Sie halten sich noch immer an das dreigliedrige Schulsystem. Sie können ja über das Bargel-Gutachten diskutieren, wie Sie wollen, aber Sie müssen doch zur Kenntnis nehmen, dass das dreigliedrige Schulsystem letztlich dazu führt, dass wir dann überhaupt nur noch in einem Drittel der Gemeinden in BadenWürttemberg eine weiterführende Schule haben werden.
Ich kann ja nachvollziehen, dass Sie diese Gegliedertheit ha ben wollen. Aber dann akzeptieren Sie doch einmal die ge sellschaftliche Realität, die in anderen Bundesländern auch von der CDU wahrgenommen wird, und zwar insofern, als zu mindest einmal eine Verständigung auf zwei Wege, die beide gleichberechtigt zur Hochschulreife führen, in der Bildungs politik möglich ist.
Wenn Sie sich da jetzt abschotten und sagen, wir müssten un bedingt dabei bleiben, dann tragen Sie natürlich auch mit die Verantwortung dafür, dass wir hier in Baden-Württemberg keinen Schulfrieden bekommen.
Wir bekommen dann auch das nicht, was wir eigentlich brau chen: Wir brauchen eine sinnvolle regionale Entwicklung. Die setzen wir jetzt auf.
Die geht Ihnen vielleicht nicht schnell genug, aber wir ma chen sie. Die machen wir mit den Betroffenen.
Wir werden auch bei den beruflichen Schulen selbstverständ lich eine gesonderte Entwicklung auf den Weg bringen, wie es auch die Enquetekommission empfohlen hat – an den Handlungsempfehlungen war ich ja beteiligt. Aber dass in Ih rem Antrag, den Sie jetzt hier hinten drangeklemmt haben,
in Ihrem Beschlussantrag, Herr Wacker – das hat wahrschein lich Herr Hartmann geschrieben –, so ein Wirrwarr von Fra gen gestellt wird und hinterher zusammenhanglos der Be schluss der Enquetekommission als Weisheit gegen ein Schul schließungsprogramm der Landesregierung präsentiert wird,
(Widerspruch bei der CDU – Abg. Dr. Dietrich Birk CDU: Unglaublich, was Sie hier bieten, Herr Kolle ge!)
Kommen Sie herunter von Ihren Bäumen, stellen Sie sich der Realität, und übernehmen Sie endlich Verantwortung!
Dann werden Sie vielleicht auch einmal wieder so weit sein, dass Sie in der Bildungspolitik ernst genommen werden.
Der Titel dieser Debatte suggeriert: Die böse grün-rote Lan desregierung hat eine Liste im Schließfach, auf der die Schu len stehen, die geschlossen werden sollen. Ich sage Ihnen: Es gibt keine Rote Liste.
(Abg. Georg Wacker CDU: Ihr braucht ja die Res sourcen! Irgendwoher müsst ihr die Ressourcen ho len!)
Für Schulschließungen gelten nach wie vor die Regeln, Herr Wacker, die Sie über Jahre hinweg praktiziert haben, einge führt und umgesetzt haben:
Die Schulschließungen vor Ort werden vor Ort beschlossen. Das heißt, Sie haben sich aus der Verantwortung gestohlen. Der Kollege Lehmann hat das gerade gesagt. Dass das nicht sinnvoll ist, wurde auch schon ausgeführt.
Interessant ist: Jetzt sind Sie nach vielen Jahren in der Oppo sition, und nun legen Sie uns ein Konzept vor und sagen uns, wie wir es machen sollen.
(Zuruf von der CDU: Es wird auch einmal Zeit! – Abg. Dr. Dietrich Birk CDU: Das sind gute Ratschlä ge! Sie wollen doch eine Politik des Gehörtwerdens! Nehmen Sie doch einmal Einfluss darauf! Strengen Sie sich doch einmal an!)
Aber eines muss ich Ihnen jetzt entgegnen: In Ihrer Kampag ne blenden Sie die demografische Entwicklung völlig aus. Auch schon bis zum Regierungswechsel gab es in kleinen Or ten Hauptschulen, die ausgeblutet, die ausgestorben sind. Herr Röhm, mein Kollege von der anderen Partei im Wahlkreis, weiß es:
In seinem Heimatort verließ im vergangenen Jahr die letzte neunte Klasse die Schule, und damit war diese Schule ausge storben. Daran hat Grün-Rot nicht gerührt, sondern dazu ha ben die Schülerzahlen geführt. Wenn Sie die Geburtenzahlen betrachten – ich schaue mir einmal meine Region an; Herr Röhm kennt diese Zahlen auch –, dann sehen Sie, dass bei spielsweise die Einwohnerzahl einer Gemeinde wie Trochtel fingen von 6 500 in den letzten Jahren zurückgegangen ist. Die Geburtenzahl betrug vor zehn Jahren noch 100 Geburten im Jahr, im Jahr 2009, also vor vier Jahren, noch 61 und 2012, also derzeit, 45. Von 100 ging die Zahl auf 45 zurück.
