Eine regionale Schulentwicklungsplanung für die weiterfüh renden Schulen muss aber neben den genannten Haupt- bzw. Werkrealschulen auch die weiteren Schularten, also Gemein schaftsschulen, Realschulen und Gymnasien sowie berufliche Schulen und Sonderschulen, in den Blick nehmen. Bei diesen Schularten spielt der starke Rückgang der Schülerzahlen im Hinblick auf die demografischen Veränderungen insgesamt derzeit noch eine schwächere Rolle; mittel- und langfristig werden aber auch dort die Schülerzahlen zurückgehen.
Wir werden die notwendigen Planungsprozesse so zu gestal ten haben, dass eine Gesamtschau der Bildungsangebote mög lich wird. Unser Ziel ist, dass überall im Land ein gutes Bil dungsangebot vorgehalten werden kann – dies vor allem un ter dem Gesichtspunkt der Erreichbarkeit von Bildungsab schlüssen.
Die Grundschulen sind dabei grundsätzlich nicht Gegenstand des Prozesses dieser regionalen Schulentwicklung. Wir wol len auch in Zukunft gewährleisten, dass Kinder im Grund schulalter die Schule möglichst wohnortnah besuchen kön nen. Der Grundsatz „Kurze Beine, kurze Wege“ gilt auch wei terhin.
Durch stärker integrative Strukturen können in vielen Raum schaften gerade im ländlichen Raum Schulstandorte erhalten werden, wenn in diesen unter Wahrung pädagogischer Quali tät verschiedene Bildungsabschlüsse erreicht werden können. Grundsätzlich ist es wichtig, in Zukunft stärker von den Bil dungsabschlüssen her zu denken. Wir werden die dafür not wendigen Voraussetzungen schaffen.
Wir verfolgen daher mit unserer Politik zwei wesentliche Zie le: Zum einen wollen wir eine Weiterentwicklung der regio nalen Schulstrukturen, die die Gewähr für Stabilität und Qua lität bietet. Die Eltern sollen sich darauf verlassen können, sie sollen die Sicherheit haben, dass alle Bildungsabschlüsse er reichbar sind.
Daneben wollen wir Rahmenbedingungen schaffen, unter de nen sich Schulen auf die veränderten Herausforderungen, ins besondere im Hinblick auf die zunehmende Begabungsviel falt, besser einstellen können. Viele Schulen, und zwar in al len Schularten, haben sich bereits auf den Weg gemacht. Wir sind uns sicher, dass die Schulen diese Herausforderungen als Chance begreifen, ihre pädagogischen Konzepte auf stärker differenzierende Lernmethoden hin auszurichten.
Diese Ziele wollen wir durch Umsetzung eines Zweisäulen systems verwirklichen. Eine dieser beiden Säulen wird auch weiterhin das Gymnasium sein. Das Gymnasium ist in BadenWürttemberg ein Garant für den Erwerb eines hoch anerkann ten Bildungsabschlusses, der jungen Menschen hervorragen de Möglichkeiten für eine anschließende Berufsausbildung oder ein Studium ermöglicht.
Ziel ist dabei ein Zweisäulenschulsystem mit einerseits dem Gymnasium und andererseits einem integrativen Bildungs weg, der sich aus den bisherigen Schularten entwickelt.
Dies erreichen wir dann, wenn all diese Schulen die Gewähr dafür bieten, Schülerinnen und Schüler unterschiedlicher Be gabung angemessen zu fördern. Die Gemeinschaftsschule ist hierbei besonders geeignet, um diesen integrativen Bildungs weg zu ermöglichen.
Es geht der Landesregierung darum, einem ihrer zentralen An liegen folgend sinnvolle und nachhaltige Entwicklungen zu ermöglichen, diese zu unterstützen und sie nicht dirigistisch zu verordnen. Wir wollen damit erreichen, dass die Schulland schaft in Baden-Württemberg im Hinblick auf die eintreten den Veränderungen leistungsfähiger wird und gleichzeitig die Gewähr dafür bietet, dass die Bildungschancen eines Kindes nicht von seiner sozialen Herkunft abhängen.
Wir sind überzeugt davon, dass die regionale Schulentwick lung nur dann erfolgreich gestaltet werden kann, wenn sie im Hinblick auf die Umsetzung von Land, Kommunen und Land kreisen gemeinsam getragen und politisch vertreten wird.
Die vertrauensvolle Zusammenarbeit ist uns sehr wichtig. Wir haben daher mit den kommunalen Landesverbänden zahlrei che Gespräche geführt, die für uns die Gewähr dafür bieten, die regionale Schulentwicklungsplanung auch unter Berück sichtigung der Belange der kommunalen Seite umzusetzen.
Sowohl im Hinblick auf die Zielbeschreibung als auch im Hin blick auf die nun einzuleitenden Planungsverfahren wurde in weiten Teilen Übereinstimmung mit den kommunalen Lan desverbänden hergestellt. Dass sich Land und Kommunen ge meinsam an diese Aufgabe machen, ist eine gute Vorausset zung dafür, dass der Prozess zum Erfolg führen wird.
