Protokoll der Sitzung vom 09.10.2013

(Zuruf des Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU)

Wenn Sie mich ausreden lassen, Herr Röhm, hören Sie auch, was für ein Konzept dahinter steht.

Gerade bei den Grundschulen ist es wichtig, dass wir über die geeignete Stundenzahl Möglichkeiten schaffen, Lern- und Förderangebote auszuweiten, weil die Grundschulen in den vergangenen Jahren vor allem auch durch die alte Landesre gierung hier benachteiligt waren. Die Schulen sollen aber na türlich vor Ort ihr pädagogisches Konzept erarbeiten, sodass es regional passt, dass es zu dem passt, was die Schülerinnen und Schüler benötigen,

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Jetzt gebe ich Ih nen recht!)

und eben auch die Kooperation mit außerschulischen Partnern vor Ort entsprechend eingebunden wird. In dieser Form soll eine Rhythmisierung vorliegen.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Das ist in Ord nung!)

Aber das pädagogische Konzept muss am Anfang stehen und nicht die Anzahl der Tage mit Ganztagsangebot oder die Fra ge, wie das Ganze gestaltet wird.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen – Abg. Georg Wacker CDU: Das ist doch klar! – Abg. Karl-Wil helm Röhm CDU: Ja, richtig! Das ist doch logisch!)

Wir sehen in der gebundenen Ganztagsschule gerade für die Förderung von Schülerinnen und Schülern die beste Voraus setzung, aber wir sehen auch den Bedarf, dass wir eine Wahl freiheit vor Ort bieten und dass im Grundschulbereich die Ent scheidung von der Schule getroffen wird, ob die Entwicklung in eine gebundene oder in eine offene Form geht.

Der zweite Punkt, der unseres Erachtens mit der Ganztags schule erreicht werden soll, ist die weitere Verbesserungen der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Wir und die grün-rote Landesregierung haben bereits unseren Anteil geleistet und in den frühkindlichen Bereich investiert. Daher sehen wir jetzt die logische Konsequenz aus unserem bisherigen Handeln, dass wir im Grundschulbereich unsere Investitionen fortfüh ren, um in erster Linie hier ein Angebot für die Schüler zu schaffen, das den Eltern vor Ort eine Möglichkeit bietet, Fa milie und Beruf besser miteinander zu vereinbaren.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Gesetzentwurf der FDP/DVP zeigt, dass es grundsätzlich ein Verständnis gibt. Allerdings sehen wir im vorliegenden Gesetzentwurf, dass sich die FDP/DVP über die Ausgestaltung keine Gedanken gemacht hat. In dieser gesetzlichen Grundlage ist unseres Er achtens nicht zu erkennen, wie die Ganztagsschule in dieser Weise die Vorteile bieten soll, die wir mit ihr in Verbindung bringen, nämlich die Begabungen aller Schülerinnen und Schü ler in den Blick zu nehmen und entsprechend zu fördern und zu fordern. Damit wir bereits im Vorfeld einer Abhängigkeit des Bildungserfolgs von der sozialen Herkunft entgegenwirken können, brauchen wir gute Konzepte. Die Entwicklung die ser Konzepte vor Ort wollen wir unterstützen, aber sie müs sen an erster Stelle stehen, bevor am Ende eine Ganztagsschu le genehmigt werden kann.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Für die SPD-Fraktion spricht Kolle ge Dr. Fulst-Blei.

Sehr geehrter Herr Präsi dent, liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Thema Ganztags schule ist in der Tat bundesweit in der Diskussion. Herr Wa cker, vielleicht ergänzend zu Ihren Ausführungen: Bereits im Jahr 2010 ergab eine Umfrage von Infratest dimap: 63 %

(Abg. Georg Wacker CDU: 2013!)

2010 – der Eltern wünschen sich für ihr Kind den Besuch einer Ganztagsschule. Es hat später noch eine Relevanz, wa rum ich ausdrücklich betone, dass das schon vor dem Regie rungswechsel so deutlich dastand. Über die Erwartungen ha ben wir auch diskutiert.

Es geht einerseits um eine besondere pädagogische Qualität – die Ganztagsschule wird als ein Mittel zur Bildungsgerech tigkeit diskutiert –, und andererseits geht es dabei auch um die gestiegenen Anforderungen an die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Hier steht sicherlich auch das Stichwort Betreu ung im Mittelpunkt.

