Protokoll der Sitzung vom 15.03.2012

Zu a: Bei der Beurteilung der humanitären Situation in der Republik Kosovo und konkret der Frage, ob Abschiebungen rechtlich möglich sind, sind für die Landesregierung der Be richt des Auswärtigen Amts über die asyl- und abschiebungs rechtliche Lage und die Berichte des Sicherheitsrats der Ver einten Nationen maßgeblich.

Aus diesen Berichten folgt, dass die rechtlichen Voraussetzun gen für einen Abschiebestopp nicht vorliegen und ein gene reller Abschiebestopp von Minderheitsangehörigen der Ro ma, Ashkali und „Ägypter“ deshalb nicht verhängt werden kann.

Dabei ist dem Innenminister bewusst, dass die soziale und wirtschaftliche Lage für die Minderheitsangehörigen wie auch für den Großteil der übrigen Bevölkerung nicht einfach ist. Gleichwohl sind soziale und wirtschaftliche Gründe grund sätzlich bei Rückführungen nicht entscheidend.

Unbeschadet dessen hat der Innenminister Anfang August 2011 auf Bitten des Petitionsausschusses angeordnet, dass die zwangsweise Durchsetzung der Ausreisepflicht von Angehö rigen der ethnischen Minderheiten der Roma, Ashkali und „Ägypter“ in die Republik Kosovo vorübergehend zurückge stellt wird.

Dies gilt bis zur Auswertung der Ergebnisse der Delegations reise des Petitionsausschusses (18. bis 22. Januar 2012), die dieser durchgeführt hat, um sich vor Ort ein eigenes Bild von der humanitären Situation der Minderheiten zu machen. Der Bericht des Petitionsausschusses liegt noch nicht vor. Nach allem, was das Innenministerium bislang gehört hat, geht die Delegation nicht davon aus, dass die humanitäre Situation im Kosovo einen Abschiebestopp rechtfertigen kann.

Zu b: Aufenthaltsrecht ist Bundesrecht und der Vollzug Auf gabe der Länder. Ein vollziehbar ausreisepflichtiger Auslän der ist nach den Vorgaben des Bundesrechts abzuschieben, wenn eine freiwillige Ausreise nicht gesichert ist. Die Durch setzung der vollziehbaren Ausreisepflicht ist nicht ins Belie ben der Länder gestellt. Solange kein genereller Abschiebe stopp angeordnet wurde, keine Bleiberechtsregelung greift und im Einzelfall keine Abschiebungsverbote vorliegen, ist die vollziehbare Ausreisepflicht durchzusetzen.

Damit ist Tagesord nungspunkt 5 beendet.

Ich rufe Punkt 6 der Tagesordnung auf:

Große Anfrage der Fraktion der SPD und Antwort der Landesregierung – Wirtschaftskriminalität und Internet – Drucksache 15/1092

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Präsidium hat für die Aussprache eine Redezeit von fünf Minuten je Fraktion und für das Schlusswort der antragstellenden Fraktion eine Rede zeit von fünf Minuten festgelegt.

(Unruhe)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Sakellariou für die SPD-Frak tion.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Jetzt kommen wir zu einem et was sachlicheren Thema. Gestern haben wir sehr viel über die Arbeit der Polizeibeamten und über die Wertschätzung ge sprochen, die wir im ganzen Haus für diese Arbeit empfinden. Das war gestern. Heute haben wir uns schon ein bisschen auf geregter über die Frage der Struktur der Polizeiarbeit unter halten. Jetzt wollen wir uns mit dem Thema „Neue Aufgaben und neue Herausforderungen für die Polizei“ intensiver be fassen. Es tut manchmal gut, wenn man sich einmal mit den Inhalten befasst. Dann wird manche Diskussion über die Strukturen klarer und ruhiger.

(Unruhe – Glocke des Präsidenten)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist sehr laut. Es geht aber um ein wichtiges The ma. – Bitte, Herr Abgeordneter.

