Protokoll der Sitzung vom 17.02.2016

(Beifall bei den Grünen – Abg. Bärbl Mielich GRÜ NE: Richtig! – Zuruf der Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU)

Als der neu gewählte kanadische Premierminister Justin Tru deau bei seinem Amtsantritt im vergangenen Jahr gefragt wur de, warum ihm Chancengleichheit so wichtig sei und er sein Kabinett zur Hälfte mit Frauen besetzt habe, antwortete er: „Because it’s 2015.“

Wenn ich heute gefragt werde, warum wir eine Novellierung des Chancengleichheitsgesetzes in Baden-Württemberg drin gend gebraucht haben, dann antworte ich: Weil es 2016 ist, weil Baden-Württemberg das einzige Bundesland ist, in dem es immer noch keine gesetzliche Regelung für kommunale Gleichstellungsbeauftragte gibt, weil der Anteil von Frauen in Führungspositionen in Wirtschaft, Wissenschaft und Poli tik immer noch zu gering ist, weil die Lohnlücke zwischen Frauen und Männern immer noch zu hoch ist und weil dies nicht an den Frauen in Baden-Württemberg liegt, sondern an den Strukturen, die wir weiter verändern müssen.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Mit der Novellierung des Chancengleichheitsgesetzes schaf fen wir jetzt die Rahmenbedingungen, die Frauen den gleich berechtigten Zugang zu allen beruflichen und politischen Ebe nen öffnen, und wir verankern in diesem Gesetz die Umset zung der Chancengleichheit in der DNA des Landes BadenWürttemberg.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Ausgangspunkt und Hauptziele des Gesetzes sind, die beruf liche Chancengleichheit von Frauen im öffentlichen Dienst des Landes zu gewährleisten. Bei Stellenbesetzungen und Be förderungen sind Frauen gleichberechtigt zu berücksichtigen, vor allem in Bereichen, in denen Frauen bislang unterreprä sentiert sind. Es geht um verbindliche und wirksame Rege lungen für die paritätische Besetzung von Gremien, für die das Land ein Entsende-, Berufungs- und Vorschlagsrecht hat. Außerdem sind Rahmenbedingungen zu schaffen, die es Frau en und Männern ermöglichen, Erwerbstätigkeit und Famili en- und Sorgearbeit besser zu vereinbaren, und in allen Ge meinden über 50 000 Einwohnern und Einwohnerinnen so wie in den Kreisen sind hauptamtliche Chancengleichheits beauftragte zu bestellen.

Frauen- und Gleichstellungspolitik nutzt allen, und es besteht nachgewiesenermaßen ein enger Zusammenhang zwischen einer wirkungsvollen Gleichstellungs-, Wirtschafts- und Ar beitsmarktpolitik. Es profitieren alle, wenn Gleichstellung tat sächlich umgesetzt wird. Denn eine konsistente Gleichstel lungspolitik hat Ressourcen für beide Geschlechter im Blick. Hierbei helfen hauptamtliche Strukturen in Ministerien, Be hörden, Gemeinden und Kreisen.

Die Stichworte Einwanderungsgesellschaft, Integration, „de mografischer Wandel“, „Vereinbarkeit von Familie, Beruf und Pflege“ zeigen, dass Gleichstellungspolitik Zukunftspolitik ist. Wir alle brauchen Gleichstellung, um miteinander ein gleichberechtigtes, freies und autonomes Leben führen zu können. Und oft wird vergessen, dass auch Männer immens von der Befreiung von alten Rollenbildern profitiert haben.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU – Abg. Willi Stächele CDU: Sehr richtig!)

Männer müssen nicht mehr Alleinerzieher sein, sie dürfen en gagierte Väter sein, und sie können ihren Frauen den Rücken freihalten.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Jawohl, machen wir! – Lachen bei den Grünen – Gegenruf des Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Fragen Sie mal meine Frau!)

Warum sitzt Ihre Frau dann nicht hier?

(Heiterkeit und Beifall bei den Grünen und Abgeord neten der SPD – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Die hat kein Interesse an Politik! – Abg. Martin Rivoir SPD: Die ist froh, dass er hier sitzt!)

Diese Landesregierung macht eine Politik, die nicht für alle das Gleiche, sondern für jede und jeden das Richtige in den Mittelpunkt stellt.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der SPD)

„Starke Frauen braucht das Land“, so heißt die Überschrift in Kapitel 9 des CDU-Wahlprogramms.

(Zurufe von den Grünen und der SPD: Oi!)

Ich zitiere weiter:

Unser Ziel ist es, künftig deutlich mehr Frauen in Füh rungspositionen zu haben – in Politik, Verwaltung und Wirtschaft.... Die Vielfalt, die so in der Wirtschaft, in Par teien und Verbänden entsteht, ist für die Zukunft unseres Landes von größter Bedeutung.

(Beifall der Abg. Nikolaus Tschenk GRÜNE und An neke Graner SPD – Abg. Anneke Graner SPD: Bra vo!)

Und im FDP-Wahlprogramm heißt es:

Wir werden gute Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass Frauen in Zukunft verstärkt in Führungsämter ge langen.

(Zuruf von der SPD: Auch in der Fraktion?)

