Meine Damen und Herren! Ich eröff ne die 29. Sitzung des 15. Landtags von Baden-Württemberg und bitte Sie, Platz zu nehmen.
Eine Zusammenstellung der E i n g ä n g e liegt verviel fältigt auf Ihren Tischen. Sie nehmen davon Kenntnis und stimmen den Überweisungsvorschlägen zu. – Es ist so be schlossen.
2 BvE 7/11 – Organstreitverfahren der Fraktion DIE LINKE im Deut schen Bundestag gegen die Bundesregierung wegen eingeschränkter Beantwortung von parlamentarischen Anfragen
2 BvE 2/11 – Organstreitverfahren von vier Abgeordneten des Deut schen Bundestags und der Bundestagsfraktion Bündnis 90/DIE GRÜ NEN gegen die Bundesregierung wegen eingeschränkter Beantwor tung von parlamentarischen Anfragen
Die heutige Sitzung ist sozusagen der parlamentarische Teil des Frauenplenartags, der nach 2002 und 2007 heute zum drit ten Mal hier stattfindet. Der – wenn wir es so nennen wollen – außerparlamentarische Teil beginnt um 16:30 Uhr in der
Lobby. Dabei handelt es sich um eine Vortragsveranstaltung mit Podiumsdiskussion zur politischen Partizipation von Frau en.
Der Frauenplenartag 2012 hat einen doppelten Hintergrund: Er ist der erste Beitrag des Landtags zum großen Jubiläums programm „60 Jahre Baden-Württemberg“. Dieser Auftakt passt bestens. Denn das Leitmotiv unseres Landesgeburtstags lautet: „Wir feiern in die Zukunft rein.“ Gleichzeitig begehen wir mit diesem Frauenplenartag erlaubterweise im Voraus den morgigen Internationalen Frauentag.
Den Internationalen Frauentag gibt es seit 1911. Er manifes tiert den politischen Kampf für Wahlrecht und soziale Gleich stellung. Trotz unbestreitbarer Fortschritte, die in den zurück liegenden hundert Jahren erzielt wurden, sind die Anliegen nicht obsolet.
Kurzum: Wir beschäftigen uns heute mit zentralen Aspekten einer gedeihlichen Zukunft, die längst Gegenwart sein müss te. Frauenauftrag ist Verfassungsauftrag. Artikel 3 unseres Grundgesetzes sagt klipp und klar:
Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat för dert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechti gung von Frauen und Männern und wirkt auf die Besei tigung bestehender Nachteile hin.
Artikel 2 unserer baden-württembergischen Landesverfassung macht daraus unmittelbar geltendes Landesrecht.
Tatsache ist indes: Gleichbehandlung und Chancengleichheit von Frauen stehen oft höchstens auf dem Papier, namentlich in der Arbeitswelt. Frauen verdienen bei identischer Leistung noch immer weniger als ihre männlichen Kollegen. Frauen ar beiten häufiger in unsicheren Beschäftigungsverhältnissen als Männer. Ihnen wird vielfach die gesellschaftliche Anerken nung vorenthalten. Ich denke, die heutige Debatte gibt frakti onsübergreifend Gelegenheit, darüber zu diskutieren. Um gleich weit zu kommen, müssen Frauen nicht selten deutlich mehr Leistung erbringen als Männer. Chancengleichheit sieht anders aus.
Es sind also noch substanzielle Anstrengungen nötig, um Ver fassungswillen und Verfassungswirklichkeit in Deckung zu bringen. Studien zeigen eindeutig: Unterlassene Gleichstel lung ist, zutreffend gerechnet, teuer; praktizierte Gleichstel lung hingegen macht unsere Gesellschaft leistungsfähiger, und das nicht nur volkswirtschaftlich.
Ein wichtiger Ansatz scheint mir, die Folgen unterschiedli cher Lebensentwürfe konkret zu beschreiben und dann zu ei
ner gerechten Verteilung zu kommen. Frauen und Männer sol len qualitativ gleiche Chancen haben, das Leben zu leben, für das sie sich aus guten Gründen entschieden haben. Ich bin überzeugt, auch Männer profitieren von neuen Gestaltungs möglichkeiten jenseits des hergebrachten Rollenverständnis ses. Deshalb ist mein Appell in dieser parlamentarischen De batte an die männlichen Kollegen: Sehen wir uns bei diesem Frauenplenartag nicht lediglich als Zuhörer oder als Zaungäs te. Betrachten wir uns als Mitgewinner. Führen wir die De batte in einem gemeinsamen Interesse.
