Lieber Kollege Dr. Kern, im Grundsatz stimmen wir Ihrem Antrag zu; wir werden ihn unterstützen. Im Detail gibt es al lerdings durchaus noch Nachfragen, die ich formulieren muss:
Natürlich kann man nicht jedem Antrag zustimmen, der vor Ort gestellt wird. Zunächst einmal muss der ortsspezifische Bedarf tatsächlich durch die Schulverwaltung nachgewiesen werden. Natürlich ist eine eingehende Qualitätsprüfung erfor derlich. Nicht nur, wenn ein Verbundantrag gestellt wird, dürf te das ausreichen, um dies tatsächlich zu genehmigen.
Aber das Entscheidende ist, meine Damen und Herren – das ist das, was wir fordern –: Innovative Schulentwicklung kann auch bedeuten, dass eine Verbundlösung vor Ort zustande kommt, bestehend aus den Bildungsgängen Hauptschule bzw. Werkrealschule und Realschule, die intensiv miteinander ko operieren wollen, unter einem Dach und unter Wahrung der bisherigen differenzierten Bildungsangebote. Wir haben doch eben gesehen, dass diese erfolgreich arbeiten. Lassen Sie die se doch auch zu! Wenn Sie diese nicht zulassen, ist das im Grunde ein rein ideologisch begründetes Vorgehen, und das, womit Sie die Einführung Ihrer Gemeinschaftsschule begrün den, ist pure Ideologie.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP – Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: So ist es!)
Meine Damen und Herren, 76 % aller Schülerinnen und Schü ler eines Jahrgangs in Baden-Württemberg – diese Zahl, die ebenfalls aus Ihrem Haus stammt, werde ich Ihnen immer wie der vorhalten; sie bezeugt auch ein Leistungsvermögen unse rer Schulen, aller weiterführenden Schularten – haben im Jahr 2010 mindestens einen mittleren Bildungsabschluss erwor ben.
Meine Damen und Herren, wohin wollen Sie denn mit dieser Gemeinschaftsschule? Ich sage Ihnen eines in aller Deutlich keit: Die Messlatte, die Sie jetzt mit Ihrer ideologisch moti vierten neuen Schulart überspringen wollen, ist verdammt hoch. Ich sage Ihnen auch: Das, was ich hier an Zahlen vor gelegt habe, ist eine Schlussbilanz der vorherigen Regierung und gleichzeitig Ihre Eröffnungsbilanz. An dieser Eröffnungs bilanz werden wir Sie in nächster Zeit konsequent messen.
Ich bezweifle, dass Sie durch diesen neuen Schultyp tatsäch lich das erreichen, was Sie sich vornehmen; denn mit purer Ideologie macht man eben keine gute Schulpolitik.
Sehr geehrter Herr Wacker, sehr geehrter Herr Dr. Kern, wovor haben Sie Angst? Wenn die Gemeinschaftsschule so schlecht ist, wie Sie sie hier immer darstellen, dann wird sie sich wohl am Ende auch nicht durch setzen. Denn wir geben die Gemeinschaftsschule als Angebot mit auf den Weg und lassen damit Wettbewerb zu.
Ihr Verhalten zeigt doch nur, dass Sie Angst davor haben, dass diese Schulen am Ende auch gelingen werden.
Deswegen haben Sie die Gemeinschaftsschule in den vergan genen Jahren immer blockiert, und deswegen schalten Sie auch so unsägliche Anzeigenkampagnen wie die heutige, die die Bürgerinnen und Bürger verunsichern sollen. Damit zei gen Sie aber nur Ihre eigene Verzweiflung.
Sehr geehrter Herr Wacker, damit ziehen Sie sich im Prinzip aus der bildungspolitischen Debatte in Deutschland komplett zurück. Sie reduzieren das Bildungssystem immer auf den As pekt der Leistung und lassen die Chancengerechtigkeit kon sequent außen vor.
Sie haben in den vergangenen Jahren immer mit einkalkuliert – das werden Sie vermutlich auch in den nächsten Jahren tun –, dass es in einem Bildungssystem nun einmal auch Bildungs verlierer geben wird. Wir dagegen sehen es als unsere Aufga be an, dass diese Situation in den nächsten Jahren verbessert wird, meine Damen und Herren.
(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD – Abg. Thaddäus Kunzmann CDU: Sie produzieren Bildungsverlierer! – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Also Abitur für alle!)
