Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die 145. Sitzung des 15. Landtags von Baden-Württemberg.
Krankgemeldet sind Frau Ministerin Altpeter, Herr Abg. Bay er, Herr Abg. Fritz, Herr Abg. Throm und Herr Abg. Wahl.
Aus dienstlichen Gründen entschuldigt haben sich ganztägig Herr Ministerpräsident Kretschmann, Herr Minister Unter steller und ab 10:00 Uhr Herr Minister Friedrich.
Meine Damen und Herren, eine Zusammenstellung der E i n g ä n g e liegt Ihnen vervielfältigt vor. – Sie nehmen davon Kenntnis und stimmen den Überweisungsvorschlägen zu.
Äußerung „Naturschutzrechtliche Kompensationsmaßnahmen für Straßenbauvorhaben – Planung, Herstellung, Pflege und Unterhalt“ – Drucksache 15/7500
Überweisung vorberatend an den Ausschuss für Verkehr und Infra struktur sowie an den Ausschuss für Ländlichen Raum und Verbrau cherschutz und federführend an den Ausschuss für Finanzen und Wirt schaft
tion über Staatsvertragsentwürfe; hier: Gesetz zu dem Abkommen zur dritten Änderung des Abkommens über das Deutsche Institut für Bau technik und zur Änderung von Vorschriften mit Bezug auf das Deut sche Institut für Bautechnik – Drucksache 15/7803
der Landesregierung zu einem Beschluss des Landtags; hier: 8. Stif tungsbericht – Drucksache 15/7828
Liebe Kolleginnen und Kollegen, unter Punkt 3 unserer Ta gesordnung ist die Zweite und Dritte Beratung des Gesetzent wurfs über die Feststellung eines Zweiten Nachtrags zum
Staatshaushaltsplan von Baden-Württemberg für die Haus haltsjahre 2015/16 vorgesehen. Sind Sie gemäß § 50 Satz 2 unserer Geschäftsordnung mit dieser Fristverkürzung zwi schen Zweiter und Dritter Beratung des Gesetzentwurfs ein verstanden? – Es erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Aktuelle Debatte – 40 Jahre Erklärung über die Rechte der Behinderten – wo steht Baden-Württemberg bei der Inklusion? – beantragt von der Fraktion der SPD
Meine Damen und Herren, das Präsidium hat für die Aktuel le Debatte eine Gesamtredezeit von 40 Minuten festgelegt. Darauf wird die Redezeit der Regierung nicht angerechnet. Für die einleitenden Erklärungen der Fraktionen und für die Rednerinnen und Redner in der zweiten Runde gilt jeweils ei ne Redezeit von fünf Minuten. Ich darf die Mitglieder der Landesregierung bitten, sich ebenfalls an den vorgegebenen Redezeitrahmen zu halten.
Guten Morgen. Herr Präsident, lie be Kolleginnen und Kollegen! Vor 40 Jahren verabschiedete die Generalversammlung der Vereinten Nationen die Erklä rung über die Rechte der Menschen mit Behinderung – oder vielmehr damals wortwörtlich „die Rechte der Behinderten“. Diese Erklärung war ein wichtiger Vorreiter für das Überein kommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, der sogenannten UN-Behindertenrechtskonvention. Schon da mals galt die Eingliederung in das normale Leben als Ziel. Es ging um gleiche Rechte, es ging auch darum, dass Menschen mit Behinderungen ihren Wohnsitz weitestgehend frei wäh len können und vor Diskriminierung zu schützen sind, An sprüche auf rehabilitierende Maßnahmen haben und vieles, vieles mehr.
Das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rech te von Menschen mit Behinderungen vom 13. Dezember 2006, das Ende 2008 auch den Weg in das Bundesgesetzblatt fand, hat noch einmal vieles in eine moderne Sprache und in ein modernes Rechtsverständnis gebracht. Aus 13 Abschnitten im Jahr 1975 wurden im Jahr 2006 50 Artikel, und das Wort „In klusion“ wird jetzt durch die Behindertenrechtskonvention durchdekliniert. Nun gilt die UN-Behindertenrechtskonven tion als Wegweiser für das politische Handeln der grün-roten Landesregierung.
Während vor ziemlich genau fünf Jahren hier im Landtag jeg licher Änderungsbedarf am Landes-Behindertengleichstel lungsgesetz abgelehnt wurde, hat mein Vorgänger in der Funk tion des behindertenpolitischen Sprechers in meiner Fraktion, Wolfgang Wehowsky, schon damals eingefordert, die UN-Be hindertenrechtskonvention in Baden-Württemberg konsequent 1 : 1 umzusetzen.
Bei uns sind es aber keine Oppositionsforderungen mehr. Wir haben in der Behindertenpolitik gemeinsam mit den Betrof fenen sehr viel umgesetzt. Wir haben eine wesentliche Erwei terung des Landes-Behindertengleichstellungsgesetzes durch gesetzt. Dabei wurden der Umgang der Behörden des Landes und der Kommunen in Baden-Württemberg mit Menschen mit Behinderungen neu geregelt, verbindliche Beteiligungspro zesse auf der Landesebene fixiert und die Landkreise und kreisfreien Städte zur Einsetzung von unabhängigen Behin dertenbeauftragten mit festgelegten Rechten und Aufgaben verpflichtet.
