Protokoll der Sitzung vom 28.11.2013

Dann ist es so beschlossen.

Nun kommen wir zu Punkt 6 der Tagesordnung.

(Abg. Volker Schebesta CDU: Die Fraktionen haben es gelesen und können gleich reden!)

Kollege Schebesta, ich möchte den Gesetzentwurf einfach noch nennen.

(Zuruf: Vorlesen!)

Bei der Ersten Beratung ist das wichtig. Das ist ein wichtiges Gesetz.

(Zuruf: Warum ist dann die Frau Ministerin nicht im Saal?)

Wir haben monatelang darum gerungen.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Dann reden halt die Fraktionen zuerst!)

Ich möchte es einfach noch nennen und bitte um etwas Ruhe:

Erste Beratung des Gesetzentwurfs der Landesregierung – Gesetz zur Neuordnung der Flüchtlingsaufnahme, über die Erstattung von Leistungen nach dem Asylbewerber leistungsgesetz und zur Änderung sonstiger Vorschriften – Drucksache 15/4352

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Das Wort hat Herr Dr. Lasotta!)

Die Landesregierung wird das Gesetz begründen. – Gibt es von Ihrer Seite aus eine Zwischenfrage?

(Lachen bei der CDU)

Nein? Eine Kurzintervention? Keine Kurzintervention.

(Ministerin Bilkay Öney betritt den Plenarsaal.)

Ich sehe, die Frau Ministerin ist auf dem Weg.

(Vereinzelt Beifall!)

Ich sage es also noch einmal: Es geht nun um das Gesetz zur Neuordnung der Flüchtlingsaufnahme, über die Erstattung von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz und zur Änderung sonstiger Vorschriften, Drucksache 15/4352.

Das Wort zur Begründung erteile ich Frau Ministerin Öney.

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Welche Redezeit ist denn verabredet?)

Die Ministerin kann so lange reden, wie sie will.

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Nein, für die Fraktio nen!)

Im Präsidium haben wir für die Aussprache eine Redezeit von fünf Minuten je Fraktion festgelegt. Jetzt erteile ich aber Frau Ministerin Öney das Wort.

Vielen Dank. – Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Seit den Flücht lingstragödien im Mittelmeer steht das Thema Flüchtlingspo litik wieder ganz oben auf der politischen Agenda. Dabei stel len sich ganz grundlegende Fragen: Wie soll Europa seine Flüchtlingspolitik künftig gestalten? Soll Europa so weiter machen wie bisher oder aber Flüchtlingspolitik als integrales Element einer europäischen Einwanderungspolitik begreifen?

Ich denke, wir werden nicht umhinkommen, die drängenden Fragen bald zu beantworten.

Tatsache ist: Deutschland ist wieder das Ziel vieler Flüchtlin ge. Nach dem Königsteiner Schlüssel kommt jeder achte Flüchtling nach Baden-Württemberg. Im Jahr 2013 werden das voraussichtlich ca. 14 000 Menschen sein. Unabhängig davon, ob sie kürzer oder länger hierbleiben, müssen wir uns um diese Menschen kümmern. Dazu gibt es keine Alternati ve.

Welche Motive die Menschen haben, wenn sie zu uns fliehen, und welche Gründe wir anerkennen, das ist die eine Seite. Wie wir mit den Menschen umgehen, solange sie hier sind, ist die andere Seite. Der Maßstab für diesen Umgang ist unser Grundgesetz und hier insbesondere Artikel 1 Absatz 1, die Achtung der Menschenwürde. Das ist auch der Maßstab, der das neue Flüchtlingsaufnahmegesetz prägen soll.

Es gibt kritische Stimmen, die sagen, dass humanitäre Rege lungen nun wirklich zur Unzeit kommen. Zunächst müssten doch die praktischen Probleme bewältigt werden, die sich aus dem Flüchtlingszustrom ergeben. Ich halte das nur für einen scheinbaren Widerspruch. Wichtig ist, auf unvorhergesehene Situationen flexibel reagieren zu können. Das heißt aber nicht, dass man als richtig erkannte Grundsätze und Ziele über Bord werfen müsste. Die Menschenwürde ist nun einmal nicht dis ponibel.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Ich möchte Ihnen gleich ein anschauliches Beispiel geben: Statt der bisherigen 4,5 m2 streben wir künftig 7 m2 Wohn- und Schlaffläche pro Person als Mindeststandard an. Das ist kein Luxus, sondern nach wie vor ein sehr bescheidener Stan dard. Denken Sie einmal nur an die Quadratmeterzahl Ihrer Wohnung.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Das habe ich als Wehrpflichtiger nicht gehabt!)

