Hauptschüler sollen jetzt nach zehn Jahren den Hauptschul abschluss machen. Danach haben sie die Möglichkeit, die zweijährige Berufsfachschule zu besuchen und danach noch das Berufskolleg, bevor sie genau die Ausbildung antreten, die sie eigentlich vier, fünf Jahre vorher bereits hätten antre ten können.
Noch besser wäre aus Ihrer Sicht natürlich der Weg über die Gemeinschaftsschule; dieser Abschluss muss erst noch im Hinblick darauf geprüft werden, ob er marktfähig ist.
Eine solche Bildungspolitik ist weder effektiv noch effizient. Sie vergeudet schlicht die Lebenszeit junger Menschen und schwächt letztendlich unseren Wirtschaftsstandort BadenWürttemberg.
(Abg. Georg Wacker CDU: So ist es! – Abg. Claus Schmiedel SPD: Jetzt fehlt noch der Vergleich mit Venezuela!)
Auch die Einstellungspolitik, was die Besetzung von Lehrer stellen angeht – da sage ich Ihnen auch nichts Neues –, ist völ lig inakzeptabel. Lehrerstellen an den beruflichen Schulen und dabei vor allem auch den Berufsschulen – das entspricht nicht den beruflichen Schulen – werden nicht voll ersetzt, obwohl das strukturelle Unterrichtsdefizit nach wie vor bei etwa 4 % liegt. Die Überstundenbugwelle mit etwa 2 000 Lehrerdepu taten wächst ebenfalls weiter an. Dafür tragen Sie jetzt die al leinige Verantwortung.
Die Versorgung der Schulen mit qualifizierten Berufsschul lehrern wird durch die Landesregierung im Moment gezielt zurückgefahren. Ich fordere Sie dringend auf: Bekennen Sie sich zur beruflichen Bildung, bekennen Sie sich zur dualen Ausbildung, handeln Sie, und zwar für mehr Lehrerstellen, und vor allem stimmen Sie die regionale Schulentwicklung – ganz nach Ihrem Motto „Politik des Gehörtwerdens“ – mit den Betrieben, mit den Schulen und mit den Schulträgern vor Ort ab.
Sie können nicht am grünen Tisch entscheiden, dass wir etwa 1 700 Kleinklassen haben und diese schließen müssen,
sondern Sie müssen schon vor Ort genau hinschauen, in wel che Situation Sie die Kommunen und vor allem auch die Be triebe vor Ort bringen. Das heißt, wenn Sie vor Ort Schulklas sen mit weniger als 16 Kindern haben und diese einfach schlie ßen, dann haben die Betriebe kaum eine Möglichkeit, Auszu bildende vor Ort zu rekrutieren.
Wir haben an anderen Stellen eventuell die Möglichkeit, dass Sie über einen Klassenteiler hinausgehen und neue Klassen aufmachen. Das heißt, unterm Strich ist es ein Nullsummen spiel. Ich fordere Sie dringend auf, da genau hinzusehen.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Dr. Kern, mit jeder bildungspoliti schen Debatte lassen Sie mich immer fassungsloser zurück. Vor allem wenn ich mir Ihre Anträge zum Thema „Berufliche Bildung“, beispielsweise den Antrag mit der Überschrift „Du ale Ausbildung stärken und ihre Attraktivität steigern“, durch lese, dann sehe ich, dass Sie gar nicht verstanden haben, was das duale System und Berufsschulen eigentlich beinhalten.
Ich nenne Ihnen noch eines, nämlich das Grundproblem der FDP/DVP. Die FDP/DVP, die in den vergangenen Jahren das Wirtschaftsministerium geführt hat,
hat hinsichtlich Reformen des beruflichen Bildungswesens immer auf der Bremse gestanden. Das hat dazu geführt, dass in Baden-Württemberg eine Reform der dualen Ausbildung notwendig ist. Wir haben die Situation, dass nur noch 42 % der jungen Leute eine duale Ausbildung wahrnehmen, wäh rend der bundesweite Durchschnitt bei 47 % liegt.
Baden-Württemberg – man muss sich das wirklich einmal vor stellen –, ein Land, dass eigentlich sehr stark darauf angewie sen ist, dass junge Leute gut in qualifizierte duale Ausbildun gen hineingebracht werden, liegt hier unter dem bundeswei ten Durchschnitt. Da sind wir nicht spitze.
