Protokoll der Sitzung vom 18.02.2016

Diese Frage ist auch in diesen Tagen wieder aktuell gewor den, als wir von einem weiteren bedauerlichen Todesfall er fahren mussten. Offenbar hat sich der Verlobte der Zeugin aus dem Komplex Florian H. vor wenigen Tagen das Leben ge nommen. Das Tragische an dieser Geschichte ist, dass die Zeugin selbst wenige Wochen nach ihrer Vernehmung vor un serem Ausschuss durch eine Lungenembolie ums Leben kam.

Es besteht nicht der geringste Anhaltspunkt dafür, dass bei diesen Fällen Fremdverschulden im Spiel gewesen sein könn te. Dass es jedoch auch hier leicht und verlockend ist, auf den Zug der Verschwörungstheoretiker aufzuspringen, konnten wir leider erst vorgestern wieder in der „taz“ lesen. Was dort gerade wieder gemosert und gefunkt wird, empfinde ich als unerträglich.

Bitte verstehen Sie das nicht als allgemeine Medienschelte. Eine große Anzahl von Medien hat die Arbeit unseres Aus schusses bis zuletzt interessiert, kritisch und zumeist sachkun dig begleitet. Dafür herzlichen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten aller Fraktionen)

Einem Mythos möchte ich gern eine klare Absage erteilen: Es gibt nicht gute Extremisten und schlechte Extremisten. Es gibt in gewissen politischen Kreisen leider die Tendenz, Linksex tremisten als idealistische Weltverbesserer zu verharmlosen. Dem trete ich entschieden entgegen.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Jede Art von Extremismus – von rechts, von links und aus re ligiöser Motivation – stellt eine Gefahr für unsere Demokra tie und unser friedliches Zusammenleben dar und muss mit gleicher Entschlossenheit bekämpft werden.

(Beifall bei der CDU sowie Abgeordneten der SPD und der FDP/DVP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, uns im Untersuchungsaus schuss war es wichtig, über Parteigrenzen hinweg gegen die Feinde unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu sammenzustehen. Ich freue mich daher, dass unser Ausschuss auch in seinen Handlungsempfehlungen deutliche Worte ge funden hat.

(Zuruf: So ist es!)

Wir legen ein klares Bekenntnis für einen starken Verfassungs schutz ab. Wir wollen den Informationsaustausch zwischen den Behörden verbessern, wir wollen die Prüfung von besse ren und wirksameren Instrumenten für unsere Sicherheitsbe hörden, etwa den Zugriff von Polizei und LfV auf Vorratsda ten, die Befugnis zur sogenannten Quellen-TKÜ – die Über wachung verschlüsselter Telekommunikation –, zur Online durchsuchung und zur präventiven Telefonüberwachung. Hier haben sich zum Teil auch die Grünen eines Besseren belehren lassen.

Noch vor einem Jahr war hier davon die Rede, den Verfas sungsschutz ausbluten zu lassen und das Personal um bis zu 50 % zu kürzen. Es gibt in Deutschland keinen Nachrichten dienst, den die Grünen nicht bereits abschaffen wollten.

(Abg. Alexander Salomon GRÜNE: Da klatscht nicht mal Ihre Fraktion!)

Leider ziehen die grünen Kollegen trotz unseres einstimmig beschlossenen Abschlussberichts offenbar weiter durch die Lande und schüren Misstrauen gegen unsere Sicherheitsbe hörden. Dies konnte ich jedenfalls einem Artikel der „Süd west Presse“ vom 29. Januar entnehmen, in dem es heißt – ich zitiere –:

Ermittlungspannen, verschwundene Beweismittel, ein nicht veröffentlichtes Phantombild, nicht befragte Zeu gen und eine Blindheit auf dem rechten Auge ziehen sich nach Filius’ Meinung durch die NSU-Ermittlungen.

Diese Aussage widerspricht diametral unserem einstimmigen Ermittlungs- und Untersuchungsergebnis. Ich möchte nur die Phantombilder nennen, bei denen wir uns doch einig waren, dass sie zu Recht nicht veröffentlicht wurden. Ich muss ganz offen sagen: Mir fehlt für dieses Verhalten jegliches Verständ nis.