Aber – das kam auch in der heutigen Debatte zu kurz, auch bei Ihren Ausführungen, Kollege Kern – wir rechnen bundes weit mit einem Investitionsbedarf in Höhe von schätzungs weise 9 bis 10 Milliarden €, wenn wir das sofort in aller Brei te umsetzen wollten. Machen wir uns nichts vor: Weder Kom munen noch Länder sind in der Lage, das allein zu stemmen. Dafür brauchen wir schlichtweg den Bund.

Ich muss Ihnen leider auch sagen: Die schwarz-gelb gepräg te Ausgangssituation hier in Baden-Württemberg ist nun ein

mal folgende: Im Jahr 2006 hatten Sie ein Ausbauziel von 40 % für das Jahr 2014 angegeben. Die Realität ist aber eben eine andere gewesen. Dies wirkt im Grunde bis heute noch nach. Ganztägiger Unterricht ist bei uns eher noch die Aus nahme.

Sie haben sich auf Professor Klemm bezogen, auch Kollege Wacker hat das getan. Stichwort dort: Im Bundesdurchschnitt sind beinahe doppelt so viele Schüler in Ganztagsangeboten, an einer Ganztagsschule wie in Baden-Württemberg. Umge kehrt: Seltener als in Baden-Württemberg nutzen nur noch Schüler in Bayern Ganztagsangebote. Das ist ein Stück weit die Bilanz auch Ihrer Regierungspolitik. Wir sehen also, dass die alte Landesregierung hier schlichtweg zu wenige Impul se gesetzt hat.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen – Glocke des Präsidenten)

Herr Kollege Dr. Fulst-Blei, gestat ten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Wacker?

Vielen Dank, Herr Kollege FulstBlei. Denn die Zwischenfrage passt an dieser Stelle, denke ich, exakt.

Ist Ihnen bekannt, dass die frühere Landesregierung beschlos sen hat, dass dieses Ausbauziel von 40 % bezogen auf alle Schularten bis zum Jahr 2015 gelten sollte? Das war die Weg strecke insgesamt, und bis zum Regierungswechsel wurde auf dieser Wegstrecke die Hälfte der Ganztagsschulen bezogen auf dieses Ziel verwirklicht. Insofern ist die frühere Landes regierung ihren Vorgaben exakt gefolgt. Bei den Werkreal schulen wurde das Ziel von 40 % deutlich überschritten, und bei den anderen Schularten wurden bereits 20 % erreicht.

Herr Kollege Wacker, vie len Dank für die Präzisierung. In der Tat ist es so: Wir haben ein gesamtgesellschaftliches Ziel, das wir kontinuierlich ver folgen. Unsere Kritik bezieht sich darauf, dass Ihrerseits viel zu lange zu unkonkret gearbeitet wurde. Die Fraktion der FDP/DVP hat in der Begründung zu ihrem Gesetzentwurf so gar eigentlich nichts anderes als Kritik an ihrer eigenen Poli tik formuliert, wenn sie von einem unbefriedigenden Zustand in der aktuellen Gesetzeslage spricht. Das geht ja mit auf die eigene Politik zurück.

Wenn ich gerade bei der FDP/DVP bin: Ich halte es für be merkenswert, dass die Liberalen immer dann mit bestimmten Vorschlägen kommen, wenn sie keinen Regierungsbeitrag mehr leisten können. Das ist auch mit Blick auf Berlin bemer kenswert, wo sie gerade abgewählt worden sind, wo sie die Länder auf der Bundesebene hätten massiv unterstützen kön nen. Ich muss Ihnen das jetzt im Stil Ihres Fraktionsvorsitzen den einmal ganz klar sagen: Allein mit dem Betreuungsgeld und den Steuergeschenken an die Hoteliers hätten wir die Hälfte aller Ausbaukosten schon einmal locker finanziert. Da ist von Ihnen gar nichts gekommen.

(Beifall bei der SPD)

Wir haben in Baden-Württemberg ebenfalls noch zu tun. Sie selbst haben in Ihrem Gesetzentwurf die Situation als unbe

friedigend bezeichnet. Wir sind zurzeit massiv dabei. Die ge samte Verhandlungsrunde hat mithilfe von Minister Stoch deutlich an Fahrt gewonnen. Wir sind in Verhandlungen mit den Kommunen und sind optimistisch, bis zum neuen Schul jahr 2014/2015 solide Regelungen, auch solide durchfinan ziert und priorisiert, vorlegen zu können. Denn Ihr Gesetzent wurf – ich freue mich, dass Sie die Schärfe im Verhältnis zu früheren Debatten deutlich herausgenommen haben – ist re lativ unausgegoren.

