Protokoll der Sitzung vom 26.10.2011

In diesem Haus zusammenzuführen, über Parteigrenzen hin weg zu integrieren und gemeinsame Wege aufzuzeigen, dar in sehe ich meine Aufgabe und Verantwortung.

Ich will ein Präsident sein, der sein Amt politisch, aber nicht parteipolitisch ausüben wird. Mit demokratischem Geist nach innen und nach außen will ich deutlich machen, dass das Par lament trotz der oder gerade wegen der unterschiedlichen po litischen Überzeugungen ein wesentlicher, wenn nicht gar der wesentlichste Teil unserer Demokratie ist. Vor diesem Hinter grund sehe ich es als meine vornehmste Pflicht an, der Stel lung des Landtags als erster Staatsgewalt jederzeit und unbe dingt Geltung zu verschaffen.

Demokratische Parlamente sind in der Verfassung verankerte Prüfsteine, und zwar gewollt und unverzichtbar. Deshalb will ich an dieser Stelle nochmals ausdrücklich betonen, dass sich eine Missachtung der Rechte des Parlaments, gar ein Verfas sungsbruch, wie er im Rahmen des Ankaufs der EnBW-Akti en vom Staatsgerichtshof gerügt wurde, nicht wiederholen darf.

(Beifall bei den Grünen und der SPD sowie Abgeord neten der CDU und der FDP/DVP)

Speziell in diesem Sinn will und werde ich ein wachsamer, zur Not auch unbequemer Präsident sein.

Das Amt des Landtagspräsidenten erlebt in diesem Moment keinen völligen Neustart. Mein Vorgänger Willi Stächele hat in den vergangenen fünf Monaten für frischen Wind in die sem Hohen Hause gesorgt. Es ist für mich deshalb nicht nur eine Frage der Etikette, sondern ein Ausdruck tief empfunde nen kollegialen Respekts, dass meine erste Amtshandlung da rin besteht, Ihnen, lieber Kollege Stächele, auf das Herzlichs te zu danken für alles, was Sie in Ihrer kurzen Amtszeit als Präsident mit Elan, Gestaltungsfreude und Humor angesto ßen, verbessert und neu strukturiert haben. Sie haben kompe tent und zielbewusst geführt und dadurch uns allen gedient. Von Herzen danke dafür.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Daran will ich anknüpfen. Die Bürgerinnen und Bürger, die Menschen dieses Landes sind mein, sind unsere Arbeitgeber. Ihnen zu dienen ist unser Auftrag. Machen wir dabei nicht den Fehler, unsere eigene Rolle zu überhöhen. Nehmen wir uns, getreu dem Motto von Papst Johannes XXIII., „nicht so wich tig“. Bleiben wir auf dem Boden und unter den Menschen.

Bei all unserem Wirken, liebe Kolleginnen und Kollegen, geht es aber auch um die Selbstachtung des Parlaments. Wir soll ten nicht nur an landespolitischen Wegmarken, sondern auch im Parlamentsalltag beherzigen: Nur wer sich selbst achtet, wird geachtet.

(Präsident Guido Wolf)

Nach meinem Eindruck fragen die Baden-Württemberginnen und Baden-Württemberger, insbesondere wenn sie uns an Plenartagen besuchen, noch zu oft irritiert: Ist das unser Land tag? Ich meine: Wir sollten uns noch intensiver darum bemü hen, dass die Bürgerinnen und Bürger anerkennend über uns sagen: „Das ist unser Landtag!“, und dass sie sagen: „Es ist ein Landtag, der Würde ausstrahlt und Respekt verdient. Es ist ein Landtag, der politische Kultur vermittelt und Menschen für Politik begeistert.“

Kein Zweifel: An diesem Profil gilt es noch zu schleifen. Zwar mögen Seriosität und Bedachtsamkeit leicht hausbacken und langweilig erscheinen. Aber das ist beim guten alten Bauspar vertrag genauso – und der hat die Finanzkrise hervorragend überstanden.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP sowie Abge ordneten der Grünen und der SPD)

Unsere Plenarsitzungen müssen trotzdem nicht monoton ab laufen. Politik lebt von der Leidenschaft für die eigenen Über zeugungen. Diese zu verbergen wäre verkehrt. Mehr noch: Das Wesen des Parlamentarismus besteht gerade in der de monstrativen Konfrontation von Alternativen. Das parlamen tarische Durchleuchten und Bewerten des Regierungshandelns dient eben nicht allein dazu, die Verfassungskonformität si cherzustellen. Die Bürgerinnen und Bürger haben einen An spruch darauf, dass Zweifel, Sorgen und Vorbehalte im zent ralen politischen Forum des Landes artikuliert und diskutiert werden, bevor verbindliche Entscheidungen fallen. Aber sie erwarten, dass wir das in Würde und mit Respekt voreinander tun.

