Protokoll der Sitzung vom 18.04.2012

Ja, ja. Sie nennen Tübingen als Beispiel.

(Abg. Daniel Andreas Lede Abal GRÜNE: Ihre Par teifreunde!)

Sie sagen, das sei ein Paradebeispiel für die gesamte Fläche des Landes. Das stimmt nicht.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Tübingen ist ein uraltes Projekt! – Zuruf des Abg. Daniel Andreas Le de Abal GRÜNE – Abg. Siegfried Lehmann GRÜNE meldet sich. – Glocke des Präsidenten)

Nein, ich lasse jetzt keine Zwischenfrage zu.

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Aha!)

Gern in der zweiten Runde, Herr Präsident.

Ich möchte Ihnen die Aussage eines Realschuldirektors aus dem Raum Stuttgart in den „Stuttgarter Nachrichten“ zitieren:

Die Gemeinschaftsschule verspricht Chancengleichheit. Sie verspricht, dass sich die soziale Auslese, die auch in Baden-Württemberg zu beklagen ist, auflöst. Die indivi duelle Förderung der Schüler soll im Mittelpunkt stehen. Gleichzeitig sollen am Ende anspruchsvolle Abschlüsse stehen. Ich bin skeptisch, ob dieser Spagat gelingt.

Das war das Zitat eines Schulleiters.

(Abg. Beate Böhlen GRÜNE: Schön, dass Sie gefragt haben, ob Sie zitieren dürfen! – Abg. Claus Schmie del SPD: Auch so ein Angsthase aus der CDU! – Ge genruf des Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU – Gegen ruf des Abg. Claus Schmiedel SPD: Du kannst mit solchen Leuten nichts gewinnen!)

Das ist eine Skepsis, die in der gesamten Fläche des Landes wahrgenommen wird.

Sehr geehrte Frau Ministerin, Sie konterkarieren dabei sogar Ihr eigenes Ziel. Deswegen darf ich vor dem Hintergrund der heftigen Diskussionen, die vor Ort in den einzelnen Kommu nen stattfinden, Peter Fratton – Schulinnovator, Ihr Mentor und Pate des Projekts – zitieren. Er sagte am 28. April auf ei ner Veranstaltung der CDU-Landtagsfraktion – Zitat –:

Die Gemeinschaftsschule kann in einer Gemeinde nur ge lingen, wo alle Beteiligten dies wollen, sonst gibt es nur Verlierer.

(Abg. Daniel Andreas Lede Abal GRÜNE: Auch die CDU-Gemeinderatsfraktion!)

Dieses Zitat spricht Bände. Lassen Sie sich dieses Zitat ein mal auf der Zunge zergehen.

Meine Damen und Herren, wir finden auf Seite 2 Ihres Ge setzentwurfs folgende Aussage – ich zitiere –:

Eine belastbare konkrete Gesamtbetrachtung der finan ziellen Auswirkungen ist aufgrund der nicht näher be stimmbaren Parameter (insbesondere Anzahl und Zeit punkt der Einrichtung von Gemeinschaftsschulen) nicht möglich.

Das ist eine Aussage aus Ihrem Gesetzentwurf.

Wir haben folgende Ausgangslage: In dieser Legislaturperio de haben Sie einen Ressourcenkuchen, den Sie nicht mehr ver mehren können; Sie haben dazu nicht die Möglichkeit. Die Ressourcen sind vergeben. Trotz des Rückgangs der Schüler zahlen sind diese Ressourcen verplant, entweder durch Maß nahmen der Vorgängerregierung oder durch Projekte, die Sie selbst beschlossen haben. Was Sie jetzt aber tun, ist: Sie bau en die Gemeinschaftsschule systematisch aus. Dieser Ausbau erfordert in zunehmendem Maß Jahr für Jahr zusätzliche Res sourcen. Ergebnis ist: Diesen Bereich bauen Sie aus, und die anderen Schularten werden systematisch darunter leiden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP)

Wir werden nicht müde, in der Fläche des Landes zu sagen, dass dieses Projekt nachweislich zulasten aller anderen Schul arten in Baden-Württemberg geht.

Weitere Ausführungen gern in der zweiten Runde.

Vielen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP)

Für die Fraktion GRÜNE spricht Frau Kollegin Boser.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren! Wir haben heute die Wahl: Verharren wir in einem Schulsys tem, das Unzufriedenheit schafft, oder gehen wir entscheiden de Schritte zur Modernisierung unserer Schulen?

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der SPD – Oh-Rufe von der CDU)

Verharren wir weiter in einem nahezu jahrhundertealten Sys tem, oder passen wir unser System an eine moderne und zu kunftsorientierte Gesellschaft an?

(Zuruf von der CDU: Ideologisch!)

Bleiben wir im Gestern stehen, oder gehen wir die Schritte ins Heute, um uns und unsere Kinder auf morgen vorzubereiten?

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Niveauab bau!)

Meine Fraktion, die Fraktion GRÜNE, und ich bekennen uns ausdrücklich zu dem heute im Entwurf vorliegenden Gesetz und damit zu einem großen Schritt in ein offeneres und ge rechteres Schulsystem.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Denn die Gemeinschaftsschule wird mit dem heutigen Tag nun endlich auch in Baden-Württemberg gesetzliche Realität. Wir und die grün-rote Landesregierung folgen damit einer ge sellschaftlichen Veränderung und entsprechen damit einer Ent wicklung, die zuvor konsequent ignoriert wurde.

