Protokoll der Sitzung vom 15.07.2015

Die Kommunen sind der Ort, wo die Politik ganz konkret wird.

Deshalb setzen wir auf die freiwillige Selbstverpflichtung der Kommunen und wollen wir keine Regelung von oben.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Das Thema Bildung ist das meistgenannte Thema. Wir müs sen heute keine Bildungsdebatte führen,

(Abg. Dr. Timm Kern FDP/DVP: Schade!)

aber natürlich müssen wir Antworten auf Fragen des Nach mittagsunterrichts, der Ganztagsschule, G 8, G 9 und von vie len bildungspolitischen Änderungen finden.

Natürlich hat es mich – weil es meiner Meinung entspricht – gefreut, dass ich auf einer Tafel in der Ausstellung im Haus der Abgeordneten gelesen habe, dass im Bereich der Ganz tagsschule Freiwilligkeit besser wäre als Verbindlichkeit,

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Ja!)

weil Letztere gerade das Ehrenamt im ländlichen Raum in ganz massiver Form belasten wird.

Das Thema „Ländlicher Raum und Ballungszentren“ ist ein großes Thema, das in jeder Diskussion vorkam. Bei den Re gionalkonferenzen wurde auch der Wunsch aufgeschrieben, dass eben überall in Baden-Württemberg die gleichen Chan cen für junge Menschen bestehen sollen – beispielsweise bei den Schulbussen, bei denen es Wartezeiten von knapp einer Stunde und mehr gibt, beispielsweise bei der Ausstattung mit Breitband und WLAN oder auch bei den Themen Nachtbus se, „Grundsätzliche ÖPNV-Versorgung“, Ruftaxis. All das wa ren Themen, die uns die Jugendlichen gestern nochmals ganz intensiv ins Stammbuch geschrieben haben.

(Abg. Andreas Schwarz GRÜNE: Alles das, was wir machen! – Gegenruf des Abg. Thomas Poreski GRÜ NE: Genau!)

Andreas Schwarz, dazu später.

Aber glauben wir nicht, dass sich die jungen Menschen nicht auch für die ganz großen Themen interessieren. Mich hat ei ne Debatte in meinem Wahlkreis über die Zukunft Europas, die Integration und die Akzeptanz von Flüchtlingen und Asyl bewerbern im Land, die Konsequenzen der Energiewende für Baden-Württemberg und Deutschland bewegt.

Sie sehen es, liebe Kolleginnen und Kollegen: Es sind viele spannende Themen. Die Jugend im Land wird so gar nicht ih rem Ruf der Politikverdrossenheit gerecht. Sie sehen aber auch: Es sind für uns alle, die Landespolitik, genug Themen.

In diesem Sinn ist über die bestmöglichen Ergebnisse zu dis kutieren. Dafür wird der Abschlussbericht dieses Jugendland tags sicherlich eine Handlungsempfehlung sein.

Ich möchte mich bei allen, die sich im Jugendlandtag einge bracht haben, ganz herzlich bedanken. Die heutige Debatte zeigt – das wird Sie nicht überraschen –: Jugendpolitik ist kein Feld für parteipolitische Auseinandersetzung. Vielmehr geht es darum, mit jungen Menschen auf Augenhöhe zu sprechen und sie ernst zu nehmen. Ich glaube, das sollte heute auch un ser Hauptinteresse sein.

(Beifall bei der CDU sowie Abgeordneten der Grü nen, der SPD und der FDP/DVP)

Ich bedanke mich ganz ausdrücklich auch bei allen, die an der Organisation dieses Jugendlandtags beteiligt waren, bei den

Mitarbeitern, aber auch bei Vertretern von Verbänden. Ich glaube, ohne ihren Einsatz wären „Was uns bewegt“ und der Jugendlandtag 2015 nur leere Hüllen gewesen. Ja, Sie alle ha ben den Landtag, den Jugendlandtag heute in der Landespo litik mit Themen und Anliegen gefüllt.

Mein Versprechen – stellvertretend für unsere Fraktion – ist, dass wir diese Themen ernst nehmen, dass wir sie aufnehmen und dass wir bereit sind, sie mit Leben zu füllen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der Grünen)

Für die Fraktion GRÜNE erteile ich das Wort dem Kollegen Thomas Poreski.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Jetzt kommt der Berufsjugendliche!)

Herr Präsident, sehr geehr te Damen und Herren, liebe Zuschauerinnen und Zuschauer!

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Zuhörer!)

Vielleicht erinnern sich einige von Ihnen an den gemeinsamen Entschließungsantrag aller Fraktionen, den wir hier gemein sam verabschiedet haben, nachdem Grün-Rot die Absenkung des Wahlalters für die Kommunalwahlen auf 16 Jahre be schlossen hatte – gegen die Stimmen der Opposition.

