Protokoll der Sitzung vom 08.02.2012

Die Anerkennung von im Heimatland erworbenen Fähigkei ten halte ich für dringend notwendig. Erst vor Kurzem habe ich mit einer großen Gruppe Migrantinnen und Migranten ge sprochen, die aus den unterschiedlichsten Ländern kamen. Da war z. B. eine ausgebildete Lehrerin, die bei uns nicht einmal als Kindergärtnerin arbeiten darf, obwohl sie ausgezeichnet Deutsch spricht. Dabei suchen wir doch Erzieherinnen. Da war ein Automechaniker, der drei Jahre seinen Beruf gelernt

und bereits drei Jahre in diesem Beruf gearbeitet hat. Dieser Mann ist arbeitslos. Das ist unverantwortlich.

Es ist doch völlig bescheuert, wenn wir diese Menschen nicht in Arbeit bringen, wobei sie nicht nur sich selbst und ihre Fa milien unterhalten können, sondern durch ihre Steuern auch etwas für die Gesellschaft tun, sondern sie stattdessen von die ser Arbeit fernhalten und mit Geld aus dem Sozialtopf abspei sen.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Wir wollen aber auch nicht die Augen davor verschließen, dass es unter den Migrantinnen und Migranten bestimmte Gruppen gibt, die besonderen Bedrohungen oder sogar Men schenrechtsverletzungen ausgesetzt sind oder waren. Wir brau chen deshalb eine besondere Beratungs- und Unterstützungs kultur für Frauen – es sind hauptsächlich Frauen –, die z. B. gegen ihren Willen verheiratet werden sollen. Wir müssen auch dort tätig sein, wo Menschen aufgrund politischer Ver folgung traumatisiert sind und mit enormen psychischen Fol gen zu kämpfen haben.

In den Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folterop fer arbeiten viele Fachkräfte ehrenamtlich. Ich habe sehr gro ßen Respekt davor. Aber selbstverständlich müssen darüber hinaus für festangestellte Kräfte und für personalunabhängi ge Ausgaben finanzielle Mittel bereitgestellt werden, wie dies in anderen Bundesländern auch der Fall ist.

Die Arbeit für Opfer von Menschenhandel – das sind bei uns zunehmend junge Frauen aus Osteuropa, die hierher gelockt oder verschleppt werden, um als Prostituierte zu arbeiten – wird im Haushalt des Sozialministeriums verankert sein.

Nun sagt die Opposition: Es ist doch alles gut in den bisheri gen unterschiedlichen Ministerien untergebracht gewesen. Nein! Herr Kollege Lede Abal hat es schon gesagt: Es wurde allerhöchste Zeit, dass wir diese Vielfalt an Aufgaben in ei nem Haus bündeln – wenigstens die meisten dieser vielen Auf gaben – und dass die Menschen wissen: Da gibt es eine Mi nisterin, die kümmert sich auch um uns. Weil bisher alles wie bunte Teile eines Patchworkteppichs quer überall verbreitet war, bedarf es endlich einer grundlegenden Analyse, wo was angesiedelt ist und wie sich das Leben der Menschen mit Mi grationshintergrund in unserem Land gestaltet.

Die Opposition hält die Vergabe eines Forschungsauftrags zur Einstellung der Aufnahmegesellschaft zur Integration für über flüssig. Wir haben es gerade gehört.

(Abg. Dr. Bernhard Lasotta CDU: Dazu gibt es ge nügend Studien!)

Wir sehen das nicht so. Es geht primär nicht darum, in Erfah rung zu bringen, was die Bürgerinnen und Bürger vom Minis terium für Integration erwarten. Es geht vielmehr darum, die Einstellung der einheimischen Bevölkerung zum Thema In tegration genauer als bislang zu identifizieren, um dadurch die Menschen bei der Ausgestaltung der Integrationspolitik bes ser mitnehmen zu können. Die genaue Betrachtung gerade der Aufnahmegesellschaft unter dem Gesichtspunkt der Integra tion ist noch ein weitgehend unbearbeitetes Feld in BadenWürttemberg.

Es darf auch keinen Schritt in alte Strukturen geben, wenn wir erfolgreiche Integration im Land leisten wollen. Natürlich wissen wir alle, dass z. B. die Landeszentrale für politische Bildung hervorragende Arbeit leistet. Aber mit dem Integra tionsministerium haben wir nun eine neue Stelle geschaffen, in der alle diese Aufgaben gebündelt werden können. Die Lan deszentrale wird sich noch mit vielen anderen wichtigen Be reichen zu befassen haben und wird deshalb natürlich weiter hin von uns unterstützt.

Ich muss schon sagen, dass ich es unverschämt finde, wenn eine Gruppe, die 58 Jahre lang Zeit hatte, ihre Ideen umzuset zen, nach neun Monaten von anderen erwartet, dass alles rei bungslos funktioniert.

(Beifall bei der SPD und den Grünen – Zurufe von der CDU, u. a. Abg. Dr. Bernhard Lasotta: Wir haben Sie nicht gezwungen, das zu machen!)