Aber wir sind spitze, Herr Dr. Kern, beim Übergangssystem. 42 % der jungen Menschen in Baden-Württemberg befinden sich im Übergangssystem. Das heißt, da kann vielleicht eine Anerkennung erfolgen, vielleicht auch nicht. In der Regel er folgt keine. Wissen Sie, bei welchem Wert der bundesweite Durchschnitt in diesem Bereich liegt? Er liegt bei 33 %. Da haben wir doch offensichtlich Nachholbedarf.
Ich kann überhaupt nicht verstehen, dass 2011 in Baden-Würt temberg 38 500 junge Schulabgänger keinen Berufsschulab schluss oder weiterführenden Schulabschluss hatten. Davon sind 23 400 in Ausbildungsgängen gewesen, die theoretisch eine Anrechnung hätten bekommen können. Sie haben aber keine bekommen.
Ich muss Ihnen sagen: Eine der großen Errungenschaften des Koalitionsvertrags ist, dass wir uns dieser Situation stellen. Auf diesem Gebiet ist auch die Bundespolitik mittlerweile weiter. Wenn ich mir das Papier der Arbeitsgruppe „Bildung und Forschung“ der CDU/CSU-Bundestagsfraktion anschaue, dann stelle ich fest, dass dort die Notwendigkeit angekommen ist, dass wir das Übergangssystem reformieren müssen, dass wir in diesem Bereich Anerkennung schaffen müssen.
Es hilft nicht weiter, sich darüber zu beklagen, dass viele Lehr stellen nicht besetzt werden können, Herr Dr. Kern. Kern der Frage ist es vielmehr, wie wir die jungen Leute in das duale System hineinbekommen und sie dort halten können. Das schaffen wir nicht, indem wir einfach sagen: Die sind halt al le nicht ausbildungsreif.
Daher muss man sich auch einmal andere Zahlen anschauen. Im dualen System haben wir eine Abbrecherquote von weit über 20 %. Im Bereich der Gastronomie brechen sogar über 40 % der jungen Leute, die eine Ausbildung in diesem Be reich beginnen, die Ausbildung wieder ab. In diesem Bereich fehlen ausreichend qualifizierte Auszubildende. Deshalb soll ten Sie in andere Länder wie in die Schweiz oder nach Öster reich schauen, wo deutlich wird, wie man junge Menschen qualifiziert in duale Ausbildung hineinbekommt und dort auch erfolgreich hält.
Herr Dr. Kern und auch meine Damen und Herren von der CDU, ich kann nicht nachvollziehen, dass Sie sich hier hin stellen und eine Verringerung des strukturellen Unterrichtsde fizits anmahnen. Für das strukturelle Unterrichtsdefizit an den Berufsschulen sind nicht wir verantwortlich, sondern das ha ben Sie uns hinterlassen.
(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der SPD – Abg. Viktoria Schmid CDU: Das ist ein alter Hut! – Abg. Claus Schmiedel SPD: Wir haben es zurück gefahren!)
Als eine unserer ersten Maßnahmen – das sollten Sie auch ein mal zur Kenntnis nehmen – haben wir im Nachtragshaushalt 2011 die Streichung von 139 Lehrerstellen bei den beruflichen Schulen, die Sie beabsichtigt hatten, wieder zurückgenom men. Im Jahr 2012 haben wir 100 Stellen zum Abbau des strukturellen Unterrichtsdefizits geschaffen.
Ich bin bei Ihnen, wenn Sie sagen, dass das zu wenig ist. Wir haben uns zum Ziel gesetzt, dieses Problem in dieser Legis laturperiode zu lösen. Es ist aber wirklich sehr fadenscheinig, einfach nur zu jammern und zu sagen, wir würden zu wenig machen. Dies gilt vor allem dann, wenn man in diesem Be reich selbst vor Kurzem noch Verantwortung getragen hat.
