Protokoll der Sitzung vom 19.06.2013

Die Hoffnung stirbt zuletzt. Wir haben heute eine gute Nach richt vom Statistischen Bundesamt bekommen: Es gibt mehr Frauen denn je, die habilitieren. Inzwischen sind 27 % der Personen, die habilitieren, Frauen; also jede vierte Person, die habilitiert, ist eine Frau. Das ist gut so. Dennoch brauchen wir mehr Frauen in der Wissenschaft.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Dr. Kai Schmidt- Eisenlohr GRÜNE)

Für die CDU-Fraktion erteile ich Frau Abg. Schmid das Wort.

(Zurufe)

Sehr geehrter Herr Präsident, werte Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, wir Frauen hier im Saal sind uns schon einig in der Analyse und der Zielset zung, dass wir mehr Frauen in der Wissenschaft und in der Arbeitswelt brauchen.

(Zuruf des Abg. Claus Schmiedel SPD)

Das sage ich doch.

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Nicht nur die Frauen! Auch die SPD! – Gegenruf des Abg. Dr. Dietrich Birk CDU)

Ich glaube aber, wir sind uns über den Weg nicht ganz einig. Ich sage einmal: Das Ziel ist klar, aber wir verfolgen nicht den gleichen Weg. Wir alle wollen, dass wir mehr Frauen an die Hochschulen bekommen. Wir brauchen insbesondere im Be reich der Wissenschaft mehr Frauen. Wir brauchen Chancen gleichheit in der Arbeitswelt, und wir wollen vor allem bes sere Maßnahmen, damit Familie und Beruf besser unter einen Hut gebracht werden können.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Dr. Timm Kern FDP/DVP)

Die SPD hat in ihrer Großen Anfrage die Situation von Gleich stellungsbeauftragten abgefragt, und die Landesregierung hat sehr umfassend geantwortet – allerdings ein bisschen nichts sagend. Sie hat zwar die Istsituation dargestellt, es gibt aber keinerlei Hinweise oder Ausblicke in die Zukunft, wie man die Situation verbessern kann.

(Beifall bei der CDU)

Ich sage noch einmal: Es ist richtig und wichtig, dass Sie sich der Situation von Frauen in Spitzenpositionen der Wissen schaft und Forschung zuwenden, aber es ist genauso wichtig, dass Sie jetzt Möglichkeiten aufzeigen und die Probleme an packen, damit wir hier endlich einen Schritt weiterkommen.

Nur mit Kinderbetreuung an den Hochschulen allein ist es eben auch nicht getan. Verstehen Sie mich nicht falsch. Es ist wichtig, dass wir Kinderbetreuung an Hochschulen anbieten. Es ist ein wichtiges Element, damit Frauen das Studium, aber auch die Wissenschaft mit Familie unter einen Hut bringen können. Aber wir müssen noch mehrere Maßnahmen in An griff nehmen.

(Zuruf: Sehr gut!)

Nach wie vor haben wir einen großen Nachholbedarf bei der Übertragung von Verantwortung im Rahmen der Kindererzie hung und vor allem auch bei der Pflege älterer Personen. Das bleibt meist eben doch noch an den Frauen hängen. Ich glau be, hier sollte sich dringend etwas tun.

Sehr geehrte Damen und Herren, mehr Frauen als Männer ma chen Abitur, und das auch mit den besseren Abschlüssen. Die Mehrzahl der Studienabschlüsse in Deutschland werden von Frauen erworben. Ich glaube, es erübrigt sich, zu sagen, dass die Abschlüsse auch hier im Schnitt besser sind. Auch die Pro motionsquote bei Frauen wird immer besser. Sie liegt hier bei 44 %. Trotzdem – Sie haben es eben auch schon gesagt – liegt der Frauenanteil bei Professorenstellen bei nur knapp 20 %. Das ist eindeutig zu wenig. Wichtig ist, dass wir genau hin schauen, etwa bei der Zusammensetzung der Berufungskom missionen und auch bei der Motivation junger Frauen, damit wir sie in die Wissenschaft und da eben auch in Führungspo sitionen bekommen. Man muss sie ermuntern und auch mo tivieren, diesen Schritt zu gehen.

(Beifall bei der CDU – Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Guter Vorschlag!)

Es gibt Studiengänge, in denen der Frauenanteil deutlich hö her als der Männeranteil ist, es gibt aber nach wie vor auch viele Studiengänge, bei denen es genau umgekehrt ist, gera de auch bei den MINT-Fächern. Deshalb müssen wir so früh wie möglich anfangen, Mädchen an genau diese Themen – Mathematik, Naturwissenschaften und Technik – heranzufüh ren.