(Zuruf des Abg. Dr. Timm Kern FDP/DVP)

800 Deputate, 40 Millionen € bezeichnen Sie als realistisch. Dies widerspricht sämtlichen konzeptionellen Entwürfen von Praktikern. Sie sagen, die zusätzlichen Kosten sollten durch den Schülerzahlenrückgang finanziert werden. Das ist vor dem Hintergrund, dass Sie gleichzeitig eine Priorisierung ableh nen, bemerkenswert. Sie sagen: Everything goes. Jeder soll alles können.

(Abg. Dr. Timm Kern FDP/DVP: Wir haben es bean tragt, und Sie haben es abgelehnt, Herr Kollege!)

Entschuldigung, Herr Kern, das ist typisch FDP. Sie wecken hohe Erwartungen ohne eine solide Gegenfinanzierung.

In Ihrem Gesetzentwurf stecken noch weitere inhaltliche Un verbindlichkeiten. Er enthält keine Aussage zur Ausstattung der verbindlichen Ganztagsschule – Frau Kollegin Boser hat auf ihre Bedeutung hingewiesen – und keine Aussage, wie pä dagogisch-soziale Erfolge ausformuliert werden sollen.

Ich bin bei Ihnen bezüglich der Vermutung, dass die verbind liche Form wahrscheinlich auf eine geringere Nachfrage sto ßen wird. Auch wir betonen hier ein Elternwahlrecht, wollen aber auch den Schulträgern Handlungsmöglichkeiten eröff nen. Hierzu muss es natürlich etwas geben.

Die FDP/DVP-Formulierungen, die später noch durch die Aussage „Alle Reformen sind möglich; andere Regelungen zwischen Land und Kommunen sowie einzelnen Schulen sind denkbar“ getoppt werden, sind wunderbar unpräzise und hel fen uns im gesetzgeberischen Handeln nicht weiter.

Daher können wir selbstbewusst feststellen, dass der Ganz tagsschulausbau im Wesentlichen eine rot-grüne, eine grünrote Erfolgsgeschichte ist. Nach dem legendären Ausbaupro gramm von Bundeskanzler Gerhard Schröder mit allein 4 Mil liarden €, von denen 528 Millionen € nach Baden-Württem berg geflossen sind, geht es jetzt darum, dass Andreas Stoch das Ziel dynamisch verfolgt und wir wirklich zu guten Ergeb nissen kommen.

Wenn man Ihren Gesetzentwurf mit dem abgleicht, was wir in der Vergangenheit von Ihnen bislang an Impulsen erhalten haben – in der jüngsten Vergangenheit gerade aus Berlin –, muss man feststellen: Das ist sicherlich zu schwach, um heu te zu sagen: Die FDP/DVP ist der Vorreiter bei der Ganztags schule.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Für die Landesregierung spricht Herr Kultusminister Stoch.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Zunächst einmal ganz herzlichen Dank an die FDP/DVP-Fraktion für die Einbringung des Gesetzentwurfs. Er und auch die Wort beiträge der Kollegen Kern und Wacker zeigen mir und uns, dass wir uns im Grundsatz einig sind. Das ist für mich bei bil dungspolitischen Themen ein ganz großer Fortschritt und weckt die Hoffnung, dass wir im Bereich der Bildungspolitik und der Weiterentwicklung unserer Politik gemeinsam ein gu tes Stück weiterkommen.

Ich zitiere:

Ganztagsschulen leisten einen wertvollen Beitrag zur ganzheitlichen Bildung der Schülerinnen und Schüler, zur sozialen Gerechtigkeit, zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf und zu besseren Lernleistungen.

Das ist ein Zitat aus dem Koalitionsvertrag. Nach allem, was ich heute gehört habe, glaube ich, dass all diese Punkte, die für den Ausbau von Ganztagsschulen sprechen, von nieman dem hier im Haus grundsätzlich infrage gestellt werden. Das ist eine Veränderung gegenüber der Vergangenheit; das muss man ganz deutlich sagen. Kollege Fulst-Blei hat auch darauf hingewiesen, dass wir in Baden-Württemberg in diesem Be reich leider viel zu lange zu wenig getan haben.

Gleich zu Beginn will ich auf einen Punkt hinweisen. Herr Kollege Wacker, Sie haben vorhin angemahnt, es sei in die sem Bereich in Baden-Württemberg zu wenig passiert.

(Abg. Georg Wacker CDU: In den letzten zweiein halb Jahren!)

Wenn dieser Vorwurf kommt – auch für die letzten zweiein halb Jahre – könnte ich Ihnen den Spiegel vorhalten. Denn in den letzten zweieinhalb Jahren ist ein weiterer Ausbau der Ganztagsschulen erfolgt – auf der Basis dessen, was Sie da mals als Gesetz beschlossen haben.