Protokoll der Sitzung vom 18.07.2012

Der Markt honoriert derzeit nur die verkaufte Kilowattstun de, nicht die hergestellte Kilowattleistung und die Stabilität

des Netzes. Deshalb brauchen wir finanzielle Anreize für das Errichten und den Erhalt von Kapazitäten, die zur Sicherstel lung der Netz- und Systemsicherheit benötigt werden. Mit dem von der Landesregierung dazu vorgelegten „Marktdesign für einen Kapazitätsmarkt Strom“ haben wir eine bundeswei te Diskussion in Gang gebracht. Das Instrumentarium eines Kapazitätsmarkts muss sehr sorgfältig ausgearbeitet werden.

Es gilt, Wettbewerbsverzerrungen, unerwünschte Mitnahme effekte und sonstige Nebenwirkungen zu vermeiden. Deshalb freuen wir uns über die Signale aus Berlin, die eine Bereit schaft der Bundesregierung zeigen, sich der Idee eines Kapa zitätsmarkts zu nähern.

Ich möchte noch einmal betonen, dass es insbesondere für Ba den-Württemberg und für Bayern, die bisher einen hohen Atomstromanteil hatten, von überragender Bedeutung ist, sol che effizienten Gaskraftwerke zu bekommen, um die Versor gungssicherheit zu gewährleisten. Man muss nur einmal se hen, dass in Deutschland regional sehr unterschiedliche Inte ressenlagen bestehen. Im Osten gibt es einen hohen Anteil von Fotovoltaik und im Norden einen hohen Windstromanteil. Dass es nicht ganz einfach ist, hier zu einem Konsens zu kom men, haben die bisherigen Beratungen der Ministerpräsiden tenkonferenz gezeigt. Deswegen ist es wichtig, dass wir hier kraftvoll unsere Interessen in diesen Prozess einbringen.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Unser Vorschlag für die Einführung von Kapazitätsmechanis men soll jedoch kein Weg in eine baden-württembergische Energieautarkie sein. Eine solche Autarkie hatten wir im Süd westen noch nie, und wir streben sie auch nicht an, im Gegen teil. Wir sind davon überzeugt, dass die Energiewende am bes ten und zu den geringsten Kosten gelingt, wenn eine mög lichst weitreichende Vernetzung stattfindet: über Baden-Würt temberg hinaus und mittelfristig auch über Deutschland hin aus.

Damit bin ich beim Thema Stromnetze. Seit einiger Zeit wird insbesondere die Windkraft im Norden stark ausgebaut, wäh rend die Verbrauchsschwerpunkte bekanntlich im Süden lie gen. Um den Strom von Nord nach Süd zu transportieren, brauchen wir daher dringend einen bedarfsgerechten und zü gigen Ausbau der Übertragungsnetze.

Wie Sie wissen, liegt der Netzausbau bei den Höchstspan nungsleitungen aber weit hinter den Planungen zurück. Wir unterstützen daher alle sinnvollen und erforderlichen Maß nahmen, mit denen der Netzausbau vonseiten der Bundesre gierung beschleunigt werden soll. Es war daher an der Zeit, dass die vier deutschen Übertragungsnetzbetreiber vor Kur zem endlich den Entwurf eines Netzentwicklungsplans vor gestellt haben. Die Aktivitäten zum Netzausbau erhalten da mit hoffentlich eine neue Dynamik.

Wir haben beim Netzausbau in der Regel die Übertragungs netze im Blick, aber ebenso wichtig wie deren Erweiterung ist nach unserer Auffassung der Ausbau der Verteilnetze so wie deren Umbau zu sogenannten Smart Grids, also zu intel ligenten Netzen. Letztlich geht es hier darum, dem Energie netz als Blutkreislauf des Energiesystems ein in alle Richtun gen aktives, informationsleitendes und -verarbeitendes Ner vensystem beizufügen. In Sachen Smart Grids sehen wir für

die nächsten Jahre noch einen erheblichen Forschungsbedarf und ebenso die Notwendigkeit, Pilot- und Demonstrations projekte durchzuführen, was wir vor wenigen Tagen mit Ver tretern aus Wissenschaft und Wirtschaft in einer ersten Run de durchgesprochen haben.

