Herr Präsident, liebe Kol leginnen und Kollegen! Der Antrag des Kollegen Rau ist schlüssig. Da stellt sich auch gar keine Frage.
Wissen Sie, warum spät? Weil wir nicht nur bei diesem The ma, sondern bei jedem Thema feststellen, dass Sie sich z. B. bei dem Vorschlag, eine Anhörung durchzuführen,
bei dem Vorschlag, den mitberatenden Ausschuss vorher ta gen zu lassen, bei dem Antrag, ein solches Urteil abzuwarten, taub stellen. Was sollen wir denn anderes machen?
(Abg. Wolfgang Drexler SPD: Es gab doch eine An hörung! – Abg. Alexander Salomon GRÜNE: Ihr hät tet ja klagen können!)
Wenn man jahrelang mit dem bestehenden Vertrag gelebt hat, die Legislaturperiode noch eine ganze Weile dauert und das Verfassungsgerichtsurteil zur Staatsferne bevorsteht, liegt es auf der Hand, dass man sich einmal anschaut, was das Verfas sungsgericht dazu sagt,
zumal es an einer Stelle noch ein bisschen kurioser wird. Ich gehe jetzt nicht in die inhaltliche Diskussion; um diese geht es hier nicht. Es geht wirklich nur um den sinnvollen Vor schlag, über die Inhalte dann zu diskutieren, wenn wir auch die Meinung des Bundesverfassungsgerichts einbeziehen kön nen. Aber kurioserweise hat mir Frau Krebs schon in der letz ten Sitzung gesagt, was da voraussichtlich drinsteht. Als ich die Formulierungen zur Frauenquote kritisiert habe, hat Frau Krebs gesagt, das Bundesverfassungsgericht werde dazu et was sagen. Wenn das so ist, dann warten Sie es doch ab.
Doch. Sie haben gesagt, man erwarte, dass das Bundesver fassungsgericht dazu etwas sagt. Das war ein Argument ge gen mich. Dann warten Sie das doch einfach ab. Warten wir das Urteil ab. Dann sind wir schlauer und können einen bes seren Staatsvertrag machen.
Wir kommen daher zur Abstimmung über den Vertagungsan trag der CDU-Fraktion. Wer dem Antrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Antrag ist mehrheitlich abgelehnt.
Aktuelle Debatte – Weder direkt noch auf Umwegen – kei ne Ausweitungen des Unternehmensstrafrechts – bean tragt von der Fraktion der FDP/DVP
Das Präsidium hat eine Gesamtredezeit von 40 Minuten mit der üblichen Abfolge festgelegt. Ich bitte auch die Regierung, sich an den vorgegebenen Redezeitrahmen zu halten. Außer dem bitte ich, die Aktuelle Debatte in freier Rede zu führen.
Herr Präsident, liebe Kolle ginnen und Kollegen! Wir nehmen in den letzten Tagen zwei unterschiedliche Vorstöße wahr, die aber das gleiche Ziel ha ben. Es geht in beiden Fällen um zusätzliche Sanktionen ge gen Unternehmen. Es geht darum, dass in Nordrhein-Westfa len ein Gesetzentwurf in der Mache ist mit der Bezeichnung – ich darf das zitieren – „Gesetz zur Einführung der strafrecht lichen Verantwortlichkeit von Unternehmen und sonstigen Verbänden“. Das hat der dortige Justizminister auf den Weg gebracht. Bis jetzt sind bei uns nur Menschen strafbar. Jetzt möchte man, dass auch Unternehmen strafbar sein können.
In eine ähnliche Richtung – auch wenn ich sehr genau unter scheide, lieber Herr Minister Stickelberger – zielt es natürlich, wenn der baden-württembergische Justizminister immerhin im Kabinett eine Handreichung an die Staatsanwaltschaften vorstellt, die es ermöglichen soll, zu mehr Bußgeldern gegen Unternehmen zu kommen, wenn diese gegen Vorschriften ver stoßen haben.
Ganz aktuell sieht man, dass die SPD in den Koalitionsver trag auf Bundesebene wohl auch eine weitere Erhöhung der Bußgelder gegen Unternehmen, die genau in dieselbe Rich tung zielt, aufgenommen hat, obwohl die Bußgelder erst im Juni dieses Jahres kräftig erhöht worden sind.
Da fragt man sich: Wo soll das hinführen? Was soll das Gan ze? Da steht am Anfang eigentlich schon die Frage: Ist das des Schweißes der Edlen wert? Ist das unser Problem? Haben wir da einen gewaltigen Handlungsbedarf?
Denn auf der anderen Seite gibt es natürlich unübersehbare Einwände gegen ein solches Vorgehen, gegen diese Auswei tung der Sanktionspraxis.
Einwand Nummer 1 ist vielleicht eher noch etwas nur für die Fachleute. Es passt natürlich nicht in eine Strafrechtssystema tik hinein, wenn man jetzt von dem Grundsatz abrückt, dass Menschen sich strafbar machen können, Menschen schuld haft handeln können – und nur sie. Das war aber der bisheri ge Ansatz des Strafrechts.
Eine Warnung muss man hier auch schon aussprechen. Ich darf, weil wir vorhin mehrfach das Bundesverfassungsgericht genannt haben, aus der Entscheidung des Bundesverfassungs gerichts zum Lissabon-Vertrag zitieren:
Der Grundsatz, dass jede Strafe Schuld voraussetzt, hat seine Grundlage damit in der Menschenwürdegarantie des Artikels 1 Absatz 1 GG... Das Schuldprinzip gehört zu der wegen Artikel 79 Absatz 3 GG unverfügbaren Ver fassungsidentität, die auch vor Eingriffen durch die sup ranational ausgeübte öffentliche Gewalt geschützt ist.