Ich bedanke mich, Herr Prä sident.

Überschrift: „Internet lässt Wirtschaftskriminalität explodie ren“. Ich muss Sie jetzt mit ein paar Zahlen belästigen, weil erst aufgrund der Zahlen deutlich wird, um was für ein gigan tisches Problem es sich handelt, das wir in Baden-Württem berg gemeinsam mit unseren Polizeibeamtinnen und Polizei beamten lösen müssen.

Vor drei Jahren waren 26 % aller Unternehmen Opfer von Wirtschaftskriminalität. Jedes vierte Unternehmen in BadenWürttemberg war also davon betroffen. Innerhalb von drei Jahren ist diese Zahl nach oben geschossen, auf 37 %. Das heißt, mehr als ein Drittel aller Unternehmen sind von Wirt schaftskriminalität betroffen. Immer häufiger ist dabei das In ternet das Tatwerkzeug.

Auch hier wieder Zahlen – tut mir leid –: Vor drei Jahren sind 23 % der Taten im Bereich der Wirtschaftskriminalität – also ein Viertel – mithilfe des Internets begangen worden. Inner halb von drei Jahren ist dieser Anteil auf über 50 % nach oben geschossen. Es ist Wahnsinn, welche Bedeutung das Internet im Zusammenhang mit der Wirtschaftskriminalität hat. Nahe zu jedes dritte Unternehmen ist betroffen; über die Hälfte der Taten sind über das Internet begangen worden.

Obwohl nur 1,7 % aller polizeilich registrierten Straftaten bundesweit diesem Bereich zuzuordnen sind, werden in die sem Bereich 50 % des Gesamtschadens produziert. Auf Ba den-Württemberg bezogen werden sogar 57,3 % der Gesamt schäden durch Internetkriminalität und Wirtschaftskriminali tät hervorgerufen. Das sind pro anno über 400 Millionen €, also fast eine halbe Milliarde € pro Jahr.

Ganz schlimm ist – das ist das Besondere an diesem Krimi nalitätsfeld –, dass die betroffenen Unternehmen oft gar nicht Bescheid sagen. Das Dunkelfeld ist sehr viel größer, weil die betroffenen Unternehmen und Firmen natürlich gar kein In teresse daran haben, in irgendeiner Form staatsanwaltschaft liche Ermittlungen einzuleiten und dann öffentliche Haupt verhandlungen zu erleben, in denen ihr Unternehmen als Op fer dargestellt wird. Diese Firmen beauftragen dann lieber pri vate Unternehmen oder bringen die Sache gar nicht zur An zeige und gehen der Sache selbst nach. In Deutschland haben wir im Dunkelfeld Schäden von 12 Milliarden € zu beklagen. Das sind erhebliche Probleme, die wir zu lösen haben.

Betroffen sind aber auch die Bürgerinnen und Bürger; denn 20 % der Vergehen im Wirtschaftskriminalitäts- und IT-Be reich waren Vergehen, die zugleich dem Bereich der organi sierten Kriminalität zuzuordnen sind.

Ich möchte ein Beispiel nennen, damit Sie erkennen, dass je der von uns hier im Raum betroffen sein kann: Allein eine Gruppe von estnischen, britischen und deutschen Tätern hat durch das Abgreifen von EC-Kartendaten mittels manipulier ter Geldautomaten bei nur 260 Überweisungen einen Scha den von 2,1 Millionen € erzeugt. Eine kleine Gruppe, 260 Überweisungen, ein Schaden von 2,1 Millionen €! So etwas kann jeden von uns treffen, der mit einer EC-Karte an einen solchen manipulierten Bankautomaten gerät.

Da ist es also wirklich angebracht, dass wir uns diesem The ma widmen und auch die Bevölkerung vor solchen Taten schützen. Denn die Kriminalität in diesem Bereich, die im an onymen Umfeld geschieht, lässt natürlich die Bürger verun sichert zurück, weil man selbst dieses Netz als einen rechts freien Raum empfindet und sich auch gar nicht mehr traut, Geschäfte auf diesem Weg abzuwickeln. Damit hätten die Kri minellen gesiegt.

