Protokoll der Sitzung vom 14.12.2011

Ich rufe Punkt 6 der Tagesordnung auf:

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Eu ropa und Internationales zu der Mitteilung des Ministeri ums für Finanzen und Wirtschaft vom 24. November 2011 – Unterrichtung des Landtags in EU-Angelegenheiten; hier: Weiterentwicklung des Systems der Regulierung der Märkte für Finanzinstrumente – Drucksachen 15/946, 15/1007

Berichterstatter: Abg. Dr. Reinhard Löffler

(Unruhe – Glocke des Präsidenten)

Ich darf Sie nochmals um Aufmerksamkeit für diesen letz ten Tagesordnungspunkt bitten.

Die Fraktionen haben für die Aussprache eine Redezeit von fünf Minuten je Fraktion vereinbart.

Ich erteile Herrn Kollegen Stratthaus das Wort.

Herr Präsident, meine Da men und Herren! Ich glaube, die Vorlage ist von uns allen mit zutragen. Ich möchte vorweg sagen, dass wir sie zudem zustimmend zur Kenntnis nehmen.

Eines ist klar: Es ist ein richtiger Schritt, ein Schritt in die rich tige Richtung. Es ist aber ein sehr kleiner Schritt, ein Schritt, der die großen Probleme, die wir auf diesem Gebiet haben, si cher nicht lösen wird.

Richtig ist er vom Ansatz her, richtig ist er auch in den Einzel maßnahmen.

Warum ist er vom Ansatz her richtig? Schlicht und einfach deswegen, weil wir das Problem nicht mehr nur national, sondern zumindest auf europäischer Ebene behandeln. Denn es ist keine Frage, dass es keinen Bereich gibt, der so stark globalisiert ist wie gerade der Finanzmarkt. Richtiger wäre natürlich, wenn auch die anderen ganz wichtigen Finanzstand orte mitmachen würden, insbesondere die Vereinigten Staa ten von Amerika und z. B. auch Singapur. Es wäre aber auch zu hoffen, dass Großbritannien mitmacht. Das kann man im Augenblick jedoch lediglich hoffen.

Zweitens kann man sagen, dass auch die Einzelmaßnahmen richtig sind, obwohl ich sagen muss: Sie sind zu komplex, zu kleinteilig, es sind zu viele, als dass man hier ernsthaft darüber diskutieren könnte.

Ich will nur ein einfaches Beispiel anführen. Derivate werden oft verteufelt, sind jedoch manchmal – manchmal! – notwen dig. Es ist wichtig, dass diese Derivate transparent gehandelt werden, dass sie über eine Plattform laufen und nicht „over the counter“, wie man das so schön nennt, gehandelt werden, wo sich zwei Leute treffen und diese Derivate handeln. Da bei weiß zum Schluss kein Mensch, wie viele Billionen davon letzten Endes in der Welt herumschwirren.

Ein solcher Schritt ist richtig, und vielleicht – das sei am Rande gesagt – könnte die Börse in Stuttgart davon profitie ren, wenn es eine gemeinsame Plattform gäbe, weil sie auf diesem Gebiet am stärksten ausgerichtet ist.

Auch der Anlegerschutz ist richtig, wenngleich ich sagen muss, meine Damen und Herren: Das, was da bereits gesche hen ist, schrammt natürlich den Vorwurf der Bürokratie. Es wird verdammt schwer, den Anlegerschutz dadurch zu ver bessern, dass in jedem Fall lange Formulare ausgefüllt werden müssen. Dennoch: Die Richtung stimmt.

Vielleicht noch einige wenige ganz allgemeine Sätze: Meine Damen und Herren, wir haben zurzeit keine Währungskrise – das ist schon x-mal gesagt worden –, sondern eine Staats schuldenkrise. Schuld sind nicht die Ratingagenturen und auch nicht die Spekulanten, die immer wieder genannt werden, sondern schuld ist letzten Endes die übermäßige Verschuldung aller Staaten. Das gilt nicht nur für Europa, sondern noch viel mehr auch für Japan und die Vereinigten Staaten.

Die Finanzmärkte haben sich von der Realpolitik gelöst. Die Finanzmärkte nehmen ihre ursprüngliche Aufgabe nicht mehr wahr, Diener der Realwirtschaft zu sein, konkret die Er sparnisse zu den Investoren zu transportieren, sondern sie füh ren in der Zwischenzeit ein Eigenleben.

Allerdings hat auch die Politik einiges dazu beigetragen. Wir haben z. B. zugelassen, dass – während alle anderen Kredite, alle anderen Anleihen mit Eigenkapital unterlegt werden müs sen – die sogenannten Staatsanleihen, auch die griechischen, auch die portugiesischen, nullgewichtet sind, sodass dafür kein Eigenkapital unterlegt werden muss. Auch das ist ohne Frage ein Fehler gewesen, den die Politik zu verantworten hat.

Wo liegen die Lösungen? Wir müssen uns bemühen, langfris tig Vertrauen zu schaffen, langfristig in der Welt Vertrauen zu schaffen, dass von allen Ländern, die den Euro als Währung übernommen haben, eine solide Schuldenpolitik betrieben wird.

