Protokoll der Sitzung vom 17.12.2015

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Ferner wurde erstmals ein Anreiz zum Beseitigen der Unter repräsentanz implementiert. Soweit Dienststellen die Unter repräsentanz auf sämtlichen Ebenen nahezu beseitigen, wer den sie von der Verpflichtung zur Erstellung des Chancen gleichheitsplans und des Zwischenberichts nach drei Jahren entbunden. Das heißt, wer etwas in seiner Dienststelle zur Ver wirklichung der Chancengleichheit tut, soll sozusagen auch einen Teil des Lobs dafür bekommen, damit die Anstrengun gen auch belohnt werden.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kolle gen, eines ist aber auch ganz deutlich: Die Neufassung des ChancenG kann nicht das Ende sein. Wir haben vielmehr im mer wieder neu darüber nachzudenken, welche Strukturen, welche Ressourcen wir benötigen, um tatsächliche und echte Gleichberechtigung zu erreichen. Aber ich bin mir auch si cher: Die Neufassung des ChancenG ist ein entschiedener und ein bedeutsamer Schritt in die richtige Richtung. Ich bitte Sie daher um Unterstützung für diesen Gesetzentwurf.

Danke schön.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, für die Aussprache über den Gesetzentwurf hat das Präsidium eine Redezeit von fünf Minuten je Fraktion festge legt.

Für die CDU-Fraktion erteile ich das Wort Frau Abg. GurrHirsch.

Sehr geehrter Herr Prä sident, liebe Kollegen und Kolleginnen! Wir debattieren heu te über ein Gesetz, das als gleichstellungspolitischer Tiger an gekündigt wurde, doch gemessen an dem von der Regierung selbst gesetzten Ziel blicken wir auf einen ziemlich dürftig zusammengeschusterten Bettvorleger.

(Zuruf des Abg. Jochen Haußmann FDP/DVP)

Was wurde uns angekündigt? Im Koalitionsvertrag 2011 hieß es, zur Durchsetzung der Chancengleichheit von Männern und Frauen im öffentlichen Dienst solle das Chancengleichheits gesetz erheblich erweitert und sollten auf kommunaler Ebene Chancengleichheitsbeauftragte eingeführt werden. In allen Kommunen, die über 8 000 Einwohner zählen, sollten Gleich stellungsbeauftragte eingeführt werden.

(Abg. Charlotte Schneidewind-Hartnagel GRÜNE: Genau!)

Dies wären 311 Kommunen gewesen, also 30 % aller Kom munen.

Was steht nun im Gesetz? Die Frau Ministerin hat es bereits gesagt, dass hauptamtliche Gleichstellungsbeauftragte eigent lich nur für Städte ab 50 000 Einwohnern vorgesehen sind.

Hiervon betroffen sind selbstverständlich alle 35 Landkreise und 22 Städte. Von diesen 22 Städten haben jedoch bereits 19 freiwillig eine hauptamtliche Chancengleichheitsbeauftragte. Die Rechnung ist einfach: Sie erreichen mit diesem Gesetz gerade einmal drei Kommunen; das sind gerade 0,3 % der Ge meinden in Baden-Württemberg. Hut ab vor dieser Leistung!

(Zuruf von der CDU: Hört, hört!)

Dafür haben Sie fünf Jahre gebraucht. Frau Ministerin, bei der Regierungsbefragung Ende Oktober begründeten Sie die ge ringere Reichweite Ihres Gesetzes mit Kosten. Es ist das ers te Mal, dass ich in diesen fast fünf Jahren erlebe, dass ein Kernanliegen, liebe Frau Kollegin Schneidewind-Hartnagel, mit dem Verweis auf Kostengründe zum zahnlosen Tiger ge macht wird.

Wes Geistes Kind dieses Gesetz ist, sahen wir bei der Vorstel lung der Eckpunkte. Sie planten explizit ein Frauengleichstel lungsgesetz. Jetzt heißt es ChancenG. Was auch immer das sein soll, es handelt sich hierbei um ein verkrüppeltes deut sches Wort. Der Fokus soll demnach auf Frauen gelegt wer den.

