Protokoll der Sitzung vom 28.10.2015

Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:

Aktuelle Debatte – Baden-Württemberg – Spitzenplatz in der frühkindlichen Bildung – beantragt von der Fraktion der SPD

Meine Damen und Herren, das Präsidium hat für die Aktuel le Debatte eine Gesamtredezeit von 40 Minuten festgelegt. Darauf wird die Redezeit der Regierung nicht angerechnet. Für die einleitenden Erklärungen der Fraktionen und für die Rednerinnen und Redner in der zweiten Runde gilt jeweils ei ne Redezeit von fünf Minuten. Ich darf die Mitglieder der Landesregierung bitten, sich ebenfalls an den vorgegebenen Redezeitrahmen zu halten.

Für die SPD-Fraktion darf ich das Wort der Kollegin Wölfle erteilen.

Sehr geehrter Herr Präsident, lie be Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich ist für diesen Be reich mein Kollege Christoph Bayer zuständig; er ist erkrankt. Ich wünsche ihm von dieser Stelle gute Genesung. Ich denke, das mache ich in unser aller Namen.

(Beifall bei der SPD und den Grünen sowie Abgeord neten der CDU und der FDP/DVP)

Meine Fraktion hatte diese Aktuelle Debatte schon Anfang Oktober beantragt. Wegen der Regierungserklärung haben wir das dann verschoben, sodass sie heute auf der Tagesordnung steht.

Man könnte dieser Debatte den Titel „Tue Gutes und rede da rüber“ oder – ganz aktuell – „Die CDU sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr“ geben. Warum? Man liest im so genannten Regierungsprogramm der CDU – ich persönlich dachte immer, dass es erst ein Wahlprogramm gibt – einiges Interessante. Dort steht ab Zeile 79:

Grün-Rot: keine familienpolitischen Erfolge

Kita-Plätze würden fehlen, kann man dort nachlesen.

(Abg. Dr. Stefan Fulst-Blei SPD: Wahnsinn!)

Was aber ist die Realität? Es gab einen Rechtsanspruch. Un ter der CDU-geführten Landesregierung gab es bis 2011 kei ne sichtbaren Anstrengungen, hier aktiv zu werden und vor allem die Kommunen zu unterstützen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Abg. Dr. Stefan Fulst-Blei SPD: Ja! Völlig richtig! – Abg. Walter Hei ler SPD: Ein Skandal war das!)

Das haben wir dann getan, und wir haben das erfolgreich ge tan.

Die Bertelsmann Stiftung hat dem Land Baden-Württemberg bescheinigt, in den vergangenen Jahren bundesweit am meis ten Geld für die frühkindliche Bildung ausgegeben zu haben.

(Abg. Dr. Stefan Fulst-Blei SPD: Hört, hört!)

Das ist ein familienpolitischer Erfolg. Denn im frühen Alter entscheidet sich viel oder eigentlich alles. Dass Kindergärten Bildungseinrichtungen sind und Erzieherinnen und Erzieher hier den Grundstein für einen erfolgreichen Bildungsweg le gen und einen erheblichen Anteil an der gesunden Entwick lung der Kinder haben, muss von Gesellschaft und Politik viel mehr gewürdigt werden.

Dazu passt die sehr aktuelle Einigung zwischen den Gewerk schaften und den Arbeitgebern im Kita-Streik vor einigen Wo chen. Einerseits ist diese Einigung aus Sicht der Kommunen als schwierig anzusehen, andererseits ist sie wichtig für die Zukunft des Berufsbilds und ein klares Zeichen für eine ge sellschaftliche Anerkennung dieses doch so wichtigen Berufs.

Von dieser Stelle – ich denke, dass wir da alle einer Meinung sind – einen großen Dank an alle Erzieherinnen und Erzieher in diesem Land.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Grünen)

Wir haben der frühkindlichen Bildung von Anfang an sehr viel Aufmerksamkeit gegeben und vor allem auch aktiv gehandelt. Wo aber standen wir 2011? 2010 und 2011 gab es im Land Demonstrationen von Eltern für mehr Kinderbetreuung. Der Krippenausbau stockte, und die Kommunen waren beim Aus bau völlig überfordert – das „Kinderland“ Baden-Württem berg war wohl eher ein Slogan. Denn das, was vor Ort ge braucht wurde, fand sich im damaligen politischen Handeln nicht wieder.