(Abg. Dr. Timm Kern FDP/DVP: Mancher Opposi tionsabgeordneter!)

In dem Antrag stand – von mir formuliert –:

Demokratie kann am besten gelernt werden, indem sie... praktisch erlebbar wird.

Der Jugendlandtag, der gestern getagt hat, war ein kleiner, aber feiner Teil einer solchen Erfahrung. Er ist für uns eine besondere Gelegenheit, mit jungen Menschen ins Gespräch zu kommen und unmittelbar zu erfahren, mit welcher Ernst haftigkeit und mit welcher Kompetenz sie sich mit ihren un mittelbaren Angelegenheiten, aber auch mit tagespolitischen und mit zeitgeschichtlichen Themen auseinandersetzen. Da für allen, die teilgenommen haben, einen ganz herzlichen Dank. Es hat Spaß gemacht und war auch wirklich gehaltvoll.

(Beifall bei den Grünen und der SPD sowie Abgeord neten der CDU)

Für den Jugendlandtag wie auch für den Kindergipfel, der tur nusgemäß stattfindet, hat der Landtag den Landesjugendring und den Ring politischer Jugend als kompetente Partner. Mei ne Fraktion ist für diese Partnerschaft dankbar, die, wie ich meine, durchaus einen Applaus aus dem ganzen Haus ver dient.

(Beifall bei Abgeordneten aller Fraktionen)

Zuhören und Verstehen sind das eine, aber das muss auch Fol gen haben. Die grün-rote Koalition erweitert deshalb die Be teiligungsrechte von jungen Menschen systematisch: von der Wiedereinführung der Verfassten Studierendenschaft über die Drittelparität in den Schulkonferenzen und das Wahlalter von

16 Jahren bei Kommunalwahlen bis hin zur anstehenden Än derung der Gemeindeordnung mit einer Stärkung der Jugend gemeinderäte, mit Rede- und Antragsrecht in den kommuna len Parlamenten, einem selbstverwalteten Budget und vielen anderen Formen der direkten Beteiligung. Erstmals werden wir auch die Mitbestimmung von Kindern in sie betreffenden Angelegenheiten regeln. Damit können die Erfahrungen von Vorreiterkommunen wie Freiburg landesweit nutzbar werden, und damit setzt Baden-Württemberg auch an dieser Stelle die UN-Konvention über die Rechte von Kindern in Landesrecht um. Dafür wollen wir auch die Kinder- und Jugendrechte in der Landesverfassung verankern.

Einen wichtigen Beitrag zur demokratischen Zivilgesellschaft leisten auch die offene Jugendbildung und die Jugendarbeit. Sie haben in Baden-Württemberg zu Recht Verfassungsrang und sind zusätzlich in § 11 des Kinder- und Jugendhilfegeset zes verankert, und das zu Recht. Denn jeder hier investierte Euro rentiert sich an anderer Stelle mehrfach durch einen Ge winn an Schlüsselkompetenzen und – auch das gehört erwähnt – in der Folge weniger Bedarf an Therapien und auch an Straf verfolgung.

Offene Jugendarbeit und Jugendbildung haben einen general präventiven Charakter. Ihre Bedeutung ist zeitlos. Sie vermit teln Schlüsselqualifikationen auch für Kinder aus bildungs fernen Familien. Sie gestalten Ferien und Freizeit mit päda gogisch wertvollen Angeboten. Viele von uns haben dies er lebt und in ihrer Jugend erfahren – manche wie ich im Rah men der kirchlichen Jugendarbeit, bei den Pfadfindern oder der Jungschar, andere etwa im Sport. Viele, die heute Land tagsabgeordnete sind, haben die dafür grundlegenden Kom petenzen der offenen Jugendarbeit und Jugendbildung zu ver danken.

Diese Erfahrung verdienen alle Kinder und Jugendlichen. Deshalb ist es von entscheidender Bedeutung, dass wir uns gemeinsam den neuen Herausforderungen einer sich wandeln den Gesellschaft stellen. Dazu gehören der demografische Umbruch, die sich verändernde Bildungslandschaft, die neu en Medien und ein verändertes Freizeitverhalten, die dazu füh ren, dass Kinder und Jugendliche heute schwerer zu erreichen sind, weil sie sich weniger im öffentlichen Raum aufhalten.