Dieses neue schulische Angebot für Schüler, Eltern, Lehrer und Schulträger, das zuvor seit Langem gefordert und ge wünscht wurde, wird den Bedürfnissen der Schulentwicklung gerecht und stößt vor allem auch deswegen auf eine große Ak zeptanz. Die hohen Anmeldezahlen an den ersten Gemein schaftsschulen belegen allein noch nicht deren langfristige Leistungsfähigkeit, aber sie zeigen die lang gebremste Moti vation und die Bereitschaft zum längeren gemeinsamen Ler nen auch hier in Baden-Württemberg.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Ich habe keinen Zweifel daran, dass diese Hoffnung und die ser Wunsch nach einem flächendeckenden Angebot zum län geren gemeinsamen Lernen bald in ganz Baden-Württemberg erfüllt werden können.

Gute Schulabschlüsse, längeres gemeinsames Lernen und Leistungsfähigkeit an der Gemeinschaftsschule werden bald Realität sein. Wissen Sie, warum ich davon so überzeugt bin? Im Gegensatz zu Ihnen sehen und anerkennen wir die Moti vation der Verantwortlichen, der Schulleiterinnen und Schul leiter, der Lehrerinnen und Lehrer und auch der Eltern und der Kinder. Ebendiese Motivation und deren Einsatz für die indi viduelle Freude am Lernen und Lehren werden den schuli schen Erfolg bringen.

Warum wollen Sie, meine sehr geehrten Damen und Herren von der Opposition, diesen Menschen die Motivation und die Lust auf Schule nehmen? Warum wollen Sie dieses innovati ve Gesetzesvorhaben stoppen und den Verantwortlichen vor Ort ein weiteres Mal im Weg stehen? Anstatt mitzuhelfen, das Schulsystem in die Lage zu versetzen, sich den gesellschaft lichen Ansprüchen und der Realität anzupassen, schüren Sie Ängste und Vorbehalte bei den Bürgerinnen und Bürgern des Landes. Doch zum Glück sind die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land und viele Ihrer eigenen Bürgermeister und Par teikollegen sehr viel offener und moderner als viele Kollegen hier im Landtag.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Natürlich gibt es auch offene Fragen. Es wäre geradezu tra gisch, wenn wir das Schulsystem verbessern und modernisie ren wollten und das vor Ort niemanden interessieren würde. Es gab und gibt Kritik an einzelnen Punkten des Gesetzes. Da rüber haben wir in den vergangenen Wochen und Monaten ausgiebig diskutiert. Heute, am Ende dieser Diskussion, steht ein Gesetz zur Einführung der Gemeinschaftsschule, das ei nen breiten Konsens findet. Die Zustimmung zu den Grund linien dieser Reform zeigt: Dieser Schritt ist richtig, sinnvoll und kommt gerade noch zur rechten Zeit.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Die offenen Fragen nehmen wir selbstverständlich ernst; das ist doch klar. Hier in Baden-Württemberg geschieht etwas Neues, aber das gilt doch nur für Baden-Württemberg. An dernorts ist die Gemeinschaftsschule schon lange Realität – in Europa und in Deutschland. Niemand käme andernorts auf die Idee, eine Schule als „sozialistische Einheitsschule“ zu verunglimpfen, nur weil Kinder unterschiedlicher Herkunft und unterschiedlicher Begabung gemeinsam diese Schule be suchen und länger gemeinsam lernen. Vorbehalte und ernst gemeinte Fragen darf man natürlich haben und auch vorbrin gen. Aber Ängste schüren und Menschen verunsichern ist ei ne Art der Politik, die ich nicht akzeptieren kann.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Wir stellen uns den offenen Fragen und sprechen mit den Bür gerinnen und Bürgern darüber, wie beispielsweise längeres gemeinsames Lernen gelingen kann.

Es gibt Behauptungen wie: „Längeres gemeinsames Lernen schwächt die Starken und hemmt die Schwachen.“ Zahlrei che nationale und internationale Studien belegen allerdings, dass die Zusammenstellung der Klassen oder Lerngruppen nach Begabung der Schülerinnen und Schüler keine negati ven Einflüsse auf die Leistung hat. Das heißt, die Heteroge nität der Schülerschaft ist für die Lernleistung des Einzelnen unerheblich. Wichtig und ausschlaggebend ist, was in der Lerngruppe, was in der Klasse und im Unterricht geschieht.

Zudem sind viele andere Faktoren für ein erfolgreiches Ler nen maßgeblich: ein gutes Klassenklima, ein gutes Sozialkli ma, ein gutes Schulklima, ein Klima der Anerkennung ohne Ausgrenzung und ohne Selektionsdruck.

(Zuruf von der CDU: Wirklich?)

Überaus wichtig ist ein unterstützendes, schülerorientiertes Klima. Von enormer Bedeutung sind die Motivation und die personale Kompetenz der Lehrerinnen und Lehrer. Ich habe überhaupt keinen Zweifel daran, dass dies an den Gemein schaftsschulen wie auch an allen anderen Schulen im Land im Mittelpunkt der Bemühungen stehen wird. Die ersten Rück meldungen der Schulen zeigen uns, dass viele Schülerinnen und Schüler das Angebot der Gemeinschaftsschulen wahrneh men wollen und wir genau die Heterogenität an den Schulen erreichen, die diese Schulen am Ende zu erfolgreichen Ge meinschaftsschulen werden lässt.

Ich will aber den Blick noch einmal auf das Gesamte lenken. Wir und die grün-rote Landesregierung sehen mit Blick auf die Entwicklung in Deutschland unsere Aufgabe auch darin, im kooperativen Wettbewerb mit anderen Bundesländern neue