Protokoll der Sitzung vom 12.10.2011

Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die 14. Sitzung des 15. Landtags von Baden-Württemberg.

Gestatten Sie mir, vor Eintritt in die Tagesordnung eine per sönliche Erklärung abzugeben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich gebe heute das Amt des Landtagspräsidenten zurück. Ich erkläre meinen Rücktritt.

Wie Sie alle wissen, bin ich in der Schlussphase der Verhand lungen über den Rückerwerb der EnBW-Aktien am 5. Dezem ber vergangenen Jahres in die Angelegenheit mit einbezogen worden. Der damalige Ministerpräsident Mappus trug mir, nachdem ich kurzfristig ins Staatsministerium gerufen wor den war, in der Nacht vom 5. auf den 6. Dezember den Stand seiner Verhandlungen mit der EdF vor. Er versicherte glaub würdig, dass die Franzosen sein Bemühen um einen Parla mentsvorbehalt absolut abgelehnt hätten. Ebenfalls hat er da rüber informiert, dass es auch die BaFin bei einer mündlichen Anfrage abgelehnt habe, das im Weiteren notwendige freiwil lige Übernahmeangebot unter einen Parlamentsvorbehalt zu stellen.

Es sei im Interesse des Landes jetzt geboten – so der damali ge Ministerpräsident –, sofort zu handeln. Die Parlamentszu stimmung könne wegen der Weigerung der Franzosen erst an schließend herbeigeführt werden. Nur so könne verhindert werden, dass die EnBW und damit die Energieversorgung im Land in fremde Hände gerieten.

Den Rückerwerb hielt ich, wie im Übrigen auch viele andere, im Grundsatz für richtig und sachlich geboten. Er eröffnete Chancen für unsere Energie- und Standortpolitik im Land Ba den-Württemberg.

Zur Frage des Notbewilligungsrechts nach Artikel 81 unserer Landesverfassung ergab die mündlich vorgetragene gutach terliche Stellungnahme des Vertreters des renommierten Rechtsanwaltsbüros Gleiss Lutz, dass die Voraussetzungen von Artikel 81 der Landesverfassung tatbestandlich greifen und so die Zustimmung des Finanzministers für die notwen digen Ausgaben und Garantien ohne Zweifel erteilt werden kann.

Am anderen Morgen, am 6. Dezember, fanden gleichzeitig die Sitzung des Verwaltungsrats der EdF in Paris und die Kabi nettssitzung in Stuttgart statt. Der Vertreter des Rechtsanwalts büros Gleiss Lutz war in der Kabinettssitzung anwesend und bestätigte nochmals die Anwendbarkeit von Artikel 81 der Landesverfassung.

Es kam zu der Kabinettsentscheidung, die EnBW-Anteile zu rückzukaufen. Mit der Entscheidung des Kabinetts wurde die Zustimmung des Finanzministers nach Artikel 81 der Landes verfassung wirksam.

Es war eine Genugtuung, zu sehen, wie alle Fraktionen des Landtags diese schwierige Entscheidung als Chance für den Standort Baden-Württemberg zunächst begrüßten. Es war in der Tat ringsum das gute Gefühl, mit einem entschlos senen Handeln dem Land Baden-Württemberg gedient zu haben.

Der Rücktritt vom Amt des Landtagspräsidenten fällt mir sehr schwer. Angesichts der klaren Entscheidung des Staatsge richtshofs sehe ich darin aber einen notwendigen Schritt, um die Autorität und die Würde des Amtes zu wahren und dem Landtag zu helfen, seine Arbeit als höchste Repräsentanz des baden-württembergischen Volkes sachlich und im Interesse der Menschen im Land fortzusetzen.

Seien Sie noch einmal versichert: Zu keiner Sekunde wollte ich Verfassungsrecht brechen oder Parlamentsrechte missach ten.

Mein Rücktritt erfolgt deshalb allein aus Respekt vor der Un angreifbarkeit des Amtes des Landtagspräsidenten und der Entscheidung des Staatsgerichtshofs.

Im Mittelpunkt meines politischen Wirkens stand immer das Wohl unseres schönen Landes Baden-Württemberg, seiner fleißigen Bürgerinnen und Bürger, aller Einwohner dieser lie benswürdigen Heimat.

