Protokoll der Sitzung vom 30.09.2015

(Beifall bei der FDP/DVP und der CDU)

Kollege Lehmann.

Werter Kollege Kern, Sie sind ja auch Pädagoge. Wie kommen Sie zu der Aussage, dass offene Lernformen in der Schule zum Schaden der Schüler sind? Das hat mich sehr verwundert. Ich bin auch Lehrer. Da Sie noch jünger sind als ich, hätten Sie in Ihrer Lehrerausbil dung eigentlich etwas anderes lernen müssen.

Werter Kollege Lehmann, so habe ich es nicht gesagt.

(Abg. Siegfried Lehmann GRÜNE: Doch!)

Ich kann es Ihnen gern noch einmal zeigen. Sie hören im mer nur das, was Sie hören wollen. Das ist in der Vergangen heit schon öfter so gewesen.

Noch einmal: Sie müssen sich als Pädagoge insbesondere um die schwächeren Schülerinnen und Schüler kümmern. Diese brauchen eine engere Begleitung. Das müssten Sie eigentlich auch sehr gut wissen.

Ich habe grundsätzlich nichts gegen offene Lernformen ge sagt. Der Mix unterschiedlicher Formen macht es.

(Beifall der Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU)

Als ich noch Lehrer war, habe ich selbst Referendarinnen und Referendare in Lehrproben geprüft. Wenn mir da auch nur ei ne einzige Referendarin oder ein einziger Referendar aus schließlich Frontalunterricht gezeigt hätte, hätte ich im an schließenden Prüfungsgespräch selbstverständlich gesagt, dass das nicht das ist, was ich sehen möchte. Die Mischung macht es. Sie lassen die Mischung aber nicht zu.

Vielen Dank, Herr Kollege.

(Beifall bei der FDP/DVP und der CDU)

Für die Landesregierung erteile ich Herrn Kultusminister Stoch das Wort.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Zu Beginn meiner Ausführungen möchte ich für die Landesregierung und sicherlich auch für die Regierungsfraktionen eines vorweg schicken: Im Mittelpunkt der Bildungspolitik der Landesre gierung steht, dass die Kinder und Jugendlichen in BadenWürttemberg gemäß dem Anspruch, den unsere Landesver fassung formuliert, in ihre Zukunft geführt werden.

In unserer Landesverfassung steht sehr deutlich: Jedes Kind soll unabhängig von seiner Herkunft oder seiner wirtschaftli chen Lage die Möglichkeit haben, bestmöglich seinen Bega bungen und seinem Leistungsvermögen gemäß gebildet zu werden.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: „Das geht nur mit der Gemeinschaftsschule“!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, deswegen müssen wir, wenn wir verantwortlich handeln wollen, immer wieder aufs Neue die Frage beantworten, wie wir dies auf der Grund lage der vorhandenen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen erreichen können.

Wie war denn die Situation, als wir die Regierungsverantwor tung in diesem Land übernommen haben? Im Bereich der wei terführenden Schulen – das werden Sie nicht ernsthaft bestrei ten können – war die Entwicklung der Haupt- und Werkreal schulen, insbesondere im ländlichen Raum, von einer Erosi on des Schulsystems gekennzeichnet, von einer Erosion, auf die Sie – mit Verlaub – keine Antwort hatten.

(Zuruf des Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU)

