Ich habe Bundesministerin von der Leyen, als das Gipfeltref fen angekündigt wurde, mit der Bitte angeschrieben, die Bun desländer – auch Baden-Württemberg – mit ihren praktischen Erfahrungen bei den Themen „Bekämpfung von Jugendar beitslosigkeit“ und „Aufbau einer dualen Ausbildung“ einzu beziehen. Wir führen Kooperationsprojekte am Oberrhein, am Hochrhein, am Bodensee durch. Wir haben Partner im Rah men der Donauraumstrategie, im Rahmen der „Vier Moto ren“. Ich habe ihr Beispiele dafür genannt, was wir tun kön nen und was wir tun wollen. Der Brief, den ich darauf bekom men habe, war nicht einmal besserer Kanzleitrost. Mir wurde die Nummer des zuständigen Referenten im Bundesministe rium für Arbeit und Soziales mitgeteilt, falls ich noch Fragen hätte.
Der Bundesrat hat den Beschluss gefasst, dass die Bundeslän der in Angelegenheiten der Europäischen Union beteiligt wer den sollen. Es darf doch nicht sein, dass jede andere Regie rung in Europa mehr mit den deutschen Bundesländern über das Thema „Duale Ausbildung“ spricht als die deutsche Bun desregierung.
Das sollte nicht ernsthaft Sinn der Veranstaltung sein. Es wäre äußerst sinnvoll und notwendig, die Bundesländer hier einzu beziehen. Das ist übrigens auch für uns wichtig, weil es nicht nur darum geht, wie wir anderen Ländern helfen können, ei ne duale Ausbildung aufzubauen, sondern weil es auch dar um geht, die duale Ausbildung bei uns zu internationalisieren, um deren Attraktivität zu steigern.
Ich finde, es muss normaler Bestandteil einer dualen Berufsaus bildung sein, dass auch Auslandserfahrung erworben wird. Da zu haben wir erfolgreiche Programme, die wir in Baden-Würt temberg umsetzen und verstärken: Go.for.europe, MobiPro-EU. Aber ich möchte, dass es ganz selbstverständlicher Teil dua ler Berufsausbildung ist, so wie es auch bei einem Studium inzwischen normal geworden ist, für eine Zeit ins Ausland zu gehen. Das wird auch die Attraktivität der dualen Ausbildung deutlich steigern und damit gerade für Abiturientinnen und Abiturienten interessanter machen. Das sollten wir bei uns umsetzen. Ich finde, wir sollten die Instrumente Europas da für nutzen. Ich hoffe, dass die Bundesregierung ein bisschen mehr auf Zuhören und nicht auf Weghören stellt.
Herr Professor Reinhart, Sie haben vorhin gesagt, das Wahl ergebnis vom vergangenen Sonntag sei eine eindeutige Bestä tigung für den Europakurs der Bundeskanzlerin gewesen. Das mögen Sie so sehen. Aber was heißt das denn? Was ist denn der Europakurs der Bundeskanzlerin? Was will denn die Bun deskanzlerin in Europa?
Was will sie denn? Es gab keine einzige Antwort, was denn eigentlich in der EU besser werden soll. Sie haben plakatiert: Die Dinge sollen so bleiben, wie sie sind. Das spielt auf ein gutes Gefühl an, das die Menschen vielleicht haben. Fakt ist:
Diese Bundesregierung hat über 311 Milliarden € Schulden in Europa vergemeinschaftet – ohne ordentliche parlamenta rische Kontrolle darüber. Fakt ist: Diese Bundesregierung hat Europapolitik entdemokratisiert.
Der große Frust, den viele Bürger ja haben – was gerade bei AfD-Wählern eine Rolle spielt –, resultiert daraus, dass sie das Gefühl haben, Europa entwickle sich von den Bürgerin teressen und dem Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern völlig weg. Im „Handelsblatt“ ist bereits angeklungen: Man will eben nicht die europäischen Institutionen stärken. Man will offensichtlich nicht die Demokratie, die Mitsprache der Parlamente in Europa stärken, sondern man setzt weiter dar auf, auf Regierungskongressen und nächtlichen Gipfeln Ent scheidungen zu treffen, sodass selbst die Bundestagsabgeord neten der CDU froh waren, dass die Grünen in Karlsruhe ge klagt haben, damit der Deutsche Bundestag als Haushaltsge setzgeber überhaupt noch ein Mitspracherecht hat.
