Protokoll der Sitzung vom 12.10.2011

Sie schreiben, Sie als direkt gewählter Abgeordneter sähen sich gerade in der Opposition in der Pflicht usw. Lieber Kol lege, in der Pflicht müssen Sie sich sehen, wenn Sie nach Ber lin schauen. Dort sind Sie – ist die CDU – nicht in der Oppo sition, dort sind Sie in der Regierung.

(Abg. Siegfried Lehmann GRÜNE: Genau!)

Fluglärm ist eine Bundesangelegenheit. Deswegen komme ich auf die Rolle von Frau Merkel zu sprechen. Frau Merkel hat den Schweizern angeboten, Gespräche zu führen. Frau Mer kel hat vereinbart, Lärmmessungen durchzuführen. Aber die Bürgerinitiative und wir – in der Stuttgarter Erklärung – ha ben gesagt, wir gehen von den Anflugzahlen aus und nicht von Lärmmessungen. Die Schweizer waren für den Vorschlag von Frau Merkel dankbar. Das Ergebnis der Schweiz lautet näm

lich, dass es keine rechtlich erheblichen Lärmwerte bei uns gebe. Uns interessieren nicht die rechtlichen Lärmwerte, son dern uns interessiert die Lärmbelästigung von Flug zu Flug. Deswegen sagt die Bürgerinitiative: „80 000 Flüge und Schluss.“ Und dann redet Frau Merkel von Lärmwerten!

Sie haben es Gott sei Dank erwähnt: Basel geht überhaupt nicht von Lärmwerten aus. Die Stadt Basel hat einen Anteil am Flughafen Basel-Mulhouse. Die erste Bedingung, die sie dort aufgestellt haben, war: Kein Flug über Basel. Das gilt auch für Zürich. Die zweite Bedingung war, dass über einen Teil von Basel, über Südbasel, höchstens 10 % der Flüge ge hen dürfen. Das Mindeste, was wir erwarten, sind die Bedin gungen, die innerschweizerisch an die eigenen Flughäfen ge stellt werden. Nicht mehr verlangen wir von Zürich.

(Abg. Felix Schreiner CDU: Genau meine Rede!)

Die Zahlen in Zürich sind ja eindeutig. Dort gibt es derzeit 270 000 Flugbewegungen pro Jahr. Die Kapazitätsgrenze liegt bei 350 000 Flugbewegungen pro Jahr. Damit wäre eine Aus weitung um 30 % möglich. Selbst der Bundesrat der Schweiz spricht davon, dass 430 000 bis 450 000 Flugbewegungen pro Jahr möglich seien. All diese Aussagen erfolgen deswegen, weil die Schweizer die Flugzahlen nach oben offen lassen mit der Begründung, die Zukunft des Flughafens wäre gefährdet. Weder ist die Zukunft des Flughafens gefährdet, noch lassen wir die Zahlen nach oben offen.

(Zuruf des Abg. Felix Schreiner CDU)

Im Übrigen ist Ihr früherer Fraktionsvorsitzender Mappus ein mal bei uns mit der Aussage aufgetaucht: „Wir fordern von der Schweiz nicht nur eine Begrenzung auf 80 000 Anflüge, sondern auf 60 000 Anflüge.“ Da ist mittlerweile die ganze CDU still, da war die von der CDU geführte Landesregierung ganz still; das ist nicht übernommen worden.

Also: Sprüche reichen nicht. Es genügt vielmehr das, was die se Landesregierung zugesagt hat, im Koalitionsvertrag fest gelegt hat und mit der Bundesregierung aushandelt oder von ihr verlangt: die Umsetzung der Begrenzung der Flugzahlen, die Umsetzung im Bereich der Tagesrandzeiten.

Insofern können Sie den Baumstamm wieder einpacken und mit nach Hause nehmen.

(Abg. Felix Schreiner CDU: Das ist auch Ihr Baum stamm, Herr Winkler!)

Sie können auch Ihre Presseerklärung wieder zurücknehmen und Ihren eigenen Leuten sagen: Es ist alles okay. In dieser Frage sind wir uns einig. Die neue Landesregierung unter stützt die Bevölkerung in dieser Region, wie es auch die da malige getan hat. Das ist das Entscheidende.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen – Zuruf: So steht es auch im Koalitionsvertrag!)

Für die FDP/DVP-Frak tion erteile ich Herrn Abg. Haußmann das Wort.

Sehr geehrter Herr Prä sident, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Diskussion über die Belastung der süd

badischen Grenzregion durch den Flughafen Zürich scheint ei ne „never ending story“ zu sein. Der Kollege Felix Schreiner, der sich vor Ort genauso wie die Kollegen Winkler und Rau felder engagiert, war zu dem Zeitpunkt noch gar nicht gebo ren, als das schon ein Thema war.

(Abg. Felix Schreiner CDU: Schlimm genug! – Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU: Der ist unter Lärm ge zeugt worden! – Gegenruf des Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Aber gut gediehen!)

Sie sind sozusagen mit diesem Thema aufgewachsen, wenn man es so sagen will.

