Wenn dieser Vorwurf kommt – auch für die letzten zweiein halb Jahre – könnte ich Ihnen den Spiegel vorhalten. Denn in den letzten zweieinhalb Jahren ist ein weiterer Ausbau der Ganztagsschulen erfolgt – auf der Basis dessen, was Sie da mals als Gesetz beschlossen haben.
Da liegt bereits ein Teil des Problems. Sie haben damals eine Konzeption beschlossen, aus der zu entnehmen ist, was nach Ihrem Denken Ganztagsschule war – ich hoffe, es ist heute nicht mehr so. Sie haben nämlich von Ganztagsschulen in of fener Form und von Ganztagsschulen mit besonderer pädago gischer Aufgabenstellung gesprochen.
Was heißt das? Es gab das böse Wort „Brennpunktschulen“. Sie wissen, wie es in der Praxis verstanden und umgesetzt wurde. Bereits daran können Sie erkennen, warum Ganztags schulen viel zu lange nicht als wertvolles Instrument für die gesamte Bildungslandschaft, sondern eher als Instrument für die Bereinigung von Problemen betrachtet wurden.
Deswegen, meine sehr geehrten Damen und Herren, müssen wir darüber hinwegkommen, Ganztagsschulen als eine Schul form für besondere soziale Brennpunkte zu sehen. Ganztags schule ist für alle Kinder, für alle Jugendlichen ein wertvolles Element für mehr Bildungsgerechtigkeit und größeren Bil dungserfolg.
Deswegen, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist es zu begrüßen, dass auch die FDP/DVP im Stuttgarter Landtag
„Die Ganztagsschulen leisten einen wichtigen Beitrag für die Entkopplung von sozialer Herkunft und Bildungserfolg.“ Dies ist für mich ein Beleg dafür, dass auch die Liberalen die Be deutung des Themas Bildungsgerechtigkeit – ich habe dabei aus dem Treffen der Vorsitzenden der FDP-Fraktionen in den Landesparlamenten zitiert – deutlicher in den Fokus nehmen wollen, was ich nur begrüßen kann. Aber es lässt auch darauf schließen, was in der Vergangenheit versäumt wurde.
Der CDU-Landesvorsitzende Thomas Strobl hat im April 2012 gegenüber der dpa erklärt, dass unser Bundesland beim Ausbau von Ganztagsangeboten einen „Mega-Nachholbedarf“ habe. Da hat er recht. Weiter räumt er ein, dass die Union in ihren langen Regierungsjahren den Umbau versäumt habe. Ich zitiere wörtlich: „Wir sind zu spät bei diesem Thema einge stiegen.“
Deswegen, meine sehr geehrten Damen und Herren, sollten wir alle den unbefriedigenden Istzustand als Anlass dafür neh men, zu zeigen, dass wir in Baden-Württemberg in der Lage sind, dieses Thema mit großer, aber auch sehr konstruktiver Energie anzugehen und das Bildungssystem an dieser Stelle schnell und deutlich zu verbessern. Die Landesregierung be findet sich derzeit in intensiven Gesprächen mit allen Part nern, ohne die nach unserer Auffassung ein Gelingen von Ganztagsschule nicht möglich ist. Das ist eine wichtige Be dingung für den Erfolg von Ganztagsschulen: Nur in engster Abstimmung mit den kommunalen Partnern lässt sich ein sol ches Konzept sinnvoll entwickeln.
Auf etwas möchte ich noch hinweisen. Die kommunale Seite – Städtetag, Gemeindetag, Landkreistag – weiß genau, dass Ganztagsschulen aus Sicht der Eltern und der Menschen in diesem Land bei der Frage, wie sich die Lebensqualität in un serem Land Baden-Württemberg entwickelt, nicht nur ein Soft Factor sind. Inzwischen geht es um harte Faktoren, auch um den Ausbau des vorschulischen Betreuungsangebots. Die Kom munen haben das Angebot der Landesregierung, den Pakt für Familien zu schließen, dankbar angenommen. Wir haben in den letzten zweieinhalb Jahren in diesem Bereich sehr viel auf den Weg gebracht, was aus Sicht der Kommunen die Mög lichkeit bot, den Menschen in diesem Land eine hervorragen de Betreuungsinfrastruktur zu bieten und diese Infrastruktur auszubauen.
Die Ganztagsschulen werden von den Kommunen als logi sche Fortsetzung dieser Politik gesehen. Deswegen sind wir uns auch mit den kommunalen Landesverbänden einig, jetzt im Sinne einer Priorisierung beim Ausbau der Ganztagsschu len zunächst die Grundschulen in den Mittelpunkt zu stellen. Denn hier darf kein Loch entstehen. Nach einer guten vor schulischen Betreuungssituation darf nicht im Grundschulbe reich ein Betreuungsloch entstehen. Deswegen haben diese Landesregierung und auch die Regierungsfraktionen in ihren Überlegungen die Grundschulen in den Fokus gestellt.