Ich danke allen, die mir weiterhin menschlich verbunden blei ben.

Danke schön.

(Die Abgeordneten der CDU und der FDP/DVP spen den stehend anhaltenden Beifall. – Beifall bei den Grünen und der SPD)

Ich darf nun die erste Vizepräsidentin, Frau Lösch, bitten, den weiteren Gang der Handlung zu bestimmen und die Behand lung der Tagesordnung einzuleiten.

(Ministerpräsident Winfried Kretschmann sowie Abg. Peter Hauk CDU und Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP schütteln Abg. Willi Stächele CDU die Hand.)

Sehr geehrter Herr Kol lege Stächele, wir nehmen Ihren Schritt mit großem Respekt zur Kenntnis. Sie bekennen sich dadurch – auf für Sie persön lich schmerzhafte Weise – zum Primat unserer Landesverfas sung und stärken durch Ihre Entscheidung nachhaltig die Stel lung des Landtags als erster Staatsgewalt.

Lieber Kollege Stächele, niemand bestreitet, dass Sie das Amt des Landtagspräsidenten in den vergangenen fünf Monaten mit höchster Intensität wahrgenommen haben. Man hat ge spürt, dass Sie es gern gemacht haben. Tatkräftig und zielbe wusst stellten Sie sich der Aufgabe, die anstehende Entwick lung des Landtags im interfraktionellen Konsens nachhaltig zu gestalten, insbesondere uns Abgeordneten effiziente Ar beitsmöglichkeiten zu verschaffen.

Mit Ihrer großen administrativen und politischen Erfahrung durchleuchteten Sie gekonnt den gesamten Parlamentsbetrieb. Genauso engagiert suchten Sie nach Möglichkeiten, unsere Außendarstellung zu verbessern. Etliches konnten Sie in den vergangenen Monaten verändern oder entscheidend vorantrei ben. Viele Ansätze wird Ihr Nachfolger oder Ihre Nachfolge rin gewiss gern weiterführen. Mit Sicherheit bleiben wird das Programm „Schulbesuch vom Landtag“, das schon in kurzer Zeit auf große Nachfrage gestoßen ist.

Sehr geehrter Herr Kollege Stächele, ich hoffe, dass Sie es ge nauso sehen, wie wir es sehen: Die vergangenen fünf Mona te waren keine verlorene Zeit – weder für den Landtag noch für Sie selbst. Im Namen meines Kollegen Wolfgang Drexler und im Namen des gesamten Parlaments möchte ich mich herzlich bedanken für 154 Tage Volldampf, Engagement und den frischen Wind, den Sie in den Landtag gebracht haben. Herzlichen Dank dafür.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Meine Damen und Herren, bevor wir in die Tagesordnung ein treten, gebe ich noch Folgendes bekannt:

Krankgemeldet ist Frau Abg. Haller-Haid.

Dienstlich verhindert ist Herr Abg. Hofelich.

Aus dienstlichen Gründen entschuldigt hat sich bis 14:00 Uhr Frau Ministerin Altpeter.

Im E i n g a n g befindet sich die Mitteilung des Rech nungshofs vom 16. September 2011 – Prüfung der Wirt schaftsführung der DEGETO FILM GmbH für die Geschäfts jahre 2006 bis 2008 durch den Hessischen Rechnungshof. Sie ist Ihnen als Drucksache 15/561 zugegangen.

Ich schlage vor, die Mitteilung des Rechnungshofs, Drucksa che 15/561, an den Ständigen Ausschuss zu überweisen. – Es erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.

Wir treten in die Tagesordnung ein.

Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:

Aktuelle Debatte – Konsequenzen aus dem Urteil des Staatsgerichtshofs zum Verfassungsbruch beim EnBWRückkauf durch die frühere Landesregierung – beantragt von der Fraktion der SPD und der Fraktion GRÜNE

Meine Damen und Herren, das Präsidium hat für die Aktuel le Debatte eine Gesamtdauer von 40 Minuten festgelegt. Da

rauf wird die Redezeit der Regierung nicht angerechnet. Für die einleitenden Erklärungen der Fraktionen und für die Red ner in der zweiten Runde gilt jeweils eine Redezeit von fünf Minuten. Ich darf die Mitglieder der Landesregierung bitten, sich ebenfalls an den vorgegebenen Redezeitrahmen zu hal ten.

