Protokoll der Sitzung vom 15.05.2013

Die Menschen sind bei uns am sichersten vor Armut. Warum ist das bei uns so? Weil wir Acht gegeben haben auf eine gu te Wirtschaftsstruktur und auf einen gesunden Mittelstand, den wir stets gepflegt haben, weil wir unser Bildungssystem zum besten in Deutschland und übrigens auch in Europa aus gebaut haben

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

und weil die in Baden-Württemberg erworbenen Abschlüsse auf das Studium und auf die duale Ausbildung vorbereiten. Das haben wir durch eine Politik des gesunden Menschenver stands geschafft.

Wir haben uns darauf konzentriert, so wenige Schulabbrecher wie nur möglich zu haben. Darin waren wir so erfolgreich wie kein anderes Bundesland in Deutschland. Wir haben uns da rauf konzentriert, möglichst allen einen qualifizierten Schul abschluss zu ermöglichen. Auch hier waren wir so erfolgreich wie kein anderes Bundesland in Deutschland. Wir haben uns

auch darauf konzentriert, jedem jungen Menschen eine Be rufsperspektive zu ermöglichen. Hier waren wir einmal mehr so erfolgreich wie kein anderes Bundesland in Deutschland und kein Land in Europa.

Wenn Sie, Frau Ministerin Altpeter, selbst bestätigen, dass die Hauptursachen für Armut in der Langzeitarbeitslosigkeit und in fehlenden Bildungs- und Berufsabschlüssen liegen, dann ist Baden-Württemberg zumindest bis 2011 ein sicheres Land gewesen.

(Beifall bei der CDU sowie der Abg. Jochen Hauß mann und Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: So ist es!)

Deshalb gibt es auch die Schlagzeile: „Im Südwesten leben am wenigsten Arme“.

Wir kennen also die Hauptursachen für Armut. Wir kennen die Hauptbetroffenen. Wir kennen die richtigen Strategien, die richtigen Wege, um Menschen vor Armut zu schützen. Wir können auch auf ausreichend positive Erfahrungen zurück greifen.

Frau Ministerin Altpeter, zu dem Antrag der SPD stellen Sie in den Antworten zu den Fragen 5 und 6 auf zehn Seiten – aus gesprochen ausführlich – Ihre Wege dar. Diese Ausführlich keit könnte man sich auch einmal für eine Antwort auf eine CDU-Anfrage vorstellen.

(Abg. Daniel Andreas Lede Abal GRÜNE: Sie müs sen auch mal gescheit fragen!)

Sie greifen auf unsere Programme zurück und bringen das ei ne oder andere an Neuem. Ich gebe zu, das eine oder andere lehnen wir ab, und manchem stimmen wir auch zu.

Alles in allem frage ich Sie: Warum brauchen wir nochmals einen Bericht? Warum brauchen wir einen weiteren Bericht, der 1 Million € kostet, der Ihr Haus bis 2015 beschäftigen wird und praktisch keinen eigenen Impuls zur weiteren Armutsbe kämpfung gibt? Die zweite Schlagzeile lautete: „Deutschland ist reich an Armutsberichten“.

Sie behaupten: Die Schere zwischen Arm und Reich öffnet sich immer weiter, immer mehr Menschen sind von Armut be droht. Die Schere hat sich in der Tat geöffnet, und zwar in den Jahren 2000 bis 2005. Das ist nachweisbar. Seither hat sie sich nicht mehr weiter geöffnet. In letzter Zeit schließt sie sich so gar wieder leicht. Jetzt frage ich Sie: Wer hat denn in den Jah ren 2000 bis 2005 in Deutschland regiert?

(Zuruf des Abg. Dr. Stefan Fulst-Blei SPD)

Für Gutachten und Berichte geben Sie 1 Million € aus. Gleich zeitig streichen Sie an den Schulen die Hausaufgabenbetreu ung. Dort wäre das Geld im Sinne einer Armutsbekämpfung doch viel besser angelegt.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Jochen Haußmann FDP/DVP – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: So ist es! Jawohl! Bei den Schwächsten sparen!)

Ich kann es Ihnen nicht ersparen: Sie haben das Landeserzie hungsgeld abgeschafft.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Ja!)

Den Grünen war diese bescheidene Unterstützung von ein kommensschwachen jungen Familien mit kleinen Kindern nicht wichtig genug.

(Abg. Werner Raab CDU: So ist es!)

Frau Altpeter, Sie haben das Landeserziehungsgeld in vermin derter Form immerhin erhalten wollen. Durch handwerkliches Unvermögen

(Lachen des Abg. Rainer Hinderer SPD)

haben Sie es im Bestand gefährdet, und letztendlich haben Sie es auch abgeschafft. Zu diesem Punkt hat Ihnen die CDU mehrmals Gespräche angeboten. Diese Gespräche wollten Sie nicht; Sie haben es ja besser gewusst. Deshalb tragen Sie für die Abschaffung des Landeserziehungsgelds persönlich die Verantwortung.

(Beifall bei der CDU – Abg. Florian Wahl SPD: Noch nie ist so viel für die Schwächsten getan worden in Baden-Württemberg!)

Wir stehen dem Armuts- und Reichtumsbericht äußerst kri tisch gegenüber. Trotzdem sind wir bereit, in der Sache mit zuarbeiten. Wir lassen uns jedoch nicht instrumentalisieren. Zu konkreten Projekten, die Menschen vor Armut bewahren, sagen wir unsere Unterstützung zu. Zur Alimentierung von Armutspropheten – um die dritte Schlagzeile zu zitieren –, die oft genug vor allem in eigener Sache unterwegs sind, sagen wir Nein.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP – Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Sehr gut!)