Wo aber stehen wir jetzt? Heute haben wir eine viereinhalb jährige Wegstrecke intensiver Reformarbeit hinter uns ge bracht. Unsere Handschrift, der rote Faden unserer Bildungs politik vom Kleinkind bis zur Hochschulbildung, ist klar und deutlich erkennbar. Unser Ziel ist, die Stärke unseres Landes zu erhalten, ohne dabei die Bildungsgerechtigkeit aus den Au gen zu verlieren.

Bildungsgerechtigkeit erreicht man aber nicht durch Sonn tagsreden, sondern durch politisches Handeln. Das ist ein langwieriger und sicherlich auch sehr beschwerlicher Weg. Heute haben wir eine positive Entwicklung zu verzeichnen, und deswegen sind wir auch laut Bertelsmann Stiftung ganz klar die Nummer 1.

Auf eine vollzeitbeschäftigte Kita-Fachkraft kommen jetzt im Durchschnitt 3,1 Kinder in der ganztagsbetreuten Krippe bzw. 7,7 Kinder im Kindergarten – günstiger sind die Personal schlüssel in keinem anderen Bundesland –, und das trotz ei nes sehr dynamischen Ausbaus von Plätzen in den vergange nen Jahren.

Diese beidseitige Entwicklung belegt ausdrücklich, welche Anstrengungen von allen Seiten unternommen wurden. Im ehemaligen schwarz-gelben Krippenentwicklungsland haben heute dank grün-roter Schwerpunktsetzung 27 % der Einjäh rigen und 54 % der Zweijährigen einen Platz in der Kita oder in der Tagespflege.

Wenn Sie dann in Ihr Programm schreiben, es würden KitaPlätze fehlen, dann ist das schon eine glatte Realitätsverwei gerung.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen)

Denn wenn das so wäre, dann hätten wir in den vergangenen Jahren sicherlich einiges an Klagewellen zu erwarten gehabt. Tatsache ist jedoch: Es ist kaum geklagt worden. Die Eltern bekommen ein Angebot – vielleicht nicht immer in ihrer Kom mune, aber doch zumindest in der Nähe.

Es ist also zunehmend gelungen, die große Angebotslücke in diesem Bereich zusammen mit den Kommunen zu schließen.

Für Letztere war zentral, dass sich das Land seit 2011 als fai rer Partner in Sachen Finanzausstattung erwiesen hat. Faire Finanzausstattung bedeutet: Das Land garantiert 68 % der Be triebskosten – in Zahlen ausgedrückt sind das zwischenzeit lich 610 Millionen € für 2015 und voraussichtlich 790 Milli onen € für 2016 –, und das, obwohl wir zugleich – historisch einmalig – vier Mal die Nullneuverschuldung erreichen konn ten.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ein weiterer Schritt zu mehr Bildungsgerechtigkeit liegt in der Ausweitung der Sprachförderung. So liegt die Förderung bei derzeit 21 Millionen € im Jahr 2015. Mittel in Höhe von 3,7 Millionen € bzw. 1,2 Millionen € werden wir für die Förde rung von Flüchtlingskindern zusätzlich zur Verfügung stellen. Ich füge aber hinzu, dass uns der weitere Zustrom von Flücht lingen vermutlich vor weitere große Aufgaben und auch He rausforderungen stellen wird.

Gerade im Kita-Bereich gelingt Integration am besten. Hier ist die wichtigste Schnittstelle in den weiterführenden Bil dungsbereich und auch in die Aufnahmegesellschaft hinein.

Flankierend zum Ausbau der Kapazitäten haben wir den Fach kräfteausbau in den Blick genommen und mit der praxisinte grierten Ausbildung – kurz PIA – einen bundesweit beachte ten Qualifizierungsgang geschaffen, in dem jetzt die ersten 500 Absolventen erfolgreich die Prüfung bestanden haben. Weitere 1 400 Auszubildende haben sich auf den Weg ge macht.