Das heißt, wir müssen das Internet wieder zu einem Raum ma chen, in dem die Kriminellen Angst haben, sich zu bewegen, damit die rechtschaffenen Bürger keine Angst mehr haben, sich im Internet zu bewegen.

Was haben wir getan? Das geht aus der Antwort auf unsere Große Anfrage hervor, die natürlich – so sage ich einmal – in teressanter zu lesen ist, als darüber zu sprechen. Daraus wird deutlich: Wir haben seit der Übernahme der Regierungsver antwortung Umstellungen beim Landeskriminalamt vorge nommen. Seit Juli 2011 wurde dort an einer Handlungsemp fehlung gearbeitet.

Zweitens wurde beim LKA eine Abteilung „Cyberkriminali tät/Digitale Spuren“ eingerichtet, und die Akademie der Poli zei hat Fortbildungen organisiert und veranstaltet, um die Sachbearbeiter genau auf diese Spurenerkennung im Internet vorzubereiten.

Drittens: Bei der Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart ist eine Zentralstelle für die Bekämpfung der Informations- und Kom munikationskriminalität eingerichtet worden, eine Schwer punktstaatsanwaltschaft.

Außerdem haben wir viertens – darauf kommt man nicht di rekt – 500 neue Anwärterstellen bei der Steuerverwaltung ge schaffen und verstärken auf diese Art und Weise auch diesen Bereich; denn die dort Beschäftigten können die Staatsanwalt schaften im Bereich der Aufklärung von Steuervergehen un terstützen.

In diesem Bereich geht es um gigantische Summen. Stellen wir uns einfach einmal vor, in welchen Bereichen man sich dort bewegt: Da geht es um Finanzgeschäfte von Mitarbeitern der LBBW – ein riesiger Bereich – oder auch um die Über nahmeversuche von Porsche und VW. Da geht es um gigan tische Summen. In diesem Bereich muss ermittelt werden, und dazu braucht man ganz spezielle Kenntnisse.

Wenn man dann sieht – jetzt komme ich noch einmal auf die Strukturen zurück –, wie das bislang hier in Baden-Württem berg geregelt ist, stellt man fest: Auf 37 Polizeidirektionen verteilt sitzen dort Spezialisten. So gibt es in Emmendingen 2,5 Stellen für Spezialisten, die sich mit diesem Kriminalitäts feld befassen. In Esslingen hingegen sitzen hierfür 27 Spezi alisten. Das liegt nicht daran, dass in Esslingen so viele Kri minelle wohnen würden.

Weil dort gut gearbei tet wird.

(Abg. Winfried Mack CDU: Weil der stellvertreten de Präsident dort wohnt! Der Präsident wird unru hig!)

Das zeigt doch vielmehr ganz deutlich, dass eine solche Kriminalität nur mit Teams be kämpft werden kann, die in sich schlagkräftig sind. Diese müssen eine gewisse Mindestgröße haben, damit sie alle As pekte dieser Form der Kriminalität bekämpfen können. Da ist es ein falsches Instrument, wenn die Zahl der Stellen in den 37 Polizeidirektionen zwischen 2,5 Stellen und 27 Stellen di vergiert; so ist es schwer, in diesem Megabereich die Krimi nalitätsbekämpfung effektiv zu betreiben.

Wenn man sich mit den Inhalten befasst, wird einem klar, wa rum die Strukturen angepasst werden müssen.

Viel Freude bei der Lektüre und dem Ministerium herzlichen Dank für die gründliche Erarbeitung der Antwort auf die Gro ße Anfrage.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen)

Für die CDU-Fraktion erteile ich Herrn Abg. Zimmermann das Wort.

