Damit will ich zum Ausdruck bringen: Wir sollten uns nicht nach den Außenbeziehungen richten – diese sind übrigens Sa che der Bundesregierung –,
sondern auf der Ebene einer exzellenten Zusammenarbeit mit Ungarn vorangehen. Übrigens hat Audi in Györ eine Produk tion. Wir haben viele exzellente Städtepartnerschaften.
Wir sollten uns aus Re spekt vor der Arbeit der Kommission und mit Verneigung vor dem, was Herr Nils Schmid heute gefordert hat, nicht dazu verleiten lassen – –
Das ist auch richtig. Das gilt erst recht für die Beziehungen. Unsere guten Beziehun gen mit Ungarn wollen wir nicht durch solche Aktivitäten in
frage stellen, sondern wir wollen heute sagen: Wir sind für Demokratie, für Rechtsstaat, für Menschenrechte, aber auch weiterhin für gute Beziehungen mit engen Freunden in Un garn.
Herr Präsident, sehr geehrte Da men und Herren! Ich will mich zunächst bei der SPD-Frakti on dafür bedanken, dass sie passend zum Europatag dieses wichtige Thema auf die Tagesordnung gesetzt hat. An der Ent wicklung in Ungarn wird ebenso wie an der Entwicklung in Rumänien derzeit die Tragfähigkeit des europäischen Modells gemessen.
Baden-Württemberg, eine Partnerregion im Donauraum, steht in der Pflicht, auf besorgniserregende Fehlentwicklungen hin zuweisen. Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Es liegt mir fern, einem EU-Mitgliedsstaat ein bestimmtes poli tisches Modell vorschreiben oder Ungarn belehrend von oben herab behandeln zu wollen. Das europäische Motto heißt zu Recht: Einheit in Vielfalt. Diese Vielfalt ist extrem wichtig.
Es gilt aber auch die Einheit, dokumentiert in der Einhaltung der EU-Verträge. Wir können nicht ignorieren, dass die EUKommission die Vertragseinhaltung seitens Ungarns bezwei felt. Wie aus der Stellungnahme der Landesregierung hervor geht, sind die Beziehungen zu Ungarn vielfältig und gut. Wir arbeiten mit ungarischen Partnern und politischen Freunden seit vielen Jahren eng zusammen. Wir wissen um die beson dere Leistung dieses Landes hinsichtlich des Falls des Eiser nen Vorhangs und sind dafür sehr dankbar.
Meine Heimatstadt Ulm hat durch die Donaukooperation seit Mitte der Neunzigerjahre engste Kontakte zu kulturellen und wissenschaftlichen Projekten in Ungarn. Ich selbst bin Erster Vorsitzender des Vereins Fortschritt, der die Privatschule Fort schritt betreibt, die nach der Pädagogik des Ungarn Dr. An drás Petö arbeitet und ungarische Fachkräfte beschäftigt.
Im Rathaus von Budapest wurde 2009 der Rat der Donaustäd te und -regionen mit dem Ulmer Oberbürgermeister als Prä sidenten und seinem Amtskollegen aus Budapest als Präsidi umsmitglied gegründet. Der berühmte Schriftsteller und Frie denspreisträger György Konrád ist ständiger Gast auf dem Ul mer Donaufest. Aber gerade Konrád ist ein Beispiel dafür, wie wachsam wir bei den aktuellen Entwicklungen in Ungarn sein müssen. Konrád wird, auch wegen seiner jüdischen Herkunft, wieder angefeindet, weil er offen vor den demokratiefeindli chen, autoritären und antieuropäischen Stimmungen und Ten denzen in seiner Heimat warnt. Die autoritären Tendenzen sind augenfällig, seit die Fidesz-Partei eine Zweidrittelmehr heit im ungarischen Parlament erhalten hat und dabei ist, al le Beschränkungen der Macht zu beseitigen. Mit ihrer letzten Verfassungsänderung greift sie die Unabhängigkeit der Justiz ebenso an wie die Meinungs- und Pressefreiheit.
