Dieser Kassensturz ist ein wichtiger Schritt, um dieses Ver sprechen des Wechsels einzulösen. Deshalb zeigen wir heute auf, welche finanziellen Spielräume sich uns in den kommen den fünf Jahren und darüber hinaus zur politischen Gestaltung bieten.
Zur Wahrheit gehört aber immer eine bittere Erkenntnis: Nicht alles, was wünschenswert ist, wird sich sofort realisieren las sen. Doch wer Prioritäten setzen will, wer eine verlässliche und vernünftige Politik für Baden-Württemberg planen will, kommt an einem solchen Kassensturz nicht vorbei. Er ist zu gleich auch ein erster Schritt, um die im Koalitionsvertrag vor gesehene Einführung eines „Finanzplans 2020“ voranzutrei ben und so die Einhaltung der Schuldenbremse bis spätestens 2020 zu gewährleisten.
Um die Lage vernünftig einschätzen zu können, bleibt unser Blick nicht auf den Kernhaushalt beschränkt. Im Gegenteil: Es ist an der Zeit, die tatsächliche finanzielle Situation des Landes über die explizite Verschuldung, also etwa die Schul den am Kreditmarkt, hinaus offenzulegen. Auch die sogenann te implizite Verschuldung und bestehende sogenannte Even tualverbindlichkeiten sowie den vorhandenen Sanierungsstau gilt es in aller Deutlichkeit zu benennen. Nur so kann die not wendige Transparenz geschaffen werden.
Wir wären bereits einen Schritt weiter, wenn schon die abge wählte Regierung den Mut aufgebracht hätte, eine umfassen de Bestandsaufnahme vorzunehmen. Dass sie davor zurück geschreckt ist, mag einer der Gründe dafür sein, dass wir nun über diese Erblasten sprechen müssen.
Die Bedingungen für diesen Kassensturz sind nicht ideal. Nach wie vor plant das Land seinen Haushalt im kameralisti schen System. Eine Bilanz oder zumindest eine Vermögens rechnung existiert derzeit nicht. Dabei hatte der verehrte Alex Möller bereits vor beinahe 60 Jahren im Zuge der Beratungen zur neuen Landesverfassung deutlich gemacht, wie wichtig Transparenz in dieser Frage ist. Er äußerte: Die ganze Situa tion in der öffentlichen Finanzwirtschaft wäre eine andere, wenn wir im Bund sowie in den Ländern echte Vermögensbi lanzen hätten. Dass wir zu diesen Vermögensbilanzen kom men müssen, ist selbstverständlich.
Leider wurde er in Baden-Württemberg, aber auch in den an deren Ländern und im Bund über Jahrzehnte nicht gehört.
Die Folge ist: Wichtige Informationen zum Vermögensstatus und dessen Entwicklung aufgrund des Werteverzehrs, bei spielsweise durch Abschreibung, sind nicht ausreichend ver fügbar. Deshalb kann auch dieser längst überfällige Kassen sturz die finanzielle Lage des Landes nicht vollständig bis ins letzte Detail und auf den Cent genau darstellen. Doch eine weitere Verzögerung bis zur Einführung transparenterer Rech nungslegungssysteme in der Zukunft wäre keine verantwort liche Alternative gewesen. Dennoch konnten wir die wesent lichen und bedeutenden Positionen abdecken, um nun einen schnellen, schlanken und trotzdem aussagekräftigen Überblick zu geben.
Schauen wir uns gemeinsam die Ergebnisse an: Die mittel fristige Finanzplanung der alten Landesregierung für den Zeit raum von 2010 bis 2014 weist – vor der Nettokreditaufnah me in den Jahren 2012 bis 2014 – Deckungslücken von rund
In den Blickpunkt rücken also zunächst die zu erwartenden Mehrbelastungen und all jene finanziellen Risiken, die in der Finanzplanung noch nicht enthalten sind. Hier finden sich lei der viele ungedeckte Schecks.
Ohne jeden Zweifel ist es ein erhebliches Versäumnis der al ten Landesregierung, wenn z. B. die Qualitätsoffensive Bil dung in der Finanzplanung nur bis zum Jahr 2012 finanziert ist. Ab 2013 fehlen hier über 225 Millionen € jährlich – Ten denz steigend. Da die alte Landesregierung noch vor der Landtagswahl von Einsparungen im Lehrerbereich Abstand genommen hat, gehe ich nicht davon aus, dass die Streichung von rund 3 500 Lehrerstellen zur Gegenfinanzierung vorge sehen war.
Vor dem Hintergrund der bestehenden Deckungslücken ist es aber ein Gebot einer ehrlichen und verantwortungsbewussten Finanzpolitik, nicht nur deutlich auf diese zusätzlichen Risi ken hinzuweisen; denn die 3 500 Lehrer sind schließlich vor handen. Wir müssen vielmehr deutlich sagen, dass sowohl die Fortführung der Qualitätsoffensive Bildung als auch weitere, in unserem Koalitionsvertrag angekündigte bildungspolitische Maßnahmen in den nächsten Jahren durch Haushaltsmittel ge deckt werden müssen, die aufgrund sinkender Schülerzahlen frei werden. Denn eines ist klar: Solide Finanzen sind die Grundlage einer verantwortlichen Politik.