Wo sind denn die Vorschläge, wie Europa tatsächlich besser werden soll und nicht nur die Krise vor sich hin verwaltet wird? Es mag so sein, aber ich glaube, es ist ein äußerst schwaches Mandat. Wir müssen genau darüber reden: Was sind die Impulse, um die EU, um Europa besser und demo kratischer zu machen? Das Fenster ist jetzt offen, um hier zu Veränderungen zu kommen.
Das Thema Finanzmarktregulierung wurde schon mehrfach angesprochen. Es gibt sehr wichtige Themen, bei denen wir in Europa schnell Erfolge erzielen müssen. Ich nenne das The ma „Steuerharmonisierung und Bekämpfung von Steuer flucht“. Der EU-Kommissar Semeta hat uns vorgerechnet: Die EU-Mitgliedsstaaten verlieren jährlich 1 Billion € von den ih nen zustehenden Steuereinnahmen aufgrund der nicht abge stimmten Steuersysteme in Europa. Sie erinnern sich vielleicht an das deutsch-schweizerische Steuerabkommen. Inzwischen haben wir mehr Einnahmen durch Nachversteuerungen, als uns von der Schweiz überhaupt garantiert wurde. Jetzt ist das Fenster offen, um zu einer gemeinsamen europäischen Zins richtlinie zu kommen, damit wir eine vernünftige Mindestbe steuerung bekommen.
Ich kann nicht nachvollziehen, dass die Bundesregierung in Brüssel den Griechenland-Bericht abnickt, in dem steht: „Greece is broadly on track“ – also „alles läuft bestens“ –, obwohl bis heute griechische Familien, griechische Eigentümer keinen Cent Steuern in Griechenland zahlen. Wir reden uns den Mund fusselig bei der Frage, wie wir mit Hilfsangeboten dafür sor gen können, dass tatsächlich ein funktionierender Steuervoll zug aufgebaut wird. In Griechenland hat sich in den letzten zwei Jahren in Sachen Steuervollzug überhaupt nichts getan. Da kann man Griechenland nicht sagen: „Ihr seid bestens auf dem Weg.“
Zu glauben, man könnte nur durch Maßnahmen auf der Aus gabenseite die Schlagseite der Haushalte in den Ländern be seitigen, ist ein Fehlschluss. Wir können uns kein Europa des Steuervermeidungswettbewerbs zwischen den Mitgliedsstaa ten leisten. Deswegen ist die Zeit gekommen, auch das The ma Steuerharmonisierung in Europa weiter voranzutreiben, sei es bei der Zinsrichtlinie, sei es bei der Körperschaftsteu er, sei es beim Steuervollzug.
Es geht ja wohl weniger um die Harmonisierung des Steuerrechts, sondern es geht darum, dass es dort eine Steuerverwaltung gibt, die wirklich Steuern erhebt. Meinen Sie ernsthaft, man könnte da von außen ein greifen? Meinen Sie ernsthaft, man könnte deutsche Beamte dorthin schicken? Was glauben Sie, was die dazu sagen?
Übrigens muss ich zu Ihren vorherigen Ausführungen auch noch eine Frage stellen. Sie haben gesagt, die Parlamente der einzelnen Staaten müssten intensiver mitreden können. Glau ben Sie, dass dann Europa zusammenwächst, wenn alle 28 Staaten zu jedem einzelnen Problem erst einmal in ihren Par lamenten eine Mehrheit brauchen? Ich glaube es nicht.
Zu Ihrer ersten Frage, Herr Stratthaus: Ich habe ausdrücklich das Thema Steuervollzug angesprochen. Ich habe auch gesagt, wir machen Angebote. Ich wünsche mir nur, dass nicht nur auf der Ausgabenseite, sondern auch auf der Einnahmeseite der Staaten Druck ge macht wird.
Das ist das, was momentan fehlt. Es fehlt auch der Druck der Bundesregierung, um zu erreichen, dass sowohl ein einheitli cher Vollzug stattfindet als auch gemeinschaftliche Regeln in Europa gelten. Wir bekommen nicht einmal in Deutschland hin, dass in Bayern genug Steuerprüfer eingestellt werden, da mit dort nicht noch Werbung gemacht wird wie: „Kommt nach Bayern, zieht weg aus Baden-Württemberg, liebe Unterneh mer, dann werdet ihr seltener geprüft“ – was ja so stattfindet.
Sie haben recht, es bedarf der Angebote. Wir werden dort nicht die deutsche Steuerverwaltung hinschicken. Aber wo ist der Druck der Bundesregierung, um Griechenland an dieser Stel le zum Handeln zu bringen? Wir müssen diesen Steuervermei dungswettlauf in Europa beenden.