Ziel muss es dabei sein, die Gleichwertigkeit der Lebensver hältnisse in Baden-Württemberg zu gewährleisten. Deswegen werden wir die kreisangehörigen Gemeinden, kreisfreien Städte und Landkreise intensiv an den Prozessen beteiligen und die Schullandschaft im Rahmen der regionalen Schulent wicklungsplanung gestalten. Wir treten bei der zukünftigen Ausgestaltung der Schullandschaft für stabile Verhältnisse ein, die gleichzeitig die Garantie für hohe pädagogische Qualität bieten.
Dies bedeutet, dass wir für die weiterführenden Schulen Min destschülerzahlen anstreben, die eine langfristige Stabilität versprechen.
Am Ende des Planungsprozesses sollen die weiterführenden Schulen in den Eingangsklassen eine stabile Zweizügigkeit,
das heißt mindestens 40 Schülerinnen und Schüler, aufwei sen. Für die allgemeinbildenden Gymnasien haben die Ein gangsklassen bei Neueinrichtungen zusammen mindestens 60 Schülerinnen und Schüler. An dieser Größe werden wir uns insbesondere auch bei der Genehmigung und Neueinrichtung von Schulen orientieren. Diese stabilen Schülerzahlen sind unter dem Gesichtspunkt der pädagogischen Qualität, aber auch im Hinblick auf die Investitionen, die die kommunalen Träger zu schultern haben, eine Größenordnung, die Verläss lichkeit und Planungssicherheit bietet.
Die genannten Mindestgrößen sollen grundsätzlich für alle allgemeinbildenden Schulen der Sekundarstufe I gleicherma ßen gelten. Wir werden Ausnahmen dann zulassen, wenn dies aufgrund besonderer Gegebenheiten erforderlich ist. Hierbei ist die Erreichbarkeit von Bildungsabschlüssen ein zentraler und ganz wichtiger Aspekt.
Soweit Schülerströme der allgemeinbildenden Schulen Be deutung für die beruflichen Schulen haben, werden wir auch diese in die regionale Schulentwicklungsplanung einbeziehen. Darüber hinaus wird es aber einen gesonderten Prozess für die anderen Schulen des beruflichen Schulwesens geben, wenn gleich unter zum Teil anderen Vorgaben. Auch die Sonder schulen und der Gedanke der Inklusion werden von Anfang an mit berücksichtigt, doch aufgrund der Komplexität in ei nem gesonderten Verfahren zu behandeln sein.
Wodurch wird nun die regionale Schulentwicklung ausgelöst? Wir haben drei Anlässe für den Prozess der Schulentwicklung in einer Raumschaft vorgesehen: erstens wenn ein öffentlicher Schulträger einen Antrag z. B. auf Einrichtung einer neuen Schule oder auf Umwandlung einer bestehenden Schule stellt, zweitens wenn ein öffentlicher Schulträger innerhalb einer Raumschaft den Start eines regionalen Schulentwicklungs prozesses von sich aus initiiert oder drittens dann, wenn in ei ner öffentlichen Schule keine Eingangsklasse mehr gebildet werden kann, wenn dafür also weniger als 16 Schülerinnen und Schüler vorhanden sind.
Die Landesregierung geht davon aus, dass es schon bald flä chendeckend regionale Schulentwicklungsprozesse geben wird. An dem Planungsprozess innerhalb einer Raumschaft sind alle Schulträger – gegebenenfalls auch über Landkreis grenzen hinweg – zu beteiligen, die im Einzugsbereich der je weiligen Schule liegen, hinsichtlich der der Entwicklungspro zess ausgelöst wird.
Wie soll nun das Verfahren der regionalen Schulentwicklung konkret aussehen? Der gesamte Prozess ist als Dialog- und Beteiligungsverfahren konzipiert. Er besteht aus mehreren Phasen.
Die staatlichen Schulämter und die Regierungspräsidien er mitteln zunächst gemeinsam die Schülerströme, und danach bestimmen sie die jeweiligen Planungsgebiete, die Raum schaften. Sie haben vor allem die Aufgabe, den Prozess durch Informationen und Beratung zu begleiten, z. B. durch Daten zu Schulen, also zur Istsituation oder zu den erwarteten Über gangszahlen. Sie entwickeln darüber hinaus Prognosen zu den Schülerströmen auf der Grundlage der Daten zur Bevölke rungsentwicklung.
Durch einen gezielten Dialogprozess soll damit bereits im Vor feld der Antragstellung nach § 30 des Schulgesetzes abgeklärt werden, ob und gegebenenfalls inwieweit die Interessen an derer Kommunen im Einzugsbereich des Antragstellers tan giert sein könnten. In dieser ersten Phase kommt es entschei dend darauf an, im Zuge eines strukturierten Dialogs mit ver schiedenen Interessenvertretern innerhalb der Kommunen bzw. in der Region eine gemeinsame Vision und Konzeption für das künftige Schulangebot zu entwickeln.