Das Wort für die SPDFraktion erteile ich Herrn Abg. Hinderer.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Zunächst möchte ich mich für die Stellungnahme der Landesregierung herzlich bedanken. Die Stellungnahme ist sehr umfassend und differenziert. Aber auch jenseits der nackten Zahlen, die auch für sich sprechen, Herr Kollege Kunzmann, wird schon in der Art der Berichterstat tung eines sehr deutlich: Grün-Rot in Baden-Württemberg mit einer sozialdemokratischen Sozialministerin ist nicht gewillt, über die zunehmende Armutsproblematik im Land einfach hinwegzusehen und hinwegzugehen.

(Beifall bei der SPD)

Wir haben da schon ein Problembewusstsein im Hinblick auf die Frage, wie es um die Verteilung – die Verteilung von Ein kommen und Vermögen, aber auch von Lebensperspektiven und Chancen – und um die Gerechtigkeit in unserem Land be stellt ist. Da bereiten uns einige Entwicklungen durchaus Sor gen.

Uns berührte schon, als wir die Menge an Menschen sahen, die in den Wintermonaten wieder an den Essensausgaben der Vesperkirchen Schlange standen. Wir waren mit unserem So zial-AK vor Ort in der Stuttgarter Vesperkirche.

(Abg. Thaddäus Kunzmann CDU: Ich habe sogar ge holfen!)

Der Fraktionsvorsitzende war mit dabei, wir auch, Herr Kol lege.

(Abg. Thaddäus Kunzmann CDU: Ich habe sogar ge holfen!)

Was wir dort an Not und Elend gesehen haben, war erbärm lich.

Erbärmlich ist für uns auch, wenn wir bei Schulbesuchen Be richte von Kindern hören, die hungrig zur Schule kommen, weil es zu Hause kein Frühstück gibt.

(Zurufe von der CDU, u. a. Abg. Karl-Wilhelm Röhm: Sollen wir dann die Schule in Zukunft mit ei nem Frühstück beginnen oder sind die Eltern in ers ter Linie dafür verantwortlich?)

Erbärmlich ist, wenn wir von den Sozialdiensten hören, dass alte Menschen wegen der hohen Energiekosten ihre Wohnun gen nicht mehr heizen und deshalb ihre Zeit in den Tagesstät ten für Wohnungslose verbringen.

(Abg. Florian Wahl SPD: So sieht es aus! – Abg. Thaddäus Kunzmann CDU: Wer hat denn die Ener giepreise erhöht? Wer hat denn die Ökosteuer einge führt?)

Die Daten und Fakten, die Sie in dem Bericht sehen, belegen zusätzlich, dass die Dinge nicht in Ordnung sind und Hand lungsbedarf besteht.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Richtig!)

Sie haben richtig erkannt: Wenn wir die bundesdeutschen Ein kommensverhältnisse zugrunde legen und dann auf BadenWürttemberg rückschließen, dann liegt die Armutsgefähr dungsquote bei 11,2 %. Gemessen am Bundesmedian ist bei uns – das ist richtig – die Armutsgefährdungsquote am ge ringsten. Das ist erfreulich. Aber, Herr Kollege Kunzmann, es lohnt sich, etwas genauer hinzusehen. Denn wenn wir die Ein kommensverhältnisse in unserem Bundesland zugrunde le gen, was aus unserer Sicht die richtige Bezugsgröße ist, dann liegt die Armutsgefährdungsquote plötzlich bei 14,7 %. Dann ist der Südwesten keinesfalls mehr die Gegend mit den we nigsten Armen, dann liegt die Armutsgefährdungsquote in Ba den-Württemberg höher als in Mecklenburg-Vorpommern oder in Sachsen.

(Abg. Thaddäus Kunzmann CDU: Ist das nicht ein Witz? Was sind solche Statistiken wert? Ist bei uns die Armutsgefährdung höher als in Mecklenburg-Vor pommern? – Gegenruf des Abg. Florian Wahl SPD: Das sind keine Statistiken, das sind Schicksale!)

Das ist kein Witz. Die Menschen bei uns im Land verglei chen sich mit denen, die ebenfalls bei uns im Land wohnen, und nicht mit denen, die in Mecklenburg-Vorpommern oder irgendwo anders im Bundesgebiet oder in Afrika wohnen. In sofern geht es uns, den Landespolitikern, darum, die Voraus setzungen bei uns im Land zu verbessern.

Ein Kernsatz in der Bewertung der vielen im Bericht genann ten Indikatoren ist für mich:

Für den einzelnen Betroffenen spielt es ohnehin keine Rol le, ob er statistisch gesehen zu wenigen oder vielen Ar mutsgefährdeten gehört; er erwartet von der Landesre gierung zu Recht ein fundiertes Konzept gegen Armut,...

(Beifall bei der SPD und des Abg. Thomas Poreski GRÜNE)

Das ist für mich die zentrale Schlussfolgerung aus dieser Stel lungnahme und aus den erwarteten Ergebnissen des Armuts- und Reichtumsberichts.

Wir stellen fest, dass es eine krasse Ungleichverteilung von Einkommen und Vermögen in unserem Land gibt und es des halb Antworten auf diese Fragen zu finden gilt. Das ist das, was die grün-rote Landesregierung grundlegend von SchwarzGelb im Bund unterscheidet.