Die zweite Frage bezog sich auf das Parlament. Herr Stratt haus, ich finde, das größte Problem ist, dass es ein gewähltes Europäisches Parlament gibt, das zu wesentlichen Fragen der europäischen Politik wie der Eurofrage überhaupt kein Mit spracherecht hat. Das ist ein Auseinanderfallen von demokra tischen Prinzipien, von Gewaltenteilung und Parlamentarisie rung der Macht, was die Bürger zu Recht gegen dieses Euro pa aufbringt, wenn wir das zulassen. Natürlich können wir nicht sagen, jedes einzelne Parlament und jeder einzelne Landtag – ich komme gleich noch zum EUZBLG – habe ei ne Vetoposition in jeder europäischen Frage. Aber dass Re gierungschefs bei Strandspaziergängen entscheiden, was in Europa zu tun ist, und anschließend die Parlamente, weil die Verträge schon unterschrieben sind, gar nicht mehr mitreden können – im Zweifelsfall geht es sogar um mehr, als sie als Haushaltsgesetzgeber entscheiden dürfen –, das kann nicht sein. Deswegen ist die Parlamentarisierung europäischer Po litik aus meiner Sicht eines der Hauptgebote, wenn Europa als Ganzes erfolgreich sein soll.
Das führt mich zum dritten Punkt: Wir hatten einen sehr gu ten, unter allen Bundesländern konsensualen Gesetzentwurf zur Beteiligung der Länder in europäischen Fragen einge bracht. Er war mit der Bundesregierung schlussverhandelt. Wir haben leider erleben müssen, dass dieser Gesetzentwurf jetzt in der Diskontinuität untergegangen ist, weil sich in die sem Fall ausgerechnet das Bundesfinanzministerium gegen diesen Gesetzentwurf ausgesprochen hat, in dem stand, was bereits im Grundgesetz steht, nämlich dass auch die Bundes ministerien im Zweifel den Bundesländern mündlich Bericht über die Gipfelergebnisse erstatten müssen. Dies wurde abge lehnt, obwohl wir in den Entwurf hineingeschrieben hatten, dass das auf Verabredung geschieht, dass man also nicht so zusagen herbeizitiert wird, sondern dass das gemeinschaftlich verabredet wird. Auch da hat die Bundesregierung in der Fra ge, wie Bundesrat und Bundestag ordentlich beteiligt werden, keinen guten Dienst geleistet.
Wir werden diese Gesetzesinitiative wieder einbringen. Ich hoffe, dass es in der neuen Legislaturperiode – der Bundesrat kennt ja keine Diskontinuität – schnell zum Abschluss kommt, damit die Rolle der Länderparlamente wie des Landtags von Baden-Württemberg sowie des Bundesrats in der europäi schen Gesetzgebung voll akzeptiert und respektiert wird und eben nicht die Parlamente außen vor gehalten werden können.
Der letzte Punkt, den ich ansprechen möchte, ist der mehrjäh rige Finanzrahmen. Herr Professor Reinhart, ich sehe das im mer noch etwas anders, was die Dimension des europäischen Haushalts angeht. Wenn wir von Europa mehr Impulse für Wachstum, mehr Impulse gegen Jugendarbeitslosigkeit, mehr Impulse für Innovation, Forschung und für die Förderung ländlicher Räume etc. wollen, dann kann man nicht sagen: „Wir geben Europa weniger Geld, damit es mehr macht.“ Das funktioniert nicht. Da gehört Haushaltsehrlichkeit und -wahr heit dazu, zumal es in der Vergangenheit immer so war und auch in dieser Förderperiode so sein wird, dass erhebliche Beträge des EU-Haushalts zurück in die nationalen Haushalte wan dern, weil viele Strukturmittel gar nicht abgerufen werden. Das gehört zur Wahrheit auch dazu.
Insofern müssen wir auch über „Better Spending“, über die Frage, wie das Geld besser verwendet werden kann, diskutie ren. Da haben Sie recht. Aber per se zu sagen, der europäische Haushalt müsse schrumpfen, obwohl die Aufgaben größer werden, das geht nicht zusammen.
