Protokoll der Sitzung vom 17.07.2013

Herr Kollege Dr. Kern, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abg. Lehmann?

(Zuruf des Abg. Siegfried Lehmann GRÜNE)

Sie geben den Verantwortlichen vor Ort keine echte Entschei dungs- und Gestaltungsfreiheit, sondern Sie übertragen den Verantwortlichen vor Ort lediglich die schwierige Entschei dung über die Schließung eines Schulstandorts. Dabei wollen Sie den Anschein erwecken, als wären die Verantwortlichen vor Ort eingebunden worden und hätten wirklich etwas zu sa gen.

Würden Sie doch wenigstens einmal Ihren eigenen Koaliti onsvertrag ernst nehmen! Da heißt es – Zitat –:

Wir wollen von der Zuweisung nach dem Klassenteiler prinzip auf eine Pro-Schüler-Zuweisung von Lehrerstun den umstellen.

Hätten Sie dies gemacht, dann hätte ich das als mutig und zu kunftweisend charakterisiert. Aber Sie haben es eben nicht ge macht. Wenn Sie dies gemacht hätten, könnten sich alle für Bildung Verantwortlichen vor Ort an einen Tisch setzen und würden eigenverantwortlich über die Verwendung des Bil dungsbudgets entscheiden. So würden diese ein vor Ort pas sendes Bildungsangebot gestalten können, statt einfach nur über Schulschließungen zu entscheiden, wie es Grün-Rot nun vorschreibt. Das wäre konsequenter und mutiger gewesen und hätte einer freiheitlichen Bildungspolitik entsprochen, die dem Subsidiaritätsprinzip tatsächlich verpflichtet ist.

Ein weiterer Kritikpunkt: Entgegen Ihrer Ankündigung, nicht dirigistisch vorgehen zu wollen, schreiben Sie in Ihrem Kon zept ganz klar vor, wohin die Reise gehen soll, nämlich zu ei

ner Zweisäulenschulstruktur. Entscheidend und auch entlar vend ist in diesem Fall, dass es nach Ihren Vorstellungen im mer nach integrativen Strukturen ausgerichtet sein soll. Das heißt, Sie haben immer noch nicht Ihr Ziel aufgegeben, dass die zweite Säule immer die Gemeinschaftsschule sein soll.

In diesem Zusammenhang würde ich Sie, Herr Minister Stoch, bitten, zu folgendem Aspekt Stellung zu nehmen: Sie beton ten damals an mehreren Stellen in Ihrer Rede die – Zitat – „Er reichbarkeit von Bildungsabschlüssen“. Heißt das, dass es, da an einer Gemeinschaftsschule ja in der Theorie alle Abschlüs se angeboten werden, dann beispielsweise für die nahegele gene Realschule keine Daseinsberechtigung mehr gibt? Bitte antworten Sie doch einmal auf diese Frage.

Die FDP/DVP-Landtagsfraktion hält weitere Punkte Ihres Konzepts für unausgegoren. Erstens: Die beruflichen Schulen bleiben weitestgehend außen vor.

(Abg. Siegfried Lehmann GRÜNE: Stimmt doch gar nicht!)

Auch klammern Sie – zweitens – die komplette G-8-/G-9-Pro blematik aus.

(Zuruf des Abg. Siegfried Lehmann GRÜNE)

Drittens: Wesentliche Weichenstellungen im Bereich Inklusi on oder Ganztagsschule haben Sie nicht vorgenommen. Beim einzig konkreten Punkt Ihres Konzepts, nämlich bei der Fra ge der Schulmindestgröße, zeigen Sie, dass Sie den Verant wortlichen vor Ort keine Entscheidungsfreiheit geben. Denn sonst hätten Sie eine Möglichkeit der flexiblen Ausgestaltung vor Ort eingeräumt und damit vielen Standorten eine Perspek tive geboten.