Nachdem das Verfassungsgericht in den vergangenen zwei Jahren mehrere Gesetze der Regierung Orbán aufgehoben hat,
wurde das Gericht – so kann man sagen – an die Kandare ge legt. Wenn das ungarische Parlament morgen beschlösse, Frauen und Arbeitslosen oder ethnischen Nicht-Ungarn das Wahlrecht zu entziehen, dürfte das Verfassungsgericht aktu ell nur prüfen, ob die Abgeordneten zur fraglichen Sitzung ordnungsgemäß geladen wurden.
Es kann nicht angehen, dass für den Masterstudiengang in eu ropäischer und internationaler Verwaltung an der 2001 ge gründeten deutschsprachigen und von Baden-Württemberg mit unterstützten Andrássy-Universität außerhalb der Akade mie für Militär und Verwaltung keine staatlich finanzierten Studienplätze mehr vergeben werden dürfen. Es ist ein ekla tanter Verstoß gegen die europäische Freizügigkeitsregelung, dass alle Empfängerinnen und Empfänger staatlicher Stipen dien in Ungarn vertraglich verpflichtet werden, nach Studi enabschluss die doppelte Zeit der Dauer des Bezugs des Sti pendiums in Ungarn zu arbeiten. Wir dürfen nicht zulassen, dass diese Änderungen auf Dauer Bestand haben.
Persönliche Rechte und Freiheiten, Gewaltenteilung, Bindung der vollziehenden Gewalt an das Recht, das sind europäische Grundwerte. Diese dürfen nicht ausgehöhlt werden, denn sonst scheitert Europa.
Wir in Baden-Württemberg können und müssen zweierlei tun: Soweit es Begegnungen und Verhandlungen mit offiziellen Regierungsvertretern gibt, gerade im Rahmen der europäi schen Strategie für den Donauraum, sollten wir unsere Beden ken offen vortragen und um Erklärung bitten – was ich mit Blick auf unsere heutigen Gäste tue.
Wir sollten mit den ungarischen Abgeordneten, die zur ersten Donauparlamentarierkonferenz am 11. und 12. Juli nach Ulm kommen, das Gespräch suchen. Wir müssen darüber hinaus enge Kontakte zu den Partnern und Freunden aus dem Kreis des Kulturlebens und der Zivilgesellschaft in Ungarn halten. Als Beispiel – es wurde schon erwähnt – will ich das Journa listen- und Medientreffen anführen, welches im vergangenen Jahr in Ulm stattfand und nunmehr in Ungarn, in Budapest, seine Fortsetzung finden wird.
Gerade weil uns Ungarn am Herzen liegt, müssen wir unsere Stimme erheben und auf Missstände hinweisen. Lassen Sie uns gemeinsam immer wieder dafür werben: Wer Mitglied der EU ist, der muss Antisemitismus bekämpfen, sich zu europä ischen Grundwerten bekennen und diese in der Praxis einhal ten.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kolle gen! Ich denke, in der Europapolitik finden die Fraktionen sehr oft gemeinsame Positionen, und wirkliche streitige Aus einandersetzungen sind dort eher eine Seltenheit. So ist es heute beim Thema Ungarn hoffentlich auch. Das haben wir heute schon zum Teil gehört.
Wir sind uns einig, dass Ungarn umsteuern muss, wenn Un garn in der EU bleiben will. Uneinigkeit besteht aufgrund der Stellungnahme der Landesregierung im Hinblick auf die Kon sequenzen, die auf Landesebene zu ziehen sind. Die neue un garische Verfassung und weitere Gesetzesvorhaben der Re gierung Orbán bedrohen die Unabhängigkeit der demokrati schen Institutionen.
Die FDP hat von Anfang an vor einer Abkehr Ungarns von den Prinzipien der europäischen Rechts- und Wertegemein schaft gewarnt. Zum Beginn des Jahres 2012 ist in Ungarn ei ne neue Verfassung in Kraft getreten. Mit dieser Verfassung verschafft sich die Regierung erheblichen Einfluss auf die per sonelle Zusammensetzung des obersten Verfassungsgerichts, dem darüber hinaus die Begutachtung der Haushaltspolitik entzogen wird.