Deswegen bringt es überhaupt nichts, die Augen davor zu ver schließen, dass auch in Ihren Reihen – ich zitiere beispiels weise die frühere Kultusministerin, Frau Schavan – schon seit Jahren klar war und klar ist, dass Veränderungen notwendig sind.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, diese Veränderun gen sind nicht allein aus demografischen Gründen notwendig, sondern diese Veränderungen sind auch deswegen notwendig, weil Baden-Württemberg – darauf können wir nicht stolz sein – eines der Länder ist, die dem in der Landesverfassung for mulierten Anspruch offensichtlich nicht gerecht werden. Wenn in Baden-Württemberg die Frage der Herkunft eines Kindes ganz entscheidend den Bildungserfolg bestimmt, dann leitet sich für uns daraus ganz klar ein Auftrag für Veränderungen ab.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Nicht allein diese beiden Punkte zwingen uns, nach neuen Antworten zu suchen, sondern auch die Tatsache, dass wir, wenn wir unsere gewohnte und durchaus gute Qualität in den Blick nehmen, feststellen, dass wir in den vergangenen zehn bis 15 Jahren sowohl in nationalen als auch in internationalen Leistungsvergleichen an Boden verloren haben.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, deswegen kann es mich auch nicht zufriedenstellen, wenn Baden-Württemberg beim IQB-Ländervergleich 2013, bei dem die Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler der neunten Klassen in Mathema tik und Naturwissenschaften beleuchtet wurden – das können

keine Gemeinschaftsschüler gewesen sein –, ins Mittelfeld ab rutscht – vor dem Hintergrund, dass Baden-Württemberg ein Land ist, das von der Innovationsfähigkeit und vor allem auch von den mathematisch-technischen Kenntnissen seiner Men schen lebt. Dies ist auch ein Auftrag an uns, zu fragen, wie wir auf diese Veränderungen qualitativ richtig reagieren kön nen.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen)

Diese Vorbemerkungen möchte ich deswegen machen, damit Ihnen klar ist, warum kein Weg daran vorbeiführt, dieses Schulsystem im Bereich der weiterführenden Schulen in Rich tung des von der Landesregierung favorisierten Zweisäulen systems zu überführen, und auch kein Weg daran vorbeiführt, an unseren Schulen verstärkt integrativ zu arbeiten. Es reicht nicht aus, nur zu sagen, dass das nicht funktionieren könne. Im internationalen Kontext gibt es genügend Beispiele, an hand derer Sie feststellen können, dass integrative Schulsys teme mit hoher Qualität betrieben werden können.

(Abg. Volker Schebesta CDU: Wer hat gesagt, dass es nicht funktionieren kann?)

Hören Sie zu, lieber Herr Kollege Schebesta. – Die Frage, ob integrativ oder differenziert gearbeitet wird, ist nicht allein Indikator für Qualität.

(Abg. Volker Schebesta CDU: Genau!)

Genau das ist der Hintergrund einer wissenschaftlichen Be gleitforschung. Jetzt geht es darum, aus den Rahmenbedin gungen in Richtung eines integrativeren Schulsystems die richtigen Lösungen zu finden. Das ist Aufgabe der wissen schaftlichen Begleitforschung, und das ist Verantwortung von Politik, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Zuruf des Abg. Volker Schebesta CDU)

Deswegen ist es auch nicht korrekt von Ihnen, wenn jetzt im Hinblick auf einen Zeitungsartikel der Eindruck erweckt wird, dass bereits ein Urteil über eine bestimmte Schulart möglich sei.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Sie haben doch ge sagt, dass es erfolgreich sei! Das ist der Beweis!)

Ich möchte eines ganz deutlich sagen – das tauchte auch in der Rede von Herrn Kollegen Kern auf –: Es ist und bleibt ein zentrales Anliegen der Landesregierung, die Qualität des Un terrichts in allen Schulen unseres Landes kontinuierlich zu verbessern. Dazu werden natürlich über alle Schularten hin weg laufend Erkenntnisse gesammelt und auch Erhebungen durchgeführt.

Ich möchte Ihnen gern erläutern, wie wir die Qualität der Ge meinschaftsschulen wie auch der anderen Schularten sichern und wie wir sie weiterentwickeln.

Qualitätssicherung findet nämlich vor allem und erstens be ständig vor Ort statt. Lehrerinnen und Lehrer haben in den un terschiedlichen Schularten und -formen Verbesserungen der pädagogischen Praxis und Konzeption im Blick. Es werden Fortbildungen angeboten, es werden Fachberater mit einbe zogen, und natürlich ist die Schulverwaltung bei allen Schul

arten ständig Ansprechpartner, um bei auftretenden Proble men – so auch hier in diesem Fall in Tübingen – Hilfe zu ge währen. Genau dies ist auch in diesem Fall passiert, meine sehr geehrten Damen und Herren.

