Protokoll der Sitzung vom 29.10.2015

Auch den Vorwarnmechanismus bezüglich der Berufsverbo te in anderen Ländern erachten wir als sinnvoll.

Verfahrenserleichterungen insgesamt sind sinnvoll, insbeson dere auch vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels.

Wir Liberalen sehen jede Verbesserung eines Berufsanerken nungsgesetzes als Baustein für ein Einwanderungsgesetz, auf das wir natürlich stark hoffen.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der SPD)

Aus diesem Grund sehen wir das Ganze positiv und signali sieren Zustimmung.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP und der CDU)

Meine Damen und Her ren, es liegen keine Wortmeldungen mehr vor. Die Ausspra che ist damit beendet.

Ich schlage vor, den Gesetzentwurf Drucksache 15/7554 zur weiteren Beratung an den Ausschuss für Integration zu über weisen. – Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen und Punkt 8 der Tagesordnung damit erledigt.

Ich rufe Punkt 9 der Tagesordnung auf:

Erste Beratung des Gesetzentwurfs der Landesregierung – Gesetz zur Verbesserung von Chancengerechtigkeit und Teilhabe in Baden-Württemberg – Drucksache 15/7555

Das Wort zur Begründung erteile ich Frau Ministerin Öney.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Mehr als ein Viertel der Baden-Württemberger hat mittlerweile internationale Wur zeln, und weiterhin wandern Menschen aus den unterschied lichsten Gründen aus dem Ausland zu. Der Migrationssaldo, den Deutschland und Baden-Württemberg in den letzten Jah ren verzeichnet haben, war deshalb hoch im Plus, und der Mi grationsdruck ist weiterhin groß. Wir alle wissen, dass die In tegration der Migrantinnen und Migranten kein Selbstläufer

ist, sondern eine Notwendigkeit, die wir aktiv angehen müs sen.

Dafür brauchen wir auch rechtliche Rahmenbedingungen. Ein Rahmen, in dem wir Anstrengungen von Migranten fordern und gleichzeitig ihre Teilhabe fördern, das ist das Ziel des Par tizipations- und Integrationsgesetzes, das ich Ihnen heute in erster Lesung kurz skizzieren will. Es geht dabei auch um Chancengleichheit über soziale und ethnische Grenzen hin weg. Chancengleichheit ist eine wichtige Voraussetzung für das friedliche Zusammenleben von Menschen aus unterschied lichen Kulturen. Nur so können wir den Zusammenhalt der Gesellschaft sichern.

Zu dieser Gesellschaft gehören Migranten mittlerweile seit ei nigen Generationen. Wir wissen aber aus Studien, dass die Menschen mit Migrationshintergrund noch nicht in allen Be reichen gleiche Chancen haben. Dagegen wollen wir mit dem Gesetz etwas tun. Wir brauchen auch eine gesetzliche Rege lung, um beispielsweise gegenläufige Grundrechtspositionen auszutarieren.

Der Deutsche Städte- und Gemeindebund hat neulich von Bund und Ländern Integrationsgesetze gefordert. Einige Län der haben solche Gesetze bereits – Berlin und NordrheinWestfalen beispielsweise –, und Baden-Württemberg als das Flächenland mit dem höchsten Migrantenanteil sollte dabei nicht zurückstehen.

Was soll das Gesetz leisten? Unser Gesetz soll regeln, dass Menschen mit Migrationshintergrund je nach Bedarf geför dert werden, allem voran beim Erlernen der deutschen Spra che. Andererseits sagt das Gesetz auch, dass eigenes Engage ment beim Spracherwerb notwendig ist, und wir lassen im Ge setz keinen Zweifel, dass wir von allen Menschen die vorbe haltlose Anerkennung unserer gemeinsamen Grundwerte ver langen bzw. sie von ihnen erwarten.

Eine weitere wichtige Aufgabe ist die interkulturelle Öffnung der Landesverwaltung. Ziel ist es dabei, zum einen die inter kulturelle Kompetenz von Mitarbeitern zu verbessern und zum anderen den Migrantenanteil zu erhöhen. Dazu werden Aus bildungs- und Prüfungsordnungen um das Ausbildungsziel „Vermittlung interkultureller Kompetenz“ ergänzt.

Ein weiterer Punkt ist die Möglichkeit der Arbeitsfreistellung für muslimische und alevitische Beschäftigte. Um den Got tesdienst oder auch Familien zu besuchen, können sie sich an ihren drei wichtigsten Feiertagen von der Arbeit freistellen lassen. Die Freistellung durch die Arbeitgeber kann unbezahlt erfolgen. Sie setzt u. a. voraus, dass dienstliche oder betrieb liche Notwendigkeiten nicht entgegenstehen. Es ist ein wich tiges Zeichen der Gesellschaft, diese Freistellung verbindlich zu regeln. Mit der vorgeschlagenen Regelung bringen wir die unterschiedlichen Interessen zu einem angemessenen Aus gleich. Niemand wird unzumutbar belastet.