(Beifall bei der CDU)

Das konnte man vielleicht noch vor einem Jahr so formulie ren; jetzt verbietet sich so etwas. Ich kann daher an Sie, vor allem an die Kolleginnen und Kollegen der Grünen, nur ap pellieren, diesem Abschlussbericht zuzustimmen und für die gemeinsam erworbenen Erkenntnisse auch in der Öffentlich keit einzutreten und zu werben.

Wir als Demokraten müssen Extremismus und Terrorismus in jeder Form die Stirn bieten.

(Beifall bei der CDU sowie Abgeordneten der SPD und der FDP/DVP)

Lassen Sie uns heute ein Zeichen der Geschlossenheit senden. Lassen Sie uns unseren Rechtsstaat stärken und die Majestät des Rechts bewahren.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU sowie Abgeordneten der SPD und der FDP/DVP)

Für die Fraktion GRÜ NE erteile ich das Wort dem Kollegen Filius.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Damen und Herren! Die schrecklichen Anschläge des NSU haben die Menschen in der ganzen Bundesrepublik erschüttert. Das Vertrauen in staatliche Behörden ist nachhaltig stark beschädigt worden. Deshalb sind Untersuchungsausschüsse im Bund und in den Ländern Fragen zum NSU und seinen Verstrickungen nach gegangen. Eine Aufklärung dieser Fragen sind wir den Op fern und deren Angehörigen schuldig.

Es ist mir und meiner Fraktion besonders wichtig, die Opfer der schändlichen und menschenverachtenden Anschläge des NSU zu würdigen. Gleich am Anfang des Abschlussberichts sprechen wir deshalb allen Angehörigen unser Mitgefühl aus. Wir können ihren tiefen Schmerz nur erahnen.

Durch den Mord an der Polizeibeamtin Michèle Kiesewetter und dem versuchten Mord an ihrem Kollegen Martin A. auf der Heilbronner Theresienwiese ist Baden-Württemberg un mittelbar betroffen. Der baden-württembergische Landtag hat deshalb hingeschaut und einen Untersuchungsausschuss ein gerichtet, um Licht in die Zusammenhänge zu bringen.

Eine der Fragen drehte sich für den Ausschuss um den Grup penführer der beiden Polizeibeamten am Tattag. Besonders schockiert hat uns, dass dieser Polizeibeamte sowie ein wei

terer Polizeibeamter Mitglied beim rassistischen und antise mitischen Ku-Klux-Klan waren. Dass die Disziplinarverfah ren gegen diese Beamten nur schleppend eingeleitet wurden, ist für den Ausschuss in keiner Weise nachvollziehbar gewe sen. Ebenso wenig ist nachvollziehbar, dass nur sehr geringe Disziplinarmaßnahmen verhängt wurden, weil teilweise schon Verjährung eingetreten war.

Es hat sich in dieser Situation für mich immer der Eindruck verstärkt, dass hier ein falsch verstandener Korpsgeist vorge legen hat. Niemand wollte sich damit befassen, weil der Um gang mit der Situation unangenehm war. Das darf sich nicht wiederholen.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Der Ausschuss hat sich eingehend mit diesen Themen beschäf tigt, auch mit der Rolle des Begründers des Ku-Klux-Klans, dem der Gruppenführer von Kiesewetter und A. angehörte. Aus Zeitgründen konnten wir die Bezüge der Ku-Klux-KlanStrukturen in Baden-Württemberg und in anderen Bundeslän dern nicht mehr untersuchen. Dieser Bereich ist für uns offen geblieben und muss vom nächsten Landtag ebenfalls behan delt werden.

Als etwas Besonderes habe ich es empfunden, dass wir mit allen Fraktionen über Parteigrenzen hinweg an einem Strang gezogen haben. Das ist außergewöhnlich für einen Untersu chungsausschuss und einmalig im Landtag von Baden-Würt temberg. Der Austausch zwischen allen Beteiligten hat frak tionsübergreifend stattgefunden. Alle Beweisbeschlüsse wur den einstimmig beschlossen. Abgeordnete sowie Beraterin nen und Berater aller Fraktionen haben gemeinsam die Sit zungen vorbereitet.

Die Aufklärung der furchtbaren Anschläge des NSU und Feh ler der staatlichen Behörden in der Aufklärungsarbeit sind ein Thema, das die ganze Gesellschaft angeht. Deshalb ist es rich tig und wichtig gewesen, gemeinsam an einem Strang zu zie hen. Auch wenn die Fraktionen nicht immer gleicher Meinung waren – das wurde vorhin bereits betont –, hat man politische Streitigkeiten hintangestellt. Das hätte ich mir gerade auch in Ihrem Bericht, Herr Abg. Pröfrock, gewünscht – trotz des nä herrückenden Wahlkampfs. Ganz wichtig war mir, dass bei einem solch sensiblen Thema keine parteipolitischen persön lichen Profilierungen erfolgen.

