Protokoll der Sitzung vom 12.06.2013

Er hat gesagt, Freiheit und Wettbewerb seien die entscheiden den Stellhebel der sozialen Marktwirtschaft. Wir wissen heu te, dass flexible Beschäftigungsformen entscheidende Stell hebel dafür sind, dass wir die Entwicklung genommen haben, die uns heute von anderen europäischen Ländern deutlich ab hebt. Es ist äußerst bedauerlich, dass diejenigen, die vor eini ger Zeit mit der Agenda 2010 die ersten Schritte dahin gehend gemacht haben, heute nichts, aber auch gar nichts mehr da von wissen wollen.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: So ist es!)

Das ist äußerst bedauerlich.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Wenn immer gesagt wird, Herr Kollege Schoch, dass es bei uns eine derart negative Entwicklung gebe, dann sollten wir uns schon einmal die Zahlen anschauen. Gegenüber 2005 ha ben wir zwei Millionen Beschäftigte mehr. Davon sind 75 % in normalen Arbeitsverhältnissen, in festen Arbeitsverhältnis sen.

(Zuruf des Abg. Alfred Winkler SPD)

In Baden-Württemberg ist die Zahl der Langzeitarbeitslosen um etwa 50 % von 2,4 auf 1,2 Millionen gesunken, Herr Kol lege Winkler. Der Anteil der Zeitarbeitnehmer, der über die Jahre hinweg konstant geblieben ist, liegt aktuell bei 2,1 %. Im Hinblick auf die Zeitarbeitnehmerinnen und Zeitarbeitneh mer – zwei Drittel waren vorher arbeitslos und ein Sechstel sogar länger als ein Jahr arbeitslos – glaube ich, dass wir mit den gewählten Elementen die richtige Richtung eingeschla

gen haben. Der Anteil derjenigen, die befristet beschäftigt sind, liegt bei knapp unter 10 %. Auch dieser Wert hat sich in den letzten Jahren in Deutschland nicht verändert.

(Abg. Alfred Winkler SPD: Vergrößert!)

Hören Sie also mit diesem Wahlkampfgetöse auf. Das ist nicht in Ordnung.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: So ist es!)

Sie sprechen die Werkverträge an. Ich selbst komme aus dem Planungsbereich und habe in den letzten 20 Jahren regelmä ßig Werkverträge gemacht. Ich sage Ihnen: In den letzten Jah ren ist unsere Arbeitswelt noch komplexer, noch umfangrei cher, noch arbeitsteiliger geworden, sodass Sie dieses Instru ment, das schon die alten Römer hatten, nicht schlechtreden sollten. Deswegen ist es wichtig, dass wir dieses Modell der flexiblen Beschäftigung auch weiterhin aufrechterhalten. Das ist, glaube ich, ganz, ganz wichtig. Wir sind uns einig darin, dass sogenannte Scheinwerkverträge nicht zu tolerieren sind. Das ist gar keine Frage. Das ist nicht in Ordnung; das darf auch nicht sein. Dafür brauchen wir aber keine neue gesetzli che Grundlage; dafür reichen die bestehenden Formen aus.

Ich weiß nicht, wer von Ihnen sich mit dem Thema Betriebs prüfungen beschäftigt. Ich mache das seit 20 Jahren. Es gibt ja Betriebsprüfungen der Steuerprüfer: Umsatzsteuer-, Lohn steuer-, Sozialversicherungsprüfung. Wer das schon einmal mitgemacht hat, weiß: Die Prüfer – die diskreditieren Sie näm lich auch mit dieser Diskussion – gehen sehr gewissenhaft vor. Sie prüfen auch sehr gewissenhaft, ob die Werkverträge in Ordnung sind. Sie sollten einmal darüber nachdenken, wie Sie sich bei den Betriebsprüfern für die Diskussion, die Sie hier führen, entschuldigen.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Zuruf des Abg. Claus Schmiedel SPD)

Jetzt machen Sie das Fass mit der Daimler AG auf. Herr Kol lege Schmiedel, ich möchte schon darum bitten, zu berück sichtigen, dass die Daimler AG eine umfangreiche Stellung nahme dazu abgegeben hat. Mir wäre es aber noch lieber, wenn heute an dieser Stelle der Minister für Finanzen und Wirtschaft Stellung beziehen würde, insbesondere auch zur Stellungnahme der Daimler AG

