Protokoll der Sitzung vom 30.06.2011

Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die 7. Sitzung des 15. Landtags von Baden-Württemberg und be grüße Sie sehr herzlich.

Urlaub für heute habe ich Herrn Abg. Stratthaus erteilt.

Einen zweiten Urlaubstag aus persönlichen Gründen, für die wir Verständnis haben, hat Herr Staatssekretär Rust.

Krankgemeldet ist Herr Abg. Dr. Lasotta.

Aus dienstlichen Gründen haben sich Herr Minister Dr. Nils Schmid und ab 13:00 Uhr Herr Ministerpräsident Kretsch mann entschuldigt.

Dienstlich verhindert sind Frau Staatsrätin Erler, Herr Minis ter Friedrich sowie Frau Ministerin Warminski-Leitheußer.

Im Eingang befindet sich die Mitteilung der Landesregierung vom 28. Juni 2011 – Information über Staatsvertragsentwür fe; hier: Entwurf des Zweiten Abkommens zur Änderung des Abkommens über die Zentralstelle der Länder für Gesund heitsschutz bei Arzneimitteln und Medizinprodukten –, Druck sache 15/163.

Ich schlage Ihnen vor, die Mitteilung der Landesregierung, Drucksache 15/163, an den Sozialausschuss zu überweisen. – Es erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.

Wir treten in die Tagesordnung ein.

Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:

Aktuelle Debatte – Zugangswege für Frauen zu Spitzen positionen in der Wirtschaft verbessern – beantragt von der Fraktion der SPD

Meine Damen und Herren, das Präsidium hat für die Aktuel le Debatte eine Gesamtredezeit von 40 Minuten festgelegt. Darauf wird die Redezeit der Regierung nicht angerechnet. Für die einleitenden Erklärungen der Fraktionen und für die Redner in der zweiten Runde gilt jeweils eine Redezeit von fünf Minuten.

Ich darf die Mitglieder der Landesregierung bitten, sich an den vorgegebenen Redezeitrahmen zu halten. Ich verweise darauf, dass im Rahmen der Aktuellen Debatte die Ausspra che in freier Rede zu führen ist, mit einigen wenigen Konzep ten. Aber ich habe Verständnis für unterschiedliche Formen der Darlegung.

(Vereinzelt Heiterkeit)

Ich erteile dem Vertreter der SPD-Fraktion das Wort für die einleitenden Erklärungen. Wem darf ich das Wort erteilen?

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Frau Sabine Wölfle!)

Frau Abg. Wölfle, bitte schön.

Sehr geehrter Herr Präsident, lie be Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Damen und Her ren! Der Frauenanteil in unserem Landtag beträgt etwa sechs mal so viel wie der Frauenanteil in den Vorständen der gro ßen Wirtschaftsunternehmen in Baden-Württemberg.

(Vereinzelt Heiterkeit)

Wenn Sie glauben, dies sei eine positive Nachricht, muss ich Sie leider enttäuschen. Schauen Sie sich hier im Raum um. Dann können Sie sich die negative Botschaft selbst erschlie ßen.

(Unruhe bei der CDU)

Das ist so. – Der Anteil der Frauen in Spitzenpositionen in der Wirtschaft beträgt gerade einmal 3 %. Andersherum aus gedrückt: Der Anteil der Männer in den Vorständen deutscher Wirtschaftsunternehmen liegt bei 97 %. Das ist eine beschä mende Bilanz, wie ich finde.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Es gibt tatsächlich bedeutende Unternehmen in Baden-Würt temberg, in denen weder im Vorstand noch im Aufsichtsrat ei ne einzige Frau zu finden ist. Ich könnte an dieser Stelle eini ge Unternehmen nennen, verzichte aber darauf. Das wäre doch eine Negativwerbung für die Unternehmen, genauso wie un ser Frauenanteil hier im Plenum auch keine gute Botschaft für das Land Baden-Württemberg ist.

Seit der Selbstverpflichtung der deutschen Wirtschaft vor zehn Jahren im Hinblick auf mehr Frauen in Führungspositionen hat sich so gut wie nichts verändert. Eine aktuelle Studie des Instituts für Unternehmensführung der Universität Karlsruhe, übrigens die größte ihrer Art, kommt zu dem Ergebnis, dass hinsichtlich des Frauenanteils in Führungspositionen in den DAX-Unternehmen in diesen zehn Jahren keine nennenswer ten Veränderungen oder gar Verbesserungen eingetreten sind. Den einzigen Lichtblick bildet die Telekom, die 2015 welt weit 30 % Frauenanteil in den mittleren und oberen Führungs positionen haben möchte. Ich finde, das sollte unser Vorbild und vielleicht auch unsere erste Zielmarke sein.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Dass wir hier in den vergangenen zehn Jahren nicht weiterge kommen sind, ist nicht nur gleichstellungspolitisch zu kriti sieren, sondern auch ökonomisch äußerst bedenklich. Jeden falls zeigen viele wirtschaftswissenschaftliche Studien, dass Unternehmen mit Frauen in Spitzenpositionen in der Regel besser aufgestellt sind als solche ohne Frauen. Nach einer Un tersuchung von McKinsey war der Betriebsgewinn der Unter nehmen – da muss man genau hinhören, denn es ist sehr inte ressant, was dort festgestellt wurde – mit den meisten Frauen in Leitungsgremien um 56 % höher als in jenen Unternehmen, die ausschließlich von Männern geleitet wurden.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Das bedeutet also, dass gemischte Teams innovativer, produk tiver und geschäftlich erfolgreicher sind – eine Erfahrung, die übrigens auch in Norwegen bestätigt wird. Dort hat man im Jahr 2008 nach großen Debatten eine gesetzliche Frauenquo te von 40 % eingeführt; heute würden die Unternehmen nicht mehr darauf verzichten. Sie sind von den Auswirkungen durchweg positiv überrascht. Dort hat sich eine ganz andere Unternehmenskultur in den Führungsetagen der Unternehmen entwickelt.

Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, haben wir folgen den Satz in unseren Koalitionsvertrag aufgenommen:

Wir wollen den Anteil von Frauen in Führungspositionen erhöhen.

Darum werden wir in der Landesverwaltung und in den Wirt schaftsunternehmen, an denen unser Land beteiligt ist, mit ei nem guten Beispiel vorangehen. Beim Ministerrat haben wir angefangen: Sieben von 15 Mitgliedern sind Frauen. Wir ma chen weiter bei den Unternehmen, die teilweise oder ganz in der Hand unseres Landes sind. Hier haben Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, uns die Situation hinterlas sen, dass die Frauenquote bei den Leitungen 6 % und bei den Aufsichtsgremien 15 % beträgt. Das ist kein Ausdruck eines fortschrittlichen Baden-Württembergs, wenn ich das einmal so sagen darf.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Wir wollen auch mehr Frauen in leitende Positionen des öf fentlichen Dienstes bringen. Unser Rat geht auch an die Wirt schaftsunternehmen in unserem Land, den Anschluss nicht zu verpassen. Genauso wie in der öffentlichen Verwaltung ist es für die freie Wirtschaft ein Fehler, in der Unternehmensfüh rung weiterhin auf die klügsten Köpfe aus einer Gruppe, die über die Hälfte unserer Bevölkerung ausmacht, zu verzichten. Mittlerweile machen mehr Frauen das Abitur und erhalten bes sere Noten, und sie sind auch bei den Universitätsabschlüs sen in keiner Weise hinter den Männern zu finden. In vielen Bereichen haben sie dort sogar die Nase vorn.

Die schlechten Aufstiegschancen im Beruf werden zu einem verstärkten Abwandern in andere Länder führen. Frankreich, Großbritannien und Spanien z. B. bieten Frauen deutlich bes sere Chancen. Speziell im medizinischen Bereich werden vie le Frauen dort ihre Zukunft suchen.

Diese Einsicht ist bei den Wirtschaftsunternehmen langsam angekommen. Allerdings wird es bei dem vorgelegten Tem po in Deutschland ungefähr 50 Jahre dauern, bis wir einen Frauenanteil von 40 % in den Aufsichtsräten der großen Un

ternehmen haben, also vergleichbar mit dem Anteil in Norwe gen. Das dürfen und können wir uns nicht leisten, erst recht nicht an einem Industriestandort wie Baden-Württemberg. Deshalb wird mit Fug und Recht sowohl auf der Ebene des Bundes als auch der Europäischen Union über eine Quoten regelung mit verbindlichen und realistischen Ausbauschritten diskutiert.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, mir reicht die Zeit nicht, um die verschiedenen Ursachen für den beschämend geringen Frauenanteil näher zu erklären. Doch eine Ursache möchte ich schon herausgreifen: Dort, wo ausschließlich Männer tätig sind und Entscheidungen treffen, werden in der Regel aus schließlich Männer für die Neubenennung im Führungsbe reich eingestellt. So ist das leider. Da muss erst einmal ein Umdenken in den Köpfen stattfinden.

Deshalb bin ich davon überzeugt, dass eine höhere und ange messene Frauenquote allein mit freiwilligen Willensbekun dungen der Wirtschaft nicht zu erreichen sein wird. Wir brau chen eine gesetzliche Regelung, wenn in absehbarer Zeit Fort schritte zu sehen sein sollen.

Ich habe kein Verständnis dafür, dass die schwarz-gelbe Bun desregierung trotz der Empfehlung ihrer eigenen Sachverstän digenkommission – in der übrigens auch die ehemalige Lan desministerin Marion Schick war –, eine verbindliche Ge schlechterquote zumindest bei den Aufsichtsräten einzufüh ren, dem noch immer ablehnend gegenübersteht. Vielleicht kann man mit einem Blick auf die Frauen-Fußball-WM mehr Einsicht erreichen.

(Vereinzelt Heiterkeit)

Noch vor Kurzem belächelt – sehen Sie: Sie machen das ja gerade –, steigt die Akzeptanz bei den Männern mit dem Er folg der Frauen immer mehr, und eines Tages wird man hier keine Unterscheidung mehr machen.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Das wünsche ich mir auch im Hinblick auf die Chancen der Frauen.

(Beifall bei der SPD und den Grünen – Zuruf von der SPD: Sehr gut!)

Ich erteile das Wort der Spreche rin der CDU, Frau Abg. Gurr-Hirsch.

(Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Schick, schick, schick!)

Sehr geehrter Herr Prä sident, liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Damen und Herren! Das 21. Jahrhundert ist ein Jahrhundert der Frau en – mit dieser Feststellung ist der Zukunftsforscher Matthi as Horx durch die Lande gezogen. So mancher Mann ist da von erschrocken; auch meiner ist von einem Vortrag ziemlich deprimiert nach Hause gekommen.

(Heiterkeit – Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der SPD – Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Hoffentlich hast du ihn wieder aufgebaut!)

Herr Horx hat den Leuten verdeutlicht, dass es noch nie zu vor in der Geschichte eine so gut ausgebildete Frauengenera tion gegeben hat wie heute. Noch nie gab es so viele Abituri entinnen. Es gibt sogar mehr Abiturientinnen als Abiturienten – und vor allem sind sie besser als die Männer, weil sie flei ßiger sind.