Ich kann Ihnen aber ganz deutlich sagen: Wenn wir weitere finanzielle Möglichkeiten gewinnen und freimachen können, u. a. durch Unterstützung des Bundes, werde ich der Letzte sein, der sich dem verschließt, dass wir uns auch im Bereich der weiterführenden Schulen intensiv den weiteren Ausbau der Ganztagsschulen vornehmen.
Zu dem Konzept, das die Landesregierung derzeit erstellt, zählt u. a. auch die Frage, wer die finanziellen Lasten tragen soll. Da sind wir in sehr konstruktiven Gesprächen mit der kommunalen Seite, mit den kommunalen Landesverbänden. Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir in den nächsten Wochen gute Ergebnisse erzielen können.
Allerdings gibt es an Ihrem Gesetzentwurf einige Kritikpunk te. Dazu zählt beispielsweise Ihr Vorschlag, die Verpflichtung zur Teilnahme an einer offenen Ganztagsschule auf ein Schul halbjahr zu begrenzen. Ich würde Ihnen empfehlen, mit Schul leiterinnen und Schulleitern, mit Praktikern zu sprechen. Die werden Ihnen sehr deutlich sagen, dass eine Umsetzung die ses Denkens an ein Schulhalbjahr einen erheblichen zusätzli chen Planungsaufwand bedeuten würde und auch unter päd agogischen Gesichtspunkten nicht sinnvoll wäre.
Deswegen ist der Gesetzentwurf der FDP/DVP auch an die ser Stelle pädagogisch leider nicht abschließend durchdacht.
Beim Ausbau von Ganztagsschulen ist außerdem zentral – das war hier auch schon Thema –, dass die Finanzierung auf ei ner soliden Grundlage erfolgt. Ich bedaure, sagen zu müssen, dass Sie mit Ihrem Konzept, was die finanzielle Ausstattung und die Frage angeht, wer welche Lasten trägt, nicht sehr weit kommen. Für die offene Ganztagsschule haben Sie in Ihrer Konzeption vier Lehrerwochenstunden eingestellt, für die ge bundene Form sechs Lehrerwochenstunden. Das bleibt sogar hinter dem zurück, was für das bisherige Konzept für offene Ganztagsschulen bzw. Schulen mit besonderer Aufgabenstel lung vorgeschlagen war. In Ihrem Vorschlag blenden Sie eben falls aus, dass die Frage der Betreuung in der Mittagspause natürlich ressourcenrelevant ist.
Ich muss deshalb sagen: Auch was die Ressourcen angeht, ist der Gesetzentwurf leider nicht akzeptabel. Denn er nimmt ei nige Lasten, die bei diesem Ausbau tatsächlich entstehen wür den, nicht in den Blick.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, für mich ist es wich tig, von dieser Stelle aus noch einmal einen deutlichen Appell an Sie, an uns alle, zu richten. Wenn jetzt in Berlin Koaliti onsverhandlungen stattfinden – mit welchen Partnern auch immer –, dann halte ich es aus Sicht der Länder – morgen wird wieder die Kultusministerkonferenz in Berlin stattfinden; ich habe mit meinen Kollegen telefoniert, es geht ihnen genauso – für wichtig, dass wir es schaffen, in dem Bereich Bildung in diesem Land gemeinsam vorzugehen und mehr Mittel zur Verfügung zu stellen. Wir wissen, dass wir in Deutschland im OECD-Vergleich bei den Bildungsausgaben unter dem Durch schnitt liegen. Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich glaube, dass sich unser Land, das nicht mit Rohstoffen prot zen kann, dass sich Baden-Württemberg dies nicht leisten kann.
Deswegen appelliere ich an uns alle, das Ziel zu verfolgen, dass wir es im Rahmen dieser Koalitionsverhandlungen ge meinsam schaffen, für den Bildungsbereich mehr Mittel zu erreichen. Es geht um die Bewältigung der Lasten, die sich letztlich aus dem demografischen Phänomen ergeben. Wir
müssen es schaffen, die Veränderungen in unserer Gesellschaft gemeinsam – alle Ebenen: Bund, Länder und Kommunen – zu bewältigen, denn nur dann können wir unser Land zu kunftsfähig aufstellen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Gesetzentwurf der FDP/DVP ist ein guter Vorschlag. Er ist jedoch in man chen Punkten nicht solide durchgerechnet. Er ist in manchen Punkten, was die pädagogische Konzeption angeht, kritikwür dig. Deswegen kann die Landesregierung diesem Gesetzent wurf nicht nähertreten. Ich sage aber ganz deutlich an dieser Stelle an Sie gerichtet, Herr Kollege Dr. Kern und Herr Kol lege Wacker: In der Ausgestaltung des Konzepts für den Aus bau der Ganztagsschulen würde ich sehr gern mit Ihnen ge meinsam konstruktiv eine Lösung für das Land Baden-Würt temberg erarbeiten.