Die Probleme, meine Damen und Herren, sind in 40 Jahren entstanden, und niemand darf glauben, dass sie in vier Wochen erledigt werden könnten. Das wird ebenfalls sehr, sehr lange dauern. Wichtig wäre, den Finanzmärkten zu signalisieren: Ihr könnt euch darauf verlassen, dass sich in Zukunft einiges ändern wird. Es muss Vertrauen geschaffen werden, es muss Kredit, eben Glaubwürdigkeit entstehen.

Kurzfristig, meine Damen und Herren, müssen wir über die Politik dafür sorgen, dass die Problemstaaten mit Liquidität versorgt werden. Auch das wird keine einfache Sache sein. Wir brauchen dafür langfristige, zuverlässige Regelungen – kein kurzfristiges, atemloses Eingreifen, sondern langfristige Regelungen.

Denn eines ist klar, meine Damen und Herren – damit bin ich schon fast am Ende meiner Rede –: Wir haben auf den Finanz märkten und in der Politik ganz unterschiedliche Entschei dungskulturen. Auf den Finanzmärkten muss alles blitzschnell gehen. Wenn da lange diskutiert wird, hat irgendjemand einen Insidervorsprung und kann das dann zu großem Geld machen. In der Politik hingegen wollen wir genau das Gegenteil: Dort wollen wir Transparenz, dort wollen wir Bürgerbeteiligung, dort wollen wir manchmal sogar Volksbefragungen. Das sind zwei ganz unterschiedliche Gebiete. Deswegen müssen wir uns daran erinnern: Wir brauchen eine gute Regulierung, die für alle Zeiten gilt.

Wir brauchen, meine Damen und Herren, freie Märkte. Das ist für mich klar. Wir brauchen auch eine freie Wirtschaft. Denn nur in einer freien Wirtschaft werden wir auch ein ent sprechendes Wirtschaftswachstum haben, wird sich das beste Produkt und das beste Unternehmen durchsetzen.

Wir brauchen allerdings auch Ordnung in der Wirtschaft. Ich glaube, daran hat es in den vergangenen 15 Jahren etwas gemangelt. Die Freiheit wurde zu stark und die Ordnung zu wenig betont. Ich kann jetzt sagen – da können fast alle zustimmen –: Eine freie Wirtschaft braucht einen starken Staat; diese Forderung stammt immerhin von Ludwig Erhard. Das war ein Wirtschaftsminister, der, so glaube ich, inzwischen von allen Seiten anerkannt ist.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Leopold Grimm FDP/DVP)

Für die Fraktion GRÜNE spricht Kol lege Frey.

Herr Präsident, sehr geehrte Da men und Herren! Die grün-rote Landesregierung hat heute einen Haushalt eingebracht, dessen Gütesiegel die Nullnetto neuverschuldung ist. Die Bundesregierung in Berlin hingegen hat einen Haushalt mit 24 Milliarden € Neuverschuldung ver abschiedet, und dies, ohne die Risiken für die Eurorettung auch nur ansatzweise einzupreisen. Ich weiß nicht, ob das der Glaubwürdigkeit, die Sie, Herr Stratthaus, angemahnt haben, gerecht wird.

Gleichzeitig sucht der Europäische Rat immer wieder erneut in Gipfelnächten Wege aus der Krise, und die Europäische Kommission überarbeitet derzeit die geltenden EU-Rechtset zungen, um den Handel mit verschiedensten Produkten der Finanzmärkte transparent zu machen und strikten Regularien zu unterwerfen. Denn eines ist klar: Das Gebaren der Finanz märkte hat die immense Staatsverschuldung, in der einige Mit gliedsstaaten der Währungsunion stecken und aus der sie aus eigener Kraft nicht herauskommen, dramatisch zugespitzt.

Am 20. Oktober hat die EU-Kommission deshalb ihre Vor schläge für massive Veränderungen zur Regulierung der Fi nanzmärkte vorgestellt. Kern ist die Überarbeitung der Richt linie über Märkte für Finanzinstrumente, die Gegenstand der heutigen Debatte ist.

Mit dieser novellierten Richtlinie und einer Verordnung, die von meiner Fraktion im Grundsatz begrüßt werden, sollen bestehende Lücken bei der Regulierung der Finanzmärkte und ihrer Instrumente geschlossen werden. So gab es für einige Finanzprodukte bislang Handelsplattformen, die gar keiner Regulierung unterlagen. Dies soll sich ändern.

Insgesamt sollen die Märkte deutlich transparenter werden, um damit Anleger zu schützen. Aufsichtsbehörden sollen künftig besser eingreifen, wenn der Anlegerschutz, die Finanz stabilität oder das Funktionieren der Märkte gefährdet sind.