Ein weiterer Baustein ist die Verbesserung der Möglichkeiten der politischen Partizipation von Migranten. Das Gesetz sieht z. B. zwei alternative Leitbilder für Migrantenvertretungen auf kommunaler Ebene vor. Zum einen geht es um Integrati onsausschüsse als beratende Ausschüsse im Sinne der Ge meinde- bzw. der Landkreisordnung mit allen darin vorgese henen Rechten. In sie sollen auch sachkundige Einwohner, darunter Migranten, berufen werden.

Das zweite Modell sind Integrationsräte. Sie sind keine Un tergliederung des Gemeinderats oder Kreistags. Sie bestehen aus Einwohnern mit Migrationshintergrund oder Personen, die aufgrund ihrer Kenntnisse die Arbeit des Integrationsrats bereichern können. Vielerorts bestehen bereits funktionieren de Gremien. Die Berücksichtigung der individuellen Situati on in den Kommunen ist uns wichtig; deshalb überlässt es das Gesetz ihrer freien Entscheidung, ob sie entsprechende Mig rantenvertretungen einrichten oder modifizieren.

Zudem stärkt das Partizipations- und Integrationsgesetz die Integrationsstrukturen auf Landes- und kommunaler Ebene. Es wird einen neuen Landesbeirat für Integration geben, der die Landesregierung in Fragen der Integrations- und Migrati onspolitik unterstützt und den bisherigen Landesarbeitskreis Integration – kurz LAKI genannt – ablöst.

Für die kommunale Ebene wird ein Leitbild der Tätigkeitsfel der von Integrationsbeauftragten gezeichnet; über unser Pro gramm VwV-Integration fördern wir deren Einrichtung ja be reits erfolgreich. Deshalb glaube ich, dass niemand die Not wendigkeit von rechtlichen Rahmenbedingungen im Bereich der Integrationspolitik anzweifelt. Lassen Sie uns gemeinsam diese Rahmenbedingungen schaffen, damit Integration noch besser gelingen kann.

Vielen Dank.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Meine Damen und Her ren, für die Aussprache hat das Präsidium eine Redezeit von fünf Minuten je Fraktion festgelegt.

Ich erteile für die CDU-Fraktion Herrn Abg. Dr. Lasotta das Wort.

Frau Präsidentin, werte Kolleginnen, sehr geehrte Kollegen! Die Landesregierung legt einen Gesetzentwurf vor, der etwas gesetzlich regelt, was schon gesellschaftlicher Konsens ist.

28 % der Bevölkerung in Baden-Württemberg haben interna tionale Wurzeln. Ja, es gibt Verbesserungsbedarf. Die Frage ist nur: Können die erforderlichen Verbesserungen mit dem vorliegenden Gesetzentwurf erreicht werden?

Was bringt das Gesetz an Mehrwert? Die darin definierten Zie le wie gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Le ben, Stärkung der Integrationsstrukturen in den Kommunen und im Land sowie eine stärkere interkulturelle Öffnung der Verwaltung werden von uns unterstützt.

Unterziehen wir das Gesetz aber einmal einem Faktencheck. Die Belange von Menschen mit Migrationshintergrund in sen siblen Bereichen wie Unterbringung, Justizvollzug, Maßre gelvollzug – z. B. durch Seelsorge – sollen stärker berücksich tigt werden. Das braucht man nicht gesetzlich zu regeln. Das ist vielmehr eine Daueraufgabe der Landesregierung. Das Ver waltungshandeln entspricht im Übrigen auch dem gesellschaft lichen Konsens. Der Gesetzentwurf schreibt hier einen rein deklaratorischen Punkt vor.

Die kommunalen Integrationsausschüsse und -räte sowie die Integrationsbeauftragten, denen nun ein gesetzliches Leitbild übergestülpt wird, sind eigentlich nicht notwendig. Das ist ein

Eingriff in die kommunale Selbstverwaltung. Hier ergibt sich kein Mehrwert, zumal mit dem Gesetz auch keine Finanzie rungszusagen verbunden sind.

Auch für den Landesbeirat für Integration, der eingerichtet werden soll und der dem Landtag alle fünf Jahre Bericht er statten soll, braucht es kein Gesetz. Das kann man einfach ma chen. Das war im Übrigen schon ein Vorschlag von uns am Anfang der Legislaturperiode gewesen.

Die interkulturelle Öffnung der Verwaltung, die Erhöhung des Anteils der Menschen mit Migrationshintergrund, ist eben falls eine Daueraufgabe. Jeder arbeitet daran. Die Kommunen haben dies im Übrigen schon viel besser erreicht als das Land. Das muss einfach gemacht werden. Auch hierzu braucht es keine gesetzliche Regelung, zumal keine verbindliche Quote vorgeschrieben wird.