In diesem Zusammenhang teilt die FDP/DVP ausdrücklich die Kritik des Gemeindetags Baden-Württemberg. Wenn Sie, Herr Minister Stoch, bei Ihrer politisch am Reißbrett festge legten Zahl bleiben, werden nach Angaben des Gemeindetags in absehbarer Zeit alle verbliebenen 862 Haupt- und Werkre alschulen geschlossen werden.

In der Tat – das hat Frau Kollegin Kurtz schon angesprochen – stellt sich doch die Frage der Glaubwürdigkeit, wenn Sie bei der Genehmigung der Gemeinschaftsschulen ganz andere Maßstäbe anlegen als bei der Genehmigung anderer Schulen.

(Zuruf von den Grünen: Das stimmt doch überhaupt nicht!)

Unter den 86 künftigen Gemeinschaftsschulen sind 25 einzü gige.

Ich komme zum Schluss: Es waren vor allem grüne Bildungs projekte, an denen Ihre Vorgängerin, Herr Stoch, krachend ge scheitert ist. Bislang ist nicht erkennbar, wo Sie inhaltlich in der Bildungspolitik tatsächlich umsteuern. Auch wenn Sie im Kultusministerium weitere Köpfe austauschen sollten: Solan ge Sie nicht inhaltlich eine solidere Bildungspolitik betreiben, so lange wird die grün-rote Bildungspolitik auch nicht aus den Schlagzeilen verschwinden.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP/DVP und der CDU)

Das Wort für die Landes regierung erteile ich Herrn Minister Stoch.

(Zuruf des Abg. Karl Zimmermann CDU)

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe in der Tat – da ging es mir wie Frau Kollegin Boser – am Anfang der Debat te hektisch auf mein Papier geschaut und überlegt: Wozu wird eigentlich gerade gesprochen?

(Zuruf der Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU)

Denn der Antrag, den Sie im August vergangenen Jahres ge stellt haben, bezog sich auf die Frage: Nutzen starre Vorgaben einer landesweiten Neuordnung der Schulstandorte?

(Zuruf der Abg. Sabine Kurtz CDU)

Entschuldigung. Der Antrag wurde am 2. August 2012 ge stellt, und die Stellungnahme erfolgte am 21. August 2012.

In der Tat hat die Stellungnahme den damaligen Stand wie dergegeben. Damals stand man am Anfang dieses Prozesses der Ausarbeitung der regionalen Schulentwicklungsplanung. Heute sind wir zum Glück ein gutes Stück weiter.

(Zuruf des Abg. Dr. Reinhard Löffler CDU)

Wir sind deswegen ein gutes Stück weiter, weil, wie ich glau be, in den letzten Wochen und Monaten sehr gute und sehr fruchtbare Gespräche mit allen Verantwortlichen geführt wur den, nämlich ganz wesentlich mit der kommunalen Seite, mit den Schulträgern, das heißt, mit den Städten, Gemeinden und Landkreisen.

(Zuruf des Abg. Karl Zimmermann CDU)

Deswegen, meine sehr geehrten Damen und Herren, können wir, wenn wir jetzt auf unser Konzept der regionalen Schul entwicklung blicken,

(Abg. Volker Schebesta CDU: Welches?)

das in den nächsten Tagen dem Kabinett vorgelegt wird, da von sprechen, dass es auch in enger Abstimmung mit den Schulträgern, mit den Städten und Gemeinden unseres Lan des entwickelt wurde. Ich glaube, dass die Städte und Gemein den sehr gut wissen, wo die Zukunft unserer Bildungsland schaft liegen wird. Deswegen freut es mich sehr, dass insbe sondere der Städtetag, aber auch der Gemeindetag, was die Einbindung in dieses Verfahren angeht, sehr viel Lob für un ser Verfahren der regionalen Schulentwicklung geäußert ha ben und letztlich von ihnen auch die Unumgänglichkeit der Weiterentwicklung unseres Schulsystems gesehen wird.