Nach wie vor lassen wir – bewusst oder unbewusst – Kinder erziehung in bestimmten Rollenmustern ablaufen. Ich glaube, je früher und je neutraler wir ansetzen, umso besser ist es, da mit wir die Mädchen auch nach oben, in die Führungspositi onen, bekommen.

Richtig ist, dass der Weg für Frauen, in der Wissenschaft nach oben zu kommen, nach wie vor schwer ist. Sie bleiben nach wie vor an der sogenannten gläsernen Decke hängen. Es ist deshalb notwendig, Anreizsysteme zu schaffen, um langfris tig ein ausgewogenes Verhältnis von Männern und Frauen in Führungspositionen zu erreichen.

Die CDU hat in der Vergangenheit einige Programme und Ide en – z. B. das Kaskadenmodell – auf den Weg gebracht. Aber jetzt sind Sie an der Reihe. Wir bitten Sie eindringlich: Neh

men Sie die Aufgabe an, und setzen Sie Maßnahmen um, da mit wir endlich einen Schritt nach vorn kommen.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Dr. Timm Kern FDP/DVP)

Für die Fraktion GRÜ NE erteile ich Herrn Abg. Dr. Schmidt-Eisenlohr das Wort.

(Abg. Dr. Dietrich Birk CDU: Spricht da keine Frau?)

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! In dieser Debatte über die Gleichstellung an den Hochschulen darf ich nun als Mann sprechen.

(Abg. Dr. Dietrich Birk CDU: Da sind wir jetzt aber enttäuscht!)

Das ist aus Sicht der Fraktion GRÜNE allerdings nichts Un gewöhnliches. Wir haben bei uns in der Fraktion im Personal rat die Situation, dass wir einen Schutz für die Männer brau chen. Wir haben eine Männerquote, weil bei uns der Frauen anteil so hoch ist, dass wir einen garantierten Platz für die Männer haben. Insofern können wir mit so etwas sehr gut um gehen, und ich freue mich, dass ich heute zu diesem Thema sprechen darf.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen – Abg. Dr. Dietrich Birk CDU: Die haben einen Personalrat in der Fraktion! – Zuruf des Abg. Helmut Walter Rüeck CDU)

In unserer Fraktion wird Gleichstellung schon lange prakti ziert.

(Abg. Dr. Dietrich Birk CDU: Wir wollen endlich wieder Frau Bauer sehen!)

An den Hochschulen in Baden-Württemberg – um jetzt ein mal zum Thema zu kommen – besteht allerdings noch drin gender Handlungsbedarf. Das ist von den Vorrednerinnen schon ausführlich dargestellt worden.

Mit einem Berufungsanteil bei den Professorinnen von rund 20 % im Jahr 2011 lagen wir deutlich unter dem Bundesdurch schnitt. Weil uns starre Zielquoten wahrscheinlich nicht so fort ans Ziel führen, müssen wir überlegen, wie wir Gleich berechtigung und Vielfalt an den Hochschulen mittelfristig umsetzen können. Wenn wir über Quoten sprechen, scheint ein flexibles Kaskadenmodell ein gangbarer Weg. Der Grund gedanke ist: Die Frauenquote in einer unteren Personalstufe wird zur Zielerreichung in der darauffolgenden Personalstu fe vereinbart. Das heißt, die Quote zieht sich z. B. von der Doktorandin über die Postdoktorandin zu den Professorinnen.

Erfreulich ist, dass die großen Forschungseinrichtungen, wie man vor einigen Wochen lesen konnte, sich dieses Modell nun zu eigen gemacht und für ihre eigene Struktur berechnet ha ben. Die Fraunhofer-Gesellschaft beispielsweise berücksich tigt dabei etwa das Wachstum ihrer Institution sowie die vor hersehbare Fluktuation. Das ist ein wichtiger Schritt, der al lein aber meiner Meinung nach nicht ausreicht.

Wir müssen hinterfragen, wo die Problemstellungen tatsäch lich liegen. Ich bezweifle nicht, dass die bewusste und unbe wusste Diskriminierung von Frauen beispielsweise bei den Berufungen auch heute noch eine wirkliche Rolle spielt. Den noch ist es wichtig, auch einen Blick auf die strukturellen Hin tergründe zu werfen.