Der Punkt hinsichtlich der Freistellung für Beschäftigte mus limischen und alevitischen Glaubens an religiösen Feiertagen, wenn ein Besuch des Gottesdienstes außerhalb der Dienst- und Arbeitszeiten nicht möglich ist, wenn keine dienstlichen und betrieblichen Notwendigkeiten entgegenstehen und wenn dieser Freistellungswunsch rechtzeitig mitgeteilt wird, ent spricht der gängigen Praxis in den Unternehmen unseres Lan des. Was für ein Bild von unserer Arbeitswelt zeichnen Sie ei gentlich mit diesem Gesetzentwurf?

(Beifall bei der CDU und des Abg. Andreas Glück FDP/DVP)

Es gibt keine Notwendigkeit für diese Regelung. Sie unter stellen den Arbeitgebern damit mangelnde Toleranz. Das ist wirtschaftsfeindlich, und es stellt die Arbeitgeber in unserem Land in eine Ecke, als ob sie nicht auf die Belange ihrer Be schäftigten Rücksicht nähmen. Wenn man rechtzeitig einen Freistellungswunsch anmeldet – es geht uns allen so, die noch in einer abhängigen Beschäftigung tätig sind –, dann ist es doch selbstverständlich, dass dieser mit dem Arbeitgeber be sprochen wird, und meist kann dem Wunsch auch stattgege ben werden.

Sie produzieren Rechtsunsicherheit, indem Sie Begriffe wie „rechtzeitig“ verwenden, diese dann aber nicht entsprechend definieren. Deswegen hat diese Regelung keinerlei Mehrwert.

Der Philologenverband sagt, dass dieser Gesetzentwurf an der gesellschaftlichen Realität vorbeigeht. Der Philologenverband spricht davon, dass der Gesetzentwurf der Bevölkerung und den Behörden eine migrationsfeindliche Einstellung unter stellt. Er sieht ihn sogar als integrationsschädlich an. Die Ar beitgeberverbände und der Handwerkstag sehen keinen Re gelungsbedarf. Die kommunalen Landesverbände beklagen die Verletzung des Rechts auf kommunale Selbstverwaltung. Sie halten die Regelung in Bezug auf die Kommunen für nicht erforderlich.

Was ich am Erschreckendsten an diesem Gesetzentwurf fin de, ist, dass in der Gesetzesbegründung von strukturellen Be nachteiligungen durch diskriminierende Entscheidungen ge sprochen wird. Sie zeichnen damit ein Bild von Baden-Würt temberg, das nicht den Realitäten entspricht.

Mit dem reinen Gesetzestext erreichen Sie überhaupt keine Veränderung, sondern nur dadurch, dass Sie die Menschen un

terstützen, Strukturen schaffen, vor Ort, wo die eigentliche In tegration stattfindet, die Kommunen unterstützen. Sie errei chen nichts, wenn Sie mit erhobenem Zeigefinger der Bevöl kerung und den Arbeitgebern sagen, sie seien diskriminierend. Vielmehr müssten Sie sie auf dem Weg, die Menschen zu in tegrieren, unterstützen.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Andreas Glück FDP/DVP)

Viel wichtiger wäre gewesen, die Kommunen zu unterstützen, auch Forderungen zu erheben gegenüber den Migranten, die bei uns leben, um sie in die Verantwortungsgemeinschaft zu integrieren.

Wir sind froh, dass Sie jetzt auf unseren Vorschlag eingegan gen sind, eine Anhörung im Integrationsausschuss durchzu führen, damit auch die kritischen Stimmen nochmals zu Wort kommen können.

Wir halten das Gesetz für reine Symbolpolitik. Es wird nichts erreichen. Wenn es nicht unbedingt notwendig ist, ein Gesetz zu machen, dann ist es zwingend notwendig, kein Gesetz zu machen.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP – Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU: Wie oft haben wir das schon gehört! – Abg. Karl Zimmer mann CDU: So ist es!)

Für die Fraktion GRÜ NE erteile ich das Wort Herrn Abg. Lede Abal.

Liebe Frau Prä sidentin, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, denn wir erleben heute, dass die Landesregierung den Entwurf für das Gesetz zur Verbes serung von Chancengerechtigkeit und Teilhabe in BadenWürttemberg einbringt.

Ich, ein Mensch mit Migrationshintergrund in der zweiten Ge neration – in der Schweiz gibt es dafür den schönen Begriff „Secondo“ –, danke der Landesregierung, stellvertretend Frau Ministerin Öney, aber auch den Mitarbeiterinnen und Mitar beitern des Hauses für diesen Entwurf. Da ich den Entste hungsprozess dieses Gesetzes mitverfolgt habe, danke ich auch den Menschen aus den Verwaltungen und der Zivilge sellschaft, die durch ihr Engagement und ihre Mitarbeit mit zu diesem Gesetzentwurf beigetragen haben. Stellvertretend danke ich an dieser Stelle ganz besonders dem Landesverband der kommunalen Migrantenvertretungen, LAKA, und dem Landesarbeitskreis Integration, LAKI.