Mit 7 m2 liegen wir übrigens auf dem Niveau von Bayern. Zu dem sollen 7 m2 ab 2016 zwar die Richtgröße sein, im Notfall sind aber wie bisher Ausnahmen zulässig. Wenn die Kreise vor großen Unterbringungsproblemen stehen, kann das Inte grationsministerium zeitweilige Befreiungen von Unterbrin gungsstandards erteilen. Deswegen werden wir aber die Vor gabe von 7 m2 nicht auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschie ben. Das wäre nämlich falsch, denn das Gesetz muss eine kla re Richtung vorgeben.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der SPD)

Ähnlich verhält es sich mit der Unterbringung in Wohnungen. Dies soll für die Kreise eine zusätzliche Option sein. Natür lich begrüßen wir es, wenn Flüchtlinge dezentral in kleineren Einheiten untergebracht werden. Wir müssen aber auch den regionalen Wohnungsmarkt im Auge haben. Wo es nur weni ge bezahlbare Wohnungen gibt, bleibt es zunächst bei den Ge meinschaftsunterkünften.

Zudem wollen wir die Unterbringungsdauer insgesamt ver kürzen. Die Dauer des Asylverfahrens soll künftig Maßstab und zugleich Obergrenze sein. Eine künstliche Verlängerung

der Wohnpflicht in den Gemeinschaftsunterkünften um ein weiteres Jahr soll es nicht mehr geben.

(Zuruf des Abg. Karl Zimmermann CDU)

Das verschafft den Kreisen mehr Spielraum bei der Belegung und ist auch im Interesse der Flüchtlinge.

In die gleiche Richtung geht auch die Verkürzung der vorläu figen Unterbringung. Wenn z. B. jemand arbeitet und sich selbst ein Zimmer oder eine kleine Wohnung mieten kann, dann soll er das auch tun.

Ein wesentlicher Fortschritt für Flüchtlinge und Behörden wird die Abkehr vom reinen Sachleistungsgrundsatz sein. Zu einem selbstbestimmten Leben gehört es nun einmal, selbst zu entscheiden, wo man was zum Essen oder auch zum An ziehen kauft. Die meisten Bundesländer nutzen die Spielräu me des Asylbewerberleistungsgesetzes und geben den Flücht lingen Geld statt Sachleistungen für ihren Alltagsbedarf. Ich denke, einige Landkreise machen dies bereits. Es ist für sie auch praktikabler. Es ist höchste Zeit, dass wir in diesem Punkt nachziehen. Unser Gesetzentwurf lässt den Behörden den Spielraum, ob sie Geld oder andere geldwerte Zahlungs mittel ausgeben wollen. Wenn es einen begründeten Verdacht auf Zweckentfremdung von Geldleistungen gibt, kann die Be hörde im Einzelfall auch zu Sachleistungen zurückkehren.

Die meisten arbeitsfähigen Flüchtlinge wollen übrigens kei ne Leistungen, sondern sie wollen arbeiten und selbst Geld verdienen. Wenn der Bund die Hürden senken würde, wie er es bereits angekündigt hat – so habe ich es im Koalitionsver trag gelesen –, wäre das ein Vorteil für die Flüchtlinge selbst, aber auch für die Kommunen als Kostenträger. Nicht zuletzt wäre es auch gut für die Akzeptanz der Flüchtlinge in unserer Gesellschaft. Wir müssen nämlich realistisch sein und sehen, dass viele Flüchtlinge langfristig oder sogar auf Dauer hier bleiben.