Mit der Änderung der Landesbauordnung wurde verpflich tend mehr Barrierefreiheit beim Wohnungsneubau definiert.
In neu gebauten Wohngebäuden mit mehr als zwei – statt bis her vier – Wohnungen müssen jetzt die Wohnungen eines Ge schosses barrierefrei sein.
Die Förderung des sozialen Wohnungsbaus haben wir wieder in Gang gesetzt und enorm ausgeweitet. Viele der schwerbe hinderten Menschen gehören dort zum bevorzugten Personen kreis. Für die Fälle, in denen das Wohnen in einer eigenen Wohnung nicht möglich ist oder nicht gewünscht wird, för dern wir massiv den Bau von dezentralen, gemeindenahen und innovativen Wohnangeboten als Alternative zum Wohnen in den bestehenden großen Einrichtungen.
Zudem haben wir die Gründung von ambulant betreuten Wohn gemeinschaften außerhalb der Heime gesetzlich geregelt und damit zugelassen.
Mit den großen Trägern der Behindertenhilfe in Baden-Würt temberg haben wir uns mit dem Gültstein-Prozess auf den Weg der Konversion gemacht. Mit dem neuen PsychischKranken-Hilfe-Gesetz haben wir eines der fortschrittlichsten Gesetze dieser Art beschlossen.
Dabei haben wir vor allem das Zusammenspiel der Akteure vor Ort und den Schutz vor unangemessenen Zwangsunter bringungen und Zwangsbehandlungen neu geregelt sowie die Rechtsstellung psychisch kranker oder behinderter Personen gestärkt.
Die finanzielle Förderung der sozialpsychiatrischen Dienste in den Kommunen haben wir gegenüber dem Ansatz der al ten Koalition verdoppelt und auch gesetzlich verankert.
Im Bereich der schulischen Inklusion haben wir jetzt eine Schulgesetzänderung statt eines äußerst gering ausgestatteten
Modellversuchs von Schwarz-Gelb. Ein qualifiziertes Eltern wahlrecht ersetzt die bisherige Sonderschulpflicht. Eltern ha ben einen Rechtsanspruch, neben der Sonderschule auch ein Schulangebot an einer allgemeinbildenden Schule für ihr Kind mit sonderpädagogischem Förderbedarf wählen zu dürfen.
Allerdings: Wir finden es richtig, dass Menschen mit Behin derungen nun die Wahl haben, ob sie eher eine ambulante Form des Wohnens und der Betreuung für sich selbst für an gemessen halten oder nicht doch die umfassende Hilfe in ei ner großen Einrichtung der Behindertenhilfe bevorzugen.
Dasselbe gilt natürlich auch für die Schulform. Für manche Kinder wird die Sonderschule vielleicht die bessere Wahl sein. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir ermöglichen jetzt eine Wahl, und vor Grün-Rot war dies kaum vorstellbar.
Ganz wichtig für mich sind auch die Maßnahmen zur Integ ration in den Arbeitsmarkt, etwa die Programme „Ausbildung Inklusiv“, „Arbeit Inklusiv“ und die „Aktion 1000“, oder die Verbesserungen beim Arbeitsschutz, welche insbesondere psy chische Erkrankungen oder jedenfalls deren Verschlechterung vermeiden sollen.
Last, but not least: Wir haben mit Gerd Weimer einen unab hängigen Beauftragten der Landesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen eingesetzt.
Als Nichtregierungsmitglied ist er unabhängig und weisungs ungebunden. Er überwacht die Umsetzung der Rechte von Menschen mit Behinderungen auf allen staatlichen Ebenen. Außerdem fungiert er als Beschwerde- und Qualitätssiche rungsstelle für behinderte Menschen und deren Verbände.
Lieber Gerd Weimer – ich weiß, er hört gerade zu –, Sie ha ben in den letzten viereinhalb Jahren viel bewegt. In zahllo sen Gesprächen und Veranstaltungen waren Sie den Menschen mit Behinderungen ein verlässlicher Ansprechpartner. Wenn Menschen mit Behinderungen jetzt nicht mehr mit dem Slo gan „Nicht ohne uns über uns“ protestieren, dann ist das auch ein Ergebnis Ihrer Arbeit. Dafür möchte ich Ihnen auch in die sem Haus den Dank meiner Fraktion und auch meinen per sönlichen Dank aussprechen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Grünen, der Abg. Jutta Schiller und Manfred Hollenbach CDU und des Abg. Jochen Haußmann FDP/DVP)
Die vorher beispielhaft genannten Punkte und vieles mehr ha ben wir in unserem Landesaktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention niedergelegt – ein wirklich umfassendes Werk, sehr interessant und eine gute Grundlage. Da geht es weiter um die Inklusion im Rechtswesen, in der vorschulischen, schulischen und außerschulischen Bildung, im Gesundheitswesen, im Arbeitsmarkt, im Verkehr, beim Sport und im Tourismus und – nicht zu vergessen – auch bei dem Thema „Gesellschaftliche und politische Teilhabe“. In
diesem Plan steht auch, dass noch vieles getan werden muss, um die Inklusion wirklich zu erreichen. Wir konnten 2011 nicht einen Schalter umlegen, womit alles erledigt gewesen wäre. Das klappt weder finanztechnisch noch beim Personal oder beim barrierefreien Bauen, und schon gar nicht klappt es in unser aller Köpfe.