Was Baden-Württemberg angeht, sehen wir momentan eine äußerst erfreuliche Entwicklung. Bei den Verhandlungen zum EFRE-Fonds liegen Zahlen auf dem Tisch, die zeigen, dass die Mittel, die wir für Baden-Württemberg in den nächsten Jahren veranschlagen können, von 143 Millionen € in der letz ten Förderperiode auf 246 Millionen € in der neuen Förder periode ansteigen. Wir haben den Anteil Baden-Württembergs bei den Strukturfördermaßnahmen um 75 % steigern können. Ich danke den Kollegen Dr. Schmid und Bonde sehr; wir drei haben dabei, glaube ich, gemeinsam eine gute Verhandlungs lösung hinbekommen. Die anderen Bundesländer akzeptieren dies auch. Baden-Württemberg ist nun nicht mehr als letztes Bundesland in der Tabelle zu führen, sondern wir konnten den Etat deutlich verbessern und sind nun gleichgewichtig mit Bayern und anderen Ländern unterwegs.
Ich füge hinzu: Wir werden dies auch kofinanzieren müssen; auch das wird eine unserer Aufgaben sein. Aber die Mittel in diesem Bereich wachsen deutlich an, die wir in Baden-Würt temberg dann in Innovation, Forschungsförderung, Techno logietransfer, Energiewende, CO2-Vermeidung – also alles, was im operationellen Programm enthalten ist – investieren können. Dies ist ein deutlicher Mittelaufwuchs.
Ich bin sehr optimistisch, dass wir in den ESF-Programmen und bei INTERREG ebenfalls einen deutlichen Aufwuchs hin bekommen werden. Dort sind die Verhandlungen noch nicht abgeschlossen, aber sie laufen sehr gut, und ich bin zuver sichtlich, dass Baden-Württemberg auch hier von europäi schen Förderprogrammen und von europäischer Politik stär ker profitiert. Ich danke allen Kollegen, die zu diesem Erfolg beigetragen haben.
Ich will aber noch einen weiteren Punkt ansprechen, einen Punkt, bei dem Sie einen Dissens bemühen, den es nicht gibt. Ich finde, es ist wichtig, einen Unterschied zwischen Land wirtschaftsförderung, also direkten Zuschüssen für die Land wirtschaft, und der Förderung ländlicher Räume zu machen. Da besteht ein wichtiger Unterschied. Für Baden-Württem berg ist es wichtig, dass die Förderung auf die Bereiche Inno vation, Forschung, Technologietransfer, Mittelstand, Energie wende ausgerichtet wird, also auf die Bereiche, in denen wir technologisch führend sind und bei denen wir in der Schwer punktsetzung an der Spitze aller europäischen Regionen ste hen.
Hiervon wird auch die Landwirtschaft profitieren; sie wird da von profitieren, wenn wir Forschungseinrichtungen der Fraun hofer-Gesellschaft unterstützen, wenn wir Technologietrans fer vorantreiben und auch im ländlichen Raum mit europäi schen Mitteln die entsprechende Infrastruktur ausgestalten können. Der RegioWIN-Wettbewerb ist ja genau in der Wei se ausgeschrieben, dass wir regionale Ansätze, die gerade auch ländliche Räume ansprechen sollen, fördern und dafür sorgen, dass die Mittel genau in diese Richtung fließen.
Beachten Sie bitte den Unterschied. Wenn die Mittel für die Landwirtschaft in Europa anwachsen oder zumindest nicht abgesenkt werden – für die französische Landwirtschaft sol len noch einmal 1 Milliarde € zusätzlich zur Verfügung ge stellt werden –, hilft dies den ländlichen Räumen in BadenWürttemberg überhaupt nicht. Den ländlichen Räumen in Ba
den-Württemberg nützt es, wenn wir vernünftige Strukturför derfonds haben, mit denen wir dann Mittel für genau diese wichtigen Kernbereiche – für Innovation und für Mittelstands förderung – in der Fläche des Landes ausbringen können, so, wie wir dies nun auch im RegioWIN-Wettbewerb sehr erfolg reich tun. Da gibt es keinen Dissens; wir können dort, glaube ich, gemeinsam viel erreichen. Etwas mehr Geld aus Europa konnten wir dafür einwerben.
Sehr geehrte Damen und Herren, nach § 83 a der Geschäftsordnung soll der Präsident bzw. die Präsidentin die Redezeiten der Fraktionen verlän gern, wenn die Regierungsvertreter in einer Aussprache 50 % der Gesamtredezeit der Fraktionen überschritten haben. Dies ist nun der Fall.
Sofern gewünscht, können die Fraktionen noch einmal das Wort erhalten. – Das wird offenbar nicht mehr gewünscht.
Wir kommen daher nun zur Abstimmung über die Beschluss empfehlung des Ausschusses für Europa und Internationales, Drucksache 15/3748. Der Ausschuss für Europa und Interna tionales schlägt Ihnen vor, von der Mitteilung der Landesre gierung, Drucksache 15/3703, Kenntnis zu nehmen. – Sie stimmen zu.