Zum Ausbau von Speichern: Meine Damen und Herren, es ist eine Binsenweisheit, dass zentrale Energiequellen in unserer Energiekonzeption, nämlich die Solar- und die Windkraft, wetterabhängig sind und damit unstetig einspeisen. Wir brau chen also Speicher. Derzeit stellen Pumpspeicher die einzige ausgereifte Technologie dar, und sie sind auf absehbare Zeit die wirtschaftlichste Option zur Speicherung in großem Maß stab.

Mit Pumpspeichern allein werden wir allerdings den Bedarf langfristig nicht decken können. Schätzungen zufolge könn te der Speicherbedarf bei einer Vollversorgung durch erneu erbare Energien bis zum Hundertfachen der bislang im deut schen Stromnetz verfügbaren Speicherkapazität betragen. Der art große Kapazitäten können aus heutiger Sicht nur durch chemische Speicher bereitgestellt werden.

Wichtige Perspektiven sehen wir hier für die Erzeugung von Wasserstoff durch Strom, um ihn so zu speichern, sowie lang fristig – wir können nämlich nur bis zu 5 % Wasserstoff ins Gasnetz einspeisen – für die Power-to-Gas-Technologie, mit tels derer Wasserstoff in synthetisches Erdgas umgewandelt wird – hier sind aber noch Effizienzprobleme zu lösen –; aber auch Batteriespeicher werden eine Rolle spielen.

Erneut sind also Forschung und Innovation gefragt, und ich wiederhole mich gern: Wir haben die Fähigkeiten bei uns im Land, um hier erfolgreich zu sein, und werden die Weiterent wicklung dieser Technologien beschleunigen.

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Abg. Peter Hauk CDU: Wie?)

Meine Damen und Herren, ich möchte das Thema Versor gungssicherheit nicht abschließen, ohne auf den vergangenen Winter einzugehen, in dem wir eine angespannte Versorgungs situation bei Strom und Gas hatten. Wir haben die Ereignisse des kalten Februars gemeinsam mit den Energieversorgern ausgewertet. Sie haben uns gezeigt, dass die getroffenen Vor sorgemaßnahmen – z. B. die Ausweisung von Reservekraft werken – richtig waren. Im Saldo wurde im Winter sogar Strom exportiert.

Die Ereignisse haben uns aber auch Lücken deutlich gemacht. Neben dem Stromsektor müssen wir auch die Gasinfrastruk tur stärker in den Fokus der Betrachtungen einbeziehen. Die Versorgung der zentral wichtigen Gaskraftwerke muss sicher gestellt sein.

Werte Kolleginnen und Kollegen, tragende Säulen unseres Langzeit- und Leitszenarios sind des Weiteren die drei E, al so erneuerbare Energien, Energieeinsparung und Energieeffi zienz. Alle drei Komponenten gehören untrennbar zusammen, und nur dann, wenn wir den Verbrauch durch gesteigerte Ef fizienz und Einsparung senken und zugleich die erneuerbaren Energien massiv ausbauen, kann die Energiewende gelingen.

Das Vermeiden von unnötigem Energieverbrauch durch den Einsatz von Effizienztechniken ist meist erheblich kostengüns

tiger und zugleich klima- und ressourcenschonender, als Ener gie zu erzeugen. Energieeffizienz versetzt in die Lage, vorü bergehende Preiserhöhungseffekte infolge der forcierten Markteinführung von erneuerbaren Energien weitgehend zu kompensieren.

Auf der Angebotsseite liegt das größte Effizienzpotenzial in der Kraft-Wärme-Kopplung, kurz KWK. Sie ist einer der zen tralen Bausteine bei der Umsetzung der Energiewende. Um unsere Klimaschutzziele zu erreichen, müssen wir das Poten zial der KWK voll ausschöpfen. Wir können es uns nicht län ger leisten, in fossil befeuerten Großkraftwerken bis zu zwei Drittel der eingesetzten Primärenergie in Form von Abwärme in die Luft zu blasen.