Ich finde es überhaupt nicht lustig, wenn ich mir die Zahlen der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge anschauen muss. Denn wir müssen feststellen, dass wir im vergangenen Aus bildungsjahr zwar eine schöne Steigerungsrate von 8 % zu verzeichnen hatten, die Zahl der neu geschlossenen Ausbil dungsverträge in diesem Jahr aber offensichtlich stagniert. Ich muss Ihnen sagen, dass mich das sehr besorgt.
Im Koalitionsvertrag haben wir zum Ausdruck gebracht, dass wir gemeinsam mit der Wirtschaft eine große Verantwortung für die jungen Menschen tragen, die in ein Ausbildungsver hältnis kommen müssen. Deshalb müssen wir einen guten Übergang in die duale Ausbildung hinbekommen. Dabei geht es auch um die Anrechnung als Ausbildungszeit, aber nicht um die Frage, ob man den Kammern irgendwie hineinregiert. Vielmehr geht es darum, dass den jungen Menschen die Aus bildungszeit an der Schule anerkannt wird. Das gehört mit da zu, Herr Dr. Kern.
Die Bremswirkung, die Sie früher immer vom Wirtschaftsmi nisterium aus ausgeübt haben, ist jetzt zum Glück vorbei. Bei dieser Frage haben Sie andauernd gebremst. Ich weiß aus der Arbeit in der Enquetekommission noch sehr gut, dass die Bremser immer bei der FDP/DVP zu finden waren. Deswe gen ist es sehr gut, dass Sie in diesem Bereich keine Verant wortung mehr tragen.
Liebe Kolleginnen und Kol legen! Die duale Ausbildung ist natürlich ein Renner in Deutsch land. Das ist gar nicht zu bestreiten, und das will ich auch gar nicht bestreiten.
(Abg. Volker Schebesta CDU: Vor allem in Baden- Württemberg! – Zuruf des Abg. Dr. Hans-Ulrich Rül ke FDP/DVP)
Ich will Ihnen nur einmal deutlich machen: Das Lippenbe kenntnis hinsichtlich der Gleichwertigkeit der dualen Ausbil
dung mit der schulischen und der Hochschulausbildung, das Sie hier wieder formuliert haben, hätten Sie viele Jahre lang umsetzen können. Das Übergangssystem ist weder Übergang – denn wohin soll es führen? – noch System. Es ist doch nur eine Warteschleife, es ist eher ein Überlaufsystem, das wir in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten hatten, mit dem sich die jungen Leute herumschlagen mussten, wenn die Ausbil dungsplätze, die von der Wirtschaft zur Verfügung gestellt wurden, nicht ausreichten, um alle Jugendlichen zu versorgen. Deshalb war es ein Überlaufsystem, wie wir es in der Enquete kommission auch oft besprochen hatten.
Natürlich hätte man da auch die duale Ausbildung etwas at traktiver machen können, beispielsweise durch das, was Kol lege Lehmann schon angesprochen hat. Aber bei der Anerken nung schulischer Leistungen ist auch in Baden-Württemberg absolut Fehlanzeige zu vermelden. Diskutiert wurde auch ei ne Ausbildungsplatzabgabe. Auch an dieser Stelle waren Sie nicht zu bewegen.
Natürlich haben wir heute aufgrund der demografischen Ent wicklung weniger Schülerinnen und Schüler und damit auch weniger junge Leute, die einen Ausbildungsplatz suchen. Des halb finden auch viele Jugendliche, die etwas schwächer sind und die bisher in diesem Übergangssystem geparkt wurden, heute einen Ausbildungsplatz. Aber man muss einmal sehen, was dieses Übergangssystem seitens der beruflichen Schulen geleistet hat. Es hatte nämlich die fehlende Ausbildungsreife nachzuholen, die jungen Leute entsprechend zu qualifizieren und ihnen noch Grundstrukturen des Verhaltens zu vermitteln. All das hatten Sie sicher auch unter dem Begriff der fehlen den Ausbildungsreife angesprochen.
Es gibt in diesem Themenbereich noch viel zu tun. Das wis sen wir auch. Aber verlassen Sie sich darauf: Wir werden die beruflichen Schulen an dieser Stelle nicht im Regen stehen lassen.
Das Unterrichtsdefizit, das wir geerbt hatten, war deutlich grö ßer. Das wird die Ministerin sicher noch mit Zahlen unterle gen.