Der Münchner Prozess wurde mitverfolgt. Der Strafprozess ist für uns alle von großer Bedeutung.

Der Untersuchungsausschuss hat sich auch mit Ermittlungs fehlern beschäftigt, die im Zusammenhang mit dem Tod von Florian H. vorgelegen haben. Er hatte gesagt, dass er wisse, wer Michèle Kiesewetter ermordet habe. Am Tag seiner ge planten Polizeivernehmung verbrannte er in seinem Auto. Der Untersuchungsausschuss hat aufgedeckt, dass die Polizei Ge genstände im Autowrack liegengelassen und nicht sicherge stellt hat. Das ist eine grob mangelhafte Ermittlungsarbeit und offenbart, dass in diesem Fall – bei den Zuständigkeiten – in Schubladen gedacht wurde. Ich begrüße es deshalb außeror dentlich, dass hier das Innenministerium über eine interne Re vision schnell reagiert hat und diesen Fehlern auch entspre chend nachgegangen ist.

Wir, der Untersuchungsausschuss, haben ganz konkrete Hand lungsempfehlungen vorgeschlagen, um die Polizeiarbeit künf tig in diesen Bereichen zu verbessern. Fehler dürfen nicht un ter den Teppich gekehrt werden; ansonsten würde ein Gene ralverdacht auf allen Polizeibeamten lasten. Zu einer selbst bewussten Polizei, wie wir sie in Baden-Württemberg haben, gehört es, Fehler auch zuzugeben.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Als Reaktion auf die Anschläge des NSU hat Baden-Würt temberg das Parlamentarische Kontrollgremium eingerichtet. Das stärkt die Kontrolle des Verfassungsschutzes durch den Landtag. Das Parlamentarische Kontrollgremium kann Ein sicht in Akten des Verfassungsschutzes nehmen und Mitarbei terinnen und Mitarbeiter des Verfassungsschutzes befragen. Wir, der Untersuchungsausschuss, halten es für wichtig, dass diese Befugnisse durch das Parlament auch ausgeschöpft wer den. Ich bin mir sicher, dass wir damit ein wichtiges Instru ment geschaffen haben, um den Verfassungsschutz besser zu kontrollieren.

Als weitere unmittelbare Konsequenz auf die Anschläge des NSU hat Baden-Württemberg den Einsatz von V-Leuten ge setzlich geregelt. Wir haben festgelegt, dass Personen nicht angeworben werden dürfen, die allein mit den Geld- und Sachzuwendungen, die sie als V-Leute bekommen, ihren Le bensunterhalt verdienen würden. Auch Minderjährige oder Personen, die an einem Aussteigerprogramm teilnehmen, dür fen nicht als V-Leute angeworben oder eingesetzt werden. Wir sind auf eine gute und verlässliche Arbeit des Verfassungs schutzes für den Schutz der Gesellschaft angewiesen. Hier ist aber die Kontrolle durch das Parlament besonders wichtig.

Die gesetzliche Regelung sorgt für einen Ausgleich der unter schiedlichen Interessen. Den Landtag bzw., genauer gesagt, den Untersuchungsausschuss hat auch der Sachverständige Jerzy Montag als „Staubsauger für Informationen“ bezeich net. Der Verfassungsschutz demgegenüber will naturgemäß auf die Geheimhaltung seiner sensiblen Informationen und Daten achten. Deswegen ist die parlamentarische Kontrollin stanz von ganz großer Bedeutung.

Bei unserer Arbeit im Untersuchungsausschuss gewannen wir bei manchen Polizeibeamtinnen und -beamten den Eindruck, dass rechtsextremistisches Verhalten als nicht besonders tra gisch angesehen wird. Manche Beamte waren auf dem rech ten Auge blind. Das Innenministerium hat auch darauf reagiert und ein starkes Augenmerk auf die Sensibilisierung gegen Rechtsextremismus gerade auch in der polizeilichen Ausbil dung gelegt. Wichtig finde ich deshalb, dass der Untersu chungsausschuss in seinen Handlungsempfehlungen klar sagt, dass der Verharmlosung extremistischer Bestrebungen inner halb der Polizei entschieden entgegengetreten werden muss. Wir kennen viele Beamtinnen und Beamte, die alles andere als auf dem rechten Auge blind sind, die vielmehr sehr sensi bel sind und sich engagiert auch gegen rechte Verhaltenswei sen einsetzen. Auch solche Polizeibeamtinnen und -beamte haben wir im Untersuchungsausschuss vernehmen können.