Die Vorschläge der Kommission berücksichtigen auch den Hochfrequenzhandel, also diesen berüchtigten Klick, den Sie, Herr Stratthaus, angesprochen haben, mit dem in einem Bruchteil von Sekunden Milliardenbeträge um die Erde fließen und im Einzelfall sogar die Börsen zusammenbrechen lassen. Solche künstlich erzeugten Kursschwankungen müs sen wir in Zukunft unterbinden.

Schließlich sollen kleine und mittlere Unternehmen künftig von speziell auf sie abgestimmten Regeln profitieren. Das schafft für unsere KMUs Transparenz und Effizienz im Land.

Sehr geehrte Damen und Herren, nach der gestrigen Beratung im Europaausschuss werden wir den nun begonnenen Prozess der Abstimmung auf den beteiligten Ebenen vom Bundesrat bis zum Europaparlament und am Ende dann dem Eu ropäischen Rat konstruktiv begleiten. Dabei haben wir auch die Auswirkungen auf unsere Landesbanken und die Volks- und Raiffeisenbanken sowie den Schutz der Verbraucherin nen und Verbraucher im Blick. Die Volks- und Raiffeisenban ken müssen unseren kleinen und mittleren Unternehmen gute Zinskonditionen bieten können. Deshalb darf die Finanzmarkt regulierung nicht zu einer Kreditklemme führen.

Es muss eine fundierte und an der Quelle ansetzende Regulie rung vereinbart werden, die auch ein Verbot von Finanzmarkt

transaktionen möglich macht. Bis zum Sommer 2012 sollten wir diesen Prozess auf europäischer Ebene abgeschlossen ha ben.

Wo wir aber nicht noch mehr Zeit verlieren dürfen – das sage ich ganz bewusst mit Blick auf die Kanzlerin –, ist die Euro rettung. Wir brauchen beides: Wir brauchen mittelfristige und langfristige Ansätze, und wir brauchen auch kurzfristige An sätze. Da muss die Bundesregierung endlich mit Instrumen ten und klaren Regeln das durch x-fache Kehrtwendungen und unzureichende Maßnahmen zerschlagene Vertrauen wieder herstellen, und zwar sowohl bei den Finanzmärkten als auch bei den Bürgerinnen und Bürgern.

Stabilität, die eine gemeinsame Währung wie der Euro braucht und die wir alle parteiübergreifend anstreben, ist nicht um sonst zu haben. Stabilität im Euroraum werden wir nur her stellen, wenn sich die Mitgliedsstaaten an die Kriterien des Stabilitätspakts von Maastricht halten. Von diesen sind prak tisch alle – ich sage nochmals: alle – einschließlich Deutsch land im Jahr 2011 mehr oder weniger weit entfernt.

Deshalb waren die vom letzten Gipfel auf den Weg gebrachten Instrumente wie Sanktionsmechanismen für Schuldenstaaten, die sich nicht an die Regeln halten, die verfassungsrechtliche Einführung einer Schuldenbremse durch jeden einzelnen Mit gliedsstaat und auch das Vorziehen des ESM, des Europäi schen Stabilitätsmechanismus, längst überfällig. Dieser einge schlagene Weg muss aber mit weiteren Schritten flankiert werden, hin zu einer echten Fiskalunion, hin zu einer de mokratischen Legitimierung, Kontrolle und Nachvollzieh barkeit der Vertragsinhalte, hin zu kontrollierter Haushalts disziplin und klugen Investitionen und hin zur Besteuerung der Finanzmärkte durch eine Finanztransaktionssteuer, auch hin zu Eurobonds,

(Oh-Rufe von der CDU)

die unter strengen Auflagen und enger Überwachung ausgege ben werden müssen. Wir brauchen in Europa beides, meine Damen und Herren: fiskalische Solidität und gleichzeitig fis kalische Solidarität. Nur so können wir Spekulationen und Zinsaufschlägen für Staatsanleihen Einhalt gebieten.

Die Auswirkungen der Sparpolitik und der Strukturmaßnah men in den Krisenstaaten werden wir sorgsam im Blick be halten. Es liegt in der Verantwortung der europäischen Ge meinschaft und jedes einzelnen Mitgliedsstaats, den notwen digen Strukturwandel und Maßnahmen der Harmonisierung von Löhnen und Mindestlöhnen bis hin zur Arbeitszeit maß voll anzugehen. Das liegt mir und meiner Fraktion besonders am Herzen.

Es muss uns gelingen, die in manchen Mitgliedsstaaten dra matisch hohe Jugendarbeitslosenquote – in Spanien liegt sie bei 45 % – zu senken. Mehr als fünf Millionen junge Men schen unter 25 Jahren waren in der EU im letzten Jahr arbeits los, während wir in Baden-Württemberg unter Fachkräfteman gel leiden.

(Glocke des Präsidenten)

Herr Abg. Frey, ich darf Sie bitten, zum Ende zu kommen.

Zwei Sätze noch.

Europa muss und kann auch der jüngeren Generation eine Per spektive bieten.

Jetzt müssen endlich solide und solidarisch energische und mit den Parlamenten abgestimmte, entschlossene Schritte fol gen.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Für die SPD-Fraktion spricht Herr Kollege Hofelich.