweils 30 Millionen € an Ausgleichszahlungen.
Wir werden – ich glaube, es ist richtig und wichtig, das zu tun – nach drei Jahren eine Evaluation vornehmen und konkret prüfen, welche tatsächlichen Kostenerhöhungen in den ein zelnen Feldern eingetreten sind. Wir haben uns mit den kom munalen Landesverbänden darauf geeinigt, gegebenenfalls nachzusteuern und eine Regelung für die kommenden Jahre festzulegen. Damit sind wir dem Anspruch der Landesregie rung, was den Umgang mit den kommunalen Landesverbän den angeht, gerecht geworden.
Wir haben bereits im Bereich der Ganztagsschulen, bei der frühkindlichen Bildung und bei der regionalen Schulentwick lung hervorragende Kompromisse gefunden. Auch dies ist wieder ein Beispiel dafür, dass die Landesregierung ein gro ßes Interesse daran hat, gemeinsam mit den Schulträgern die Schullandschaft von morgen zu gestalten.
Lassen Sie mich noch anfügen, meine sehr geehrten Damen und Herren: Auch beim Gesetz über die Förderung von Inves titionen im Bereich der Kindertagesbetreuung sind wir mit den kommunalen Landesverbänden zu einer guten Lösung ge
kommen. Dies zeigen auch hier die Ergebnisse der Anhörung. Mit diesem Gesetz sichern wir das 50-Millionen-€-Inves titionsprogramm ab, das bereits im Staatshaushaltsplan ver ankert ist. Diese Investition wurde nötig, da zwischen zwei Förderprogrammen des Bundes eine Förderlücke entstanden ist. Nur so können die entsprechenden Maßnahmen noch ge fördert werden. Auch hier leisten wir einen Beitrag zur Inklu sion. Nicht benötigte Mittel aus dem Programm können auch für Investitionsmaßnahmen zur Inklusion im Kleinkindbereich eingesetzt werden.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sie mich ab schließend nochmals unseren Bundespräsidenten zitieren:
Inklusion … ist eine enorme Herausforderung, keine Fra ge. Aber Inklusion ist auch keine Utopie. Sie ist eines der anspruchsvollsten Emanzipationsprojekte unserer Zeit. Inklusion folgt einem zutiefst humanen Prinzip, denn al len Menschen – ungeachtet ihrer angeborenen oder er worbenen Unterschiede – soll die bestmögliche Teilhabe und die bestmögliche Entwicklung möglich sein.
Meine Damen und Herren, für die Aussprache zu den beiden Gesetzentwürfen hat das Präsi dium eine Redezeit von zehn Minuten je Fraktion festgelegt.
Liebe Kolleginnen, liebe Kol legen! Die CDU-Fraktion steht zur Ausweitung der inklusi ven Beschulung; das ist ein richtiges und wichtiges Ziel. Von dem gemeinsamen Unterricht können Schülerinnen und Schü ler mit und ohne besonderen Förderbedarf profitieren. Er ist ein wichtiger Baustein für das Zusammenleben in unserer Ge sellschaft, auch über die Schule hinaus.
Deshalb hat die CDU in der Vergangenheit auch die Modell regionen installiert und Freiheiten gegeben, weitere Erfahrun gen zu sammeln, Möglichkeiten zu erproben und gute Wege im Interesse der Kinder zu finden. Denn in der Tat, Herr Mi nister, ist Inklusion ein schwieriger Prozess, der eben nicht von heute auf morgen bewältigt werden kann.
Wir stehen heute nicht am Anfang. Die Landesregierung hat sich allerdings mit der Gesetzgebung Zeit gelassen. Stattdes sen hat Grün-Rot in den vergangenen Jahren große Erwartun gen geschürt und Verheißungen in die Welt gesetzt. Das Er gebnis war – das haben Sie selbst gespürt –: Der Jubel hält sich in Grenzen. Stattdessen hat sich eine große Verunsiche rung bei Eltern, Kindern, Lehrern, Schulträgern sowie Stadt- und Landkreisen breitgemacht. Meine Damen und Herren, ge rade das schadet der Idee der inklusiven Beschulung.