(Abg. Claus Schmiedel SPD: Was macht ihr denn nachts? – Abg. Hans-Ulrich Sckerl GRÜNE: Schaut nicht so viel Fernsehen!)
Ähnliches gilt für die Nachbarstädte: In Gammertingen be trug der Rückgang 15 %, in Burladingen, Hohenstein – dort, wo ich Schulleiter bin – sind ähnliche Entwicklungen festzu stellen. Eingeschult wurden vor zehn Jahren um die 60 Kin der im Jahr, heute sind es zwischen 30 und 40. Fast 50 %, in manchen Gemeinden über 50 % weniger Kinder.
Ich weiß nicht, ob Sie sich bewusst sind, welche Konsequen zen aus den Zahlen zu ziehen sind. Wenn es Ihnen nicht klar ist, dann gebe ich Ihnen eine kleine Nachhilfestunde. Auf die Hauptschule, deren Schulleiter ich bin, sind etwa ein Drittel der Schülerinnen und Schüler aus der Region gegangen. Der Kollege Köberle hat mich einmal gelobt, als ich ihm erklärt habe, dass ich die Hauptschule in meiner Region rette. Aber was passiert bei einer Gesamtzahl von 30 Schülern? Wenn ein Drittel von 30 Schülern die Hauptschule besucht, dann sind dies zehn Schüler pro Jahrgang. Damit kann man keine Klas se bilden, auch in Zukunft nicht. Selbst die Bildung einer Kombiklasse ist nicht möglich. Damit wird diese Schule nicht mehr lange existieren.
Es ist also nicht die rückläufige Schülerzahl speziell an der Hauptschule dafür verantwortlich, sondern die rückläufige Ge burtenzahl. Nicht die grün-rote Ideologie oder der Traum, dass alles gleich sein solle, sondern die Demografie ist dafür ver antwortlich. Ich bitte Sie, das einfach einmal wahrzunehmen.
Die Folgen davon sind: Es gibt viele Schulen, die keine Zu kunft mehr haben und deshalb geschlossen werden. Da kön nen Sie tönen, wie Sie wollen – ich werde Ihnen, sooft Sie hier heraustreten und uns den Vorwurf machen, immer wie der sagen: Es ist die rückläufige Geburtenzahl, die dazu führt, dass an den Hauptschulen keine Klassen mehr gebildet wer den können.
Ich frage Sie: Wo waren Ihre Planungen, die Schülerinnen und Schülern im ländlichen Raum eine Perspektive auf einen Schulbesuch in Heimatnähe geboten haben? Was haben Sie unternommen, um das alles zu begleiten und zu steuern? Nichts! Sie haben es laufen lassen. Mich ärgert, dass Sie heu te mit Ihrer Kampagne durch die Gegend rennen und den Leu ten erzählen: „Früher war alles gut, und die bösen Grün-Ro ten machen alles kaputt.“
(Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU: Sie machen es doch auch kaputt! – Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Was wahr ist, ist wahr! Das muss man doch sagen!)
Heute wollen Sie die Realschule retten. Ich sage Ihnen als Hauptschullehrer: Über Jahre hinweg sind Sie durch die Ge gend gelaufen und haben gesagt: „Wir müssen die Hauptschu le retten.“ Wer rettet heute die Hauptschule? Sie nicht mehr.
(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen – Abg. Karl Zimmermann CDU: Und Sie machen sie kaputt! – Abg. Claus Schmiedel SPD: Wenn die CDU als Retter kommt, wird es gefährlich! – Zuruf des Abg. Alfred Winkler SPD)
Noch ein kurzer Hinweis zum GEW-Gutachten. Dieses GEWGutachten, das Bargel-Gutachten, bietet einen Hinweis auf die künftige Bevölkerungsentwicklung und darauf, welche Möglichkeiten es gibt, weiterhin Schulstandorte zu halten. Die Behauptung, dass die darin enthaltenen Zahlen nicht stimm ten, habe ich mit den vorhin genannten Zahlen aus meiner Heimatregion in etwa widerlegt. Unter Ziffer 5 – „Fortschrei bung des gegliederten Schulwesens“ – im damit zusammen hängenden Dossier zur Schulentwicklungsplanung heißt es in Bezug auf den Landkreis Reutlingen: