Protokoll der Sitzung vom 15.05.2013

Meine Damen und Herren! Ich eröff ne die 68. Sitzung des 15. Landtags von Baden-Württemberg.

(Unruhe – Glocke des Präsidenten)

Ich bitte Sie, Ihre Plätze einzunehmen.

Urlaub für heute habe ich Herrn Kollegen Deuschle erteilt.

Krankgemeldet sind Herr Minister Untersteller, Herr Kollege Hahn, Herr Kollege Locherer und Herr Kollege Paal.

Aus dienstlichen Gründen entschuldigt hat sich Herr Minis ter Friedrich für die Zeit ab 13:00 Uhr.

Meine Damen und Herren, Herr Kollege Dr. Reinhard Löff ler hat heute Geburtstag. Ich sehe ihn noch nicht.

(Abg. Walter Heiler SPD: Er feiert!)

Aber wir gratulieren ihm auch in Abwesenheit sehr herzlich zu seinem heutigen Geburtstag und wünschen ihm alles Gu te.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Meine Damen und Herren, eine Zusammenstellung der E i n g ä n g e liegt vervielfältigt auf Ihren Tischen. Sie neh men davon Kenntnis und stimmen den Überweisungsvorschlä gen zu. – Es ist so beschlossen.

Im Eingang befinden sich:

1. Schreiben des Staatsgerichtshofs vom 25. April 2013, Az.: 1 VB 15/13

und 1 VB 22/13 – Verfassungsbeschwerden gegen das Gesetz zu dem Ersten Glücksspieländerungsstaatsvertrag und zu dem Staatsvertrag über die Gründung der GKL Gemeinsame Klassenlotterie der Län der sowie gegen das Landesglücksspielgesetz

Überweisung an den Ständigen Ausschuss

2. Mitteilung der Landesregierung vom 10. Mai 2013 – Jährliche Un

terrichtung des Landtags gemäß § 23 a Absatz 10 Polizeigesetz (PolG) über den erfolgten Einsatz technischer Mittel mit Bezug zur Telekom munikation – Drucksache 15/3482

Überweisung an den Innenausschuss

Wir treten in die Tagesordnung ein.

Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:

Regierungserklärung – Regionale Schulentwicklung – die baden-württembergische Bildungslandschaft erfolgreich gestalten

und Aussprache

Ich erteile Herrn Kultusminister Stoch das Wort.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, meine sehr geehrten Damen und Herren! Unser Land Baden-Württem berg steht im Hinblick auf die Weiterentwicklung seiner Bil dungslandschaft vor erheblichen Herausforderungen. Zu nen nen sind hierbei insbesondere die Forderungen nach mehr Bil dungsgerechtigkeit, die Umsetzung der Inklusion sowie die Anpassung der Schulstrukturen an die veränderten gesell schaftlichen Bedingungen. Hierbei ist insbesondere der de mografische Wandel zu nennen.

Der große Erfolg Baden-Württembergs beruht auf den Fähig keiten seiner Einwohner. Die baden-württembergischen Schu len, insbesondere das große Engagement der Lehrerinnen und Lehrer, sind seit langer Zeit Garanten für diese Erfolgsge schichte. Auf diesen Erfolgen können wir uns aber nicht aus ruhen. Internationale Vergleichsstudien belegen, dass eine konsequente Modernisierung auch unseres Bildungssystems notwendig ist, um diesen Erfolg unseres Landes nicht zu ge fährden.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Die Sicherung der Zukunft des Landes Baden-Württemberg verlangt, dass nun entschlossen gehandelt wird. Gute Politik zeichnet sich nach unserer Auffassung durch Gestaltungswil len aus, auch wenn den Menschen schwierige Entscheidun gen vermittelt werden müssen. Wir müssen jetzt die schuli schen Strukturen den gesellschaftlichen Veränderungen an passen. Es reicht nicht mehr aus, mit den Antworten der Ver gangenheit auf die Fragen nach der Gestaltung unserer Zu kunft zu reagieren.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Ein sehr wichtiges Kernelement dieser Anpassung unserer Bil dungslandschaft an die Herausforderungen der Zukunft ist die Erarbeitung und Umsetzung einer regionalen Schulentwick lungsplanung.

(Minister Andreas Stoch)

Die gesellschaftlichen Veränderungen, die Konsequenzen für unser Bildungssystem haben, sind unübersehbar. An erster Stelle zu nennen ist hier der demografische Wandel. Aktuell liegt die Geburtenrate in Baden-Württemberg bei durch schnittlich 1,36 Kindern je Frau. 2,1 Kinder wären notwen dig, um die Bevölkerungszahl in Baden-Württemberg ohne Zuwanderung konstant zu halten. Wir werden deshalb auf län gere Sicht mit einer deutlich zurückgehenden Einwohnerzahl konfrontiert sein. Selbst wenn – als Erfolg familienpolitischer Maßnahmen – die Geburtenrate wieder ansteigen würde, so würde es – das besagt das Prinzip der demografischen Träg heit – Jahrzehnte dauern, bis die ursprüngliche Einwohner zahl wieder erreicht wäre.

Der Bevölkerungsrückgang wird Land- und Stadtkreise, die Städte und Gemeinden im Land unterschiedlich stark treffen. Deshalb benötigen wir eine genaue Betrachtung der Raum schaften in Baden-Württemberg, um hier die richtigen Wei chenstellungen zu treffen.

Viele Gemeinden des ländlichen Raums stellt die Bevölke rungsentwicklung zunehmend vor große Herausforderungen. 34 % der Baden-Württemberger leben im ländlichen Raum. Von den 1 101 Gemeinden Baden-Württembergs gehören 655 – das sind 59 % – dem ländlichen Raum an. Der Bevölke rungsrückgang stellt auch ein Problem für die heimische In dustrie, für Wirtschaft und Handwerk dar, weil sich schon jetzt ein ganz erheblicher Fachkräftemangel zeigt. Auch aus die sem Grund kommt es jetzt mehr denn je auf den Bildungser folg jedes einzelnen jungen Menschen an.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Der Schülerzahlenrückgang lässt sich schon seit Längerem – seit Anfang dieses Jahrtausends – deutlich in den einschlägi gen Statistiken ablesen. Wir gehen davon aus, dass die Zahl der Schüler an den Schulen in Baden-Württemberg bis zum Jahr 2025 um knapp ein Fünftel weiter zurückgehen wird.

Daneben beobachten wir bereits seit einigen Jahren ein ver ändertes Schulwahlverhalten der Schülerinnen und Schüler bzw. der Eltern. So nimmt der Anteil derjenigen Schülerinnen und Schüler konstant ab, die nach Abschluss der Grundschu le auf die Hauptschule bzw. die Werkrealschule wechseln. Dies belegt den Wunsch, einen möglichst „hohen“ Bildungs abschluss zu erreichen. Vor Abschaffung der Verbindlichkeit der Grundschulempfehlung existierte bei vielen Eltern das Ge fühl, dass ihren Kindern bei einer aus ihrer Sicht „falschen“ Entscheidung über den weiteren Bildungsweg Zukunftschan cen verbaut würden.

Der Wegfall der verbindlichen Grundschulempfehlung hat das veränderte Schulwahlverhalten nicht ausgelöst, führte aber zu einer Beschleunigung dieser Entwicklung. Der Schülerzah lenrückgang und veränderte Schulwahlentscheidungen führ ten bereits in den vergangenen Jahren dazu, dass zahlreiche weiterführende Schulen, insbesondere Haupt- und Werkreal schulen, in Städten und Gemeinden unseres Landes nicht er halten werden konnten. Von über 1 200 Haupt- und Werkre alschulen, die es noch vor wenigen Jahren in Baden-Württem berg gegeben hat, bestehen derzeit noch 862.

(Abg. Volker Schebesta CDU: Da haben wir also doch etwas angestoßen!)

Viele dieser Schulen sind zu sehr kleinen Schulen geworden, viele davon sind inzwischen einzügig. Teilweise sind heute schon nicht mehr genügend Schüler vorhanden, um eine Ein gangsklasse bilden zu können. So haben im laufenden Schul jahr bereits 125 dieser Schulen keine Schülerinnen und Schü ler mehr in der Klassenstufe 5 gemeldet. Weitere 224 Haupt- und Werkrealschulen haben in der Klassenstufe 5 Schülerzah len zwischen eins und 15, also Anmeldezahlen unter der Min destschülerzahl von 16. Diese Entwicklung wird sich auch in den nächsten Schuljahren fortsetzen.

Die zurückgehende Schülerzahl birgt dabei erhebliche Prob leme sowohl pädagogischer als auch organisatorischer Art. Dies betrifft einerseits die Schulverwaltung, die die personel le Ausstattung und ein hochwertiges personelles Angebot si cherstellen muss. So sind in sehr kleinen Schulen die Mög lichkeiten differenzierender Angebote geringer. Daneben tre ten organisatorische Schwierigkeiten auf, z. B. bei Erkran kung von Lehrerinnen und Lehrern. Die Potenziale für Team arbeit der Lehrkräfte sind hier nur schwach ausgeprägt.

Es betrifft andererseits aber auch die kommunale Seite in Be zug auf die geplanten Investitionen und die Sachmittelausstat tung. Kleine Schulen verlangen insgesamt von allen Beteilig ten überdurchschnittlich viel Engagement und Kraft.

Bereits vor einigen Jahren – der starke Rückgang der Schü lerzahlen setzte, wie schon gesagt, bereits Anfang dieses Jahr tausends ein – wäre eine planvolle Gestaltung dringend not wendig gewesen.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Wäre dieser Prozess von den Vorgängerregierungen eingelei tet worden, hätten wir noch in vielen ländlichen Bereichen stabilere Strukturen, die gleichzeitig die Gewähr für qualita tiv hochwertige Schulen bieten würden.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Fast alle anderen Bundesländer haben, unter unterschiedli chen Bezeichnungen, derartige Verfahren der regionalen Schulentwicklung etabliert.

Ein einfaches „Weiter so!“, das heißt, ein Beharren auf dem dreigliedrigen Schulsystem ist nicht geeignet – wie dies von CDU und FDP/DVP suggeriert wird –, die bestehenden Pro bleme, gerade im ländlichen Raum, zu lösen.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Würden keine strukturellen Maßnahmen im Rahmen eines planerischen Prozesses eingeleitet, würde sich der Anteil klei ner und kleinster Schulen weiter erhöhen. Die weit überwie gende Zahl der Schulen wären bereits auf kurze Sicht nicht mehr überlebensfähig; die notwendigen Schülerzahlen für die Einrichtung einer Eingangsklasse würden nicht mehr erreicht werden.

Dies ist eine für die betroffenen Schulen, für die Schulträger, für die Kolleginnen und Kollegen an diesen Schulen und für das Land insgesamt sehr unbefriedigende Situation. Unter den kleinen und kleinsten Schulen befinden sich vor allem Haupt- bzw. Werkrealschulen.

(Minister Andreas Stoch)