Lehrkräfte an öffentlichen Schulen … dürfen in der Schu le keine politischen, religiösen, weltanschaulichen oder ähnliche äußeren Bekundungen abgeben, …
Weiter schlagen wir vor, das christliche Privileg, das in § 38 Absatz 2 Satz 3 des Schulgesetzes verankert ist, ebenfalls zu streichen. Dort heißt es:
Die Wahrnehmung des Erziehungsauftrags … und die ent sprechende Darstellung christlicher und abendländischer Bildungs- und Kulturwerte oder Traditionen widerspricht nicht dem Verhaltensgebot nach Satz 1.
In Zukunft wird sich also wenig ändern. Ich sage das, denn es gibt Befürchtungen, dass das Urteil weiter gehende Konse quenzen hätte. Es geht lediglich darum, dass in Zukunft das Tragen eines Kopftuchs für Musliminnen erlaubt sein muss, und nur dann, wenn eine konkrete Gefahr besteht oder ein konkreter Anlass gegeben ist, durch den der Schulfrieden ge stört wird, kann gehandelt werden.
Wir halten den von uns eingebrachten Vorschlag für eine gu te Umsetzung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts und hoffen, dass sich CDU und FDP/DVP im weiteren Verfahren diesem Vorschlag anschließen und wir letztendlich zu einer interfraktionell getragenen Lösung kommen.
Sehr geehrter Herr Präsident, lie be Kolleginnen und Kollegen! Ich erinnere mich noch sehr gut, als wir im Jahr 2004 das Kopftuchverbot durch eine Än derung des Schulgesetzes eingeführt haben. Auch damals war ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts Grundlage für die se Entscheidung. Ich erinnere mich an den sehr breiten Dis kurs, den wir im Landtag geführt haben. Mit mehreren Anhö rungen haben wir das Gesetzgebungsverfahren vorbereitet. Am Ende stand ein gemeinsamer Beschluss der Fraktionen der CDU, der FDP/DVP und der SPD. Ein genauso breites, ausführliches Verfahren stellen wir uns auch bei dem jetzigen Gesetzgebungsverfahren vor.
Wir brauchen auch Zeit, um diese komplizierte Materie recht lich und politisch abzuwägen. Wir möchten keinen Schnell schuss vollziehen. Insofern, Frau Kollegin Sitzmann, war die ursprüngliche Eile, die beabsichtigt war, nicht nachvollzieh bar. In einem Schreiben vom 9. Juni haben Sie die Oppositi onsfraktionen darüber informiert, dass die erste Lesung am 17. Juni beabsichtigt ist und dass ein Beschluss bereits am 8. Juli herbeigeführt werden solle. Nach zwei Briefwechseln haben Sie sich schließlich bereit erklärt, dass die zweite Le sung erst nach der parlamentarischen Sommerpause erfolgen soll.
Deswegen ist es wichtig, dass wir eine Anhörung vornehmen. Die Oppositionsfraktionen werden am 17. Juli eine umfassen de Anhörung durchführen, bei der wir die Kirchen ganz be wusst bitten, eine umfängliche Positionsbestimmung vorzu nehmen, zu erklären, wie sie zu dem Gesetzgebungsvorhaben der Regierungsfraktionen stehen und welche Vorschläge sie selbst einbringen.
Wir müssen die Schulpraktiker dazu hören, wir müssen die Eltern dazu hören. Die Schulträger sind auch betroffen. Nicht zuletzt sollen auch Wissenschaftler zu Wort kommen. Wir müssen uns genau die Zeit gönnen, die wir uns bei dem da maligen Gesetzgebungsverfahren gemeinsam genommen ha ben.
Für uns, meine Damen und Herren, sind zwei wesentliche Fra gen von Gewicht. Die erste Frage, die wir untersuchen wol len, lautet: Ist eine ersatzlose Abschaffung des Privilegium Christianum denn überhaupt denkbar? Ist diese denkbar vor dem Hintergrund, dass wir in Baden-Württemberg eine Lan desverfassung haben, in der die Betonung der christlichen Tra dition, der christlichen Werte einen besonderen Stellenwert hat?
Das ist durchaus etwas anderes als die Situation in NordrheinWestfalen. In Nordrhein-Westfalen hat man sich überfraktio nell auf eine ergänzende Formulierung in dem dortigen Schul gesetz verständigt. Der Stellenwert der christlichen Traditio nen in der Verfassung dort ist aber nicht vergleichbar mit dem Stellenwert der christlichen Traditionen in der Verfassung des Landes Baden-Württemberg. Deswegen müssen wir die Fra ge, ob eine ersatzlose Abschaffung des Privilegium Christia num in Baden-Württemberg überhaupt denkbar ist, genau un tersuchen.
Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil einen Vor behalt formuliert – Frau Kollegin Sitzmann, Sie sind eben auch darauf eingegangen –, und zwar: Der Schulfrieden darf nicht gestört werden. Die zweite entscheidende Frage lautet daher: Wer definiert am Ende vor Ort in der Schule, ob der Schulfrieden gestört wird, wenn eine muslimische Lehrerin ein Kopftuch trägt? Wird die Schule mit dieser Entscheidung alleingelassen? Hat die Schulgemeinschaft einen ganz wich tigen Konflikt völlig allein auszutragen? Denn im Grunde hat das Bundesverfassungsgericht diese Aufgabe dem Landesge setzgeber übertragen.
Für uns steht eindeutig fest – das ist zumindest eine Position, die wir auch heute schon einnehmen können –: Es kann nicht sein, dass am Ende die Schulen alleingelassen werden. Hier erwarten wir ganz konkret von der Landesregierung, von Ih nen, Herr Kultusminister, dass Sie uns, dem Parlament, im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens eine klare Antwort darauf geben, wie das letztlich vor Ort handhabbar ist, wenn ein sol cher Konflikt in den Schulen entstehen kann.
Liebe Kolleginnen und Kollegen auch der Regierungsfrakti onen, ich möchte daher ganz klar sagen: Wir gehen ganz be wusst ergebnisoffen in das Gesetzgebungsverfahren. Wir prü fen Ihren Vorschlag ergebnisoffen. Vor dem Hintergrund der Fragen, die wir haben, behalten wir uns aber auch vor, eine eigenständige Initiative in das Gesetzgebungsverfahren ein zubringen, gerade angesichts der besonderen Situation, die wir in Baden-Württemberg vorfinden, und vor dem Hinter grund, dass Sie auf die Anhörung setzen – von der auch wir uns wesentliche Erkenntnisse versprechen.
Wir wünschen uns einen konstruktiven Dialog, so, wie wir das im Jahr 2004 bei dem damaligen Gesetzgebungsverfah ren ebenfalls erfahren durften.
Herr Präsident, liebe Kollegin nen und Kollegen! Ausgangspunkt der gesetzlichen Änderung 2004 war im Jahr 1998 der Antrag der Lehrerin Ludin auf Ein stellung in den Schuldienst in Baden-Württemberg. Dieser wurde abgelehnt, weil sie darauf bestand, in der Schule ein Kopftuch zu tragen. Das war der Ausgangspunkt. Dagegen wurde geklagt.
Wie Sie gesagt haben, hat der zweite Senat des Bundesverfas sungsgerichts 2003 die Haltung der Landesregierung bestä tigt. Daraufhin hat der Landtag das Schulgesetz auf der Grund lage dieses Urteils geändert. Wir waren also bei der Beschluss fassung mit der Verfassung im Einklang, jedenfalls so, wie das Bundesverfassungsgericht damals die Lage interpretiert hat, dass nämlich hinter dem Tragen des Kopftuchs auch ein politisches Bekenntnis stehen könne.
Nun sind seit 1998 17 Jahre vergangen, und die Lage hat sich geändert. Die Symbolik des Kopftuchs wird heute vom Bun desverfassungsgericht anders interpretiert. In der Begründung des Urteils finde ich den Satz sehr bemerkenswert, dass es den Kindern durchaus nicht schade, wenn sie auch in der Schule unterschiedliche Lebensentwürfe erleben.
Das bedeutet, es wird sehr viel stärker die Vielfalt unserer Ge sellschaft betont, die inzwischen auch anders gelebt wird als damals, als die Diskussion, ob durch das Tragen eines Kopf tuchs ein Bekenntnis abgegeben wird, noch sehr fundamental geführt wurde.
Herr Wacker, Sie haben zwei Fragen aufgeworfen. Diese ha ben wir natürlich auch besprochen. Zur ersten Frage hinsicht lich der ersatzlosen Streichung des christlichen Privilegs ist darauf hinzuweisen, dass dies ein direkter Auftrag aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist. Dort wird erklärt, dass dieser Passus verfassungswidrig ist.
Nun fragen Sie, ob man ihn ersatzlos streichen muss. Ich will es einmal so sagen: Wir haben Jahrzehnte ohne diese Veran kerung im Schulgesetz gut gelebt, weil diese Verankerung be reits in der Verfassung gegeben ist. Die Verankerung im Schul gesetz war nur durch das damalige Verbot des Kopftuchs be gründet, um also klar abzugrenzen: Das Kopftuch ist das ei ne, christliche Symbole sind das andere.