Das alte Chancengleichheitsgesetz aus dem Jahr 2005 war der Chancengleichheit eher gewachsen und zeigte erhebliche Wir kung; dies haben Sie gerade eben auch eingeräumt. Das Mi nisterium schreibt in einer Stellungnahme zu einem Antrag, die bisherigen Regelungen hätten „statistisch nachweisbare positive Wirkungen“ gezeigt. Im sogenannten Bilanzbericht 2015 zum alten Chancengleichheitsgesetz, der dieses Jahr ver öffentlicht wurde, heißt es außerdem:

Es ist erfreulich, dass sich der Frauenanteil an den Posi tionen mit Vorgesetzten- und Leitungsaufgaben im Be richtszeitraum in allen Obersten Landesbehörden zum Teil deutlich erhöht hat.

Dies können Sie auch in der Statistik nachlesen.

Auch im nachgeordneten Bereich gibt es erhebliche Steige rungen bei der Zahl der Frauen im Führungs- und Leitungs bereich. Die Entwicklung des Anteils von Frauen in höheren Besoldungs- und Entgeltgruppen ist in den letzten Jahren ebenfalls durchaus positiv verlaufen. Leider schaffen Sie die sen Bilanzbericht nun ab. Ich fand ihn sehr gut geeignet, um einen Überblick über die landesweite Entwicklung abzulesen.

Aus meiner Sicht ist Ihr Gesetz ein falsches Signal an die Kommunen. Wo ist denn bei Ihnen der Respekt vor der kom munalen Selbstverwaltung,

(Zuruf der Abg. Charlotte Schneidewind-Hartnagel GRÜNE)

vor der Organisations- und Planungshoheit der Kommunen? Fast schon ironisch ist in diesem Zusammenhang, dass die Landesarbeitsgemeinschaft der Gleichstellungsbeauftragten Sie nun bittet, eine Bestandsgarantie für die Gleichstellungs beauftragten in Kommunen mit unter 50 000 Einwohnern ab zugeben,

(Zuruf der Abg. Charlotte Schneidewind-Hartnagel GRÜNE)

weil die Kommunen gesetzlich eben nicht zur Bestellung ver pflichtet sind. Das geht natürlich nicht. In diesen Kommunen – wie in allen anderen Gemeinden – ist die bisher hauptamt lich tätige Gleichstellungsbeauftragte eine freiwillige Leis tung der Kommunen. Dies ist sehr erfolgreich.

Es ist bezeichnend, dass die Gleichstellungsbeauftragten nun Angst um ihre Positionen haben. Es sind fatale Signale, die Sie aussenden. Zum einen senden Sie das Signal aus, dass das Thema Gleichstellung eigentlich nur ein Thema für Kommu nen ab 50 000 Einwohnern ist. Das ist doch eine willkürliche Grenze, die Sie dort gesetzt haben. Zum anderen senden Sie aber auch das Signal aus, dass das Thema Chancengleichheit nur auf Frauen reduziert ist. Kein Wunder, dass der DGB auch Ihnen ins Buch schreibt, dass mit diesem Gesetz kein Fort schritt zu erzielen ist.

Ich glaube, dass die Kommunen beim Thema Chancengleich heit schon selbst neue Wege gehen. Schauen Sie einmal in die Stadt Stuttgart. Da gibt es eine Abteilung der Verwaltung, die das Thema Chancengleichheit ganz konsequent verfolgt. Da durch sollen Benachteiligungen wegen des Geschlechts, des Alters, der Religion oder der sexuellen Orientierung vermie den werden.

(Zuruf der Abg. Brigitte Lösch GRÜNE)

In dieser Abteilung sollen Lösungsvorschläge erarbeitet wer den.

Es ist Aufgabe von Organisationen und nicht einzelner Posi tionen, das Thema „Fehlende Gleichstellung“ voranzubringen und eine Verbesserung zu bewirken. Ich glaube, im Zeitalter des Fachkräftemangels, speziell auch bei uns in den Verwal tungen, wird man sich in den Kommunen sehr anstrengen.

Außerdem gibt es noch einen weiteren Punkt: Wer bestellt, der bezahlt. Sie bezahlen bei diesen drei Kommunen, die da im Prinzip noch übrig bleiben, nur 50 %.