Dass es sich bei diesen Aussagen von CDU und FDP wieder einmal nur um vermeintliches Eintreten für Gleichstellung bei gleichzeitiger Verhaltensstarre handelt,

(Abg. Alexander Throm CDU: Wie heißt denn die Spitzenkandidatin der Grünen?)

wird das anschließende Abstimmungsverhalten der Oppositi on hier nur allzu deutlich machen.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen)

Politik und Gesetze werden in einer Demokratie nicht von Einzelnen, sondern von Mehrheiten gemacht. Die Wirklich keit in Baden-Württemberg ist, dass es für eine zeitgemäße Gleichstellungspolitik nur mit Grün-Rot eine Mehrheit in die sem Parlament gibt.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Das Wort für die SPDFraktion erteile ich Frau Abg. Wölfle.

(Abg. Rosa Grünstein SPD: So, jetzt setzt du einen drauf! – Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Besser ein Wölfle als ein Wolf!)

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute verabschieden wir in zweiter Lesung das Chancengleichheitsgesetz, und damit geht Baden-Württem berg in der Frauenpolitik wieder einen kleinen Schritt nach vorn.

(Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU: Einen kleinen! – Abg. Andreas Schwarz GRÜNE: Einen großen!)

Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, ha ben in der ersten Lesung und jetzt gerade leider auch wieder klargemacht, dass Sie dieses Gesetz ablehnen. Frau Kollegin Gurr-Hirsch hat gemeint, es gehe in ihren Augen nicht weit genug.

(Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU: Gemessen an Ih rem Anspruch geht es nicht weit genug!)

Der Protest des Gemeindetags wurde auch Ihnen zugestellt, und Sie haben ihn auch dankbar aufgenommen, damit die an gebliche Überflüssigkeit noch einmal bestätigt wird. Aber was hat denn der Gemeindetag tatsächlich mit dem Gesetz zu tun? Den betrifft es ja faktisch überhaupt nicht.

(Abg. Dieter Hillebrand CDU: Kommunale Selbst bestimmung!)

Er fordert sogar noch, den Gesetzentwurf zurückzuziehen. Das werden wir natürlich nicht tun. Denn wir berufen uns auf et was sehr Wichtiges, nämlich auf den grundgesetzlichen Auf trag. Ich würde diesen gern noch einmal zitieren. In Artikel 3 Absatz 2 des Grundgesetzes heißt es:

Der Staat

und damit auch die Gemeinden und Kreise –

fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberech tigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Besei tigung bestehender Nachteile hin.

De facto kann in Baden-Württemberg aber noch nicht von Gleichstellung gesprochen werden.

Unsere Sozialministerin Katrin Altpeter hat nach mühevollen und auch zähen Verhandlungen ein Gesetz vorgelegt, welches zumindest einmal einen Fortschritt bedeutet.

Ihre Haltung, liebe Kolleginnen und Kollegen der Oppositi on, und auch die des Gemeindetags sind ein weiterer Beweis eines – so muss ich sagen – antiquierten Frauen- und Gesell schaftsbilds, welches nach wie vor Frauen, die immerhin 51 % unserer Gesellschaft ausmachen, benachteiligt.

Es ist klar: Mit diesem Gesetz schaffen wir neue Regeln, die sich in erster Linie an die Dienststellenleitungen richten. Sie haben sicherzustellen, dass Frauen und Männer im öffentli chen Dienst Baden-Württembergs die gleichen Aufstiegschan cen haben, dass Frauen und Männer Elternzeiten und Freistel lungen für die Betreuung pflegebedürftiger Angehöriger neh men können und deshalb auch in Teilzeit arbeiten können, oh ne auf das berufliche Abstellgleis zu kommen, dass Frauen und Männer die gleichen Möglichkeiten haben, z. B. Weiter bildungsangebote wahrzunehmen, und letztlich dass Frauen und Männer die gleichen Chancen haben, in Führungspositi onen zu kommen, und – diesen Satz sage ich jetzt wirklich mit Nachdruck – dass sie dort auch willkommen sind.

In der Vergangenheit – das sagen uns die Kennziffern – klapp te das aber nicht wirklich gut. Um es deutlich zu sagen: Ba den-Württemberg trägt nach 57 Jahren konservativ geprägter Regierung bei der Gleichstellung im öffentlichen Dienst die rote Laterne unter den Bundesländern.

Ich will Ihnen nachfolgend aufführen, wo die Schwachpunk te liegen und warum es da nach unserer Auffassung Hand lungsbedarf gibt.

Ein Thema war besonders umstritten, und deswegen möchte ich noch einmal die Rolle der Beauftragten für Chancengleich heit in den Gemeinden und kreisfreien Städten genauer be leuchten: Fast zwei Drittel aller Beschäftigten in den Gemein den sind Frauen. Selbst bei den Vollzeitäquivalenten beträgt ihr Anteil 60 %. Mehr als zwei Drittel der Absolventinnen und Absolventen der Hochschulen für öffentliche Verwaltung in Ludwigsburg und Kehl sind Frauen. Jetzt kritisiert der Ge meindetag unseren Gesetzentwurf und schreibt uns, die Ge meinden hätten mit der Gleichstellung gar kein Problem, in den Gemeinden seien ja 40 % der Leitungsstellen direkt un ter den Bürgermeistern und weiteren Wahlbeamten mit Frau en besetzt.

(Zuruf des Abg. Dieter Hillebrand CDU)

Ja, 40 % hört sich zunächst nicht schlecht an. Aber wenn man berücksichtigt, dass der Frauenanteil auf der Ebene darunter deutlich höher ist, dann ergibt sich, dass Frauen nicht zehn Prozentpunkte zu einer gleichmäßigen Vertretung auf dieser Leitungsebene, sondern tatsächlich 25 Prozentpunkte fehlen.