Herr Präsident! Ich möch te die Chance nutzen, auf die Einwände der Kollegin Boser, des Kollegen Dr. Fulst-Blei und auch des Herrn Ministers kurz einzugehen.
An dieser Stelle macht es schon Sinn, den Unterschied zwi schen einer freiheitlichen Bildungspolitik und einer grünen Bildungspolitik aufzuzeigen. Sie sagen, unser Konzept wür de keine präzisen, keine engen pädagogischen Vorgaben ma chen. Genau das ist doch der Punkt. Der Landtag soll – so ver stehe ich liberale Bildungspolitik – den Rahmen setzen, und die Verantwortlichen vor Ort sagen dann, wie sie den Rahmen tatsächlich ausfüllen.
Es ist doch eine abenteuerliche Vorstellung der grünen Bil dungspolitikerin Boser, zu glauben, vor Ort würde eine Ganz tagsschule eingerichtet, wenn es kein pädagogisches Konzept dazu gäbe. Das ist doch völlig wirklichkeitsfremd.
Jetzt möchte ich noch kurz auf den Beitrag des Kollegen Dr. Fulst-Blei eingehen: Sie haben in der Tat recht. Wenn wir den Ausbau der Ganztagsschulen voranbringen möchten, dann brauchen wir auch den Bund. Wir, die FDP/DVP, sind der Meinung, dass man sich bei den Verhandlungen über die Fö deralismusreform III, die jetzt anstehen, dafür einsetzen muss, dass die Länder einen höheren Anteil an der Mehrwertsteuer erhalten. Dazu muss man keine Steuern erhöhen, Herr Kolle ge.
Ich habe leider nur noch we nige Sekunden Redezeit und möchte noch kurz auf den Bei trag des Herrn Minister eingehen. Deshalb kann ich an dieser Stelle keine Zwischenfrage zulassen.
Herr Minister, Sie haben gesagt: „Ganztagsschule ist für alle Schüler da.“ Sehr richtig. Willkommen bei der Position der FDP/DVP! Bisher war unter dieser Landesregierung Ganz tagsschule vor allem für die Kinder da, die die Gemeinschafts schule besuchen, Herr Minister. Das halten wir für eine unzu lässige Privilegierung. Wir wollen allen Schülerinnen und Schülern in Baden-Württemberg an allen Schularten das An gebot der Ganztagsschule unterbreiten. Hierfür ist unser Ge setzentwurf mehr als geeignet.
Ein letzter Punkt, Herr Minister: Ihnen scheint unser Gesetz entwurf sehr zupasszukommen. Sie haben sich über den Ge setzentwurf richtig gefreut. Ich glaube, ich weiß auch, wes halb: Er hilft Ihnen nämlich ganz stark in der innerkoalitionä ren Auseinandersetzung. Er hilft Ihnen in der Argumentation gegenüber den Grünen. Denn mit diesem Gesetzentwurf kön nen Sie den Grünen darlegen, dass sie sich mit der Forderung nach dem Abbau von 11 600 Lehrerstellen völlig verrannt ha ben.
Ich schlage vor, den Gesetzentwurf Drucksache 15/4025 zur weiteren Beratung an den Ausschuss für Kultus, Jugend und Sport zu überweisen. – Es erhebt sich kein Widerspruch. Da mit ist so beschlossen.
Erste Beratung des Gesetzentwurfs der Landesregierung – Gesetz zur Änderung dienstrechtlicher Vorschriften – Drucksache 15/4054
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt Ge setze, die auf den ersten Blick nicht spektakulär erscheinen mögen, doch für viele Menschen in unserem Land viele klei ne und große Verbesserungen bringen. Das Gesetz zur Ände rung dienstrechtlicher Vorschriften ist ein solcher Fall, denn der vorliegende Entwurf umfasst ganz verschiedene Änderun gen im Besoldungs-, Beihilfe- und Versorgungsrecht sowie im Landesbeamtengesetz, die eines gemeinsam haben: Sie machen das bestehende Recht besser, gerechter oder flexib ler.
An dieser Stelle möchte ich mich auf einige wenige zentrale Punkte konzentrieren. Wir, die Landesregierung, setzen mit diesem Gesetzentwurf die Rechtsprechung des Bundesverfas sungsgerichts zur rückwirkenden Gleichstellung eingetrage ner Lebenspartnerschaften für den Bereich des öffentlichen