Der Gegenstand einer weiteren Phase ist die Antragstellung, wenn ein Schulträger nach § 30 des Schulgesetzes Handlungs bedarf sieht und einen Antrag stellt. Die Schulverwaltung prüft dabei, ob sämtliche Aspekte des öffentlichen Bedürfnis ses gewürdigt werden. Hierzu gehören nicht nur die Interes sen der antragstellenden Gemeinden, sondern auch die Inter essen der übrigen Gemeinden in dieser Raumschaft. Bei Be darf wird ein entsprechendes Verfahren eingeleitet. Die Stel lungnahmen der anderen Gemeinden werden bei der Antrags prüfung im Sinne des öffentlichen Bedürfnisses gewürdigt.
In der letzten Phase, der Entscheidungsphase, wird – sofern ein Konsens zwischen allen Akteuren gefunden wurde – so dann der regionale Schulentwicklungsprozess nach § 30 des Schulgesetzes zu einer Entscheidung führen. Wird in dieser Phase jedoch kein Konsens gefunden, gehen die Akteure in ein Schlichtungsverfahren, das von den Regierungspräsidien durchgeführt wird. In einem solchen Dissensfall werden die Stellungnahmen der beteiligten Schulträger nochmals geprüft und werden nach Möglichkeit alternative Vorschläge entwi ckelt und abgestimmt. Sofern andere Lösungsansätze eben falls nicht konsensfähig sein sollten, entscheidet in letzter Konsequenz die Schulverwaltung abschließend über die Ab lehnung oder die Genehmigung eines Antrags.
Sollte ein Schulträger bei Unterschreitung der Mindestschü lerzahlen trotz entsprechender Hinweise der Schulverwaltung nicht aktiv werden, so hebt diese den Schulstandort auf, wenn die vorgeschriebene Mindestgröße in der Eingangsklasse in zwei aufeinanderfolgenden Jahren unterschritten wird und kein Ausnahmetatbestand vorliegt. Auch in diesem Hinweis verfahren, wonach ein Standort die notwendigen Mindestgrö ßen nicht erreicht, sollen die Interessen der Nachbargemein den geprüft und gewürdigt werden. Das Verfahren endet hier ebenfalls mit einer Entscheidung der Schulverwaltung.
Ich möchte aber einflechten: Wir setzen große Hoffnungen da rauf, dass wir durch gute Beratung im Rahmen des Dialog- und Beteiligungsverfahrens durch die Schulämter und Regie rungspräsidien hier sehr häufig konsensuale Lösungen errei chen können. Für uns steht ein Ausgleich der Interessen der beteiligten Schulträger, der Kommunen und der Landkreise und damit einhergehend auch der Interessen der Schulverwal tung im Mittelpunkt. Wir wollen in so vielen Fällen wie mög lich einen Konsens schaffen. Deswegen ist es für mich ein ele mentarer Bestandteil der regionalen Schulentwicklungspla nung, dass Land und kommunale Seite regionale Schulent wicklung als ihr gemeinsames Projekt begreifen.
Die Landesregierung möchte, dass so schnell wie möglich die Planungsprozesse auf der heute vorgestellten Grundlage in
Gang kommen. Deshalb werden wir noch vor der Sommer pause die Eckpunkte der regionalen Schulentwicklungspla nung im Kabinett beschließen.
Diese Eckpunkte werden den Schulträgern und der Schulver waltung die notwendige Handlungs- und Planungssicherheit geben.
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kol legen, über manches in der Bildungspolitik ist in diesem Par lament in den letzten Monaten und Jahren kontrovers disku tiert worden. Dass die Schulstrukturen den demografischen Bedingungen angepasst werden müssen, dass ferner Verände rungen notwendig sein werden, um allen jungen Menschen einen hochwertigen Bildungsabschluss in erreichbarer Nähe zu ermöglichen, dass die Stärken und Schwächen des einzel nen Schülers im Mittelpunkt unserer Überlegungen stehen müssen und dass diese Fragen im guten Miteinander aller Ak teure und Betroffenen gelöst werden müssen, wird, glaube ich, von niemandem ernsthaft bestritten.
Dies ist eine gute Basis, ein guter Konsens, um die anstehen den Aufgaben gemeinsam meistern zu können. Das wollen auch die Menschen in Baden-Württemberg, und sie werden uns allen danken, wenn wir hier gemeinsam vorankommen.
Tun wir das nicht, würde dies zum Schaden des Landes und seiner Menschen, vor allem der jungen Generation, sein. Wir müssen uns deshalb gemeinsam dieser schwierigen Aufgabe annehmen. Ich lade alle Beteiligten ein – die kommunalen Landesverbände, die Schulverwaltung, die Landtagsabgeord neten, auch die der Oppositionsparteien –, diesen Entwick lungsprozess zu unterstützen und den nun anstehenden Ge staltungsprozess auch in schwierigen Entscheidungen mitzu tragen und die richtige Zukunftsperspektive für die Gemein den, für die Schulträger und für die Schulgemeinschaften auf zumachen.
Wenn wir gemeinsam diesen Prozess konstruktiv begleiten, schaffen wir das, was wir in Baden-Württemberg brauchen: Eine Bildungslandschaft, die geprägt ist von Stabilität und ho her pädagogischer Qualität im Interesse der jungen Menschen in unserem Land.