Uns ist bewusst, dass der Flughafen Zürich auch für BadenWürttemberg eine wichtige Verkehrsdrehscheibe darstellt. Nicht zuletzt im Zusammenhang mit dem Flughafenausbau in Stuttgart wissen wir auch in der Region Stuttgart, wie viel Be troffenheit eine Zunahme der Flugbelastung für die Menschen auslöst.

Im Grundsatz sind sich, denke ich, die Landtagsfraktionen ei nig: Für die Regelung der Flugverfahren über Südbaden ist zunächst einmal der Bund zuständig. Die Handlungsmaxime für die weiteren Verhandlungen – das wurde schon angespro chen – ist die Stuttgarter Erklärung, die u. a. maximal 80 000 Anflüge pro Jahr und die uneingeschränkte Beibehaltung der Schutzzeiten beinhaltet. Darauf ist Herr Kollege Schreiner ausführlich eingegangen.

Wir freuen uns, dass die neue Landesregierung das fortsetzt, was schon die alte Landesregierung auf der Agenda hatte und was schon im Koalitionsvertrag 2006 mit der Begrenzung auf 80 000 Flüge festgeschrieben war.

Die Mitwirkung der Landesregierung im deutschen Fluglärm beirat für den Flughafen Zürich ist ein wichtiger und richtiger Schritt. Wir regen darüber hinaus an, sich darüber Gedanken zu machen, ob eine Art länderübergreifende Fluglärmkom mission denkbar wäre, bei der die Bevölkerung, der Handel und das Gewerbe noch stärker eingebunden werden können.

An deutschen Flughäfen schreibt das Luftverkehrsgesetz ei ne Fluglärmkommission vor. Es gibt 18 Wirtschaftsverbände in der Nordschweiz und in Südbaden, die für eine tragfähige Lösung eintreten und die man möglicherweise sinnvoll daran beteiligen kann.

Es ist kein Geheimnis – das sollte man an dieser Stelle auch sagen –, dass rund 40 % der Fluggäste des Flughafens Zürich deutsche Reisende sind; Grund genug also für alle Verantwort lichen, sich mit der Schweiz auch weiterhin sachlich ausein anderzusetzen.

(Abg. Karl Zimmermann CDU: Gehen die alle zur Bank?)

Der Flugverkehr belastet allerdings nicht allein die südbadi sche Grenzregion; das wurde schon angesprochen. Nicht nur wir haben am 27. November eine Volksabstimmung – wir ha ben eine Volksabstimmung über das S-21-Kündigungsgesetz –, auch der Kanton Zürich hat eine Volksabstimmung; dort geht es um das Für und Wider des Pistenausbaus in Zürich. Auch dort sind die Menschen sehr davon betroffen. Wir verfolgen

die Entscheidung mit großer Aufmerksamkeit, da sich daraus eine weitere Belastung für den südbadischen Raum ergeben kann. Vor allem fragen wir uns, wie bei einem weiteren Aus bau des Flughafens Zürich das Problem der Flugverkehrsbe lastung gelöst werden soll.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir zu Recht die Flug verkehrsbelastung des Flughafens Zürich über Südbaden kri tisieren, darf aber schon auch der Hinweis auf die neue Lan desverkehrspolitik erlaubt sein. Unsere Nachbarn in der Schweiz beobachten unsere verkehrlichen Entwicklungen sehr genau. Eine neue Marschroute ergibt sich aus dem General verkehrsplan 2010, der jetzt von der grün-roten Landesregie rung überarbeitet wurde. Das Fachkonzept Luftverkehr prog nostiziert eine Zunahme des Luftverkehrsaufkommens; zwei Drittel davon betreffen den Flughafen Stuttgart. Als neuer Schwerpunkt werden vorrangig internationale Destinationen genannt. Ein neuer Rhein-Neckar-Luftverkehrsstandort wur de dabei aber gleich wieder in die Schublade gelegt.

Mit einer guten und nachhaltigen schienengebundenen Stra ßenverkehrsinfrastruktur ließe sich bei uns effektiv gegensteu ern und ließen sich Kurzstreckenflüge kompensieren. Auch das gehört zu einem guten nachbarschaftlichen Verhältnis zur Schweiz. Die beste Nachhaltigkeit in der baden-württember gischen Verkehrspolitik führt uns halt auch bei diesem Aspekt immer wieder zu Stuttgart 21, übrigens auch in Sachen Lärm schutz für die betroffenen Menschen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Für die Landesregie rung erteile ich der parlamentarischen Staatssekretärin Dr. Splett das Wort.

Sehr geehrter Herr Prä sident, sehr geehrte Damen und Herren! Baden-Württemberg pflegt bekanntlich ein sehr gutes nachbarschaftliches Verhält nis zur Schweiz. Das zeigt sich beispielsweise daran, dass die erste Auslandsreise unseres Ministerpräsidenten in die Schweiz führte.

(Zuruf des Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP)

Es zeigt sich an der Zusammenarbeit bei vielen verkehrspoli tischen Themen. Stellvertretend möchte ich die gemeinsamen Bemühungen der Landesregierung mit unseren Schweizer Nachbarinnen und Nachbarn um Verbesserungen des Schie nenpersonennahverkehrsangebots am Hochrhein nennen. Auch in Sachen direkter Demokratie können und wollen wir von der Schweiz lernen.