Herr Präsident, werte Kol leginnen und Kollegen! Lieber Kollege Sakellariou, auf Zah len verzichte ich jetzt

(Oh-Rufe – Abg. Walter Heiler SPD: Ach nein!)

ja, ja –, weil die Statistik nur die erfassten Zahlen beinhal tet. Sie selbst sagen: Bei Schäden in Höhe von geschätzten 12 Milliarden € im Dunkelfeld brauchen wir auf einzelne Zah len nicht einzugehen.

Aber lassen Sie mich zunächst etwas zur Wirtschaftskrimina lität sagen. Hier sprechen die Zahlen eine klare Sprache. In den vergangenen Jahren war der starke Anstieg in der Wirt schaftskriminalität gebrochen worden; die Zahlen gingen in der vergangenen Legislaturperiode zurück. Die Fallzahlen wa ren auch bei allen anderen Deliktsarten rückläufig – das ist die gute Nachricht, die ich heute mitteilen möchte. Eine gute Po lizei hat also eine gute Arbeit geleistet – in der alten bzw. noch bestehenden Organisationsform.

(Beifall bei der CDU)

Sorgen macht mir aber, dass trotz dieser positiven Entwick lung immer mehr Kriminalität sozusagen von außen impor tiert wird. Erlauben Sie mir, das zu sagen; das ergibt die Sta tistik: Während die Zahl der deutschen Straftäter rückläufig ist, hat die Zahl der nicht deutschen Tatverdächtigen deutlich zugenommen.

Dass die Internetkriminalität zugenommen hat, wundert aber nicht; denn in den letzten zehn Jahren hat sich die Zahl der In ternetnutzer mehr als verdoppelt. Auch die Akzeptanz des In ternets als Vertriebskanal hat rasant zugenommen. Der Inter nethandel hat den klassischen Versandhandel mittlerweile überholt. Das Internet wird für Kriminelle schon allein wegen der Zahl der Transaktionen und der Höhe der dort getätigten Umsätze immer interessanter und beliebter.

Aber das Internet ist nicht nur ein Raum zum Verüben von Straftaten. Es ist auch ein Raum, in dem Spuren hinterlassen werden – Gott sei Dank. Sie konnten in den letzten Tagen viel zum Fall „Tobias“ und zur Aufklärung lesen. Es waren Spu ren im Internet, die man gefunden hat und mit deren Hilfe die Polizei den Fall dann auch Gott sei Dank aufklären konnte.

Was lernen wir daraus? Die Ermittlung im Internet verspricht Erfolge, wo konventionelle Ermittlungsverfahren erfolglos geblieben sind. Entsprechend müssen dem aber auch die Schwerpunkte in der Ermittlungsarbeit folgen. 140 Fachkräf te, die sogenannten Sachbearbeiter für IT-Beweissicherung, sind da meines Erachtens, aber auch Stellungnahmen der Fachleute zufolge zu wenig. Deshalb bitte ich die Landesre gierung, zu prüfen, wie durch entsprechende Umschichtun gen die Kapazitäten ausgebaut werden könnten.

Jetzt möchte ich auf Ihren guten Vorschlag, Ihre Aussage, Herr Kollege Sakellariou, dazu, was Sie in der Steuerverwaltung machen, zurückkommen. Wenn Sie also 1 000 neue Stellen in der Steuerverwaltung schaffen wollen bzw. planen, dann – das muss ich Ihnen ernsthaft sagen – wirken 140 Fachkräfte für Beweissicherung im Internet bei diesem gigantischen Wachs tum im Bereich Kriminalität geradezu mickrig.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Zuruf des Abg. Nikolaos Sakellariou SPD)

Insofern hoffe ich, dass auch die Kollegen von der SPD aus den guten Antworten auf die Große Anfrage die richtigen Kon sequenzen ziehen. Wir brauchen eine stärkere Internetstreife, wir brauchen gute Rahmenbedingungen. Jetzt erlauben Sie mir ruhig das Stichwort Vorratsdatenspeicherung: Ohne Vor ratsdatenspeicherung werden wir in diesem Bereich die Kri minalität nicht wirksam bekämpfen können.