Bei PIA zeigt sich nun, dass eine monatliche Ausbildungsver gütung von rund 800 € vor allem auch für männliche Bewer ber einen verstärkten Anreiz bietet, den Erzieherberuf zu wäh len. Ebenfalls bemerkenswert finde ich, wie viele Interessen ten mit bereits abgeschlossener dualer Ausbildung oder Hoch schulausbildung sich für eine PIA-Ausbildung interessieren.

PIA ist zweifelsfrei eine Spitzeninnovation, die übrigens bun desweit Beachtung gefunden hat. Auch hier liest man im Pro gramm der CDU in Zeile 442, dass Sie das fortführen möch ten. Ich betrachte das als Lob und Anerkennung, dass wir die ses Programm auf den Weg gebracht haben.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich fasse zusammen: Die Erfolge grün-roter Bildungspolitik, ja, sie sind klar belegbar. Wir sind in der frühkindlichen Bil dung, in Sachen Bildungsgerechtigkeit einen erheblichen

Schritt vorangekommen und werden uns auch zukünftig für eine Verbesserung der Bildungschancen einsetzen.

Dies zeigt sich im Übrigen auch für die Zeit nach Krippe und Kita. Ich erwähne nur die Stichworte Ganztagsschule, Schul sozialarbeit, Gemeinschaftsschule oder auch Abschaffung der Studiengebühren. Kurzum: Grün-Rot ist sehr erfolgreich bei der Familienpolitik, und das sehen auch die Kommunen und die Eltern in unserem Land.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen)

Für die CDU-Fraktion erteile ich dem Kollegen Wacker das Wort.

Herr Präsident, liebe Kollegin nen und Kollegen! Ich finde es gut, dass wir heute die Gele genheit haben, über die frühkindliche Bildung zu sprechen. Das machen wir ja nicht allzu häufig. Diese Debatte gibt uns auch die Gelegenheit, den Blick auf das Ganze zu richten. Es ist wichtig, immer wieder zu betonen, dass gerade im früh kindlichen Bereich – ich denke, hier gibt es auch einen Grund konsens – die wichtigsten Bildungsgrundlagen eines jungen Menschen gelegt werden. Insofern muss man ganz besonders hierauf ein Augenmerk richten.

Ich verstehe sehr wohl, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD und auch von den Grünen, dass Sie jetzt vor der nächsten Landtagswahl Ihre Maßnahmen abfeiern möchten.

(Abg. Dr. Stefan Fulst-Blei SPD: Die Bertelsmann Stiftung hat uns gefeiert! Wir werden gefeiert!)

Dennoch nutzen wir natürlich diese Debatte dazu, Herr Kol lege Fulst-Blei, um auf die offenen Punkte in der frühkindli chen Bildung hinzuweisen. Denn es geht darum, dass wir ei ne ganzheitliche Förderung der Kinder in den Kindergärten in Baden-Württemberg in den Blick nehmen.

(Abg. Muhterem Aras GRÜNE: Was haben Sie vor?)

Ich möchte zunächst darauf hinweisen – nachdem Sie jetzt auf den Personalschlüssel hingewiesen haben –, dass es bereits vor 2011 – dazu sagen Sie, Frau Wölfle, es sei angeblich nichts geschehen – dort einen deutlichen Sprung des Personalschlüs sels nach oben gegeben hat, und das noch zu Zeiten der alten Landesregierung. Das ist also eine „Erblast“, von der Sie jetzt ganz konkret profitiert haben.

Was ich bei Ihren Ausführungen ein bisschen vermisst habe, ist Folgendes: Nach meinem Wissen sind Träger der Kinder gärten nach wie vor die Kommunen und die freien Träger, und die entscheidende finanzielle Last und die entscheidende Ver antwortlichkeit liegen gerade bei den Trägern vor Ort. Inso fern sollten wir diese Debatte nicht nutzen, um die Maßnah men der Landesregierung hochzujubeln, sondern wir sollten sie dazu nutzen, einfach den Trägern vor Ort dafür zu danken, welche hervorragenden Leistungen sie in den letzten Jahren erbracht haben.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)