Wir wissen inzwischen: Eine entscheidende Barriere für weib liche Wissenschaftler besteht nach der Promotion. Dann ver lassen überdurchschnittlich viele Frauen den Wissenschafts betrieb. Diese sogenannte „leaky pipeline“ gibt zu denken. Stimmen hier die Arbeitsbedingungen nicht? Sind Familien planung und Wissenschaftskarriere für Frauen unvereinbar, und bekommen junge Wissenschaftlerinnen nicht ausreichend Unterstützung zur optimalen Nutzung ihrer Zeit- und Kraft ressourcen, beispielsweise durch Kinderbetreuung oder ande res an der Hochschule?

Vielleicht liegt die geringe Frauenquote weniger an der Dis kriminierung bei der Besetzung als vielmehr an der Beschaf fenheit der Stellen und den Arbeitsbedingungen an den Hoch schulen im Vergleich zu anderen Arbeitgebern. Da spielen auch Faktoren wie unsichere Beschäftigungsverhältnisse – da rüber haben wir hier schon oft diskutiert; Frauen sind von so etwas in der Regel am meisten betroffen – sowie die schlech te Planbarkeit von Wissenschaftskarrieren eine wichtige Rol le. Ich denke, an dieser Stelle müssen wir dringend noch ein mal über die Frage diskutieren, wie man diese Planbarkeit in den Griff bekommt.

Das heißt, wenn wir über Gleichstellungspolitik an den Hoch schulen reden, müssen wir eigentlich reden über die gute Ar beit an den Hochschulen, über gute Arbeitsbedingungen, über eine höhere Attraktivität der Wissenschaftskarriere, unter schiedliche Karrieremodelle, eine bessere Work-Life-Balan ce, Family-Tenure, was die Hochschulen nicht nur für Frau en attraktiver macht.

Wir brauchen einen gesellschaftlichen Wandel, der sich eben auch an den Hochschulen auswirkt, ein kulturelles Umden ken, wie Arbeit an Hochschulen organisiert ist, und wir brau chen entsprechend gute Rahmenbedingungen, die durch die Politik gesetzt werden müssen. Das ist dann ein echter Bei trag zur Gleichstellung, den wir leisten wollen und müssen.

Vielen Dank.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Für die FDP/DVP-Frak tion erteile ich das Wort Herrn Abg. Dr. Kern.

Herr Präsident, liebe Kol leginnen und Kollegen! Mit der vorliegenden Großen Anfra ge zur Gleichstellung verfolgt die SPD-Fraktion erklärterma ßen das Ziel, Vorarbeiten für die Novelle des Landeshoch schulgesetzes zu leisten. Aber: Liest man die Antwort der Lan desregierung, legt diese nach meinem Verständnis sehr wohl Handlungsbedarf bei der Förderung von Frauen an den Hoch schulen nahe, keineswegs aber die zwingende Notwendigkeit gesetzgeberischen Handelns.

Aus der Verpflichtung des Landeshochschulgesetzes zur Durchsetzung der Chancengleichheit heraus haben die Hoch schulen Gleichstellungsbeauftragte zu wählen und können die sen jeweils bis zu drei Stellvertreterinnen zur Seite geben.

Diese leisten als zentrale Koordinierungs- und Anlaufstellen eine sehr wertvolle Arbeit.

Darüber hinaus haben alle Universitäten – bis auf das KIT –, alle Pädagogischen Hochschulen und die Hälfte der Hoch schulen für angewandte Wissenschaften eine Gleichstellungs kommission gebildet. Die Hälfte aller Hochschulen hat auch ein Gleichstellungsbüro. Hierdurch wurde vor allem ein ganz wesentlicher Beitrag dazu geleistet, Karrieren von Frauen zu fördern und ihre Benachteiligung im Berufungsverfahren möglichst auszuschließen.

Nicht ohne Grund haben sich die baden-württembergischen Hochschulen bei den DFG-Standards zur Gleichstellung im Durchschnitt von 2,6 auf 2,9 verbessert. Eine 3,0 ist die zweit beste Note und bedeutet in Worten: „Ein überzeugendes Ge samtkonzept ist überwiegend bereits implementiert.“

Das Wissenschaftsministerium stellt ferner eine „hohe Akzep tanz gegenüber der Thematik sowie eine entsprechende Be deutungsbeimessung auf allen Entscheidungsebenen inner halb der Hochschulen“ fest. Das ist sehr erfreulich, verwun dert mich jedoch in keiner Weise. Denn wer wollte nicht das Potenzial der erstklassig ausgebildeten Frauen in Forschung und Lehre heben? Es liegt doch im Eigeninteresse der Uni versitäten und der übrigen Hochschulen, die besten Köpfe zu fördern und zu halten, ganz unabhängig von Geschlecht und Herkunft.