Wir müssen den Menschen Politik besser erklären, ihnen Po litik näherbringen. Es gefährdet die Demokratie, wenn Bür gerinnen und Bürger immer mehr auf Distanz zu den Politi kern gehen. Diese Distanz gilt es abzubauen, gemeinsam ab zubauen.

Verkennen wir also nicht, wie sehr der einzelne Abgeordnete als Teil des Ganzen das Bild von der Institution Landtag prägt. Sich um Einzelanliegen kümmern, lokale oder regionale In teressen vertreten und kommentieren, was in der Welt ge schieht, das alles zählt zu unserem Kerngeschäft. Aber wir sollten dafür Sorge tragen, dass wir nicht beschränkt auf die ses Tätigkeitsprofil wahrgenommen werden. Zeigen wir of fensiv, wie viel wir gestalten, indem wir die Rahmenbedin gungen überarbeiten, Anreize für gewünschte Entwicklungen setzen oder die strukturelle Verschuldung abbauen.

Meine Damen und Herren, heute ist mit Blick auf Berlin und Brüssel ein historischer Tag, weil für Europa und damit für uns alle materiell und immateriell viel auf dem Spiel steht. Griechenland nachhaltig zu stützen, den Euro belastbar abzu sichern, die Banken zu stabilisieren und die Verschuldung der Staaten zu bremsen, das ist – im wahrsten Sinn des Wortes – eine Herkulesaufgabe „hoch vier“. Die vergangenen Monate haben bestätigt, dass vermeintlich einfache Lösungen mit höchster Vorsicht zu genießen sind.

Im Strom der jetzt geforderten Entscheidungen werden Leit linien gebraucht. Eine davon heißt, Europa transparent zu ma chen. Europa braucht weniger Staat und mehr Demokratie. Europa braucht mehr Subsidiarität und starke Regionen.

Jede und jeder von uns, liebe Kolleginnen und Kollegen, kann helfen, den Weg dafür zu ebnen. Denn zu den optimistisch stimmenden Erfahrungen in diesen Wochen zählt, dass die Bürgerinnen und Bürger die Probleme sehr wohl anerkennen, sobald man ihnen die Zusammenhänge erklärt. Unsere Her ausforderung ist, den Menschen Europa in seiner ganzen und weitreichenden Dimension begreifbar zu machen und Ängs te abzubauen.

Eines liegt mir besonders am Herzen: der Veränderung nicht die Zuversicht zu entziehen. Verfallen wir nicht dem Klein mut. Erwecken wir nicht den Anschein, Getriebene zu sein, die nicht anders können. Gönnen wir uns Ziele und Visionen über den Tag hinaus. Gestalten wir mutig Zukunft. Optimis mus und Zuversicht und auch der Humor, liebe Kolleginnen und Kollegen, gehören für mich zu den politischen Kardinal tugenden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, meine sehr verehrten Damen und Herren, ausglei chend, dienend und politisch, das ist der Dreiklang, mit dem ich mein neues Amt beherzt in Angriff nehmen will. Im kol legialen Zusammenwirken mit meinen Vizepräsidenten Bri gitte Lösch und Wolfgang Drexler will ich unkompliziert für jedermann – natürlich auch für jede Frau, liebe Kollegin Lösch – erreichbar sein.

(Heiterkeit – Vereinzelt Beifall)

Ich will in diesem Hause für einen Geist des partnerschaftli chen Umgangs stehen. Dabei bitte ich Sie um wohlwollende Begleitung und konstruktive Offenheit. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit.

Herzlichen Dank.

(Beifall im ganzen Haus)

Meine Damen und Herren, ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:

Aktuelle Debatte – Geplante Steuersenkung der Bundes regierung und Auswirkungen auf Baden-Württemberg – beantragt von der Fraktion GRÜNE

Für die Fraktion GRÜNE erhält Frau Kollegin Aras das Wort.

Herr Präsident, liebe Kolle ginnen und Kollegen! Ich möchte mit einigen Zitaten zum Thema „Steuersenkungsfantasien der schwarz-gelben Chaos koalition“ einsteigen. Da sagt z. B. Herr Fuest – kein Grüner, sondern Professor an der Universität Oxford und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Bundesfinanzministeriums –:

... Spielräume für Steuersenkungen sind im Staatshaus halt noch lange nicht in Sicht.

Nach der aktuellen Finanzplanung wird der Bund 2012 rund 30 Milliarden € neue Kredite aufnehmen.... In vie len Bundesländern ist die Finanzlage noch deutlich schlechter.... Steuersenkungen in der aktuellen Situation verletzen deshalb nicht nur Prinzipien stabilitätsorien tierter Finanzpolitik, sie verstoßen auch gegen die im Grundgesetz verankerten finanzpolitischen Regeln.