Zum vollständigen Bild gehört auch die erfreuliche Nachricht, dass nach der Steuerschätzung vom Mai 2011 diesen Mehr belastungen und Risiken auch Steuermehreinnahmen gegen überstehen, die in der Finanzplanung der alten Regierung noch nicht bekannt waren.
Konkret bedeutet das trotz der ausgesprochen hohen zu er wartenden Steuermehreinnahmen dennoch, dass uns die alte Landesregierung für die Jahre von 2012 bis 2014 Deckungs lücken in Höhe von über 1,3 Milliarden € bis zu knapp 2,4 Milliarden € hinterlassen hat. Das ist das Ergebnis politischer Mutlosigkeit.
Auch die Höhe der vorhandenen globalen Minderausgaben zeigt, dass der alten Landesregierung der Mut gefehlt hat, die notwendigen Entscheidungen zur Haushaltskonsolidierung herbeizuführen, indem die entsprechenden Maßnahmen kon kretisiert, benannt und durchgeführt worden wären.
Getrübt wird die Freude über die zusätzlichen Einnahmen zu dem durch einen Blick auf den Bestand der allgemeinen Rück lagen des Landes. Er betrug zum Zeitpunkt des Regierungs wechsels etwa 1,4 Milliarden €. Nach den Planungen der al ten Landesregierung – Stand Dritter Nachtragshaushalt 2011 – sind allerdings allein für 2011 Entnahmen von über 1,1 Mil liarden € vorgesehen. Durch solche Einmaleffekte werden die strukturellen Probleme übertüncht.
Vor diesem Hintergrund relativiert sich auch die Aussage in der mittelfristigen Finanzplanung, wonach im Dritten Nach
tragshaushalt 2011 die für 2011 erwarteten Steuermehreinnah men in Höhe von 772 Millionen € in erster Linie zur Verrin gerung der Kreditaufnahmen verwendet würden. Tatsächlich wird der Rücklagenbestand mit 80,5 Millionen € bereits En de 2013 nahezu vollständig aufgebraucht sein.
Auch die Sondervermögen werden angesichts der zu erwar tenden Entwicklung künftiger Pensionsverpflichtungen nicht annähernd ausreichen. Sie weisen zum ersten Quartal 2011 ei nen Bestand von über 2,5 Milliarden € aus und sollen Ende 2014 einen Bestand von 4,2 Milliarden € erreicht haben. Die se entfallen im Wesentlichen auf die Sondervermögen des Ver sorgungsfonds und der Versorgungsrücklage. Hier besteht wieder dasselbe Problem: Statt ausreichender Vorsorge in der Vergangenheit hinterlässt die alte Landesregierung ungedeck te Wechsel auf die Zukunft.
Der Kassensturz macht deutlich, dass nicht nur bei den Rück lagen von der Substanz gelebt wurde. So verlangte SchwarzGelb bereits seit dem Haushalt 2005/2006 Sonderausschüt tungen von der L-Bank, um den Haushalt zu decken. Diese Sonderausschüttungen erfolgten in unterschiedlicher Höhe; durchschnittlich betrugen sie 90 Millionen € pro Jahr. Für das Jahr 2011 wurde die Ausschüttung auf 130 Millionen € erhöht. Seit 2005 hatte die L-Bank damit Sonderausschüttungen von mehr als 600 Millionen € zu erbringen. Das bedeutet, dass die Finanzkraft unserer Landesbank in dieser Höhe geschwächt wurde.
Zur Finanzierung des allgemeinen Haushalts wurden aber nicht nur die allgemeinen Rücklagen aufgelöst und Sonder ausschüttungen der L-Bank veranlasst, sondern wurde auch das zweckgebundene Anlagevermögen des Landes für Immo bilien im sogenannten Grundstock sowie im Forstgrundstock angegriffen. Entgegen dem ehernen Grundsatz, das Vermögen des allgemeinen Grundstocks und des Forstgrundstocks zu er halten und bei Veräußerungen wieder in gleichwertige Immo bilien- und Anlagevermögen zu reinvestieren, wurden Ent nahmen beschlossen und durchgeführt. Die Mittel wurden al so entgegen dem Werterhaltungsgedanken, der dem Grund stock zugrunde liegt, für konsumtive Zwecke verwendet. Auf gut Deutsch heißt das: Sie haben das Vermögen einfach ver frühstückt, meine Damen und Herren.