Wenn das Verfassungsgericht das Schuldprinzip so hoch hängt und verteidigt, dann ist damit zu rechnen, dass es das viel leicht auch in anderer Richtung verteidigen wird. Wenn es hier
heißt: „Der Grundsatz, dass jede Strafe Schuld voraussetzt...“, dann kann man schon die Frage stellen: Kann ein Unterneh men sich schuldig machen? Schuld und Unternehmen, passt das zusammen? Nur ein Mensch kann sich schuldig machen. So ist es bisher schon, und da gibt es natürlich auch ganz er hebliche Sanktionsmöglichkeiten.
Der Hintergrund dieser Vorschläge, die da aktuell gemacht werden, ist übrigens schnell identifiziert. Es geht natürlich wieder einmal um die Verfehlungen einiger Großkonzerne, wobei übrigens – das muss man auch zur Kenntnis nehmen – Siemens in dem Korruptionsskandal zusammengerechnet 395 Millionen € – ich erwähne das nur, weil manchmal der Ein druck erweckt wird, es gebe in der bestehenden Sanktionspra xis keine Möglichkeiten – an unterschiedlichen Bußgeldern und Ähnlichem bezahlt hat. Aber der Hintergrund sind, wie gesagt, Verfehlungen nicht so sehr.
Mit einer Ausweitung des Unternehmensstrafrechts trifft man allerdings – das ist der zweite und schon wesentlich wichti gere Einwand – wieder alle. Man trifft den baden-württem bergischen Mittelstand, man trifft die familiengeführten Un ternehmen. Bei diesen Unternehmen erkenne ich keinen wirk lichen Handlungsbedarf.
Da werden Sie auch lange suchen, um irgendwelche Skanda le zu finden, die es rechtfertigen, dass man jetzt eine solche Diskussion in Gang bringt. Wenn man diese Vorfälle zum An lass nimmt, jetzt wieder gegen alle vorzugehen, dann zeigt sich das Bedenkliche dieses Vorgehens. Denn erstens trifft man manche doppelt. Das ist logisch ganz einfach: Wenn künftig sowohl ein Unternehmer als auch ein Unternehmen strafbar sein kann, dann trifft das den Familienunternehmer. Der kann sich dann doppelt strafbar machen. Insofern ist es, glaube ich, nicht verwunderlich, dass das Ansinnen bei den betroffenen Familienunternehmen im Land erhebliche Irrita tionen ausgelöst hat und diese auch die Frage stellen: Haben wir wirklich dazu Anlass gegeben, und warum sollen wir künftig eigentlich doppelt strafbar sein, sowohl als Unterneh mer als auch als Unternehmen?
Es ist aber auch nicht besonders zielführend, wenn Sie die gro ße AG nehmen. Denn diese wird natürlich das Geld für die Strafe irgendwoher aufbringen. Aber was ist die Folge? Viel leicht eine geringere Dividende, vielleicht weniger Spielräume, Vergütungen zu bezahlen. Bei diesen Betrieben werden sich Sanktionen also auch wieder nicht dort auswirken, wo man es eigentlich gern hätte, sondern betroffen sind am Schluss viel leicht die Aktionäre, betroffen ist die Belegschaft, die die Ze che zu bezahlen hat. Besonders zielführend ist das also nicht. Auch dort halten wir es für eindeutig besser, an dem Ansatz festzuhalten, dass man die Menschen, die etwas getan haben, was nicht richtig war, zur Rechenschaft zieht.
Übrigens kann man nach der bestehenden Rechtsordnung, über das Ordnungswidrigkeitenrecht, Unternehmen zur Kas se bitten. Das kann man in erheblichem Umfang tun. Das In strumentarium ist sehr gut und ausreichend, und es bedarf nach unserer Meinung keiner Ergänzung.
Denn – das ist mein dritter und letzter Einwand – es ist ein be denkliches und psychologisch falsches Signal für den Stand
ort, die Situation so darzustellen, als müssten – obwohl eben hierzu kein Handlungsbedarf besteht – neue Sanktionen ge gen Unternehmen ermöglicht werden.
Die angesprochene Handreichung für Baden-Württemberg weist Parallelen zu Spielregeln auf, die man gegenüber dem organisierten Verbrechen anwendet. Dadurch wird die orga nisierte Kriminalität mit Wirtschaftsunternehmen gleichge stellt. Das würde ich nicht machen.
Ich rate dringend davon ab; denn wir sind darauf angewiesen, dass sich die Unternehmen bei uns gut behandelt fühlen. Wir würden sie nicht gern ohne jede Not mit solchen Vorschlägen zur Ausweitung des Unternehmensstrafrechts quälen.
Diese fügen sich in das Bild von Wirtschaftsfeindlichkeit, das man von Ihrer Politik gewinnen kann, ein. Das hören Sie nicht gern, aber das müssen Sie sich gefallen lassen. So kommt es bei meiner Fraktion und bei mir an. Allmählich drängt sich der Eindruck auf, eine rot-grüne bzw. grün-rote Regierung sei mit Wirtschaftsfeindlichkeit gleichzusetzen.
(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Abg. Hans-Ulrich Sckerl GRÜNE: Märchen stunde! – Zuruf des Abg. Dr. Dietrich Birk CDU)
Wir werden heute zugleich noch eine tiefe und teure Verbeu gung vor den Gewerkschaften erleben, und zwar bei der Be handlung des Gesetzentwurfs zur Änderung des Landesper sonalvertretungsgesetzes.
(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Abg. Dr. Dietrich Birk CDU: Auch vor dem Personal!)