Herr Röhm, Ihren Spruch „Abitur für alle“ kenne ich inzwi schen zur Genüge. Ich muss Sie schon fragen, was denn so schlecht daran wäre, wenn alle Kinder und Jugendlichen das Abitur anstreben würden.
(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Das wäre ein Ni veauverlust, und den wollen wir nicht! Darum geht es! Ein Niveauverlust!)
Sie tun so, als würde das einen Werteverfall in Baden-Würt temberg bedeuten. Aber es geht nicht darum, dass am Ende alle das Abitur bekommen, sondern es geht darum, dass alle unsere Schülerinnen und Schüler am Ende ein qualifiziertes Ausbildungsangebot bekommen. Handwerkskammern und Handwerkstag kritisieren nicht zu Unrecht, dass die Schüle rinnen und Schüler, die heute von den Schulen abgehen, da bei teilweise Defizite haben.
25,7 % der jüngeren Menschen mit Migrationshintergrund zwischen 25 und 30 Jahren haben keine abgeschlossene Be rufsausbildung. Das sind die Verlierer in unserer Gesellschaft. Das sind die Menschen, die wir als Gesellschaft am Ende mit finanzieren müssen.
Ich sehe es nicht als unsere Aufgabe an, Verlierer zu produ zieren. Wir wollen erfolgreiche Schülerinnen und Schüler pro duzieren. Wir wollen, dass die jungen Menschen ein erfolg
reiches Leben führen können. Daher wollen wir unser Bil dungssystem in Baden-Württemberg verbessern.
Herr Präsident, meine Da men und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Dr. Kern, dass wir Ihren Antrag ablehnen, wird Sie nicht verwun dern. Es gibt schon bislang die Möglichkeit, Schulverbünde einzugehen. Das gilt weiterhin. Für die Beliebigkeit, die im Antrag formuliert ist – man solle doch innerhalb des beste henden Systems Verbesserungen vornehmen –, sind wir nicht zu haben. Wenn es nur darum geht, Kooperationen einzuge hen, dann brauchen wir dafür keine Gesetzesänderung. Das ist unabhängig davon nach wie vor möglich.
Lieber Kollege Wacker, was den Antrag betrifft, der in Wald dorfhäslach vor zwei oder drei Jahren von unserem SPD-Kol legen Röckel vorgelegt wurde – Sie haben diesen Antrag ab gelehnt –, so sollten Sie sich einmal daran erinnern, was In halt dieses Antrags war, und sich fragen, ob Sie die Formulie rung des Kollegen Dr. Kern bzw. der FDP/DVP unterstützen können. Das wage ich nämlich zu bezweifeln.
Meine Damen und Herren, wenn wir hier über das längere ge meinsame Lernen nachdenken und reden, dann fühle ich mich immer ein wenig an das erinnert, was ich auch heute unter dem Stichwort „Ergüsse der Weltliteratur“ gelegentlich gern noch lese, nämlich an Uderzo und Goscinny und ihren Ein gangstext zu den Asterix-Bänden, der Ihnen sicherlich hinrei chend bekannt ist:
Wie es weitergeht, wissen Sie. In Anlehnung an „Asterix und Obelix“ könnte man hier schon formulieren: „Die ganze Welt will das längere gemeinsame Lernen. – Die ganze Welt?“ Nein, eine Minderheit im Landtag von Baden-Württemberg hält krampfhaft am gegliederten Schulwesen fest.
(Abg. Thaddäus Kunzmann CDU: Weil es erfolgreich ist! – Abg. Volker Schebesta CDU: Ganz ohne Zau bertrank!)
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU und der FDP/DVP, machen Sie sich keine Hoff nungen: Das mit der Gemeinschaftsschule wird nicht so aus gehen, wie wir es immer gern bei Asterix gelesen haben, wo zum Schluss die große Siegesfeier stattgefunden hat.
(Abg. Volker Schebesta CDU: Sie gefallen mir als Römer! – Vereinzelt Heiterkeit – Unruhe – Glocke des Präsidenten)
und die Eltern werden Sie überzeugen, dass die Zukunft die Gemeinschaftsschule ist, lieber Kollege Röhm.
(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen – Abg. Andreas Glück FDP/DVP: Oder ein Wild schweinessen!)
Frau Ministerin, Sie versu chen auch heute wieder einen rhetorischen Spagat und hoffen, dass es niemand merkt.
(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Und das ist wieder einmal misslungen! – Zuruf von der SPD: Sie haben es gemerkt! Sehr gut!)