Natürlich muss ein Ministerium zunächst einmal als Gebäu de installiert werden. Dass es dazu bestimmter Technik, neu er Mitarbeiter sowie Hard- und Software bedarf, ist doch wohl mehr als normal.

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Das ist doch klar!)

Wenn die Opposition das nicht verstehen will, kann nur der Rückschluss gezogen werden, dass Sie schlicht keine Ahnung haben, was es heute kostet, in neu geschaffenen Räumen die nötige Infrastruktur zu schaffen, um vernünftig und effizient arbeiten zu können.

(Abg. Klaus Herrmann CDU: Dazu braucht man ein Jahr! – Zuruf des Abg. Karl Zimmermann CDU)

Die sogenannten Erstkosten werden sich in der Zukunft be stimmt reduzieren lassen und auf Ergänzung und Maintenance beschränken.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die demografische Entwick lung ist ein weiteres Merkmal, das uns auffordert, ein beson deres Augenmerk auf die Menschen mit Migrationshinter grund in unserem Land zu richten. Diese Menschen sind näm lich im Schnitt knapp zehn Jahre jünger als die Menschen oh ne Migrationshintergrund. Hier in Stuttgart hatten schon im Jahr 2005 rund 40 % der Menschen einen Migrationshinter grund.

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Das läuft hervorragend, auch ohne Integrationsministerium!)

Damit ist Stuttgart die Region, die mit Abstand den höchsten Migrantenanteil in Baden-Württemberg hat. Selbst in Berlin beträgt dieser Anteil nur 23 %.

(Zuruf des Abg. Klaus Herrmann CDU)

Gute Arbeit ist nicht zum Nulltarif zu haben. Sie haben offen sichtlich noch nie mit den betroffenen Gruppierungen,

(Zuruf des Abg. Andreas Deuschle CDU – Unruhe – Glocke des Präsidenten)

die schon seit Jahren ehrenamtlich für diese Gruppen arbei ten, gesprochen.

(Abg. Peter Hauk CDU: Frau Grünstein, Sie haben die Weisheit nicht allein gepachtet!)

Ich habe das in den letzten Wochen vermehrt getan und sehe einen großen Handlungsbedarf in diesem Land.

(Zurufe von der CDU, u. a. Abg. Klaus Herrmann: Aha! Die letzten 58 Jahre nicht! Das ist typisch!)

Ergreifen wir die Chance, die wir mit dem Integrationsminis terium geschaffen haben.

(Zuruf des Abg. Dr. Bernhard Lasotta CDU)

Da war ich nicht in diesem Ausschuss.

(Zuruf der Abg. Sabine Kurtz CDU)

Wir alle werden davon profitieren. Stimmen Sie den Empfeh lungen zum Haushaltsplan zu.

Zum Schluss sage ich noch ein großes Dankeschön an alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im neuen Haus.

(Zuruf des Abg. Andreas Deuschle CDU)

Sie leisten sozusagen Pionierarbeit und legen den Grundstein für die künftige Arbeit.

Ich bedanke mich.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Ich erteile Herrn Abg. Glück für die FDP/DVP-Fraktion das Wort.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Wie Sie alle sehen können,

(Der Redner hält einen Stapel Unterlagen hoch.)

ist uns Integration sehr wichtig. Deswegen habe ich jetzt auch eine etwas längere Rede vorbereitet.

Nein, Spaß beiseite. Zunächst einmal, wenn ich mir eine Be merkung im Vorfeld erlauben darf: Frau Grünstein, Integrati on ist in der Tat sehr, sehr wichtig. Aber ich kann einfach die sen Argumentationsschritt nicht mit Ihnen gehen, zu sagen: Es gibt 2,5 Millionen Migranten in Baden-Württemberg, und deswegen braucht man ein eigenes Ministerium. Ich könnte Ihnen entgegnen: Wir haben fünf Millionen Skifahrer in Ba den-Württemberg und haben kein Skifahrerministerium. Wir haben auch kein Sängerministerium und kein Radfahrermi nisterium.

(Heiterkeit und Beifall bei der FDP/DVP und der CDU)

Sie werden mir entgegenhalten: Das sind alles Querschnitts themen. Aber, Frau Grünstein, es ist genau der Punkt unserer Kritik, dass ein Querschnittsministerium dadurch sehr, sehr schwierig ist, dass es von vornherein viele Bereiche abdecken muss.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Integration ist wich tig. Sie ist uns so wichtig, dass wir sie nicht so emotional be handeln müssen, wie wir vielleicht heute Morgen zur Sache

gegangen sind. Wir können uns einfach auf die Fakten be schränken.

(Abg. Daniel Andreas Lede Abal GRÜNE: Das rich tet sich aber nicht an uns!)

Professor Goll hat es bereits angesprochen: In manchen Be reichen läuft es bei Ihnen gar nicht so schlecht. Das möchte man anerkennen; das darf man als Opposition auch einmal sa gen. Dazu gehört aber auch, dass sich – auch das hat Profes sor Goll gesagt – in anderen Bereichen Orientierungslosigkeit zeigt. Meine Damen und Herren, so leid es mir tut: Der Be reich Integration fällt in diese Kategorie Orientierungslosig keit.