Ministeriums für Finanzen und Wirtschaft – Frauen als Ernährerinnen – Drucksache 15/686 (geänderte Fas sung)
Meine Damen und Herren, das Präsidium hat für die Aktuel le Debatte eine Gesamtredezeit von 40 Minuten festgelegt. Darauf wird die Redezeit der Regierung nicht angerechnet. Für die einleitenden Erklärungen der Fraktionen und für die Redner in der zweiten Runde gilt jeweils eine Redezeit von fünf Minuten. Ich darf die Mitglieder der Landesregierung bit ten, sich ebenfalls an den vorgegebenen Redezeitrahmen zu halten.
Schließlich darf ich darauf hinweisen, dass mit Blick auf § 60 Absatz 4 der Geschäftsordnung in der Aktuellen Debatte die Aussprache in freier Rede zu führen ist.
Herr Präsident, sehr geehrte Kol leginnen und Kollegen, sehr geehrte Damen und Herren! Frau en werden gegenüber Männern und übrigens meist auch durch Männer in der Arbeitswelt benachteiligt. Frauen arbeiten deut lich öfter in prekären Beschäftigungsverhältnissen. Sie haben schlechtere Karrierechancen, und sie sind in den Unterneh mensleitungen deutlich unterrepräsentiert. Sie erhalten weni ger Lohn, und – was noch schlimmer ist – sie erhalten auch weniger Lohn für die gleiche oder für gleichwertige Arbeit.
Fürsorgeaufgaben wie die Betreuung von Kindern oder von pflegebedürftigen Angehörigen werden immer als selbstver ständliche Aufgabe der Frau angesehen. Das, meine Damen und Herren, darf so nicht bleiben.
Sie, meine sehr geehrten Herren von der heutigen Oppositi on, haben uns mit Ihrer konservativ ausgerichteten Politik ei nen Scherbenhaufen hinterlassen, was die berufliche Gleich stellung von Männern und Frauen in unserem Bundesland an geht.
Um das zu belegen, nenne ich einige Vergleichszahlen aus dem Gleichstellungsatlas der Bundesregierung: Aus dem Bun desländerranking geht hervor, dass Baden-Württemberg beim Gender Pay Gap, also beim Ausmaß des Verdienstunterschieds zwischen Männern und Frauen, mit 28 % den letzten Platz einnimmt. Der Anteil der Frauen unter den Führungskräften in privatwirtschaftlichen Unternehmen beträgt in Baden-Würt temberg knapp 16 %; damit befindet sich Baden-Württemberg auf dem vorletzten Platz. Bei der Erwerbsbeteiligung von Frauen mit Kindern unter drei Jahren im Verhältnis zur Er werbsbeteiligung von entsprechenden Vätern liegt BadenWürttemberg auf dem letzten Platz. Die Differenz des Anteils der erwerbstätigen Frauen im Vergleich zu erwerbstätigen Männern beträgt über 10 %. Damit befindet sich Baden-Würt temberg auf dem drittletzten Platz.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind uns in der Analy se dieser Daten und bei der Diskussion über deren Ursachen hoffentlich einigermaßen einig. Vielleicht sind wir uns hier in Baden-Württemberg auch darüber einig, dass Förderprogram me wie die Kontaktstellen „Frau und Beruf“ notwendig sind. Aber was nützen solche Programme, wenn, obwohl wir schon heute mehr weibliche als männliche Abiturienten an unseren Gymnasien haben, Frauen später im Berufsleben gegenüber Männern noch immer stark benachteiligt sind?
Als Beispiel nehme ich das Fach Medizin. Schon seit einigen Jahren sind bei uns über 60 % aller Studienabsolventen Frau en. Das führt dazu, dass die Frauenquote unter allen berufstä tigen Ärztinnen und Ärzten auf über 40 % angestiegen ist. Das ist sicherlich eine sehr erfreuliche Zahl. Auf wie hoch schät zen Sie aber den Anteil von Frauen bei den ärztlichen Leitun gen der baden-württembergischen Krankenhäuser? Da liegt der Anteil gerade einmal bei 7,5 %. Ähnlich wie beim Frau enanteil in den Vorständen börsennotierter Unternehmen ist in den letzten Jahren auch hier kaum eine wirkliche Steige rung festzustellen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ohne verbindliche Regelun gen kommen wir hier nicht voran. Genau dies wird diese Lan desregierung angehen.