Schließlich darf ich noch auf § 60 Abs. 4 der Geschäftsord nung verweisen, wonach im Rahmen der Aktuellen Debatte die Aussprache in freier Rede zu führen ist.

(Zuruf des Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU)

Das Wort erhält Herr Abg. Schmiedel.

Frau Präsidentin, liebe Kolle ginnen, liebe Kollegen! Ich darf für die SPD-Fraktion zu nächst sagen, dass wir den Rücktritt des Parlamentspräsiden ten, seine honorige Entscheidung, die ihm, dem Kollegen Stä chele, nicht leichtgefallen ist, wenngleich sie unausweichlich war, mit Respekt entgegennehmen. Es hat in den vergange nen Tagen Diskussionen gegeben – im Parlament, außerhalb des Parlaments –, ob eine solche Konsequenz zu ziehen sei. Dabei hat das Argument eine Rolle gespielt, dass der frühere Ministerpräsident Mappus den Finanzminister quasi unter Druck gesetzt habe und ihm in dieser Situation zu nächtlicher Stunde gar nichts anderes übrig geblieben sei, als in den EnBW-Deal einzuwilligen.

Wir haben immer darauf hingewiesen, dass der Finanzminis ter bei den Notbewilligungen ein eigenständiges Recht hat. Dieses eigenständige Recht besteht eindeutig nach den Kom mentierungen unserer Landesverfassung. Bei Feuchte bei spielsweise heißt es:

Der Finanzminister entscheidet, ob und unter welchen Voraussetzungen eine beantragte Haushaltsüberschrei tung bewilligt wird.

Er nennt das eine verfassungsunmittelbare eigenständige Kompetenz. Dass der damalige Ministerpräsident diese ver fassungsunmittelbare eigenständige Kompetenz auf ein Mi nimum an Beteiligung reduziert hat, auf eine Information in letzter Sekunde zu nächtlicher Stunde mit einem Entschei dungshorizont von wenigen Stunden bis zum nächsten Vor mittag, das sagt eigentlich weniger über Herrn Stächele als vielmehr über den Regierungsstil der vorherigen Landesre gierung etwas aus, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Deshalb, Herr Kollege Hauk, möchte ich Sie auffordern, Ihre Ein lassungen, Ihre Bewertung des Vorgangs „Kauf der EnBW-Ak tien im Wert von knapp 5 Milliarden € am Parlament vorbei“ zu überdenken, diesen Vorgang neu zu bewerten, sich die Rechts auffassung des Staatsgerichtshofs zu eigen zu machen und für Ihre Fraktion und zu Ihrer Position zu erklären, dass Sie die sen Vorgang jetzt auch als einen Verfassungsverstoß ansehen. Denn wenn Sie nicht endlich eine neue Bewertung vorneh men, haftet der Mangel an Verfassungstreue an Ihnen und an Ihrer Fraktion.

(Beifall bei der SPD und den Grünen – Unruhe bei der CDU – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Schau en Sie lieber, dass es in Ihrer Fraktion verfassungs gemäß zugeht! Jetzt wird es aber lustig! – Zuruf des Abg. Peter Hauk CDU)

In der Diskussion wurde auch darauf hingewiesen, dass der Rückkauf der EnBW-Aktien durch das Land im Grundsatz be grüßt wurde – auch von uns.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Da gibt es klare Zi tate! „Im Interesse des Landes“, so war die Reaktion!)

Das ist doch völlig klar, Herr Kollege.

(Abg. Karl Zimmermann CDU: Dann hätten Sie al so auch unterschrieben als Finanzminister!)

Eins und eins ist zwei. Wenn wir es als eklatanten Fehler ver urteilt haben, dass die Aktien nach Frankreich an die EdF ver kauft wurden – übrigens hat das auch Ihr früherer Fraktions vorsitzender, Herr Oettinger, so gesehen; er konnte es nur nicht verhindern –, dann ist es doch völlig klar, dass wir jetzt das Rückgängigmachen dieses Fehlers nicht verurteilen kön nen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Abg. Dr. Hans- Ulrich Rülke FDP/DVP: Warum wollen Sie dann Schadensersatz?)