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Zuruf von den Grünen: Hört, hört! – Abg. Peter Hauk CDU: Das Lob müssen Sie uns mal zeigen!)

Frau Kollegin Kurtz, ich will Ihren Gedanken, alles könne so bleiben wie es ist, weiterdenken: Sie müssen sich schlicht und einfach einmal die Zahlen anschauen. Ich habe das bereits in mehreren Debatten hier im Haus gesagt. Wir haben nicht nur in Baden-Württemberg, sondern auch in anderen Bundeslän dern, wo es in der Vergangenheit und bis jetzt ein dreigliedri

ges Schulsystem gab, eine Veränderung, und zwar zum einen aufgrund demografischer Veränderungen und zum anderen auf grund eines veränderten Schulwahlverhaltens. Dabei ist von ganz großer Bedeutung, dass – das ist ja immer die These, die Kollege Kern hier in den Raum stellt – bereits vor Wegfall der Verbindlichkeit der Grundschulempfehlung eine entsprechen de Entwicklung erhebliche Auswirkungen hatte. Viele Vertre ter und Vertreterinnen aus Ihren Fraktionen wissen das, weil auch in ihren ländlich geprägten Wahlkreisen diese Entwick lung in den letzten Jahren bereits deutliche Folgen hatte.

Ich nenne Ihnen noch einmal die Zahlen: Im Jahr 2001 waren in den fünften Klassen der Hauptschulen noch 40 000 Schü ler. 2011, das heißt noch zu Zeiten der Verbindlichkeit der Schulempfehlung, gab es bereits einen Rückgang auf 23 000 Schüler. Sie können darüber nicht hinweggehen. Wir müssen unser Schulsystem für die Zukunft sicher machen. Das ist im Interesse des Landes, das ist im Interesse der Kinder, aber es ist auch im Interesse der Schulträger, die die Investitionen zu tätigen haben.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Was die Parameter angeht: Wir sprechen jetzt über das The ma der Vorgaben, die im Rahmen der regionalen Schulent wicklung gemacht werden sollen und aus meiner Sicht auch gemacht werden müssen. In der Kommentierung nach der Re gierungserklärung zur regionalen Schulentwicklung wurde von vielen Seiten, gerade auch von den Kommunen, sehr deut lich gemacht, man sei froh, dass jetzt eine klare Angabe und eine klare Ansage kommt: Was sind Strukturen, die auch zu kunftsfähig sind? Denn was hatten wir in der Vergangenheit? Wir hatten eine Situation, in der viele Städte und Gemeinden versucht haben, für sich selbst Konzepte zu entwickeln, die für die Zukunft tragfähig sind. Aber leider hat der wichtigste Faktor dabei gefehlt, nämlich die nachfolgende Generation – die Kinder, die nicht auf die Welt gekommen sind.

Deswegen ist ein zentrales Element der regionalen Schulent wicklungsplanung, wie wir sie jetzt aufsetzen wollen und wie wir sie auch aufsetzen müssen im Interesse der Menschen in unserem Land, dass wir die Kommunen zueinanderbringen müssen. Wenn wir den Vorgang, wie wir ihn in den letzten Jahren hatten, einfach so weiterlaufen ließen,

(Zuruf der Abg. Sabine Kurtz CDU)

dann würde das – das können wir auch auf der Landkarte se hen – zulasten der kleinen Standorte gehen; dann würde es ge rade zulasten des ländlichen Raums gehen. Es kann nicht im Interesse des Landes Baden-Württemberg sein, dass wir eine Auszehrung im ländlichen Raum bekommen.

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Glocke der Präsidentin)

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Kößler?

Ja, gern.

Herr Minister, ich will jetzt nicht unbedingt auf die regionale Schulentwicklungsplanung, die viel zu spät gekommen ist, eingehen.

(Abg. Dr. Stefan Fulst-Blei SPD: 40 Jahre zu spät!)

Das stimmt, Herr Kollege Kößler, sie ist zu spät gekommen; ab solut richtig.