Dennoch rühmte sich die alte Landesregierung in der noch von ihr zu verantwortenden mittelfristigen Finanzplanung für die Haushaltsjahre 2010 bis 2014, dass Baden-Württemberg bei der Pro-Kopf-Verschuldung der westdeutschen Flächen länder am Kreditmarkt nach Bayern den zweitbesten Platz hal ten konnte. Und in der Tat: Vordergründig betrachtet ist das
ein beachtliches Ergebnis. Will man jedoch den Schuldenstand transparent und vollständig darstellen, so kann man nicht al lein auf die Verschuldung am Kreditmarkt abstellen. Denn dies stellt nur eine von mehreren Verschuldungspositionen des Landes dar und beschränkt sich auf den sogenannten Kern haushalt.
Jenseits dieses Kernhaushalts existieren jedoch sogenannte Extrahaushalte. Dazu zählen etwa öffentliche Fonds, Einrich tungen und unter bestimmten Voraussetzungen auch Unter nehmen mit Mehrheitsbeteiligungen der Kernhaushalte. Auch wenn diesen Schulden der Extrahaushalte aktuell teilweise Vermögenspositionen gegenüberstehen, so sind sie dennoch real und stellen ein erhebliches und nicht zu unterschätzendes Risiko dar. Denn niemand kann sicher sagen, wie sich die den Schulden gegenüberstehenden Vermögenspositionen in Zu kunft entwickeln werden. Es ist also unsicher, ob sie unter Umständen für die Rückzahlung der bestehenden Schulden eingesetzt werden müssen oder ob dies am Ende aus den Ex trahaushalten heraus geschehen wird. Sehr anschaulich zeigt sich dies am Beispiel der Neckarpri GmbH, über die die alte Landesregierung die EnBW-Anteile von der EdF gekauft hat.
Das Beispiel macht auch deutlich, dass es zwar die Bilanz auf hübschen mag, diese Posten einfach unter den Tisch fallen zu lassen. Doch das Problem löst ein solcher Taschenspielertrick natürlich nicht, denn letztlich hat das Land auch für diese Schulden geradezustehen.
Wir reden hier nicht von Peanuts. In dem Bereich der Extra haushalte sind mit Stand zum ersten Quartal 2011 über 20 Mil liarden € zu verbuchen. Hinzu kommen noch die sogenann ten verlagerten Verpflichtungen aus den Schulden für die Vor finanzierung von BAföG-Darlehen durch die LBBW, die Ver pflichtungen aus kreditähnlichen Rechtsgeschäften – dabei geht es im Wesentlichen um PPP-Projekte – und die Schulden bei der Baufinanz, der Finanzierungsgesellschaft für öffentli che Vorhaben des Landes. Allein diese Position schlägt mit rund 1,6 Milliarden € zu Buche.
Unter dem Strich bedeutet das: Statt der von der alten Lan desregierung stets genannten 43 Milliarden € beläuft sich die Verschuldung des Landes zum Zeitpunkt der Übernahme der Amtsgeschäfte damit auf über 65 Milliarden €.
Eine kleine Rechnung verdeutlicht die Dimension. Würden wir 65 Milliarden € in Hunderteuroscheinen aufeinandersta peln, hätten wir einen Berg, der den Feldberg um das Vierein halbfache übertrifft
Meine Damen und Herren, wir übernehmen damit ein schwe res Erbe. Diese finanzielle Erblast macht einen entschlosse nen Konsolidierungskurs unumgänglich. Die Bürgerinnen und Bürger des Landes wissen, dass sich ein solcher Berg nicht über Nacht abtragen lässt. Aber sie erwarten zu Recht, dass
(Beifall bei den Grünen und der SPD – Abg. Volker Schebesta CDU: Gleich mal die Steuermehreinnah men nehmen! – Zuruf von der CDU: Glauben Sie, was Sie sagen? – Zuruf des Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP)
Denn neben dieser Kreditpyramide kommen weitere Heraus forderungen auf uns zu, denen bisher ausgewichen worden ist. Der Kassensturz zeigt, dass es bisher vor allem ein Leitbild gab, nämlich das Prinzip Hoffnung. Man dachte wohl, das Problem werde sich auf der Strecke irgendwie von selbst lö sen. Das Ergebnis sehen wir jetzt.
Ein wichtiger Punkt sind die zukünftigen Pensionsverpflich tungen. In Baden-Württemberg steht bereits in den nächsten Jahren eine ständig zunehmende Zahl von Pensionierungen von Landesbeamten an. Diese sich beschleunigende Entwick lung wird zu einem zahlenmäßig starken Ausscheiden aus dem aktiven Dienst der Verwaltung führen, das bis in das Jahr 2030 anhalten wird. So ist für das Jahr 2030 insgesamt mit knapp 156 000 Versorgungsempfängern im Land zu rechnen. Im Jahr 2009 waren es noch knapp 100 000. Dies entspricht einer Zu nahme um über 50 %. Erst danach wird sich die Zahl der Ver sorgungsempfänger auf hohem Niveau stabilisieren.
Die entsprechenden Pensionen sind ebenso aus den künftigen Haushalten zu bezahlen wie die Bezüge der Mitarbeiter, die neu eingestellt werden müssen, um diese Entwicklung zu kompensieren.