(Abg. Charlotte Schneidewind-Hartnagel GRÜNE: In allen!)

100 % der Kosten fallen jedoch an. Sie haben es beschrieben.

Ich möchte auch noch einen Blick auf die Landesverwaltung werfen: Die Entlastungsregeln, die Sie gerade angeführt ha ben, stellen die Gleichstellungsbeauftragten gerade in kleinen oder in sehr großen Behörden vor ein weiteres Problem, näm lich das Problem, dass sie immer wieder ihren Einsatz als Gleichstellungsbeauftragte zeitlich rechtfertigen müssen und dass sie hierfür kämpfen müssen.

Dieses Gesetz ist – zusammengefasst – reine Symbolpolitik, und Sie enttäuschen selbst Ihre Befürworter. Handwerklich ist es außerdem schlecht gemacht und von veralteten Zielen ge prägt. Es ist so unnötig wie ein Kropf.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Für die Fraktion GRÜ NE erteile ich das Wort Frau Abg. Schneidewind-Hartnagel.

Sehr ge ehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Gäste, die noch hier im Landtag anwesend sind! Ohne Frau en ist kein Staat zu machen.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU)

Das bislang gültige Chancengleichheitsgesetz stammt aus dem Jahr 2005 und war schon bei seiner Einführung umstritten, da es kaum verpflichtende Regulierungen zur Herstellung der Chancengleichheit enthielt.

Es war letztendlich nicht viel mehr als eine Absichtserklärung, aber kein zielorientiertes Durchführungsgesetz. Die Kritik da ran war von Anfang an massiv und völlig berechtigt. Schon damals sollte es um die gleichen Chancen für Frauen und da rum gehen, dass gemäß Artikel 3 Absatz 2 des Grundgesetzes aktiv gehandelt und gezielt auf die Beseitigung bestehender Benachteiligungen hingewirkt werden sollte. Diesem An spruch konnte das alte Gesetz nicht gerecht werden.

Auch wenn Gleichberechtigung nach Artikel 3 des Grundge setzes in Deutschland vorliegt, führt diese gesetzliche Gleich berechtigung nicht automatisch zu faktischer Gleichstellung. Gleichstellung zielt aber auf eine zahlenmäßig gleiche Betei ligung von Frauen in allen Bereichen ab. Wie wir jedoch schon seit Jahrzehnten sehen können, reichen gleiche Rechte eben nicht aus, wenn soziale Regeln, Rollenzuschreibungen und strukturelle Benachteiligungen dazu führen, dass Frauen ihre Rechte nicht gleich effektiv wahrnehmen können.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Selbstbewusste, gut ausgebildete und hoch motivierte Frauen sind in unserem Land in allen Bereichen zu finden,

(Beifall des Abg. Dr. Reinhard Löffler CDU)

und doch erreichen sie leider nicht oder nur in wenigen Fäl len die Führungsetagen. Es ist eine Illusion, zu glauben oder glauben zu wollen oder glauben machen zu wollen, dass die strukturelle Benachteiligung von weiblichen Biografien ohne verantwortliches Handeln des Staates und der Politik zu be seitigen wäre.

Wir wollen Strukturen schaffen, die Frauen den Zugang zu al len beruflichen und politischen Ebenen öffnen, und wir wol len mit diesem neuen Gesetz Chancengleichheit in der DNA des öffentlichen Dienstes in Baden-Württemberg fest veran kern.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Unsere Novellierung des Gesetzes verkörpert einen neuen An spruch. Ausgangspunkt und Hauptziele des Gesetzes sind, die berufliche Chancengleichheit von Frauen im öffentlichen Dienst des Landes zu gewährleisten, Frauen bei Stellenbesetzungen und Beförderungen vorrangig zu berücksichtigen – vor allem in den Bereichen, in denen Frauen unterrepräsentiert sind –, verbindliche und wirksame Regelungen für paritätische Be setzungen von Gremien, für die das Land ein Entsende-, Be rufungs- oder Vorschlagsrecht hat, zu schaffen, sowie Rah menbedingungen zu schaffen, die es Frauen und Männern er möglichen, Erwerbstätigkeit sowie Familien- und Sorgearbeit