Aber es zeigt sich auch vor der Landtagswahl: Die Landesre gierung hat scheinbar Kreide gegessen und von ideologischen Überfliegereien Abstand genommen. In zentralen Punkten ist endlich Vernunft eingekehrt.
Es gibt zwei gleichberechtigte Wege: Besuch einer allgemei nen Schule oder einer Sonderschule. Die Sonderschulen blei ben erhalten. Das grundständige Sonderschullehramt bleibt erhalten. Das Elternwahlrecht wird gestärkt, aber auf das Machbare begrenzt. Es besteht kein Anspruch auf eine be stimmte Schule oder eine bestimmte Schulart. Schließlich soll die Inklusion grundsätzlich mit Gruppenlösungen umgesetzt werden. Das wollten Sie, wenn Sie ehrlich sind, in weiten Punkten in der Tat erst einmal ganz anders.
(Abg. Claus Schmiedel SPD: Was für eine Märchen stunde! – Abg. Dr. Stefan Fulst-Blei SPD: Was ist das für eine Aussage?)
Meine Damen und Herren, Inklusion ist kein Selbstzweck. Sie muss immer dem Wohl des einzelnen Kindes dienen. Gerade weil es um Kinder und Jugendliche mit besonderem Unter stützungsbedarf geht, muss Inklusion verantwortlich umge setzt werden. Dienen also diese Gesetzentwürfe dem Wohl der Kinder? Meine Damen und Herren, so nicht.
Erstens: Die Qualität der sonderpädagogischen Förderung ist in Gefahr. Baden-Württemberg hat ein anerkannt hohes Ni veau der sonderpädagogischen Förderung. Dieses muss auch in der Inklusion an den allgemeinen Schulen gewährleistet sein, denn nur dann gibt es zwei gleichberechtigte Wege.
Im vorliegenden Gesetzentwurf bleiben Art und Umfang der sonderpädagogischen Förderung an den Regelschulen aber völlig unklar. Es gibt keinen Anspruch eines Kindes auf eine bestimmte festgelegte Förderung. Die Frage stellt sich, ob am Ende eine minimale sonderpädagogische Förderung von we nigen Wochenstunden herauskommt und die Lehrkräfte an den Regelschulen möglicherweise alleine dastehen.
Unklar ist auch, ob überhaupt ein Anspruch auf ein sonderpä dagogisches Bildungsangebot festgestellt wird, wenn die Schulen in Zukunft nur in besonders gelagerten Fällen einen Antrag stellen dürfen. Was passiert, wenn Eltern aus Scheu und Unkenntnis keine Förderung beantragen?
Unklar ist auch, welche pädagogischen Ziele der zieldifferen te Unterricht verfolgt. Kinder mit Behinderungen – alle Kin der mit Behinderung; ich sage es ganz bewusst – brauchen ei genständige Bildungsziele, nicht die reduzierten, irgendwie abgeschwächten Ziele der allgemeinen Bildungsgänge. Ist das für alle Förderbedarfe auch gegeben?
Schließlich: Was passiert bei den Gruppenlösungen? Denn die Zusammensetzung der Inklusionsgruppen richtet sich nicht nach der Art der Behinderung. Doch wie soll eine Förderung für ganz verschiedene Förderbedarfe tatsächlich aussehen? Aus gutem Grund gibt es bisher die verschiedenen Förder schwerpunkte der Sonderschulen.
Alle diese Fragen sind noch offen. Kinder, Eltern und Lehrer wissen nicht, welche Unterstützung sie tatsächlich bekommen.
Zweitens: Die Verteilung der Schüler und damit die Steuerung der Inklusion ist nicht hinreichend geregelt. Eine zieldifferen te Inklusion soll grundsätzlich in Gruppen erreicht werden. Zum einen ignoriert die Landesregierung, dass es eine funk tionierende Gruppenlösung bereits gibt, nämlich die Außen klassen. Faktisch sind die Außenklassen Inklusionsklassen.
Sie sind ein Erfolgsmodell mit stetig steigenden Schülerzah len und, liebe Kolleginnen und Kollegen, mit großer Eltern akzeptanz. Das ist das Wichtige. Die Eltern müssen diesen Weg auch mitgehen.
(Beifall bei der CDU und des Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP – Zuruf der Abg. Bärbl Mielich GRÜNE)