Über diese Frage diskutieren wir mit Ihnen selbstverständlich weiterhin. Bisher sind wir aber nicht zu dem Ergebnis gekom men, dass sich das unbedingt aufdrängt, wenn das reine Tra gen des Kopftuchs nicht mehr verboten wird.
Die zweite Frage, die Sie aufgeworfen haben, lautet: Wann ist der Schulfrieden gestört? Aus unserer Sicht ist er dann gestört, wenn es über das Tragen des Kopftuchs hinaus zu einem Wer ben für das Tragen des Kopftuchs kommt, wenn also die von uns erwartete strikte Neutralität der Lehrerinnen und Lehrer verletzt wird, indem man sozusagen das eigene Beispiel als zielführend behandelt
(Abg. Georg Wacker CDU: Was ist Werben? – Abg. Volker Schebesta CDU: Da wird es kritische Diskus sionen geben!)
und damit die Freiheit – das war seinerzeit unser Ansatzpunkt, dass Mädchen sich frei entscheiden können sollen, ob sie ein Kopftuch tragen oder nicht – nicht mehr gegeben ist.
Eigentlich kann niemand anders feststellen – das können nicht wir im Parlament; das kann auch nicht der Minister in seinem Ministerium –, ob die Grenze zwischen dem reinen Tragen des Kopftuchs als private, persönliche Entscheidung, als eine private Abmachung mit Gott überschritten wird und dieses Beispiel dann werbend im Unterricht behandelt wird, als die Schule selbst oder die dafür zuständige Schulaufsicht.
Deshalb sollten wir uns hüten, abstrakt zu versuchen, dies in irgendwelche Begrifflichkeiten zu fassen. Das ist übrigens in anderen Fällen eines möglichen Störens des Schulfriedens auch nicht anders. Es wird nicht in einem Katalog erfasst, wann der Schulfrieden gestört ist. Das muss sich vielmehr konkret weisen.
Wir werden darüber aber in aller Ruhe mit Ihnen diskutieren, natürlich auch mit Kirchen, mit den Schulträgern und den Schulen selbst. Dann werden wir, wie ich hoffe, nach der Sommerpause, voraussichtlich im Oktober, eine gemeinsame Beschlussfassung – das wünschen wir uns natürlich auch – treffen, um die Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts zu erfüllen.
Herr Präsident, liebe Kol leginnen und Kollegen! Am 13. März dieses Jahres wurde das Urteil des Bundesverfassungsgerichts bekannt, dass das nord rhein-westfälische sogenannte Kopftuchverbot nicht verfas sungskonform sei. Das Urteil war insofern überraschend, als das Bundesverfassungsgericht bislang stets die Kopftuchver bote akzeptiert hatte, die es in den einzelnen Bundesländern gab.
Der baden-württembergische Kultusminister kündigte eine Prüfung an, welche weiteren Schritte einzuleiten wären. Ob wohl sich diese Ankündigung nach einer besonnenen und gründlichen Vorgehensweise anhört, drängt sich beim Gesetz entwurf der Regierungsfraktionen doch der Eindruck auf, dass man die Angelegenheit schnell vom Tisch haben will.
Der stete Verweis auf die Vorgabe des Bundesverfassungsge richts erinnert ein wenig an die Bezugnahme auf den großen Bruder, hinter dessen Ansage man sich nun bequem verste cken kann, um sich nur keine eigene Meinung bilden zu müs sen.
Dass die Regierungsfraktionen eine öffentliche Diskussion über das Tragen religiöser Symbole durch Lehrkräfte scheu en, zeigt sich auch daran, dass nicht die Landesregierung den Gesetzentwurf einbringt, sondern die Regierungsfraktionen. Diese nur scheinbare Formalie hat aber eine entscheidende Konsequenz. Für Gesetzentwürfe der Landesregierung ist ei ne Anhörung vorgeschrieben, für Gesetzentwürfe von Frakti onen nicht.
Dazu sollten auch rasch noch die Oppositionsfraktionen an Bord geholt werden. Irgendwie zu verhindern, dass jemand anfängt, sich über das Kopftuchverbot eine Meinung zu bil den, das war Ihre Devise.
So übersandten Grüne und SPD den Fraktionen von CDU und FDP/DVP ihren fertigen Gesetzentwurf, verbunden mit der Bitte, diesen doch mit ihnen eine Woche später in den Land tag einzubringen.