Neue Erfahrungen mit Migration, Asyl und gesellschaftlicher Vielfalt, aber auch die Isolation eines Teils der jungen Men schen inmitten einer scheinbar grenzenlos offenen Umgebung – darüber und über die damit zusammenhängenden Probleme wurde im Landtag nach dem Amoklauf von Winnenden viel und ernsthaft nachgedacht. Eine Konsequenz daraus ist der „Zukunftsplan Jugend“ mit einem Haushaltsvolumen von zu sätzlich jährlich 3 Millionen €. Er steht für einen dialogischen Beratungsprozess unter Beteiligung vieler Verbände und Dachorganisationen. Namentlich sind dies die Baden-Würt tembergische Sportjugend, die Landesarbeitsgemeinschaft Of fene Jugendbildung Baden-Württemberg, der Landesjugend ring, die Landesvereinigung Kulturelle Jugendbildung BadenWürttemberg und die Arbeitsgemeinschaft der Jugendverbän de in Baden-Württemberg.

Sie alle sind sich einig: Es geht nicht einfach um ein „Weiter so!“, sondern wir brauchen neue Kooperationen zwischen Schule und Jugendarbeit, aber ohne falsche Vermischung. Da für hat diese Landesregierung – beispielsweise im Kontext der

Ganztagsschulen – die notwendigen Rahmenbedingungen ge schaffen.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Auch heute noch – so viel zum Thema Bildung – lernen Kin der und Jugendliche außerhalb der Schule in der Summe deut lich mehr als innerhalb. Die Stärkung der außerschulischen Erfahrungen ist für uns deshalb auch ein Beitrag zur Bildungs gerechtigkeit. Denn die dort erworbenen Fähigkeiten und das darin gewonnene Selbstvertrauen wirken sich selbstverständ lich auch auf den weiteren Bildungs- und Berufsweg aus. Die se Bedeutung besteht nicht zuletzt im Hinblick auf neue Mi lieus und die notwendige interkulturelle Öffnung der Ange bote. Dafür fördern wir Projekte und Strukturen im Sinne ei ner demokratischen Kultur, die auf Freiwilligkeit, Partizipa tion und Selbstorganisation basiert.

Jugendliche brauchen professionelle Strukturen, um an ehren amtliches Engagement herangeführt zu werden. Diese Quel le darf aber nicht ausgebeutet, sondern muss immer wieder neu erschlossen und gepflegt werden.

Wir haben es uns im Koalitionsvertrag zur Aufgabe gemacht, verbindliche und verlässliche Förderstrukturen zu schaffen, und wir haben Wort gehalten. Wir fördern nicht nur wegwei sende Projekte, sondern auch die sie tragenden Strukturen – beispielsweise mit 22 zusätzlichen Bildungsreferentenstellen im Land. Dabei geht es ebenso um die Angebote im ländli chen wie im urbanen Raum.

Demokratie – das habe ich eingangs gesagt – entwickelt sich vor allem dadurch, dass sie erlebt und erlebbar gemacht wird. Deshalb wollen wir die Potenziale der außerschulischen Kin der- und Jugendbildung als Demokratiewerkstatt nutzen, eben so die Bildungspotenziale – von der Alltagskompetenz bis zur Gesundheitsbildung. Dies ist heute, wie wir täglich in unse ren Wahlkreisen erfahren, notwendiger denn je. Deshalb will Grün-Rot mit dem „Zukunftsplan Jugend“ den damit begon nenen Beratungsprozess mit den Jugendverbänden über eine die gesellschaftlichen Herausforderungen aufnehmende Ar beit fortsetzen und dabei auch für eine nachhaltig angemesse ne Finanzierung ihrer wertvollen Arbeit sorgen.

Ebenso wichtig ist uns die Jugendsozialarbeit. Sowohl vor beugend als auch in schwierigen Lebenslagen ist sie ein wich tiger und für viele Jugendliche unverzichtbarer Teil ihres ge lingenden Aufwachsens. Sie ergänzt die elterliche Sozialisa tion und hat stützende Funktion, wo traditionelle Milieus und Nachbarschaften dies nicht mehr leisten können. Ihre Anbin dung erfolgt immer mehr über die von Grün-Rot massiv auf gebaute Schulsozialarbeit, ist aber unabhängig vom Schulkon text. Sie unterstützt mit Einzelfallhilfe, Gruppen- und Gemein wesenarbeit sowohl die Jugendlichen als auch die Gesellschaft als Ganzes.

Jugendbeteiligung, demokratisches, zivilgesellschaftliches Engagement entstehen nicht von allein. Sie müssen landespo litisch ermöglicht und von einem breiten Bündnis schulischer und außerschulischer Akteure getragen und umgesetzt wer den.

Die Übernahme von Verantwortung, selbst- und mitbestimm te Formen der Beteiligung sowie das Erfahren von Selbstwirk

samkeit sind zentrale Voraussetzungen einer demokratischen und selbstbewussten Bürger- und Bürgerinnengesellschaft. Sie helfen Kindern und Jugendlichen dabei, soziale und kulturel le Vielfalt als Bereicherung zu erfahren, mitzugestalten