Protokoll der Sitzung vom 16.12.2015

Mit Blick auf das Land haben Sie, Frau Grünstein, gesagt, da herrsche Konsens. Ich weiß nicht, ob da tatsächlich Konsens herrscht. Wenn wir beispielsweise nur über die Abschiebun gen nachdenken, dann stellen wir fest: Es gibt jetzt – relativ spät – so langsam Bewegung. So langsam geht man jetzt da zu über, die Abzuschiebenden nicht mehr zu warnen.

Langsam und klammheimlich ändern sich auch die Leitfäden der Landesregierung. Es ist schon interessant. Wir haben schon mehrfach darüber geredet, dass es wenig hilfreich ist, abgelehnten Asylbewerbern das Kirchenasyl anzuraten. Frau Erler hat von dieser Stelle aus die ursprüngliche Version des Leitfadens wortreich verteidigt, in der stand – ich zitiere –:

Die Ökumenische Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche, ein organisatorischer Zusammenschluss der Kir chenasylbewegung in Deutschland, gestattet Flüchtlin gen Kirchenasyl, wenn begründete Zweifel an einer ge fahrlosen Rückkehr bestehen.

Dies hat sie wortreich verteidigt. Klammheimlich ist jetzt ei ne zweite Ausgabe erschienen. Oh Wunder, es hat sich etwas verändert. Da steht dann nur noch drin:

Die Ökumenische Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche, ein organisatorischer Zusammenschluss der Kir chenasylbewegung in Deutschland, informiert auf ihrer Website über das Kirchenasyl in Deutschland.

(Zuruf des Abg. Daniel Andreas Lede Abal GRÜNE)

Die Kritik der Opposition ist also offensichtlich bei der Lan desregierung angekommen. Es reicht uns noch nicht ganz aus. Es gibt aber immerhin Bewegung. Herzlichen Dank dafür, dass jetzt offensichtlich eingesehen wurde, dass die erste Ver sion nun wirklich nicht geht, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Es ist auch notwendig, mit den Registrierungszentren weiter zukommen und die Flüchtlinge zu registrieren, und zwar so, dass man diese im ganzen Land einheitlich behandeln kann.

In der letzten Woche war ich in der Landeserstaufnahmestel le in Karlsruhe. Dort hat man mir erklärt: „Wir nehmen auf. Wir nehmen Fingerabdrücke.“ Ich habe gefragt, was passie re, wenn sich der Flüchtling dann verabschiedet und sagt: „Hier in Karlsruhe gefällt es mir nicht. Ich gehe in eine ande re Erstaufnahmestelle.“ Mir wurde geantwortet: „Dann wird er erneut registriert.“ Ich habe gefragt, ob die Möglichkeit der Abgleichung besteht. „Nein, diese Möglichkeit besteht nicht.“

Meine Damen und Herren, so kann es nicht bleiben. Es ist not wendig, hier zu einer vernünftigen Regelung zu kommen, da mit das Verfahren der Aufnahme und der Behandlung der Flüchtlinge in den Aufnahmestellen nicht auf diese Art und Weise unterwandert wird. Da ist auch die Landesregierung ge fordert.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Herr Kollege Wolf, es ist völlig richtig, was Sie angedeutet haben. Es ist notwendig, dass die Flüchtlinge sich integrieren. Es ist notwendig, dass nicht das Land sich ändert, sondern die jenigen, die zu uns kommen. Sie müssen das Grundgesetz, un sere Rechtsordnung, die Rechtskultur akzeptieren. Wir wol len ihnen aber natürlich weiterhin ihre Religions- und ihre Ge dankenfreiheit lassen.

Wir wollen verpflichtende Integrationskurse, Spracherwerb, auch das Zurechtfinden in der Gesellschaft wollen wir unter stützen, und wir wollen die Flüchtlinge auf unsere Rechts- und Verfassungsordnung verpflichten.

Bei der Frage, ob das gleich mit Sanktionen belegt werden muss, sind wir etwas zurückhaltender. Wir schließen aber nicht aus, solche Sanktionen dann auch einzuführen, wenn sich im Laufe der Zeit ergibt, dass sie notwendig sind.