(Zuruf des Abg. Peter Hauk CDU)

zu dieser Geschichte, zu diesem Vorfall. Denn in dieser De batte geht es nicht um Sozialpolitik, sondern um die Wirt schaftspolitik im Land Baden-Württemberg. Herr Dr. Schmid, kommen Sie bitte nachher ans Rednerpult, und erklären Sie das einmal. Das wäre mir wichtig.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Die Daimler AG hat seit dem Jahr 2004 über 3 000 Zeitarbeit nehmer in feste Arbeitsverhältnisse übernommen. Auch das könnte man durchaus einmal sagen. Es ist keine Frage, dass auch die Daimler AG – wie viele andere Unternehmen – im Rahmen des Fertigungsprozesses bestimmte Aufgaben nicht mehr selbst übernimmt, beispielsweise bei Logistikdienstleis

tungen oder auch im Bereich von Handwerksdienstleistungen. Das ist ganz klar. Dieses Instrument wird man auch im Zuge des internationalen Wettbewerbs immer brauchen. Man muss auch immer prüfen, ob man wettbewerbsfähig bleibt.

Das, was Sie hier machen, führt dazu, dass Unternehmen ver unsichert werden, wenn sie sich entscheiden müssen, ob sie mehr nach draußen geben, ob sie mehr outsourcen oder – noch schlimmer – bestimmte Teile vielleicht sogar ins Ausland ver lagern.

Wenn Sie hier schon immer auf dem Mindestlohn bestehen, dann sollten Sie nicht vergessen, dass es viele Länder in Eu ropa gibt, in denen es einen Mindestlohn von weniger als 2 € pro Stunde – der niedrigste Mindestlohn in einem Mitglieds staat der EU liegt bei 92 Cent – gibt. Ich frage Sie: Wollen Sie, dass man diese Entwicklung forciert, dass Firmen ange sichts dieser Planwirtschaft und Staatswirtschaft, wie sie sich für Grün-Rot jetzt abzeichnet, vielleicht noch stärker ins Aus land abwandern? Wir wollen das mit unserer Politik nicht. Deswegen muss diese Politik auch in Berlin fortgesetzt wer den.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Führen wir uns noch einmal vor Augen – wir sind ja zuneh mend im Wahlkampf –, was uns in Baden-Württemberg und vielleicht bundesweit droht – ich will nur ein paar Stichwor te nennen –: Entgeltgleichheitsgesetz, Bildungsfreistellungs gesetz, Mindestlohn, Frauenquote,

(Abg. Dr. Stefan Fulst-Blei SPD: Lauter schlimme Sachen, oder?)

die extremen Visionen des Verkehrsministers, um die CO2Grenzwerte im Bereich der Automobile zu reduzieren, was insbesondere dem Standort Baden-Württemberg massive Pro bleme bereiten würde. Nicht zuletzt ist Ihr Wahlprogramm im Bereich Steuern zu nennen. Das haben wir hier schon inten siv diskutiert. Als weiteres Beispiel ist die Bürgerversicherung zu nennen. Ein Facharbeiter bei Daimler, der 5 000 € verdient, würde mit dem Bürgerversicherungsmodell der SPD künftig 23,5 % mehr bezahlen, nämlich 811 €.

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Hört, hört!)

Da frage ich mich: Wie wollen Sie künftig Wirtschaftspolitik machen? Deswegen sage ich: Herr Wirtschaftsminister Dr. Schmid, nehmen Sie bitte hier Stellung, und rechtfertigen Sie auch diese Entwicklung bei Daimler. Daimler hat sich dafür gerechtfertigt und zu Recht auf die Position des Unternehmens hingewiesen. Deswegen fordere ich Sie auf, dazu Stellung zu nehmen, weil das ein wirtschaftspolitisches Thema ist; über lassen Sie das nicht der Sozialministerin.

Danke schön.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Für die Landesregie rung erteile ich der Frau Ministerin für Arbeit und Sozialord nung, Familie, Frauen und Senioren Katrin Altpeter das Wort.

(Zuruf des Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP)

Herr Präsident, liebe Kol leginnen und Kollegen, meine sehr geehrten Damen und Her ren! Werkverträge werden in der deutschen Wirtschaft stän dig praktiziert, und sie sind unstrittig, solange sie zu einer sinnvollen Arbeitsteilung führen.

(Abg. Peter Hauk CDU: Das können Sie beurteilen, oder wie?)

Nicht jeder Werkvertrag bedeutet automatisch niedrige Löh ne. Es gibt mit Sicherheit unproblematische Auslagerungen von Arbeiten, wie beispielsweise Forschungstätigkeiten oder auch EDV-Arbeit. Auch der DGB spricht sich nicht grund sätzlich gegen Werkverträge aus.