Leider ist es uns nicht gelungen, den unzureichenden Entwurf des KWK-Gesetzes der Bundesregierung maßgeblich zu ver bessern. Wir hätten gern stärkere Förderungsanreize für den Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung gehabt.

Auf der Nachfrageseite geht es vor allem um zwei Punkte: erstens um die energetische Gebäudesanierung, zweitens um das Heben von Effizienzpotenzialen in Unternehmen und in privaten Haushalten.

Der Gebäudesektor hat eine Schlüsselfunktion, denn mit 40 % des Endenergieverbrauchs bietet er ein erhebliches Einspar potenzial. Unser Ziel ist es, in Umsetzung der kommenden Gebäudeenergierichtlinie der EU bis 2050 einen klimaneut ralen Gebäudebestand zu haben. Dazu müssen wir allerdings die Sanierungsquote steigern.

Gebäudesanierungen sind nicht billig. Deshalb ist die steuer liche Förderung der energetischen Sanierung sehr wichtig. Wir drängen seit einem Dreivierteljahr darauf, dass das Vermitt lungsverfahren zwischen Bund und Ländern zu einem guten Ende findet, denn durch die Hängepartie entsteht eine Zurück haltung bei den Investitionen privater Hausbesitzer. Damit ist niemandem gedient. Wir selbst investieren Landesmittel in die Gebäudesanierung. Für zusätzliche Anstrengungen brau chen die Länderhaushalte eine Kompensation.

Bei der energetischen Sanierung dürfen wir Hausbesitzer nicht überfordern. Wir sollten daher auch diejenigen unterstützen, die ihre Immobilien in mehreren Schritten modernisieren wol len.

(Zuruf des Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP)

Deshalb starten wir ein Sofortprogramm für Sanierungsfahr pläne und ergänzen die vom Bund angebotenen Förderange bote.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Gleichzeitig gilt es, Lösungen zu finden, die für die Mieterin nen und Mieter ebenfalls tragfähig sind. Die Energiewende darf auch an dieser Stelle keine soziale Schieflage bekommen.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Unser Programm zur Steigerung der Energieeffizienz von Ge bäuden, das wir gemeinsam mit der L-Bank zur weiteren Ver billigung der Mittel der KfW aufgelegt haben, läuft im Übri gen sehr gut an. Insgesamt steht somit ein Kreditvolumen von 500 Millionen € zu äußerst attraktiven Zinsen, nämlich zu ei nem Zinssatz von unter 1 %, zur Verfügung.

Mit diesen Maßnahmen streben wir an, die Sanierungsquote im Gebäudebestand auf mindestens 2 % zu steigern und ge genüber dem heutigen Stand zu verdoppeln.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Die energetische Sanierung der landeseigenen Gebäude hat für uns einen hohen Stellenwert. Deswegen werden wir die Anstrengungen in diesem Bereich im Rahmen des finanziell Möglichen verstärken.

Auch wenn viele Unternehmen in Baden-Württemberg in puncto Energieeffizienz schon heute vorbildlich sind, gibt es in Industrie, Gewerbe, Handel und Dienstleistungen nach wie vor erhebliche Einsparpotenziale. Diese schlummernden Po tenziale wollen wir durch gezielte Energieberatung erschlie ßen.

Dasselbe gilt für private Haushalte. Hier werden wir die Zu sammenarbeit der regionalen Energieagenturen mit der Ver braucherzentrale Baden-Württemberg weiter verstärken und dadurch eine flächendeckende, kundennahe Beratung zu haus haltsrelevanten Energieeffizienzmaßnahmen aufbauen.

Wie Sie wissen, sind es vor allem die energiebedingten CO2Emissionen, die für bereits eingetretene und prognostizierte Klimaveränderungen verantwortlich gemacht werden. Daher gehört die Vermeidung von CO2-Emissionen der Energieer zeugung zu den wichtigsten Zielen der Klimaschutzpolitik.