(Beifall bei den Grünen – Abg. Karl Zimmermann CDU: In der Schweiz wäre diese Abstimmung aber nicht möglich!)

Umso bedauerlicher ist, dass das Thema Fluglärm, genauer gesagt der vom Flughafen Zürich auf das südbadische Grenz gebiet ausgehende Lärm, schon seit vielen Jahren für Reibun gen sorgt.

(Abg. Felix Schreiner CDU: Sehr richtig!)

Die Anflüge auf den Flughafen Zürich werden seit vielen Jah ren ganz überwiegend über südbadisches Gebiet geführt. Da bei kommt es zu Fluglärmbelastungen, die von den Menschen in der Region nicht akzeptiert werden. Dabei – das wurde schon ausgeführt – spielt es auch eine wichtige Rolle, dass die betroffene Region eine Tourismusregion ist. Wer dorthin in den Urlaub fährt, will sich erholen, sucht Ruhe – er erwartet keine tieffliegenden Flugzeuge. Noch verstärkt gilt dies für die im Südbadischen lebende und damit dauerhaft vom Flug lärm betroffene Bevölkerung.

Anläufe, den Fluglärmstreit mit der Schweiz zu lösen, hat es in den letzten Jahren und Jahrzehnten schon viele gegeben. Allein, sie waren bisher nicht oder allenfalls begrenzt erfolg reich. Auch der jüngste Versuch, die Fluglärmbelastung über Verhandlungen mit der Schweiz zu reduzieren, gibt derzeit nicht allzu viel Anlass zur Hoffnung. Die Gespräche in der so genannten AG Zürich treten mehr oder weniger auf der Stel le.

Ein Erfolg für Südbaden konnte unter der rot-grünen Bundes regierung erzielt werden. Als die Schweiz im Jahr 2001 den bereits unterzeichneten Staatsvertrag nicht ratifizierte, legte das Bundesverkehrsministerium einseitig An- und Abflugbe schränkungen von und zum Flughafen Zürich über deutschem Gebiet fest. Besonders wichtig sind dabei die Sperrzeiten in den Nacht- und Tagesrandstunden.

Die Schweiz stößt sich gerade an diesen Sperrzeiten, vor al lem denen in den Frühstunden zwischen 6:00 und 7:00 Uhr bzw. zwischen 6:00 und 9:00 Uhr am Wochenende und an Fei ertagen. Ihre Versuche, diese Beschränkung mit juristischen Mitteln zu Fall zu bringen, sind bisher alle gescheitert. Wir, die beiden Regierungsparteien, haben uns in unserem Koali tionsvertrag im Fluglärmstreit eindeutig hinter Südbaden ge stellt. Auch das wurde deutlich ausgeführt.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Wir engagieren uns im Interesse der südbadischen Grenzre gion für eine klare Beschränkung der Flugverkehrsbelastung. Wir beziehen uns dabei auf die in der sogenannten Stuttgar ter Erklärung vom November 2009 festgeschriebenen Positi onen, das heißt u. a. konkret: maximal 80 000 Anflüge pro Jahr über Südbaden und uneingeschränkte Beibehaltung der Sperrzeiten.

Ich habe diese Forderung bereits an den Bundesverkehrsmi nister herangetragen. Ich habe ihn darum gebeten, eine Fest setzung der Flugbeschränkung im Sinne der Stuttgarter Erklä rung vorzubereiten für den Fall,

(Abg. Andreas Schwarz GRÜNE: Sehr gut!)

dass die Gespräche in der AG Zürich nicht zum erwünschten Ziel führen. Den Wunsch und die Hoffnung, gemeinsam mit den Schweizer Nachbarinnen und Nachbarn zu einer Lösung zu gelangen, hat die Landesregierung dabei noch nicht aufge geben. Sollte dies nicht gelingen, hoffe ich, dass der Bundes verkehrsminister im genannten Sinn tätig wird. Dabei ist mir die Feststellung wichtig, dass die südbadische Region bereit ist, die genannte Zahl von Überflügen zu akzeptieren. Die Not wendigkeiten des Züricher Flughafens werden von nieman

dem infrage gestellt. Vielmehr geht es um eine faire Vertei lung der Lasten.

(Beifall bei den Grünen sowie Abgeordneten der CDU und der SPD)

Über eines müssen wir uns und müssen sich auch die Südba denerinnen und Südbadener im Klaren sein: Der Schlüssel zur Lösung des Problems liegt letztlich nicht in Stuttgart, sondern in Berlin. Für den Flugverkehr über deutschem Hoheitsgebiet ist allein der Bund zuständig. Er ist deshalb letztlich auch po litisch für die Beschränkung des Fluglärms über Südbaden verantwortlich. Sowohl im Land als auch im Bund sehe ich eine parteiübergreifende Solidarität mit dem Anliegen Südba dens. Das haben wir auch in den Redebeiträgen gehört. Ge meinsam sollten und müssen wir es schaffen, das Fluglärm problem einer Lösung zuzuführen.