Ein weiteres Zitat:

Alles, was die Einnahmesituation des Landes verschlech tert, ist für die Landesregierung nicht akzeptabel. Ich se he daher kaum Spielraum, einer solchen Reform zuzu stimmen.

Auch diese Aussage stammt nicht von einer Grünen, sondern von der neuen CDU-Ministerpräsidentin des Saarlands, Frau Kramp-Karrenbauer. Ihr Amtskollege aus Schleswig-Holstein, Peter Harry Carstensen, ebenfalls CDU, lässt verlauten:

Steuersenkungen zulasten der Landeskasse können wir uns als Konsolidierungsland nicht erlauben.

Der Tenor in der Fachwelt und in der Öffentlichkeit ist klar: Steuersenkungen, die dauerhaft zu Mindereinnahmen führen, sind derzeit fehl am Platz. Warum? Weil sie durch Neuver schuldung finanziert sind, weil die Konjunktur derzeit keinen Wachstumsimpuls braucht und weil die Risiken in den öffent lichen Haushalten – Stichwort Eurokrise – zu groß sind.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Meine Damen und Herren, lassen Sie uns kurz die Lage der öffentlichen Finanzen in diesem Land betrachten. Die Bun desrepublik ist mit über 2 Billionen € verschuldet. Allein Ba den-Württemberg hatte im Jahr 2010 einen Schuldenberg von 43 Milliarden € angehäuft. 2 Milliarden € im Jahr gehen al lein für den Zinsdienst drauf – Geld, das unsere Schulen, Kin dergärten, unsere Unternehmen und Kommunen sehr viel bes ser gebrauchen könnten.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Die grüne Landtagsfraktion ist darum der Meinung: Schul denabbau vor Steuersenkungen und vor allem keine Steuer senkungen auf Pump. Unsere Fraktion steht für eine nachhal tige Finanzpolitik. Wir wollen den Haushalt strukturell kon solidieren und streben für das Jahr 2012 die Nullneuverschul dung an.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Deshalb werden wir jede Ausgabe, die nicht aufgrund von Ge setz und Verträgen zwingend ist, prüfen. Vor allem werden wir auch jede zusätzliche Stelle sehr genau prüfen.

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Oh!)

Neu zu schaffende Stellen wird es nur im Ausnahmefall nach strengster Prüfung bzw. durch Umschichtungen geben. Unse re Fraktion zieht hier mit dem Ministerpräsidenten an einem Strang.

Lassen Sie uns nun genauer hinschauen, welche Auswirkun gen die geplanten Steuersenkungen auf Baden-Württemberg hätten: Nach dem jetzigen Vorschlag von Herrn Rösler und Herrn Schäuble würde das Land jährlich rund 500 Millionen € weniger einnehmen. 500 Millionen € allein für Baden-Würt temberg! Gesamtstaatlich wären Einnahmeausfälle von ca. 6 Milliarden € einprogrammiert. 500 Millionen € weniger: Das sind rund 8 000 Lehrerstellen oder 10 000 Polizistenstel len! Das sollte man wissen, wenn man über Steuersenkungen in dieser Größenordnung diskutiert.

Man könnte also fragen: Warum das Ganze? Warum bindet sich die Koalition in Berlin diesen Klotz ans Bein, den sie seit ihrem Amtsantritt mit sich herumschleppt? Darauf gibt es ei ne ganz einfache Antwort: um die FDP vor der Bedeutungs losigkeit zu retten.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Hier rächt sich nun, dass die Liberalen zur Einthemenpartei geworden sind. Wer lediglich mit dem Versprechen von Steu ersenkungen angetreten ist, muss natürlich liefern. Schließ lich geht es um das politische Überleben.

Aber muss darunter die Stabilität der öffentlichen Finanzen leiden? Muss dieses politische Überleben auf Kosten von Zu kunftsinvestitionen in unserem Land gehen? Wir meinen: nein. Steuersenkungen dürfen nicht dazu missbraucht werden, sich politische Zustimmung zu erkaufen. Das ging im Super wahljahr schief, und das wird auch weiterhin schiefgehen. Ein Reanimationsprogramm für die FDP auf Kosten der Allge meinheit darf es nicht geben.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Meine Damen und Herren, die Konjunktur boomt zum Glück. Die Auftragsbücher sind voll. Dies sind nun die guten Zeiten, in denen das Land Vorsorge für schlechte Zeiten treffen muss. Nur so ist sichergestellt, dass bei einem konjunkturellen Ab schwung wieder Spielräume vorhanden sind, um die Konjunk tur zu stützen.