Erneuerbare Energieträger wie Wasser, Sonne und Wind leis ten hierzu schon jetzt einen großen Beitrag: Sie haben allein in Baden-Württemberg im Jahr 2010 rund 13 Millionen t CO2 eingespart, in Deutschland etwa 120 Millionen t. Das ent spricht einer CO2-Minderung um 15 %. Dadurch mussten wir weniger Energie aus fossilen Energieträgern importieren – in Baden-Württemberg immerhin in einer Höhe von 10 % des Primärenergieverbrauchs.

Wir sind sehr optimistisch, dass wir unser Ziel eines Anteils der erneuerbaren Energien an der Stromversorgung von 38 % bis 2020 erreichen werden. Eine wichtige Voraussetzung ha ben wir geschaffen: Die Novelle des Landesplanungsgesetzes ist beschlossen, und sie wird bald Früchte tragen.

Sicher wird auch das Jahr 2012 nicht mit Rekordzahlen von neu gebauten Windkraftanlagen aufwarten, weil mit dem Landtagsbeschluss zum Landesplanungsgesetz am 9. Mai erst der notwendige Rahmen geschaffen wurde, der jetzt plane risch ausgefüllt wird. Wir haben bewusst eine längere Über gangszeit bis zum 31. Dezember 2012 geschaffen, um den Re gionalverbänden und Kommunen ausreichend Planungszeit zu geben,

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Zu kurz!)

um Vorranggebiete und kommunale Konzentrationsgebiete auszuweisen und den Windkraftausbau damit auf ein solides Fundament zu stellen.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Aber ich bin überzeugt, dass die kommenden Jahre den Auf schwung in Sachen Windkraft bringen werden. Die Signale, die wir aus einer Vielzahl von Kommunen und auch aus den Regionalverbänden bekommen, sind vielversprechend.

Damit komme ich zu dem Punkt, der für den Erhalt unseres Wohlstands entscheidend ist. Wie gesagt: Wir haben uns mit der Energiewende entschieden, nicht mehr die Energie der Vergangenheit zu importieren, sondern die Energie der Zu kunft zu exportieren. Das ist für Handwerk und Wirtschaft ei ne ungeheure Chance.

Weil wir aufgrund der erneuerbaren Energien weniger fossi le Brennstoffe importieren müssen, bleiben bereits heute jähr lich rund 500 Millionen € weitgehend vor Ort in Baden-Würt temberg – Tendenz steigend. Hinzu kommen weitere Wert schöpfungsstufen wie die Produktion von Anlagen und Anla genkomponenten sowie Planung, Installation, Wartung, In standhaltung und Betriebsführung.

Insgesamt wurden in Baden-Württemberg im Jahr 2010 rund 3,4 Milliarden € in die Errichtung von Erneuerbare-EnergieAnlagen investiert und etwa 1,5 Milliarden € für den Anla genbetrieb aufgewendet. Sicher bleibt davon nicht jeder Eu ro im Land, wesentliche Anteile aber schon.

Im Jahr 2006 wurden vom Statistischen Landesamt erstmals „Güter und Dienstleistungen für den Klimaschutz“ erfasst. Seitdem sind die umweltbezogenen Umsätze um sage und schreibe 133 % gestiegen. Auch für die kommenden Jahre pro gnostiziert die Unternehmensberatung Roland Berger Umsatz steigerungen im Greentech-Bereich um jährlich rund 20 %. Dies führt nach einer weiteren Berger-Prognose dazu, dass die Umwelttechnologie spätestens im Jahr 2030 die wichtigste und umsatzstärkste Branche in Deutschland sein wird.

Resultat derartiger Umsatzsteigerungen sind neue Jobs. Al lein den erneuerbaren Energien, die nur einen Teil der Um welttechnologien darstellen, können nach neuesten Schätzun gen mehr als 350 000 Vollzeitarbeitsplätze in Deutschland zu gerechnet werden, und zwar mit seit Jahren steigender Ten denz.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)