Es ist notwendig, den Spracherwerb durch Bildungs- und In tegrationsoffensiven – idealerweise ab dem ersten Tag hier in Deutschland – mit niederschwelligen Angeboten in der Erst aufnahme auszuweisen, damit aus der Flüchtlingskrise keine Integrationskrise wird. Es ist notwendig, einen schnelleren und direkteren Arbeitsmarktzugang zu schaffen. Es ist not wendig, weniger Hürden für Ausbildung und Praktika zu er richten. Vor allem ist es auch notwendig, eine aktive Hilfe bei der Nachqualifizierung und bei der Anerkennung ausländi scher Bildungsabschlüsse durchzusetzen.

Es ist also notwendig, beides zu tun: auf der einen Seite zu begrenzen und zu steuern und auf der anderen Seite diejeni gen mit einer guten Bleibeperspektive so rasch wie möglich in unsere Gesellschaft zu integrieren – durch Spracherwerb, durch Integration in die Gesellschaft und durch Integration in unsere Arbeitswelt.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP/DVP und der CDU)

Für die Landesregierung erteile ich Frau Ministerin Öney das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Der amerikanische Pädagoge John Dewey sagt: „Ein Problem ist halb gelöst, wenn es klar for

muliert ist.“ Vielleicht ist einigen noch nicht ganz klar, was das Problem ist, und vielleicht wollen einige heute noch ein mal ein bisschen aufdrehen, Publicity machen. Das hat ja auf dem Bundesparteitag nicht ganz so geklappt. Ich glaube, Ihr Manuskript ist da ein bisschen zu kurz gekommen.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Mit immer neuen Schlagworten, mit einem Integrationsfüh rerschein, einem Integrationspflichtgesetz oder mit Unter schriften unter Erklärungen lösen wir die Probleme aber nicht. Im Gegenteil, wir vernebeln sie.

Die Ablenkungsmanöver kommen also nicht von uns, sondern eigentlich von Ihnen. Aber ich glaube, die Wähler sind nicht naiv.

Was ist das eigentliche Problem? Das eigentliche Problem ist: Wie schaffen wir die Integration von über einer Million Flücht lingen und von einer halben Million Menschen, die aus den EU-Ländern nach Deutschland eingewandert sind? Wo sollen die Menschen wohnen? Wo sollen sie leben? Wo sollen sie ar beiten? Und wie soll ihre Integration in die hiesige Gesell schaft gelingen? Wir schaffen das, wenn sich die Menschen auch innerlich integrieren möchten und wenn sie es von sich aus wollen.

Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich habe nichts gegen ver pflichtende Kurse. Die gibt es ja bereits. In § 44 a des Aufent haltsgesetzes ist genau das geregelt: verpflichtende Teilnah me an Integrationskursen, Sanktionen für die, die nicht teil nehmen.

(Abg. Claus Schmiedel SPD: So ist es!)

Ehrlich gesagt bin ich ein bisschen überrascht, dass das alles an der FDP/DVP vorbeigegangen ist, nachdem sie hier in den letzten Jahren eigentlich den Integrationsbeauftragten in der Regierung gestellt hat.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen – Zuruf des Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP)

Ziel der Integrationskurse ist es, den Ausländern nicht nur die Sprache, sondern auch die Rechtsordnung, die Kultur und die Geschichte in Deutschland beizubringen. Natürlich sind die se Werte auch für uns nicht verhandelbar. Das hat aber auch nie jemand behauptet. Das haben wir übrigens auch in unse rem Partizipations- und Integrationsgesetz festgeschrieben. Zur Erinnerung: Das ist das Gesetz, das wir vor zwei Wochen verabschiedet haben, bei dem Sie aber leider nicht mitgehen wollten.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der SPD)

Gern können wir darüber diskutieren, ob die Integrationskur se für einen größeren Personenkreis verpflichtend werden sol len. Ich denke da an die vielen Flüchtlinge mit einer Bleibe perspektive. Aber wenn man hier eine Teilnahmepflicht will, dann müssen die Menschen auch alle teilnehmen können.

Integration ist immer eine Sache von Wollen, Können und Dürfen. Und daran hapert es noch. Denn der Bund hat die In tegrationskurse nur für vier Herkunftsländer geöffnet – und zudem nur nach Maßgabe freier Plätze. Selbst wenn es einen Platz für jeden geben würde, würde das nicht ausreichen.