Deshalb sind im Gesetzentwurf auch integrative Regeln ent halten. An erster Stelle steht dabei das frühzeitige Erlernen der deutschen Sprache. Dies dient nicht nur der einfachen Ver ständigung der Flüchtlinge untereinander, sondern ist auch im Interesse der Behörden. Wir haben deshalb die gesetzliche Vorgabe aufgenommen, den Flüchtlingen noch während der vorläufigen Unterbringung Angebote zum Spracherwerb zu machen. Hierfür haben wir in der pauschalen Ausgabenerstat tung einen Extrabetrag an die Stadt- und Landkreise vorgese hen.

Als letzten beispielhaften Punkt möchte ich die Flüchtlings sozialarbeit nennen. Sie ist unerlässlich für Menschen, die teil weise viel mitgemacht haben und sich nun in einer neuen Um gebung zurechtfinden müssen. Hier werden wir durch Verord nung erstmals qualitative Anforderungen an das Personal und für die Leistungserbringung festschreiben. Dabei ist es gleich, wer die Aufgabe übernimmt – die Kreise selbst oder von ih nen beauftragte Sozialverbände.

Eine strukturierte Sozialbetreuung muss sogar noch früher be ginnen, nämlich bei der Erstaufnahme. Deshalb haben wir in der Landeserstaufnahmeeinrichtung ein neues Betreuungs- und Beratungsangebot eingerichtet. Das dient auch dem Zweck, besonders Schutzbedürftige, etwa traumatisierte Per sonen, besser zu erkennen.

Wer neue Standards festlegt, muss auch für eine faire Kosten regelung sorgen. Genau das haben wir getan. Wir bleiben zwar grundsätzlich bei der pauschalierten Form der Ausgabener stattung an die Stadt- und Landkreise, aber wir haben diese Pauschalen an die künftigen Standards angepasst. Grundlage der Berechnungen sind die Prüfungsergebnisse des Landes rechnungshofs aus dem Jahr 2007, die schon damals zu einer deutlichen Erhöhung der Pauschalen geführt hatten. Künftig stocken wir wegen der Asylbewerberleistungen, aber vor al lem wegen der größeren Wohn- und Schlafflächen und der Sprachangebote nochmals deutlich auf.

Das sieht im Einzelnen so aus: Im Jahr 2004 betrug die Ein malpauschale der Vorgängerregierung an die Kreise für jeden Asylbewerber noch 7 845 €. Nach der Revision auf der Grund lage der Prüfergebnisse des Rechnungshofs im Jahr 2008 wa ren es dann 10 026 €. Ab dem 1. Januar 2014 werden wir bei 12 316 € liegen, und im Jahr 2016 sollen es nach dem Gesetz entwurf für jeden Asylbewerber 13 722 € sein.

(Abg. Karl Zimmermann CDU: Unabhängig vom Al ter!)

Die Pauschalen werden sich also nach 12 Jahren immerhin um 75 % erhöht haben. Auch danach ist eine jährliche Dyna misierung von künftig 1,5 % statt 1 % vorgesehen.

Dennoch müssen wir eine solche pauschalierte Erstattungsre gelung von Zeit zu Zeit überprüfen und bei Bedarf natürlich auch korrigieren. Das haben wir bereits im Gesetzentwurf ver ankert. Auf der Zahlengrundlage des Jahres 2016 werden wir gemeinsam mit der kommunalen Seite die Pauschalen einer genauen Überprüfung unterziehen und damit die Basis für die weitere Zukunft schaffen. Das Jahr 2016 ist das richtige Ba sisjahr, weil dann die im Gesetz vorgesehene Übergangsfrist für die Unterbringungsstandards abgelaufen ist.

Ich kenne die Sorgen der Kreise wegen des knappen und des halb auch teuren Wohnungsangebots für Flüchtlinge. In den letzten Jahren sind die Mieten, je nach Region, zum Teil er heblich gestiegen. Wir werden deshalb schon bald im neuen Jahr auf die Kreise zugehen und gemeinsam mit ihnen die Ist zahlen des Jahres 2013 auswerten. Dabei haben wir auch auf ein mögliches Gefälle zwischen Ballungsräumen und ländli chen Bereichen zu achten. Wenn es erforderlich ist, könnten die Pauschalen nachjustiert werden. Das Gesetz eröffnet die se Möglichkeit jederzeit, bei Bedarf also auch schon vor 2016.