In unseren Handlungsempfehlungen sagen wir auch, dass der professionelle Umgang mit Fehlern innerhalb der Polizei und der Justiz gestärkt werden muss. Die Polizei soll ein Spiegel bild unserer Gesellschaft sein. Deshalb setzen wir uns auch

dafür ein, dass der Anteil von Menschen mit Migrationshin tergrund zu erhöhen ist. Das kann dazu beitragen, dass Poli zeibeamte für rechte Äußerungen und Verhaltensweisen ge genüber Menschen mit Migrationshintergrund oder Migran ten sensibilisiert werden. Rechte Verhaltensweisen als solche zu erkennen ist der erste wichtige Schritt, um ihnen entgegen treten zu können.

Deshalb freue ich mich ganz besonders, dass gestern auch das Gesetz über die Bürgerbeauftragte oder den Bürgerbeauftrag ten verabschiedet wurde. Die oder der Bürgerbeauftragte ist ausdrücklich auch für die Belange von Polizeibeamten zustän dig. Sie oder er ist beim Landtag angesiedelt und unabhängig von den Polizeibehörden und dem Innenministerium. Polizei beamte können sich vertraulich an sie oder ihn wenden, bei spielsweise wenn sie bei sich oder Kollegen eine rechte Ge sinnung wahrgenommen haben. Rechtes Gedankengut darf nicht verharmlost werden, nur weil es der eigene Kollege oder die eigene Kollegin ist.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Im Laufe der Arbeit des Untersuchungsausschusses konnten wir immer wieder feststellen, dass bei Polizei und Justiz oft in Schubladen gedacht wurde. Einzelne Beamtinnen und Be amte haben nur kleinteilig in ihrem Zuständigkeitsbereich ge dacht. Es wurde nicht über den eigenen Tellerrand geschaut.

Ebenso darf aber auch ein Parlament nicht in Schubladen den ken. Wir Grünen haben uns deshalb bundesweit mit anderen NSU-Untersuchungsausschüssen vernetzt. Dazu sind wir be reits zwei Mal bundesweit – in Stuttgart und in Halle – zu sammengekommen, um uns auszutauschen. Die Vernetzung trägt dazu bei, die Aufklärung der NSU-Anschläge gründli cher und effektiver voranzutreiben. So sind Erkenntnisse der einzelnen Untersuchungsausschüsse gegenseitig von Interes se. Es liegt uns am Herzen, dass Fragen nicht doppelt durch die Untersuchungsausschüsse untersucht werden, sondern gründlich.

Nach zahlreichen Zeugenvernehmungen haben wir Stand heu te – so meine Einschätzung – keinen vernünftigen Zweifel an der Täterschaft von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt. Wenn man nicht von der Täterschaft ausgeht – es gibt ja auch wei terhin noch Kreise, die sagen, das könne in dieser Situation nicht so sein –, muss man aber tatsächlich Hinweise dafür ha ben; wir haben jedoch keine Hinweise gefunden, die hier bei der Theresienwiese die These der Generalbundesanwaltschaft widerlegen würden.

Weitere Tatbeteiligte an dem Anschlag in Heilbronn kann der Untersuchungsausschuss allerdings nicht ausschließen – hat dies auch nicht ausgeschlossen –, aber entsprechende Bewei se wurden nicht gefunden. Bei anderen Taten des NSU liegt es jedoch aus meiner Sicht nahe, dass es weitere Tatbeteilig te gegeben haben muss.

Auch nach zahlreichen Zeugenvernehmungen sind Fragen of fengeblieben, z. B. zu möglichen Verbindungen von KKKStrukturen zum NSU. Auch Bezüge von Baden-Württemberg nach Thüringen konnte der Untersuchungsausschuss nicht un tersuchen, weil die dafür erforderliche Zeit schlichtweg ge fehlt hat. Für mich ist auch denkbar, dass sich der neue Land tag auch mit der rechten Musikszene und gewalttätigen mili