Die Wahlkreisreform begünstigt massiv die regierende Partei von Ministerpräsident Orbán. Institutionelle Unabhängigkeit ist ein Kern des Rechtsstaats. Wer daran rüttelt, gefährdet den Wesensgehalt der Wertegemeinschaft der Europäischen Uni on.
Die Unabhängigkeit von Presse, Justiz und Notenbank sind entscheidende Charakteristika, die einen demokratischen Rechtsstaat ausmachen. Die Mehrheitsfraktion in Ungarn ver abschiedet derzeit Gesetze, deren Wesensgehalt die Rechts- und Wertegemeinschaft der EU verletzen könnte. Wir halten die Einschränkungen der Kompetenzen des Verfassungsge richts für eine gefährliche Schwächung der demokratischen Gewaltenteilung. Europa ist eine Wertegemeinschaft. Dies muss sich auch nach innen in der Verfasstheit der einzelnen Länder zeigen.
Die Revision des Grundgesetzes ist trotz begründeter Mah nungen der europäischen Partner beschlossen worden. Dass damit die gesamte Rechtsprechung des Gerichts seit der Wen de vor über 20 Jahren faktisch abgewertet wird, halten wir weiterhin für eine bedenkliche Entwicklung.
Außenminister Westerwelle – dies wurde auch schon erwähnt – hat diese Punkte in Gesprächen mit dem ungarischen Staats präsidenten János Ader thematisiert. Nun muss geprüft wer den, ob in Ungarn eine systematische Verletzung der europä ischen Rechtsstaatsprinzipien vorliegt.
Dass Regelungen, die das Verfassungsgericht in den letzten Monaten für ungültig erklärt hat, in den Verfassungsrang er hoben und damit der Beurteilung durch das höchste Gericht entzogen werden, ist nicht nur juristisch fragwürdig; es ist auch eine gefährliche Schwächung einer demokratischen Ge waltenteilung.
Ungarn muss seinen europäischen Partnern nun klarmachen, dass es die Sorgen um die Unabhängigkeit der Justiz und die
Entwicklung der Rechtsstaatlichkeit im Land ernst nimmt. Die Liberalen im Europäischen Parlament haben deutliche Worte der Kritik gefunden. Die jüngsten Gesetze erinnerten an die kommunistische Vergangenheit Ungarns. Der Vorsitzende der Europadelegation der FDP, Alexander Graf Lambsdorff, sprach sich in der „Financial Times Deutschland“ für stärke re Einflussmöglichkeiten der EU-Kommission gegenüber Mit gliedsländern aus, deren demokratische Entwicklung Anlass zur Sorge bereitet.
In den vergangenen zwei Jahren ist jedoch deutlich geworden, dass Ministerpräsident Orbán nach jeder Mahnung durch die EU Besserung gelobt, nur um dann weitere Grundrechte zu beschneiden. Damit sollte Schluss sein.
Wir erkennen an, dass die Landesregierung auf die Bundes zuständigkeit verweist. Andererseits erwarten wir auch im Rahmen der Zusammenarbeit deutliche Worte gegenüber den ungarischen Kollegen.
Speziell bei der Donauraumstrategie ist es zwar grundsätzlich richtig, dass dies ein sehr langfristig angelegtes Vorhaben ist. Ich finde allerdings, dass es sich die Landesregierung zu leicht macht, wenn sie meint, tagesaktuelle politische Entwicklun gen spielten keine Rolle.
Nein, wir können nicht die Augen vor dem verschließen, was in Ungarn passiert. Nein, wir dürfen die demokratisch gewähl te Regierung nicht als „Betriebsunfall der Geschichte“ abtun und so weitermachen wie bisher. Baden-Württemberg sollte seine Möglichkeiten und Zuständigkeiten – die hat es auch bei der Donauraumstrategie – auch nutzen. Denn gerade mit den vielfältigen, kleinteiligen Projekten im Rahmen der Donau raumstrategie erreichen wir die Bürgerinnen und Bürger vor Ort, die bei der nächsten Wahl eine Entscheidung zu treffen haben. Ich glaube, diese Menschen verstehen unsere Sorgen im Hinblick auf die demokratische Entwicklung in Ungarn vielleicht eher als die derzeitige ungarische Regierung.