Das Problem besteht jedoch im Missbrauch von Werkverträ gen als Instrument zum gezielten Lohndumping und zum Un terlaufen von Arbeitnehmerrechten. Durch Outsourcing über das Instrument Werkvertrag werden die Beschäftigungsrisi ken auf die Schwächsten in der Wertschöpfungskette abge wälzt. So gelten bei Werkverträgen weder das Arbeitnehmer überlassungsgesetz noch Branchenmindestlöhne, auch Sozi alversicherungsbeiträge werden nicht entrichtet.

(Abg. Peter Hauk CDU: Das soll geregelt sein!)

Während der Missbrauch von Leiharbeit, um Löhne zu drü cken und Arbeitnehmerrechte auszuhebeln, inzwischen weit gehend erkannt ist und auch zunehmend eingedämmt wird, ist das beim Missbrauch von Werkvertragsarbeit bislang noch nicht der Fall.

(Abg. Peter Hauk CDU: Das ist doch schon verbo ten!)

Vielmehr mehren sich die Anzeichen, dass Arbeitgeber we gen der zunehmenden Regulierung in der Leiharbeit verstärkt in die Grauzone der Werkvertragsarbeit ausweichen. Wenn Hubertus Heil, den ich hier zitieren darf, sagt: „Wasser sucht sich seinen Weg“, dann gilt nach allem Anschein für Lohn drückerei dasselbe.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen – Abg. Peter Hauk CDU: Wer ist Hubertus Heil? – Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU: Das ist ein schlechtes Zitat beim jetzigen Hochwasser! – Zuruf des Abg. Fe lix Schreiner CDU)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, es liegen uns derzeit keine statistisch belastbaren Daten über das Ausmaß der Werk vertragsarbeit vor. Die Gewerkschaften allerdings schätzen, dass die Größenordnung allein im Handel mehrere Hundert tausend Beschäftigte beträgt, ebenso wie in der Automobilin dustrie. Dort liegt die Quote der Arbeitnehmer mit Werkver trägen offenbar bei 5,3 %.

Eine Umfrage der IG Metall hat ergeben, dass 36 % der Be triebsräte von Unternehmen, die Werkverträge einsetzen, sa gen, dass auf diesem Weg Stammarbeitsplätze ersetzt würden. Das kann es wirklich nicht sein. Es darf nicht sein, dass mit Werkverträgen, die schlechter bezahlt sind, Stammarbeitsplät ze ersetzt werden, dass vom Arbeitnehmer, von der Arbeitneh merin zusätzlich aufstockende Leistungen bezogen werden

müssen und so wiederum der Staat die Arbeit von Betrieben subventioniert, die unzulässigerweise Werkverträge einsetzen.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen)

Die hohe Zahl von Erwerbstätigen und die vergleichsweise günstige Arbeitslosenquote in unserem Land dürfen nicht den Blick auf die wachsende atypische oder prekäre Beschäfti gung verstellen, denn damit sind Beschäftigungsrekorde sehr teuer erkauft, zu teuer erkauft, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen)

Werkverträge mit Einzelpersonen sind Teil der atypischen Be schäftigung, die häufig in Form von ungeschützten und unsi cheren, prekären Jobs auftritt, z. B. dann, wenn keine ande ren Einkommensquellen mehr vorhanden sind. Wir sehen auch, dass durch den verstärkten Einsatz von Scheinwerkver trägen Tarifverträge umgangen und Lohnuntergrenzen unter laufen werden. Arbeitnehmer, die im Rahmen von Werkver trägen beschäftigt werden, erhalten teilweise Löhne von nur wenig mehr als 6 € pro Stunde, und ich finde, allein daran wird schon deutlich, wie dringend wir einen flächendeckenden ge setzlichen Mindestlohn in der Bundesrepublik mit einer Un tergrenze von 8,50 € brauchen.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen – Zuruf des Abg. Peter Hauk CDU)

Denn es darf uns nicht nur darum gehen, Menschen in Be schäftigung zu bringen, sondern es kann und muss uns vor al lem auch um die Qualität der Beschäftigung gehen. Wir brau chen gute und sichere Arbeit, die gerecht entlohnt wird, die nicht krank macht und die eine auskömmliche Rente im Alter sichert.

Baden-Württemberg hat sich vorgenommen, ein Musterland für gute Arbeit zu werden. Das erfordert eine neue Ordnung auf dem Arbeitsmarkt. Denn es ist skandalös und völlig inak zeptabel, dass in unserem Land Menschen mit Dumpinglöh nen abgespeist werden für Arbeiten, die eigentlich von den Stammbelegschaften und zu anständigen Löhnen ausgeführt werden müssen.