Die Migrantinnen und Migranten müssen so gut Deutsch ler nen, dass sie eine Chance auf dem ersten Arbeitsmarkt haben. Dazu hat die FAZ einen guten Artikel geschrieben. Die Über schrift war ein bisschen böse. Aber sonst steht da, dass man auch in Baden-Württemberg Hochdeutsch sprechen muss.

(Vereinzelt Heiterkeit)

Dieses Sprachniveau schafft man mit den Integrationskursen leider nicht. Deshalb gehen wir mit unserem Programm „Chancen gestalten“ deutlich weiter. Hier sind wir, das Land, auf einem guten Weg.

Auch Werte vermitteln wir nicht durch Unterschriften. Um ei ne Idee von unserem Zusammenleben zu bekommen, um un sere individuelle Freiheit schätzen zu lernen, muss man es er leben, und man muss es erlernen. Dass es gesellschaftliche Verpflichtungen gibt, lernt man im täglichen Umgang mitei nander und nicht durch eine Unterschrift.

Sie sprechen auch über Sanktionen für Migrantinnen und Mi granten, z. B. wenn diese eine Integrationsvereinbarung nicht unterschreiben möchten oder wenn sie gegen eine nicht ge nauer definierte Hausordnung verstoßen. Dazu kann ich Fol gendes sagen: Für alle, die zu uns kommen, gelten unsere Ge setze mit allen Sanktionsmöglichkeiten,

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der SPD – Abg. Daniel Andreas Lede Abal GRÜNE zu CDU und FDP/DVP: Da hättet ihr klatschen können!)

angefangen bei der Straßenverkehrsordnung bis hin zur Schul pflicht. Die Antidiskriminierungsregeln gelten für neu ankom mende Flüchtlinge genauso wie für alle Menschen, die hier seit Menschengedenken leben, und natürlich auch die unge schriebenen Gesetze wie die Kehrwoche.

(Lachen bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP – Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Ojemine! Die ist doch schon lange abgeschafft!)

Ich frage mich also, worum es Ihnen bei diesem Vorschlag geht.

Zudem: Eine Integrationsvereinbarung ist nichts Neues. Es gab dazu sogar schon einen Modellversuch, angestoßen von Maria Böhmer, der früheren Bundesintegrationsbeauftragten. Ich persönlich schätze sie sehr und habe auch sehr gut mit ihr zusammengearbeitet. Ein zentrales Ergebnis des Versuchs war: Es darf nicht von vornherein mit Sanktionen gedroht wer den. Im Fazit steht – ich zitiere –:

Ein hoher Grad von Verbindlichkeit – auf der Basis von Freiwilligkeit und nicht sanktionsbewehrt – stößt sowohl bei den Beratungsdiensten als auch den Ratsuchenden auf breite Zustimmung.

Auch der Blick in andere Länder zeigt, dass Integrationskur se nur dann erfolgreich sind, wenn sie konkrete Perspektiven aufzeigen, z. B. auch mit dem Zugang zum Arbeitsmarkt. Ne ben ausreichend Geld bedarf es für eine gelingende Integrati on vor allem auch einer Menge Zeit und – das Allerwichtigs te – Geduld. Da müssen wir uns fragen: Haben wir denn ge nügend Geduld?

Die Einwanderungsgeschichte zeigt uns, dass Integration ein längerfristiger Prozess ist. Das sehen wir teilweise auch an

den Gastarbeitergenerationen. Wir haben dazu eine sehr um fangreiche Studie gemacht. Diese Mehrgenerationenstudie können Sie gern beim Ministerium bestellen.

Nicht jeder übernimmt sofort schwäbische Tugenden oder, in meinem Fall, auch preußische Tugenden. Das muss wachsen.

Eine Unterschrift löst auch nicht das Problem von bezahlba rem Wohnraum und einer guten Stadtentwicklungspolitik mit gut gemischten Quartieren, wo sich Neuankömmlinge und Alteingesessene austauschen können. Sie löst auch nicht die Frage nach der Finanzierung all dessen; denn es kostet eben auch Geld.

Es ist schön, dass Sie das Thema Integration für sich entdeckt haben. Es ist schön, dass Sie teilweise auch brauchbare Vor schläge machen. Aber allein mit erhobenem Zeigefinger und mit Wortakrobatik wird das Ganze nicht funktionieren.