Die Fremdevaluation, die an allen Schularten durchgeführt wird, bringt dabei wichtige Erkenntnisse, die die Schulen selbst für ihre Qualitätsentwicklung einsetzen. All dies findet an allen Schularten im Land Baden-Württemberg kontinuier lich statt.

Zweitens beteiligt sich das Kultusministerium selbst natürlich auch an der Qualitätssicherung, beispielsweise indem eine Ar beitsgruppe seit dem Jahr 2013 speziell mit dem neuen Pro jekt Gemeinschaftsschule Qualitätssicherung in den Blick nimmt und dort die entsprechenden Schlüsse zieht, um dann über die entsprechenden Kommunikationswege Schulverwal tung und Fortbildungen entsprechend verändernd in die Ge meinschaftsschulen einzuwirken.

Als drittes Element der Qualitätssicherung setzen wir auf die wissenschaftliche Begleitforschung. Wir binden ausgewiese ne Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nach einem ent sprechenden Ausschreibungsverfahren mit ein, die sich zum Teil schon seit vielen Jahren mit Fragen der Unterrichtsgestal tung und der Entwicklung von Bildungssystemen beschäfti gen.

Wenn man Schulentwicklung auf einer gesicherten wissen schaftlichen Basis – nicht plakativ und phrasenhaft – betrei ben möchte, braucht man auch einen längeren Atem, damit auch valide gesicherte Erkenntnisse Grundlage solcher Ver änderungsprozesse sein können.

Dies, meine sehr geehrten Damen und Herren, war mir wich tig, damit Sie erkennen, dass ein Gutachten, das isoliert für eine bestimmte Schule und dort für zwei Klassen erstellt wird, mitnichten ein Qualitätssicherungsinstrument ist, das für sich allein steht, sondern dass wir Qualitätssicherung in hohem Maß betreiben.

Aber – das sage ich auch ganz deutlich – eine neue Schulart einzuführen oder zu etablieren geht nicht auf Knopfdruck. Es ist ein dynamischer Prozess, den wir natürlich eng begleiten müssen, bei dem wir uns auch beraten lassen müssen und bei dem wir gegebenenfalls auch nachsteuern und nachjustieren müssen.

(Abg. Volker Schebesta CDU: Dann fangen Sie mal an!)

Deswegen, meine sehr geehrten Damen und Herren, haben wir auch eine wissenschaftliche Begleitforschung eingerich tet, die ein wichtiges Element dieser umfassenden Qualitäts sicherung und Qualitätsentwicklung ist. Diese wissenschaft liche Begleitforschung – das ist Ihnen alles bekannt – ist auf drei Jahre angelegt, ist in vier Teilprojekte unterteilt, läuft seit August 2013 und wird Mitte 2016 mit dem Abschlussgutach ten enden.

(Abg. Volker Schebesta CDU: Oh! Mitte 2016!)

An dem Projekt sind Forscherinnen und Forscher von acht Hochschulen beteiligt. Sie untersuchen über 40 Gemeinschafts schulen, sprechen mit Hunderten von Schülern und Lehrern und werten Tausende von Fragebögen, Gesprächen und Be

obachtungen aus. Die Erkenntnisse aus diesem Großprojekt sollen nach einer systematischen Auswertung insbesondere natürlich für weitere Verbesserungen auch in den Gemein schaftsschulen genutzt werden.

Aber das, worüber im Moment diskutiert wird, meine sehr ge ehrten Damen und Herren, das erzeugt ein schiefes Bild und ist auch, was die Frage der Tätigkeit der Lehrkräfte in den Ge meinschaftsschulen insgesamt, aber auch an dieser Schule in Tübingen angeht, nicht angemessen: Im Moment wird, aus gelöst durch einen Bericht in der FAZ, der Eindruck erweckt, als ob es ein Gutachten über d i e Gemeinschaftsschulen gäbe.

(Zurufe der Abg. Peter Hauk und Volker Schebesta CDU)